Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz eines Vereinsmitglieds während seiner Mithilfe beim Hallenbau des Vereins
Leitsatz (amtlich)
Auch ein Vereinsmitglied kann bei Bauarbeiten des Vereins als gegen Entgelt Beschäftigter nach RVO § 539 Abs 1 Nr 1 versichert sein.
Orientierungssatz
1. Erweist sich die Arbeitsleistung eines Vereinsmitglieds als ein unmittelbarer Ausfluß der Vereinsmitgliedschaft selbst, so arbeitet es nicht "wie" ein aufgrund Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigter (RVO § 539 Abs 1 Nr 1) und ist deshalb auch nicht nach RVO § 539 Abs 2 unfallversichert. Letzteres gilt in erster Linie für geringfügige Verrichtungen, wie zB für Ordnungsdienste bei Veranstaltungen des Vereins, den Verkauf von Eintrittskarten, regelmäßige Arbeiten zur Reinigung und Herrichtung des Sportplatzes und ähnliche Verrichtungen. Umfangreichere unentgeltliche Arbeitsleistungen können möglicherweise dann ausschließlich den Mitgliedspflichten entspringen, wenn sie in der Vereinssatzung oder in einem Beschluß der Mitgliederversammlung den Mitgliedern auferlegt worden sind.
2. Die Arbeit eines Vereinsmitglieds, das sich zeitlich, sachlich und örtlich in den vom Verein bestimmten Betriebsablauf einordnet, sich den Anordnungen des Beauftragten des Vereins in bezug auf die Arbeit unterwirft und dafür wirtschaftlich auch eine Vergütung erhält, hat das Gepräge einer in persönlicher Abhängigkeit verrichteten Beschäftigung aufgrund eines Arbeitsvertrages.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1963-04-30; RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30; SGB 4 § 7 Abs 1 Fassung: 1976-12-23
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 26.04.1979; Aktenzeichen L 7 U 569/78) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 24.02.1978; Aktenzeichen S 4 U 2237/76) |
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger für die Folgen eines Unfalls, den er als Vereinsmitglied bei Bauarbeiten des Vereins erlitten hat, nach § 539 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu entschädigen ist.
Der Kläger, ein Mechanikermeister, ist Mitglied des eingetragenen Vereins "Flugsportgemeinschaft Letzenberg/Malsch". Dessen Vorstand hatte beschlossen, jedes Vereinsmitglied habe im Winterhalbjahr 1975/76 60 Pflichtarbeitsstunden zur Reparatur von Flugzeugen, Fluggeräten und Fahrzeugen, zur Ausbesserung des Fluggeländes und am Hallenanbau zu leisten, davon 10 Außenbaustunden am Fluggelände und am Hallenanbau. Für nicht abgeleistete Baustunden war vorgesehen, die säumigen Mitglieder mit 10 Stunden zu 15,-- DM, 10 Stunden zu 10,-- DM und 40 Stunden zu 5,-- DM sowie für jede fehlende Außenbaustunde mit zusätzlichen 10,-- DM zu belasten; für Mehrarbeit wurden 5,-- DM je Stunde gutgeschrieben, aber nicht ausgezahlt.
Bis zum 10. März 1976 hatte der Kläger insgesamt 60 Pflichtarbeitsstunden und 63,5 Stunden Mehrarbeit geleistet. An diesem Tage stürzte er bei Arbeiten am Hallenanbau von einer Mauer etwa 2,5 m tief ab, als er einen Holzbinder in die richtige Lage setzen wollte. Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 26. Oktober 1976 ab, den Kläger wegen der bei dem Absturz erlittenen Verletzungen zu entschädigen. Die verwies auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach mithelfende Vereinsmitglieder nicht gegen Unfall versichert seien.
Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat mit Urteil vom 24. Februar 1978 den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger zu entschädigen, weil dieser im Unfallzeitpunkt nicht aufgrund seiner Pflicht als Vereinsmitglied sondern freiwillig gegen eine Stundenvergütung von 5,-- DM gearbeitet habe.
Die Berufung der Beklagten, mit der sie geltend gemacht hat, eine Vergütung von 5,-- DM für die Mehrarbeitsstunde könne insbesondere deshalb nicht als Lohn für geleistete Arbeit bewertet werden, weil damit rückständige Beiträge oder ausstehende Fluggebühren verrechnet worden seien, hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) durch Urteil vom 26. April 1979 zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 539 Abs 2 RVO. Sie meint, die Rechtsprechung des BSG, daß Vereinsmitglieder die bei Vereinsbauten gemäß Satzungsbestimmung, Vereinsbeschluß oder allgemeiner Übung für den Verein tätig werden, nicht im Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden, weshalb für sie auch keine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu entrichten seien, sei nur denn unproblematisch, wenn das gesamte Bauobjekt davon betroffen werde. Werde jedoch nur eine bestimmte Zahl von Pflichtstunden festgelegt, die nicht zur Erstellung des gesamten Objekts ausreichen, seien Manipulationen namentlich dann möglich, wenn eine Stundenabgeltung für Mehrarbeit vorgesehen sei. Denn ein Vereinsmitglied werde dann bei der selben Arbeit während der Pflichtstunden nicht, wohl aber danach während der Mehrarbeitszeit von der Unfallversicherung erfaßt. Dieses Ergebnis sei unbefriedigend und müsse dadurch vermieden werden, daß der Unfallversicherungsschutz für das Objekt insgesamt versagt werde, wenn der Vorstandsbeschluß von jedem Mitglied nur eine für das Gesamtobjekt nicht ausreichende Zahl von Pflichtstunden fordere.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des SG Mannheim vom 24. Februar 1978
und des LSG Baden-Württemberg vom 26. April 1979
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Nach der für eingetragene und nicht eingetragene Vereine einheitlichen Rechtsprechung des BSG zur Unfallversicherung bei nicht gewerbsmäßigen Vereinsbauarbeiten (BSGE 14, 1; 17, 211) schließt - wie auch im Arbeitsrecht - die Mitgliedschaft in einem Verein die Begründung eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne von § 539 Abs 1 Nr 1 RVO zwischen dem Vereinsmitglied und dem Verein nicht von vornherein aus. Fehlt es im Einzelfall an den Merkmalen eines Beschäftigungsverhältnisses, kann ein Vereinsmitglied gemäß § 539 Abs 2 RVO bei unentgeltlicher Arbeitsleistung wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Beschäftigter versichert sein. Erweist sich allerdings die Arbeitsleistung als ein unmittelbarer Ausfluß der Vereinsmitgliedschaft selbst, so arbeitet das Vereinsmitglied nicht "wie" ein aufgrund Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigter (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) und ist deshalb auch nicht nach § 539 Abs 2 RVO unfallversichert. Letzteres gilt in erster Linie für geringfügige Verrichtungen, wie zB für Ordnungsdienste bei Veranstaltungen des Vereins, den Verkauf von Eintrittskarten, regelmäßige Arbeiten zur Reinigung und Herrichtung des Sportplatzes und ähnliche Verrichtungen. Umfangreichere unentgeltliche Arbeitsleistungen können möglicherweise dann ausschließlich den Mitgliedspflichten entspringen, wenn sie in der Vereinssatzung oder in einem Beschluß der Mitgliederversammlung den Mitgliedern auferlegt worden sind. Auf die Abgrenzung reiner Mitgliedspflichten von dem Einsatz "wie ein nach Nr 1 Versicherter" (§ 539 Abs 2 RVO) kommt es hier jedoch nicht an, weil der Kläger bei seinem Verein im Unfallzeitpunkt aufgrund eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt und somit schon nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert war.
Das Beschäftigungsverhältnis als Anknüpfungspunkt der Sozialversicherung (vgl hierzu § 7 SGB 4) setzt in der Unfallversicherung im wesentlichen die persönliche Abhängigkeit von einem Unternehmer (Arbeitgeber) - die Eingliederung in seinen Betrieb - voraus, wobei im allgemeinen auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit vorliegen wird, aber nicht vorliegen muß (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: 1. April 1980, S 469 i mit weiteren Hinweisen). Entgeltlichkeit ist in der Unfallversicherung nach § 539 Abs 1 RVO - anders als in der Krankenversicherung nach § 165 Abs 2 RVO und in der Rentenversicherung nach § 1227 Abs 1 RVO - nicht Voraussetzung der Versicherung, weist aber beim Zusammentreffen mit persönlicher Abhängigkeit von einem Unternehmer auf das Vorliegen eines abhängigen Arbeitsverhältnisses hin. Der Kläger verrichtete nach den vom LSG getroffenen, von der Revision nicht beanstandeten und somit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen im Unfallzeitpunkt eine Beschäftigung in persönlicher Abhängigkeit von seinem Verein gegen Entgelt.
Wie aus dem Beschluß des Vereinsvorstandes für das Winterhalbjahr 1975/76 hervorgeht, sollte dadurch in jedem Fall ein finanzieller Beitrag aller Vereinsmitglieder zu den Kosten der Reparaturen an Flugzeugen, Fluggeräten und Fahrzeugen, zu den Ausbesserungen am Fluggelände und zum Hallenanbau sichergestellt werden. Denn hierfür wurden die im Beschluß festgesetzten Beträge von den Mitgliedern gefordert, sofern sie diese nicht - wie ihnen im Beschluß nahegelegt wurde - durch Ableistung entsprechender Baustunden ablösten. Der Verein war somit bemüht, seine Mitglieder dazu zu bewegen, ihm ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, und zwar nicht nur für insgesamt 60 sogenannte Pflichtarbeitsstunden, sondern darüber hinaus auch für beliebig viele Mehrarbeitsstunden, deren rechnerische Abgeltung mit 5,-- DM je Stunde der Beschluß ausdrücklich vorsieht.
Gewann der Verein auf diese Weise Mitglieder zur Arbeit an den von ihm in Angriff genommenen Projekten, darunter insbesondere auch für den Hallenanbau, so stellten diese Mitglieder dem Verein, für dessen Rechnung als Unternehmer die Arbeiten liefen, ihre Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit - sei es auch jeweils nur stundenweise - zur Verfügung. Dabei ergab sich aus der Natur der Sache, daß die Vereinsmitglieder sich nicht zu einer beliebigen Tageszeit eine beliebige Arbeit für den Verein vornehmen konnten, sondern nach Absprache mit Beauftragten des Vereins - insbesondere mit dem Werkstattleiter - bestimmte Arbeiten einzeln oder gruppenweise zu bestimmten Zeiten übernehmen mußten. Da die Vereinsmitglieder nach dem Vorstandsbeschluß nur ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen sollten, mußten sie Werkzeuge und Materialien des Vereins verwenden. Deshalb und auch nach der Art der vorgesehenen Arbeiten - namentlich der Bauarbeiten - konnten diese sinnvollerweise grundsätzlich nur auf dem Vereinsgelände nach einem vom Verein entwickelten Ablaufplan ausgeführt werden, dessen Einhaltung wiederum nicht nur stundenweise anwesende Mitglieder sondern allein ein Beauftragter des Vereins dadurch sicherstellen konnte, daß er den Arbeitseinsatz der jeweils erschienenen Mitglieder plante, vornahm und ständig überwachte. Schließlich war eine zeitliche und sachliche Kontrolle der von den Vereinsmitgliedern verrichteten Arbeiten notwendig, um feststellen zu können, ob die Pflichtstunden und darunter die erforderlichen Außenbaustunden geleistet und wieviele Mehrarbeitsstunden rechnerisch abzugelten waren.
Die Vereinsmitglieder begaben sich bei aller Freiheit im Entschluß, ob sie dem Verein ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen oder die festgesetzten Ablösebeträge zahlen oder gar durch Mehrarbeitsstunden Gutschriften erlangen wollten, jedenfalls dann, wenn sie sich zur Arbeit für den Verein bereit erklärten, mit ihrer Arbeitskraft in dessen Verfügungsbefugnis. Sie ordneten sich zeitlich, sachlich und örtlich in den vom Verein bestimmten Betriebsablauf ein, unterwarfen sich den Anordnungen des Beauftragten des Vereins in bezug auf die Arbeit und erhielten dafür wirtschaftlich auch eine Vergütung. Denn selbst wenn eine echte Lohnauszahlung unterblieb, bestand doch die wirtschaftliche Gegenleistung für die Arbeit im Erlaß sonst fälliger Ablösebeträge oder in der Gutschrift der Mehrarbeitsvergütung beim Verein, die gegen andernfalls zu zahlenden Beiträge oder Fluggebühren verrechnet wurden.
Von diesen Umständen her erhält die Arbeit der Vereinsmitglieder und damit auch die Hilfe des Klägers beim Hallenanbau das Gepräge einer in persönlicher Abhängigkeit verrichteten Beschäftigung aufgrund eines Arbeitsvertrages. Seine Arbeit im Unfallzeitpunkt war deshalb - wie die Arbeit aller Vereinsmitglieder bei Pflicht- und Mehrarbeitsstunden in der hier gewählten Gestaltung - nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO unfallversichert, so daß der Unfall des Klägers bei dieser versicherten und demgemäß auch beitragspflichtigen Arbeit von der Beklagten zu entschädigen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen