Entscheidungsstichwort (Thema)
Pockenschutzimpfung. Impfung "ohne Erfolg". Impfreaktion. kausaler Zusammenhang. Wahrscheinlichkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine immunologische Auseinandersetzung des Körpers mit dem eingebrachten Impfstoff gehört nicht zum gesetzlichen Begriff der Impfung.
Orientierungssatz
1. Im sprachlichen Begriff der Impfung ist sowohl der technische Vorgang des Einbringens des Impfstoffes in den Körper wie auch der Zweck dieser Maßnahme, nämlich die Immunisierung gegen Infektionen enthalten. Der Gesetzesbegriff der Impfung muß dagegen auf den technischen Vorgang des Einbringens des Impfstoffes in den Körper beschränkt bleiben. Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber lediglich die im medizinischen Sinne (zunächst) erfolgreichen Impfungen in den Schutzbereich des BSeuchG einbeziehen wollte, sind nicht ersichtlich.
2. Impffolgen, sei es der Erfolg (Immunisierung), das Fehlschlagen oder andere physische Reaktionen nach Impfung sind im Rahmen der Wahrscheinlichkeit des Impfschadens, nicht aber am Begriff der Impfung zu erörtern.
3. Für die Kausalität zwischen Impfung und Gesundheitsschaden in § 52 Abs 3 S 1 BSeuchG ist nach ausdrücklicher Normierung im materiellen Recht die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges ausreichend; es kommt nicht darauf an, daß der Ursachenzusammenhang zur Überzeugung des Gerichts bewiesen ist.
4. Impfschäden sind nur solche Gesundheitsschäden, die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen. Im Unterschied zur gesundheitlichen Schädigung des BVG, die jede ist, die wahrscheinlich kausal auf die Schädigung zurückzuführen ist, muß bei einem Impfschaden ermittelt werden, welches die vom Geimpften hinzunehmenden üblichen und welches unübliche Impfreaktionen sind, denn nur die unübliche Impfreaktion bestimmt Art und Ausmaß des Impfschadens. Für die Ermittlung unüblicher Impfreaktionen bedarf es der Tatsachenfeststellungen, von deren Feststehen her die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges mit der Impfung zu beurteilen ist. Tatsachen sind hierbei alle erreichbaren medizinischen Unterlagen und Erkenntnisse sowie alle entwicklungsgeschichtlichen Ereignisse in der Person eines möglicherweise Beschädigten.
Normenkette
BSeuchG § 51 Abs 1 Nr 1, § 52 Abs 1 S 1, § 52 Abs 2, § 52 Abs 3 S 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 27.10.1982; Aktenzeichen L 5 Vi 1501/80) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 13.10.1980; Aktenzeichen S 12 Vi 81/79) |
Tatbestand
Unter den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Impfschaden erlitten hat.
Der am 16. März 1963 geborene, durch seine Eltern gesetzlich vertretene Kläger beantragte am 14. September 1976 Versorgung wegen körperlicher und geistiger Gebrechen, die er auf die Impfung gegen Pocken am 25. Mai 1964 zurückführt. Das beklagte Land hat ärztliche Unterlagen über Impfungen und Krankenhausaufenthalte beigezogen und ein Gutachten von Prof. Dr. H, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität F, und Assistenzarzt K erstatten lassen. Die Gutachter kamen zu dem Ergebnis, das jetzige Krankheitsbild einer geistigen Behinderung und des cerebralen Anfallsleidens im Sinne von Blitz-Nick-Salaam-Krämpfen des Klägers stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der BCG-Impfung vom 27. August 1963, der Polio-Schutzimpfung (Schluckimpfung) vom 19. April 1964 und der am 25. Mai 1964 vorgenommenen Pockenschutzimpfung; die vorwiegend in Betracht kommende Pockenschutzimpfung sei ausweislich des Impfbuches "ohne Erfolg" geblieben, außerdem habe durch die serologische Untersuchung vom 15. Juni 1977 kein Kontakt mit Vakzinia-Antigenen nachgewiesen werden können. Ein vertretbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und neuropathologischer Symptomatik bestehe wegen des dazwischenliegenden Zeitraumes von 10 Monaten ebenfalls nicht. Daraufhin hat das beklagte Land zunächst den Antrag und dann den Widerspruch abgewiesen (Bescheid vom 27. Juni 1978, Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 1978).
Im sozialgerichtlichen Verfahren erstattete Dr. B, Facharzt für innere Medizin, am 15. Juni 1980 ein Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach besteht als Folge der Pockenschutzimpfung eine Schädigung des Großhirns mit Intelligenzdefekt im Sinne der Imbezillität und ein Krampfleiden (Epilepsie) in Form sogenannter BNS-(Blitz-Nick-Salaam)-Krämpfe. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges begründete Dr. B damit, daß sich aus der Eintragung in der Impfbescheinigung, die Impfung sei ohne Erfolg geblieben, nichts gegen die immunologische Auseinandersetzung des Geimpften mit dem Impfstoff herleiten lasse. Auch die Beobachtung neurologischer Ausfallserscheinungen erst etwa 10 1/2 Monate nach der Pockenschutzimpfung spreche nicht gegen einen Impfschaden. Normalerweise betrage die Inkubationszeit nach einer Pockenschutzimpfung zwischen 3 und 23 Tagen, es seien aber zahlreiche Fälle bekannt, in denen Krankheitssymptome erst viele Monate nach der Impfung aufgetreten seien. Schließlich könne auch aus dem negativen serologischen Untersuchungsbefund 1977 nicht geschlossen werden, daß es im Falle des Klägers zu keiner immunologischen Auseinandersetzung mit dem Impfstoff gekommen sei. Es spreche mehr für einen ursächlichen Zusammenhang des heute bestehenden Schadens mit der Impfung als dagegen. Dieser Ansicht trat der Versorgungsarzt Dr. von K in einer Stellungnahme am 15. Juli 1980 mit der Auffassung entgegen, daß die Pockenschutzimpfung entweder keine Impfviren in den Körper des Klägers hineingebracht habe oder daß diese nicht mehr so virulent gewesen seien, daß der Körper darauf reagiert habe.
Mit Urteil vom 13. Oktober 1980 wies das Sozialgericht (SG) die Klage ab, die dagegen gerichtete Berufung war ebenfalls erfolglos (Urteil vom 27. Oktober 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat sich der Ansicht aus dem Gutachten von Prof. Dr. H und Dr. K angeschlossen: Es sei nicht wahrscheinlich, daß das Krankheitsbild des Klägers auf die Pockenschutzimpfung zurückzuführen sei. Die Impfung sei "ohne Erfolg" geblieben, ein Kontakt mit Vakzinia-Antigenen sei nicht nachgewiesen worden, und die neurologischen Symptome seien erst etwa zehn Monate nach der Impfung registriert worden. Dies spreche dafür, daß eine immunologische Auseinandersetzung des Impflings mit dem Impfstoff gar nicht stattgefunden habe, so daß eine Impfung im Sinne des Gesetzes gar nicht erfolgt sei. Soweit in dem Gutachten von Dr. B Angaben der Eltern zum Gesundheitszustand des Klägers unmittelbar nach der Pockenschutzimpfung enthalten seien, könnten diese der Beurteilung nicht zugrunde gelegt werden, weil sie erst wesentlich später als die in den Krankenblättern enthaltenen Angaben gemacht worden seien. Die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 109 SGG von Dr. B erübrige sich, denn die Bejahung eines Gesundheitsschadens setze stets eine vorausgegangene immunologische Auseinandersetzung des Impflings mit dem Impfstoff voraus. Daran fehle es hier bereits.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensmängel. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den §§ 51 und 52 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) seien nicht eindeutig. Einerseits werde als Voraussetzung für die Beurteilung, ob ein Impfschaden überhaupt vorliegen könne, verlangt, daß die Impfung erfolgreich ("mit Erfolg") gewesen sei, andererseits werde aber ausgeführt, für die Anerkennung des Anfallsleidens als Folge der Impfung fehle es am Nachweis eines schweren Krankheitsbildes mit encephalitischen Erscheinungen in den ersten Wochen nach der Impfung. Die im angefochtenen Urteil vertretene Ansicht, eine immunologische Auseinandersetzung des Impflings mit dem Impfstoff habe nicht stattgefunden, es läge deshalb auch keine Impfung vor, die einen Schaden anrichten könne, sei medizinisch und rechtlich unrichtig. Es gäbe, wie Dr. B dargelegt habe, neuere medizinische Erkenntnisse, die bewiesen, daß es trotz "erfolgloser" Impfungen zu Impfschäden gekommen sei. Dessen ungeachtet müsse aber berücksichtigt werden, daß es sich bei dem Versorgungsanspruch auf Grund eines Impfschadens um einen besonderen Fall des Aufopferungsanspruches handele. Die Pockenschutzimpfung sei 1964 noch gesetzlich vorgeschrieben gewesen, obwohl das Risiko eines Impfschadens bekannt gewesen sei. Wenn nur die "erfolgreiche" Impfung in den Schutzbereich der §§ 51 ff BSeuchG einbezogen würden, dann würde das volle Risiko aber dem Impfpflichtigen auferlegt.
Als Verfahrensmängel seien Verstöße gegen § 103 SGG zu rügen. Wäre den Aufklärungsanträgen hinsichtlich der geplanten Neufassung der "Anhaltspunkte 1973", hinsichtlich einer erneuten gutachtlichen Äußerung von Dr. B gemäß § 109 SGG und der Vernehmung der Eltern des Klägers über dessen Gesundheit nach der Impfung nachgekommen worden, so wäre ua klar geworden, daß eine erfolgreiche Impfung nicht Voraussetzung für einen Impfschaden sein müsse.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Oktober 1982, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. Oktober 1980 und den Bescheid vom 27. Juni 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 1978 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, für den Impfschaden "Schädigung des Großhirns mit Intelligenzdefekt im Sinne der Imbezillität, Krampfleiden (Epilepsie) in Form sogenannter BNS (Blitz-Nick-Salaam)-Krämpfe" Versorgung nach einer MdE um 100 vH ab 1. September 1976 zu gewähren, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit insbesondere Dr. B, Bad S, gemäß § 109 Abs 1 SGG erneut gutachtlich gehört werden kann.
Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Entgegen der Ansicht des LSG umfaßt der Begriff der Impfung im Sinne des § 51 Abs 1 Bundesseuchengesetz (BSeuchG) idF vom 18. Dezember 1979 (BGBl I S 2262) nicht eine immunologische Auseinandersetzung des Körpers mit dem Impfstoff. Für die weitere rechtliche Beurteilung der Streitsache reichen die bisherigen Feststellungen aber nicht aus.
Der Kläger könnte einen gemäß § 51 Abs 1 Nr 1 BSeuchG iVm § 52 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BSeuchG entschädigungspflichtigen Impfschaden erlitten haben. Nach dieser Vorschrift erhält, wer durch eine gesetzlich vorgeschriebene Impfung einen Impfschaden erlitten hat, auf Antrag Versorgung wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens. Ein Impfschaden ist ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden; zu seiner Anerkennung als Folge einer Impfung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Der angeschuldigten Pockenschutzimpfung hat sich der Kläger am 25. Mai 1964 in Bad Homburg v.d.H. unterzogen. Die Impfung war seinerzeit noch gesetzlich vorgeschrieben (§ 1 Impfgesetz vom 8. April 1874 - RGBl I S 31 -; dieses abgelöst durch Gesetz über die Pockenschutzimpfung vom 18. Mai 1976 - BGBl I S 1216 -; dieses aufgehoben durch Gesetz vom 24. November 1982 - BGBl I S 1529 -). Zur Anerkennung der Erfüllung der gesetzlichen Impfpflicht bedurfte es der ärztlichen Feststellung, daß die Impfung "mit Erfolg" vorgenommen war (§ 3 Impfgesetz). Ausweislich des Impfbuches war die Impfung bei dem Kläger "ohne Erfolg", Impfnarben sind nicht vorhanden und eine 13 Jahre später durchgeführte serologische Untersuchung erbrachte nicht den Nachweis eines Kontaktes mit Vakzinia-Antigenen. Von diesen Tatsachenfeststellungen hat der Senat auszugehen (§ 163 SGG). Sie reichen jedoch nicht für den rechtlichen Schluß aus, eine Impfung im Sinne des Gesetzes liege nicht vor.
Im sprachlichen Begriff der Impfung ist sowohl der technische Vorgang des Einbringens des Impfstoffes in den Körper wie auch der Zweck dieser Maßnahme, nämlich die Immunisierung gegen Infektionen enthalten (vgl statt vieler medizinischer Nachweise: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Berlin-New York 1975, 252. Aufl, Stichwort "Schutzimpfung"; zur ähnlichen juristischen Definition vgl Schiwy, Impfung und Aufopferungsentschädigung, Berlin 1974, S 13). Der Gesetzesbegriff der Impfung muß dagegen auf den technischen Vorgang des Einbringens des Impfstoffes in den Körper beschränkt bleiben. Eine immunologische Auseinandersetzung des Körpers mit dem eingebrachten Impfstoff gehört nicht zum gesetzlichen Begriff der Impfung. Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber lediglich die im medizinischen Sinne (zunächst) erfolgreichen Impfungen in den Schutzbereich des BSeuchG einbeziehen wollte, sind nicht ersichtlich und wären auch nicht sinnvoll. Dies würde nämlich für jede Impfung die Nachprüfung erfordern, ob im Einzelfall der erstrebte Impfzweck erreicht ist oder nicht. Das wird jedoch nicht gemacht, vielmehr geht die medizinische Wissenschaft von dem Erfahrungssatz aus, daß ein kunstgerecht aufgebauter Impfstoff die erwartete Wirksamkeit hat (Handwörterbuch der Rechtsmedizin, hrsg von G. Eisen, Stuttgart 1973 Bd 1 S 163 re Sp). Fehlt es mithin in der Impfpraxis an der exakten Feststellung der Folgen einer Impfung und eines daraus entwickelten engen Impfbegriffes, so fehlt gleichzeitig ein gültiger Rechtsmaßstab für die Einbeziehung oder den Ausschluß einer geimpften Person in den Schutzbereich des BSeuchG. Hiervon bildet auch die Pockenschutzimpfung wegen ihrer Besonderheit der gesetzlichen Impfnachschau keine Ausnahme. Das ärztliche Urteil, ob die Impfung "ohne Erfolg" oder "mit Erfolg" verlaufen ist, diente - wie diese Impfpflicht ohnehin - der Durchsetzung des Gesetzeszweckes, nämlich der Ausrottung der Krankheit durch lückenlose Immunität der Bevölkerung. Für den Vollzug des Impfgesetzes war es praktikabel, das hervorstechende Merkmal der Pustelbildung als Erfolgskriterium heranzuziehen, obwohl auch bei fehlender Pustelbildung eine Immunität nicht immer auszuschließen ist (vgl Anhaltspunkte 1983, Nr 57 Ziff 1 S 182 3. Absatz). Impffolgen, sei es der Erfolg (Immunisierung), das Fehlschlagen ("Impfversager", Zimmermann, Alte und Neue Probleme bei Schutzimpfungen, in: DÄ 1964, 512, 515) oder andere physische Reaktionen nach Impfung sind im Rahmen der Wahrscheinlichkeit des Impfschadens, nicht aber am Begriff der Impfung zu erörtern. Der Senat stimmt hierin mit dem früher für die Aufopferungsentschädigung zuständigen BGH überein, der im Falle einer fehlgeschlagenen Impfung maßgeblich darauf abgestellt hat, daß der Impfvorgang stattgefunden hat (BGH, NJW 1970, 1230).
Die Impfung im Rechtssinne muß erwiesen werden. Davon kann im allgemeinen ausgegangen werden, wenn der äußere Vorgang einer kunstgerecht durchgeführten Impfung festgestellt wird. Im vorliegenden Fall besteht daran kein Zweifel etwa dahingehend, daß der Kläger beim Impftermin übersehen wurde und das Impfbuch deshalb auf falschen Tatsachen beruhen könnte. Ebensowenig enthält der vom LSG in die Entscheidungsfindung einbezogene Impfschadensbericht des Gesundheitsamtes Bad Homburg v.d.H. vom 12. Oktober 1976 irgendwelche Anhaltspunkte über intern bekannte allgemeine Unregelmäßigkeiten des Impftermins am 25. Mai 1964. Andererseits könnte es wegen medizinischer Besonderheiten nach dem Impfvorgang möglich sein, auszuschließen, daß dabei Impfstoff in den menschlichen Körper geraten ist. In diesem Zusammenhang kann das Fehlen einer immunologischen Auseinandersetzung bedeutsam sein.
Das LSG wird nunmehr zunächst festzustellen haben, ob eine Impfung im Sinne des BSeuchG, wie sie hier definiert worden ist, vorliegt. Wenn das der Fall ist und der Kläger heute an einem Anfallsleiden und einer Schädigung des Großhirns mit Intelligenzdefekt leidet, ist über den Ursachenzusammenhang beider Tatsachen zu entscheiden. Als Maßstäbe der Kausalität sind die Rechtsgrundsätze des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anzulegen (vgl SozR 3850 § 52 BSeuchG Nr 1), da § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG dem § 1 Abs 1 BVG und § 52 Abs 2 Satz 1 BSeuchG (1971, BGBl I S 1401) dem § 1 Abs 3 Satz 1 BVG nachgebildet ist. Für die Kausalität zwischen Schädigung und Gesundheitsstörung ist in § 1 Abs 3 BVG ebenso wie für die Kausalität zwischen Impfung und Gesundheitsschaden in § 52 Abs 3 Satz 1 BSeuchG ausdrücklich vorgeschrieben, daß die Wahrscheinlichkeit ausreicht. Es kommt also auch im vorliegenden Fall darauf an, ob der Ursachenzusammenhang wahrscheinlich ist, es kommt nicht darauf an, daß der Ursachenzusammenhang zur Überzeugung des Gerichts bewiesen ist.
Die gesetzgeberische Entscheidung dafür, in dem diffizilen Bereich gesundheitlich/medizinischer Ursachenzusammenhänge deren Wahrscheinlichkeit ausreichen zu lassen, begegnet im Impfschadensrecht allerdings einer Besonderheit, die sich aus der Legaldefinition des Impfschadens ergibt. Im Unterschied zur Gesundheitsstörung nach dem BVG, die jede ist, die wahrscheinlich kausal auf die Schädigung zurückzuführen ist, sind Impfschäden nur solche Gesundheitsschäden, die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen. Diese Legaldefinition war in dem § 51 BSeuchG vom 18. Juli 1961 (BGBl I S 1012) noch nicht enthalten, sie wurde erst 1971 in das BSeuchG eingebaut. Sie stellt klar, daß nicht jede das Wohlbefinden beeinträchtigende Impfreaktion in den Schutzbereich des Versorgungsrechts einbezogen ist, sondern nur der über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende Gesundheitsschaden. Dies ist nichts anderes als der klassische Aufopferungsanspruch des Impfgeschädigten, für dessen normative Ausgestaltung der BGH in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1953 den Weg gewiesen hat. Er hat seinerzeit ausgeführt, das Impfgesetz verlange von den Betroffenen lediglich, daß sie die natürlicherweise und allgemein mit der Impfung verbundenen Nachteile hinnehmen, verlange aber keinesfalls das Aufsichnehmen erheblicher gesundheitlicher Schädigungen (BGHZ 9, 83, 88). Im Unterschied zur gesundheitlichen Schädigung des BVG muß bei einem Impfschaden also ermittelt werden, welches die vom Geimpften hinzunehmenden üblichen und welches unübliche Impfreaktionen sind, denn nur die unübliche Impfreaktion bestimmt Art und Ausmaß des Impfschadens. Für die Ermittlung unüblicher Impfreaktionen bedarf es der Tatsachenfeststellungen, von deren Feststehen her die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges mit der Impfung zu beurteilen ist. Tatsachen sind hierbei alle erreichbaren medizinischen Unterlagen und Erkenntnisse sowie alle entwicklungsgeschichtlichen Ereignisse in der Person eines möglicherweise Geschädigten.
An einer umfassenden Tatsachenfeststellung fehlt es hier. Bezüglich der in der gesundheitlichen Entwicklung des Klägers liegenden Tatsachen wird aufzuklären sein, ob und ggf welche Verhaltensauffälligkeiten nach der Pockenschutzimpfung aufgetreten sind. Das Gericht kann im Wege der Amtsermittlung hier Auskunftspersonen aus der Umgebung des Klägers heranziehen und die Glaubwürdigkeiten ihrer Aussagen, auch die der Eltern, frei würdigen. Weiter wird der Frage nachzugehen sein, ob es noch ärztliche Unterlagen aus der Zeit zwischen der Impfung und der Einweisung in das Krankenhaus gibt. Bezüglich der rein medizinischen Frage, ob ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden stets eine bestimmte übliche Impfreaktion voraussetzt, was den "Anhaltspunkten" keineswegs eindeutig zu entnehmen ist, ist zu beachten, daß die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung möglicherweise neuere Erkenntnisse anbieten können.
Aus diesen Gründen war die Rechtssache zurückzuverweisen. Das LSG wird auch die abschließende Entscheidung über die Kosten zu treffen haben.
Fundstellen