Leitsatz (redaktionell)
Ein Versicherungsfall vor dem 1945-03-31 begründet für einen Deutschen mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente gegen einen Versicherungsträger in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West, wenn die Zahlung einer vom Träger der Sozialversicherung in der DDR geleisteten Hinterbliebenenrente im August 1961 (Bau der Mauer) eingestellt wurde.
Normenkette
RVO § 1263 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 17 Fassung: 1957-02-23; FRG § 4 Abs. 4 Fassung: 1953-08-07; FANG Art. 6 § 7 Fassung: 1960-02-25, § 11 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Dezember 1964 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Witwenrente auf das Übergangsgeld, das der Klägerin während der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen auf Grund eigener Versicherung zustände, anzurechnen ist (§ 1241 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Die Klägerin bezieht seit Oktober 1956 Witwenrente von der Beklagten. Im Mai 1958 beantragte sie bei der Beklagten Versichertenrente aus ihrer eigenen Versicherung. Die Beklagte gewährte ihr darauf ein Heilverfahren vom 29. Juli bis 2. September 1959. Mit Bescheid vom 18. September 1959 bewilligte sie ihr Versichertenrente für die Zeit seit dem 3. September 1959; sie lehnte gemäß § 1242 RVO Rente für die vorhergehende Zeit ab. Mit Bescheid vom 2. Oktober 1959 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß die Witwenrente auf das anstelle von Versichertenrente zu gewährende Übergangsgeld anzurechnen sei (§ 1241 Abs. 3 RVO). Der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 2. Oktober 1959 wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1959).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 1958 bis 2. September 1959 Übergangsgeld ohne Anrechnung der Witwenrente zu gewähren, und hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 2. Februar 1961).
Die Beklagte hat mit ihrer Berufung beantragt, das Urteil des SG insoweit zu ändern, als sie verurteilt wurde, für die Zeit vom 29. Juli bis 2. September 1959 Übergangsgeld zu zahlen, und die Klage insoweit abzuweisen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Klage insoweit abgewiesen, als die Klägerin die Zahlung von Übergangsgeld für die Zeit vom 29. Juli bis 2. September 1959 begehrt; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 2. Dezember 1964). Das LSG hat sinngemäß im wesentlichen ausgeführt, daß die Auffassung der Klägerin, die Witwenrente sei auf das Übergangsgeld nicht anzurechnen, weil sie auf einem anderen Versicherungsverhältnis fuße, nach Wortlaut, amtlicher Begründung und Zweck des Gesetzes nicht begründet sei. Der Betreute solle während der Durchführung der Heilmaßnahmen von wirtschaftlichen Sorgen befreit sein. Die Witwenrente stelle die wirtschaftliche Sicherung während des Heilverfahrens dar, die der Gesetzgeber garantiert sehen wolle.
Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Sie rügt eine Verletzung des § 1241 Abs. 3 RVO. Sie meint, die Witwenrente, die Unterhaltsersatzfunktion habe, stehe nicht im Zusammenhang mit fortgefallenem Arbeitsentgelt. § 1241 RVO und § 1242 RVO ständen in untrennbarem Zusammenhang. Deshalb könne nur die eigene Rente des Betreuten mit der Anrechnung gemeint sein.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Entscheidung des LSG, daß die Witwenrente auf das Übergangsgeld der Klägerin anzurechnen ist, entspricht dem Gesetz (§ 1241 Abs. 3 RVO).
Im Revisionsverfahren ist Gegenstand der Entscheidung nur das Übergangsgeld für die Zeit während der Durchführung der Heilbehandlung (§ 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO).
Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom selben Tag - 12 RJ 304/65 - bereits entschieden, daß Übergangsgeld aus der eigenen Versicherung der Betreuten auch insoweit nicht gewährt wird, als die Betreute während der Durchführung der Maßnahmen eine Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung bezieht.
Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß § 1241 Abs. 3 RVO nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck die Gewährung von Übergangsgeld auch insoweit ausschließt, als die auf Grund eigenen Versicherungsverhältnisses betreute Person Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält.
Nach § 1241 Abs. 3 RVO wird Übergangsgeld insoweit nicht gewährt, als der Betreute während der Durchführung der Maßnahmen Arbeitsentgelt, anderes Erwerbseinkommen oder eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten (AnV) oder der knappschaftlichen Rentenversicherung (KnV) bezieht.
In der RVO, im Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und im Reichsknappschaftsgesetz (RKG) werden mit dem allgemeinen Begriff "Rente" umfassend alle Rentenleistungen an Versicherte und Hinterbliebene bezeichnet (§§ 1235 Nr. 2, 1245, 1263 Abs. 1 RVO; §§ 12 Nr. 2, 22, 40 Abs. 1 AVG; §§ 34 Nr. 2, 44, 63 RKG). Daher umfaßt der Begriff "eine Rente aus der Rentenversicherung …" nach seinem Wortlaut alle Rentenleistungen. Wird in den Vorschriften über die Rehabilitationsmaßnahmen nur eine bestimmte Rentenart gemeint, so ist dies jeweils ausdrücklich angegeben wie in §§ 1236 Abs. 2, 1241 Abs. 1 Satz 2, 1242, 1243 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 RVO.
Der Wortlaut des § 1241 Abs. 3 RVO spricht in seiner allgemeinen Fassung für die Anrechenbarkeit jeder Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, gleichgültig aus welchem Versicherungsverhältnis sie gewährt wird. Der Wortlaut des § 1241 Abs. 3 RVO besagt auf jeden Fall eindeutig, daß bei Wanderversicherten und bei Empfängern von Renten aus einer Wanderversicherung, die Rehabilitationsmaßnahmen von einem Träger der Arbeiterrentenversicherung erhalten, eine Rente aus einem anderen Versicherungszweig angerechnet wird (entsprechend § 18 Abs. 3 AVG, § 40 Abs. 3 RKG). Danach braucht keine Identität zwischen dem Versicherungsträger bzw. Versicherungszweig, der Rehabilitationsmaßnahmen gewährt und demjenigen, der eine Rente leistet, zu bestehen. Auch dies spricht dafür, daß mit den Worten "eine Rente" jedwede Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen schlechthin gemeint ist.
Während § 1241 Abs. 3 RVO und § 18 Abs. 3 RKG gleich lauten, ist der Wortlaut des § 40 Abs. 3 RKG anders gefaßt. Danach wird Übergangsgeld insoweit nicht gewährt, als der Betreute während der Durchführung der Maßnahmen Arbeitsentgelt, anderes Erwerbseinkommen, eine Knappschaftsrente oder eine Hinterbliebenenrente oder eine Rente aus der ArV oder aus der AnV bezieht; die unterschiedliche Wortfassung beruht jedoch auf den Besonderheiten der KnV. Der Entwurf des § 40 Abs. 3 RKG (BTDrucks. II 3065) lautete dahin, daß Übergangsgeld insoweit nicht gewährt wird, als der Betreute während der Durchführung der Maßnahmen Arbeitsentgelt, anderes Erwerbseinkommen, eine Knappschaftsvollrente oder eine Rente aus der ArV oder aus der AnV bezieht. Der Ausschuß für Sozialpolitik schlug hierauf § 40 Abs. 3 RKG in der Fassung vor, die Gesetz geworden ist (BTDrucks. II/3365). Der ursprüngliche Entwurf (BTDrucks. II/3065) mußte den Eindruck erwecken, daß die übrigen Renten der KnV, wie Hinterbliebenenrente und Knappschaftsaltersrente, nicht anzurechnen seien. Dies war aber anscheinend nicht beabsichtigt, wie die Fassung des Ausschusses (BTDrucks. II/3365) zeigt. Aus dem unterschiedlichen Wortlaut des § 40 Abs. 3 RKG kann sonach die Auffassung der Klägerin nicht begründet werden.
Nach § 1311 Abs. 3 RVO aF konnte die Zahlung der Invaliden-, Witwen- oder Witwerrente für die Dauer des Heilverfahrens eingestellt werden. Nach § 1312 RVO aF war für die überwiegend unterhaltenen Angehörigen des Erkrankten während des Heilverfahrens Hausgeld zu zahlen; es fiel weg, solange und soweit Lohn oder Gehalt auf Grund Rechtsanspruches gezahlt wurde (vorher §§ 1269 bis 1271 RVO idF vom 15.12.1924). In der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) ist, soweit ersichtlich, nichts zur Renteneinstellung in den Fällen gesagt, in denen Rente und Heilverfahren aus verschiedenen Versicherungsverhältnissen gewährt wurden (AN 1917, 547; 1916, 745 ; 1923, 21; 1935, 305 - Erlaß des RAM). Das RVA hat unter Hinweis auf die Begründung zur RVO jedoch betont, daß durch die Versagung der Rente während des Heilverfahrens "Doppelleistungen durch Heilverfahren und Rente, wenn das Heilverfahren auch den Unterhalt mit umfaßt, vermieden werden sollen", sowie daß sich die Versicherungsanstalt dadurch "vor ungerechtfertigter Schädigung durch Doppelleistung für ein und dieselbe Zeit bewahren" dürfe und daß § 1271 Satz 4 RVO idF vom 15.12.1924 "zum Schutz eines vermögensrechtlichen Interesses der Versicherungsanstalt erlassen" sei (AN 1918, 188).
Die Begründung zum Regierungsentwurf der §§ 1236 bis 1243 RVO nF (§§ 1241 bis 1248 des Entwurfs, insbesondere zu § 1246 Abs. 3 des Entwurfs, BTDrucks. II/2437) enthält nichts darüber, ob und inwiefern es bei der Versagung des Übergangsgeldes wegen des Bezuges von Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen darauf ankommt, aus welchem Versicherungsverhältnis Rehabilitationsmaßnahmen und Rente gewährt werden. Es heißt nur: "Da das Übergangsgeld nur der wirtschaftlichen Sicherung des Betreuten und seiner Angehörigen dienen soll, braucht es insoweit nicht gewährt zu werden, als der Betreute während der Durchführung der Maßnahmen Arbeitsentgelt, anderes Erwerbseinkommen oder eine Rente aus einem der Zweige der Rentenversicherung erhält". Die Erwähnung einer "Rente aus einem der Zweige der Rentenversicherung" zeigt auch hier wie im Gesetzeswortlaut, daß die Anrechnung nicht auf formale Gesichtspunkte, wie Übereinstimmung der Versicherungsträger oder Versicherungszweige hinsichtlich Rehabilitationsmaßnahmen und Rentengewährung, abgestellt ist.
Gegen die Auffassung, auf das Übergangsgeld dürfe nur eine Rente aus demselben Versicherungsverhältnis angerechnet werden, das den Rehabilitationsmaßnahmen zugrunde liege, sprechen schließlich insbesondere der Sinn und Zweck des Übergangsgeldes.
Das Übergangsgeld ist zwar ein Teil der Rehabilitationsmaßnahmen. Es ist aber der eigentlichen Leistung aus dem Versicherungsverhältnis, nämlich der Gewährung von Heilbehandlung, nur unterstützend zugeordnet. Es soll zum Erfolg der Heilbehandlung beitragen, indem es den Betreuten wirtschaftlich sichert (Begründung zu § 1246 de Entwurfs der RVO, BTDrucks. aaO). Es wird daher nicht wie die Rente nach der Dauer des Versicherungsverhältnisses und der Höhe der Beiträge berechnet, sondern nach den wirtschaftlichen und familiären Verhältnissen des Betreuten vor Beginn der Maßnahmen. Es soll aber das Einkommen des Betreuten nicht in der vor Beginn der Maßnahmen bestehenden Höhe schlechthin ersetzen. Dies zeigt § 1241 Abs. 2 und die Ermächtigung der Versicherungsträger zur Festsetzung der Höhe des Übergangsgeldes zwischen 50 und 80 v.H. des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens. Die Rehabilitationsmaßnahmen -Heilbehandlung- haben den Zweck, den Betreuten zum Verbleib im Arbeitsleben zu befähigen oder seine Wiedereingliederung ins Arbeitsleben zu ermöglichen (Begründung zum Entwurf der RVO, BT-Drucks. aaO S. 58, rechte Spalte, S. 66 und S. 68 zu § 1247). Sie haben im System der Rentenversicherung Vorrang vor der Gewährung von Rente. Deshalb besteht gemäß § 1242 RVO grundsätzlich kein Anspruch auf Rente. Dies bedeutet, daß der Betreute seinen Lebensunterhalt bei Rehabilitationsmaßnahmen wie bisher, d.h. vorrangig aus eigenen Einkünften bestreiten soll. Deshalb gehen Arbeitsentgelt und anderes Erwerbseinkommen des Betreuten der wirtschaftlichen Sicherung durch Übergangsgeld vor. Der Gesetzgeber hat in Kauf genommen, daß der Betreute dabei gewisse Einbußen im Vergleich zu seinem Gesamteinkommen vor Beginn der Maßnahmen erleiden kann, z.B. wenn er neben dem dem Übergangsgeld nach § 1241 Abs. 2 RVO zugrunde zu legenden Arbeitsentgelt sonstiges Erwerbseinkommen hat, das bei Berechnung des Übergangsgeldes nicht zu berücksichtigen ist, aber auf das Übergangsgeld angerechnet wird; das gleiche gilt bei Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf Grund eines anderen Versicherungsverhältnisses. Auch der versicherungspflichtig beschäftigte Empfänger einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, dessen Arbeitsentgelt während der Durchführung der Maßnahmen wegfällt, erleidet eine Einbuße im Vergleich zu seinem Gesamteinkommen vor Beginn der Maßnahmen; zwar wird das Übergangsgeld nach dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt und der Berufsunfähigkeitsrente berechnet; doch wird die Berufsunfähigkeitsrente dann auf das Übergangsgeld angerechnet.
Da alle Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung Lohn- oder Unterhaltsersatzfunktion haben (BTDrucks. aaO, Begründung, Allgemeiner Teil, zu 1, S. 58 linke Spalte, und Besonderer Teil, Art. 1, 2 Abschn. A II 2, S. 76 linke Spalte) und somit wirtschaftlichen Zwecken dienen, entspricht es dem besonderen Zweck des Übergangsgeldes, d.h. der wirtschaftlichen Sicherung bei Rehabilitationsmaßnahmen, daß eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung dem Übergangsgeld vorgeht. Bei diesen im Vordergrund stehenden wirtschaftlichen Zwecken von Übergangsgeld und Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist es unwesentlich, aus welchem Versicherungsverhältnis eine Rente gewährt wird.
Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob und inwieweit sonstige Einkünfte unter die Begriffe "Arbeitsentgelt" und "Erwerbseinkommen" einzuordnen sind; denn jedenfalls werden mit der ausdrücklichen Anführung von Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen Doppelleistungen für denselben Zweck und aus derselben Quelle - zur wirtschaftlichen Sicherung aus Mitteln der Gesamtheit der gesetzlichen Rentenversicherungen - ausgeschlossen. Dies entspricht der Begründung zum Entwurf der Neuregelungsgesetze insofern, als dort verlangt wird, daß die Versicherungsträger die zur Verfügung stehenden finanziellen und sachlichen Mittel sorgfältig abgewogen einsetzen, so daß sowohl der Einzelne möglichst erfolgreich betreut, als auch eine möglichst große Zahl betreuungsbedürftiger Personen gefördert wird (BTDrucks. aaO, zu § 1241 des Entwurfs, S. 66 rechte Spalte).
Die Revision der Klägerin ist somit nicht begründet und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen