Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine Revisionsbegründung. Verfahrensrüge. Sachrüge
Orientierungssatz
1. Die Revisionsbegründung muß zunächst kenntlich machen, ob und welche der Nachprüfung des BSG nach § 162 SGG unterliegende Norm des Bundesrechts der Revisionskläger für verletzt hält, sodann für den Fall, daß dies nicht eine materiell-rechtliche, sondern eine Norm des Verfahrensrechts ist, "die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Der Revisionskläger muß demnach in der Revisionsbegründung vorweg klarstellen, ob er einen sachlich-rechtlichen oder einen Verfahrensverstoß oder beides nebeneinander mit der Revision rügen will.
2. Die Revisionsbegründung muß nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muß sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen und erkennen lassen, daß und warum die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl BSG vom 2.1.1979 - 11 RA 54/78 = SozR 1500 § 164 Nr 12)
Normenkette
SGG §§ 162, 164 Abs 2 S 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Der im Jahre 1938 geborene Kläger hat den Beruf des Betonstein-und Terrazzoherstellers erlernt und die Meisterprüfung abgelegt. Von 1955 bis 1970 war er im elterlichen Geschäft als Geselle und zuletzt als Meister versicherungspflichtig beschäftigt. Ab 1. Januar 1971 übernahm er dieses Geschäft, in dem durchschnittlich zwei bis drei Gesellen und eine Bürokraft beschäftigt sind. Dieses Geschäft leitet er noch heute. Als selbständiger Handwerksmeister mit einer Vorversicherung von mehr als 216 Kalendermonaten unterlag und unterliegt er nicht der Versicherungspflicht nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG).
Den im Mai 1982 gestellten Antrag auf Versichertenrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 9. Juni 1983 ab mit der Begründung, daß der Kläger trotz deutlicher Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat noch vollschichtig zB beaufsichtigende und leitende Tätigkeiten in Baumärkten und im Betonfertigteilbau verrichten könne.
Die hiergegen gerichtete Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts -SG- für das Saarland vom 24. Oktober 1984). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Versichertenrente wegen BU verurteilt (Entscheidung vom 26. Juni 1986): Nach seinem Gesundheitszustand könne der Kläger auf Tätigkeiten in seinem eigenen kleinen, auf körperliche Mitarbeit des Meisters angewiesenen Betrieb nicht verwiesen werden. Als Handwerksmeister könne er nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschema nur auf eine abhängige Facharbeitertätigkeit verwiesen werden. Derartige Tätigkeiten seien nicht ersichtlich. Allenfalls kämen noch aufsichtsführende und leitende Tätigkeiten in einem fremden Geschäft des Terrazzo- und Stukkateurhandwerks in Betracht. Derartig strukturierte Betriebe ließen sich nicht ermitteln, weil diese Funktionen in der Regel von den Betriebsinhabern selbst wahrgenommen würden und demnach Arbeitsplätze dem Außenstehenden nicht offenstünden. Der Arbeitsmarkt sei verschlossen.
Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Sie stimmt mit dem LSG darin überein, daß der Kläger als Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben könne und weder auf körperliche Tätigkeiten in seinem Betrieb noch auf adäquate Fachbereiche verweisbar sei. Bei vollem geistigen Leistungsvermögen und im Hinblick auf seine Kenntnis und seine Erfahrungen sowie auf sein Alter sei er auf Tätigkeiten der Verwaltung und Geschäftsführung in gleichartigen, aber fremden Betrieben verweisbar. Demgegenüber seien die Richter der Vorinstanz der Meinung, daß eine derartige Verweisung des Klägers rechtlich nicht zulässig und er deshalb berufsunfähig sei.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. Juni 1986 aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unzulässig.
Nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muß die - fristgerechte - Begründung der Revision einen bestimmten Antrag, die verletzte Rechtsnorm und, soweit ein Verfahrensmangel gerügt wird, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben. Einen bestimmten Revisionsantrag enthält die fristgerechte Revisionsschrift der Beklagten vom 12. August 1986. Der Antrag bedarf zwar der Auslegung: Für eine - neben der Aufhebung des zusprechenden angefochtenen LSG-Urteils - Abweisung der Klage besteht unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten für den erkennenden Senat weder Anlaß noch Möglichkeit, da das SG die Klage bereits abgewiesen hat. Die Beklagte möchte mutmaßlich entschieden haben, daß nach Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das abweisende Urteil des SG vom 24. Oktober 1984 zurückgewiesen wird.
Indessen genügt die Revisionsbegründung nicht den übrigen Anforderungen des Satzes 3 aaO und der hierzu ergangenen Rechtsprechung.
Die Revisionsbegründung muß zunächst kenntlich machen, ob und welche der Nachprüfung des BSG nach § 162 SGG unterliegende Norm des Bundesrechts der Revisionskläger für verletzt hält, sodann für den Fall, daß dies nicht eine materiell-rechtliche, sondern eine Norm des Verfahrensrechts ist, "die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Der Revisionskläger muß demnach in der Revisionsbegründung vorweg klarstellen, ob er einen sachlich-rechtlichen oder einen Verfahrensverstoß oder beides nebeneinander mit der Revision rügen will. Schon hierzu ist im konkreten Fall dem Begründungsschriftsatz der Beklagten vom 19. September 1986 nichts zu entnehmen. In diesem Schriftsatz wird auf Blatt 2 bis zur drittletzten Zeile von unten der Stand des Rechtsstreits, die unstreitigen gesundheitlichen Behinderungen des Klägers und schließlich die unstreitige Meinung aller Beteiligten wiedergegeben, daß die medizinischen Gutachten dem Kläger Büro- und Verwaltungstätigkeiten "für zumutbar erklärt" hätten. An diese Darstellung des Streitstands schließen sich folgende Sätze an:
"... Damit ist er (der Kläger) bei vollem geistigen Leistungsvermögen und im Hinblick auf seine Kenntnisse und seine Erfahrungen sowie auf sein Alter auf Tätigkeiten der Verwaltung und Geschäftsführung in gleichartigen, aber fremden Betrieben verweisbar. Diese Meinung wird von der Revisionsklägerin nach wie vor vertreten. Die Richter der Vorinstanz waren dagegen der Meinung, daß eine derartige Verweisung des Revisionsbeklagten rechtlich nicht zulässig und er deshalb berufsunfähig sei."
Da der letzte Satz nur eine Wiedergabe der vom LSG im angefochtenen Urteil global gezogenen Schlußfolgerung ist, verbleibt zu prüfen, ob die beiden voranstehenden Sätze eine Revisionsbegründung enthalten. Mit der dort sehr knapp kundgegebenen Auffassung, der Kläger sei "auf Tätigkeiten der Verwaltung und Geschäftsführung in gleichartigen, aber fremden Betrieben verweisbar", ist den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG nicht genügt. Dies gilt selbst in bezug auf die vergleichsweise geringeren Anforderungen einer Sachrüge. Die Revisionsbegründung muß nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muß sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen und erkennen lassen, daß und warum die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts - hier mutmaßlich: § 1246 Abs 2 RVO - auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (vgl zB mit jeweils eingehenden Nachweisen BSG SozR 1500 § 164 Nr 5, 12, 25 und 28; für das verwaltungsgerichtliche Revisionsverfahren vgl ua BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 61; für das bundesfinanzgerichtliche Revisionsverfahren BFH/NV 1986, 164, 165; 169, 170).
Eine solche Auseinandersetzung fehlt in der vorliegenden Revisionsbegründung.
Entspricht mithin die Revisionsbegründung bereits in formaler Hinsicht nicht den gesetzlichen Anforderungen, so mußte sie ohne Prüfung in der Sache als unzulässig verworfen werden (§ 169 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen