Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides in Höhe von 4.534,02 DM.
Wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls bewilligte die Beklagte der Klägerin u.a. Verletztengeld für die Zeit vom 17. Januar bis 8. Juli 1973. Um diese Leistung berechnen zu können, forderte sie die Klägerin mittels Fragebogen auf, eine Bescheinigung des Finanzamtes darüber vorzulegen, wie hoch ihr "Gewinn aus Gewerbebetrieb bzw. aus selbständiger Tätigkeit als Krankengymnastin" im Kalenderjahr 1972 veranlagt oder erklärt worden sei. Die Klägerin sandte diesen Fragebogen am 20. Februar 1973 mit dem Vermerk an die Beklagte zurück: "Siehe Bescheinigung meines Steuerberaters vom 5. Februar 1973". Die Beklagte, die diese Bescheinigung in ihren Akten nicht auffinden konnte, forderte die Klägerin unter dem 5. März 1973 nochmals auf, einen Nachweis über ihr Brutto-Arbeitseinkommen aus selbständiger Arbeit im Kalenderjahr 1972 vorzulegen und übersandte hierzu nochmals einen Fragebogen. Nunmehr übersandte die Klägerin unter dem 6. März 1973 die Kopie der Bescheinigung ihres Steuerbevollmächtigten, daß sie "im Jahr 1972 Einkünfte aus Krankengymnastik in Höhe von 51.500,-- DM" hatte. Daraufhin berechnete die Beklagte das Verletztengeld nach dem in ihrer Satzung festgelegten Höchstjahresarbeitsverdienst von 48.000,-- DM und erteilte der Klägerin die Abrechnungen über Verletztengeld vom 7. März, 30. März, 30. April und 5. Juni 1973 jeweils mit Rückforderungsvorbehalt, falls eine weitere Prüfung ergebe, daß ein Arbeitsfall nicht vorliege.
Nachdem am 24. Juli 1973 durch telefonische Rücksprache mit dem Steuerbevollmächtigten der Klägerin geklärt worden war, daß ihr Gewinn aus selbständiger Arbeit als Krankengymnastin im Jahre 1972 nicht mit den in der Bescheinigung vom 5. Februar 1973 angegebenen Einkünften aus Krankengymnastik in Höhe von 51.500,-- DM identisch war, sondern nur 23.168,-- DM betrug - im Steuerbescheid der Klägerin für 1972 ist ein Betrag von 23.458,-- DM festgestellt - berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 28. November 1973 das Verletztengeld neu und stellte auf der Basis des tatsächlich erzielten Gewinns von 23.168,-- DM im Jahre 1972 eine Überzahlung von 4.534,02 DM fest. Zu deren Abdeckung behielt sie mit Bescheiden vom 18. Dezember 1973 eine Rentennachzahlung von 2.613,30 DM ein, stellte die Anweisung der laufenden Rente ab 1. Februar 1974 zurück und behielt auch das mit 793,80 DM berechnete Pflegegeld ein.
Das Sozialgericht (SG) Marburg hat die gegen die Rückforderung oder Aufrechnung von 4.534,02 DM gerichtete Klage durch Urteil vom 4. November 1975 abgewiesen. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 9. März 1977 auf die Berufung, der Klägerin das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten vom 28. November und 18. Dezember 1973 dahin abgeändert, daß für die Zeit vom 17. Januar bis zum 21. Mai 1973 das Verletztengeld nach einem Jahresarbeitsverdienst von 48.000,-- DM zu berechnen sei.
Auf die Revision der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) durch Urteil vom 2. Februar 1978 das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen, um das erforderliche Vorverfahren nachzuholen. Danach hat das LSG mit Urteil vom 8. November 1978 wie im Urteil vom 9. März 1977 entschieden. Es hat ausgeführt, der Rückforderungsvorbehalt der Beklagten decke nicht die hier korrigierte Verwechslung von Einkünften und Gewinn. Aber auch die Voraussetzungen einer Rückforderung seien nicht erfüllt. Könne nämlich die Beklagte die bindend gewordene Feststellung des Verletztengeldes mangels eines ausreichenden Rückforderungsvorbehalts nicht ändern, so habe die Klägerin das Verletztengeld nicht zu Unrecht erhalten. Das gelte allerdings nur für die Zeit vom 17. Januar bis zum 21. Mai 1973, weil die bindend gewordenen Verletztengeldabrechnungen nach einem Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 51.500,-- DM nur diesen Zeitraum erfaßten. Aber auch die Voraussetzungen einer Rückforderung nach § 628 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) fehlten. Es sei nämlich weder feststellbar, daß die Klägerin bei Empfang der Verletztengeldzahlungen wußte oder wissen mußte, daß ihr diese Leistungen nicht in der gewährten Höhe zustanden, noch sei die Überzahlung ohne Verschulden der Beklagten zustandegekommen, die ohne Rückfrage die von der Klägerin angegebenen Einkünfte als Gewinn behandelt habe.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 628 RVO und des § 51 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1). Sie ist der Meinung, sie habe sich die Rückforderung ausreichend vorbehalten und sei hierzu der Klägerin gegenüber auch berechtigt, weil diese die wiederholte Frage nach ihrem Gewinn durch Verweisung auf die Bescheinigung ihres Steuerberaters beantwortet und somit die Ursache der Überzahlung gesetzt habe.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. November 1978 dahin abzuändern, daß die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 4. November 1975 zurückgewiesen wird.
Die Klägerin beantragt,die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 As 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Die Beklagte fordert von der Klägerin eine Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung, nämlich das Verletztengeld, zurück. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür sind jedoch nicht erfüllt. Nach § 628 Satz 1 RVO steht es im Ermessen des Trägers der Unfallversicherung, ob er eine Leistung zurückfordert, die er zu Unrecht gezahlt hat. Rechtswirksam ist dies nur, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 628 Satz 2 RVO vorliegen. Danach darf den Träger der Unfallversicherung an der Überzahlung kein Verschulden treffen. Ferner ist erforderlich, daß der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand. Endlich muß die Rückforderung auch noch wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar sein.
Die Revision hebt zwar in erster Linie nicht auf § 628 RVO, sondern auf § 51 Abs. 2 SGB 1 ab. Soweit die Beklagte damit aus § 51 Abs. 2 SGB 1 einen eigenen Rückerstattungstatbestand herleiten will, dessen Voraussetzung allein die zu Unrecht erfolgte Leistung ist, vermag ihr der Senat jedoch nicht zu folgen. § 51 Abs. 2 SGB 1 stünde dann nämlich in Widerspruch zu § 628 RVO. Denn es würden auf diese Weise von § 51 As 2 SGB 1 Rückforderungen im Wege der Aufrechnung auch dann zugelassen, wenn neben der zu Unrecht erfolgten Leistung die weiteren Voraussetzungen des § 628 RVO oder anderer Rückforderungsregelungen der Sozialversicherung (vgl. §§ 223 Abs. 2, 1299, 1312 Abs. 4 RVO, 78 und 91 Abs. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - 90 und 103 Abs. 4 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -) nicht erfüllt wären. Dies zwingt zu dem Schluß, daß § 51 Abs. 2 SGB 1 nur regelt, welche Ansprüche die Träger Von Sozialleistungen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen aufrechnen dürfen. Dagegen ist hier nicht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen zu Unrecht erbrachte Sozialleistungen zu erstatten sind (vgl. Burdenski/v. Maydell/Schellhorn, Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, § 51 RdNote 39). Der Erstattungsanspruch der Beklagten hängt mithin nicht allein davon ab, daß es sich um eine zu Unrecht erbrachte Leistung handelt. Darüber hinaus sind vielmehr die - hier nicht vollständig erfüllten - weiteren Voraussetzungen des § 628 Satz 2 RVO erforderlich.
Der Senat geht wie im Urteil vom 2. Februar 1978 davon aus, daß die Feststellung des überzahlten Betrages und damit auch die Feststellung einer insoweit zu Unrecht erfolgten Leistung zwischen den Beteiligten bindend geworden ist. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen der hier allein noch streitigen Rückforderung kann offen bleiben, ob die Klägerin bei Empfang des Verletztengeldes wußte oder wissen mußte, daß ihr die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand, und ob die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin vertretbar ist. Denn die Beklagte durfte das Verletztengeld hier jedenfalls deshalb nicht zurückfordern, weil sie an der Überzahlung ein Verschulden traf.
Der Beklagten kam es, wie dem der Klägerin übersandten Fragebogen zu entnehmen ist, darauf an, das Arbeitseinkommen der Klägerin im Kalenderjahr 1972, also ihren Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit als Krankengymnastin, festzustellen. Daraufhin übersandte die Klägerin die Bescheinigung ihres Steuerberaters über ihre "Einkünfte aus Krankengymnastin" vom 5. Februar 1973, die nach Bl. 33 der Akten der Beklagten bei ihr bereits am 9. Februar 1973 im Original eingegangen ist. Daraus mußte die Beklagte entnehmen, daß ihre Frage nach dem "Gewinn aus Krankengymnastik" von der Bescheinigung nur dann beantwortet wurde, wenn die darin mitgeteilten "Einkünfte aus Krankengymnastik" mit dem "Gewinn der Krankengymnastik" identisch waren. Daß dies zutraf, konnte die Beklagte nicht mit Sicherheit annehmen, zumal sich aus der Bescheinigung vom 5. Februar 1973 nicht ergab, daß sie etwa in Bezug auf die Anfrage der Beklagten ausgestellt worden war. Diejenigen Zweifel, welche schließlich im Juli 1973 zur telefonischen Rückfrage bei dem Steuerbevollmächtigten der Klägerin wegen des Ausdrucks "Einkünfte" und der Identität mit dem erfragten "Gewinn" führte mußte die Beklagte schon bei Erhalt der Bescheinigung vom 5. Februar 1973 haben. Wenn sie gleichwohl ohne die ihr ohne weiteres mögliche telefonische Rückfrage davon ausging, daß die Einkünfte der Klägerin mit ihrem Gewinn aus Krankengymnastik identisch seien, nahm sie das Risiko in Kauf, daß dies unzutreffend sein könnte. Deshalb handelte sie bei der Berechnung des Verletztengeldes fahrlässig, als sie von einem Gewinn der Klägerin aus Krankengymnastik im Jahre 1972 in Höhe von 51.500,-- DM ausging und demgemäß den in ihrer Satzung festgelegten Höchstjahresarbeitsverdienst von 48.000,-- DM zur Berechnungsgrundlage des Verletztengeldes machte.
Anders könnte das Verhalten der Beklagten nur dann beurteilt werden, wenn etwa in der von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung oder durch einen Zusatz hierzu erklärt worden wäre, ihr Gewinn sei im Jahre 1972 mit ihren Einkünften identisch gewesen. Eine solche Erklärung oder Anhaltspunkte hierfür waren jedoch nicht ersichtlich. Die Beklagte mußte deshalb vor Festsetzung des Verletztengeldes - erforderlichenfalls unter Vornahme von Abschlagszahlungen mit entsprechendem Vorbehalt - ermitteln, welcher Betrag der in der Bescheinigung vom 5. Februar 1973 angegebenen Einkünfte als Gewinn aus Krankengymnastik im Jahre 1972 angesehen werden konnte. Da sie dies nicht getan hat, ist die Voraussetzung der Rückforderung, daß den Versicherungsträger an der Überzahlung kein Verschulden trifft, nicht erfüllt (vgl. hierzu Lauterbach, Unfallversicherung, Stand: September 1979, § 628 Anm. 5a; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: August 1979, Seite 608b zu dd).
Nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG (vgl. SozR Nr. 3 zu § 93 RKG und BSGE 34, 29) könnte das Verschulden des Versicherungsträgers möglicherweise dann unbeachtet bleiben, wenn es gegenüber einem Verschulden der Klägerin an der Überzahlung so gering wäre, daß es im Verhältnis dazu als unwesentlich angesehen werden müßte. Das ist aber nach den von der Revision nicht angegriffenen und deshalb nach § 163 SGG für den Senat bindenden Feststellungen des LSG nicht der Fall. Die Klägerin hätte, wenn ihr der Unterschied zwischen den Begriffen "Einkünfte" und "Gewinn" so geläufig gewesen wäre wie der Beklagten, zwar bemerken müssen, daß die Frage nach ihrem Gewinn mit der Angabe der Einkünfte aus Krankengymnastik nicht hinreichend beantwortet war. Ein Verschulden der Klägerin in Bezug auf die Überzahlung ergibt sich daraus jedoch nicht; es kann somit auch eine Abwägung gegen das Verschulden der Beklagten nicht in Betracht kommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen