Verfahrensgang
SG Duisburg (Urteil vom 16.05.1989; Aktenzeichen S 21 Kr 96/89) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16. Mai 1989 – S 21 Kr 96/89 – wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte den Kläger über den 31. Dezember 1988 hinaus in ihrer Beitragsklasse 608 zu versichern hat.
Der Kläger ist als nichtversicherungspflichtiger Angestellter mit Anspruch auf Gehaltsfortzahlung für 26 Wochen seit dem 1. Juli 1987 freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Bei Beginn der Mitgliedschaft wählte er die Beitragsklasse 608 mit einem Anspruch auf kalendertägliches Krankengeld von 172,– DM vom Beginn der 27. Woche nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit an. Seit dem 1. Januar 1989 führt die Beklagte den Kläger in der Beitragsklasse 606, woraus sich für den Kläger ein Krankengeldanspruch von kalendertäglich 122,– DM ergibt. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zur Auflösung der Beitragsklasse 608 sei die Beklagte nach den Vorschriften des Art 79 Abs 6 Nr 7 des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) und des § 47 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) verpflichtet gewesen. Die durch die Neuregelung herbeigeführte Änderung des Krankengeldanspruchs freiwillig Versicherter sei mit dem Vertrauensschutz vereinbar. Auch unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips sei die Auflösung der Beitragsklasse 608 nicht zu beanstanden. Die Beschränkung auf ein kalendertägliches Krankengeld von 122,– DM statt bisher 172,– DM für 1 1/2 Jahre – Krankengeld werde längstens für 78 Wochen gezahlt – sei nicht so schwerwiegend, daß von einer Existenzgefährdung oder einer Verletzung des Sozialstaatsprinzips gesprochen werden könnte. Die Auflösung der Beitragsklasse 608 verstoße ferner nicht gegen Art 14 des Grundgesetzes (GG), denn es sei kein erworbenes Recht entwertet worden.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, Art 79 Abs 6 Nr 7 GRG verstoße gegen Art 14 GG sowie gegen den zwischen den Vertragspartnern fortbestehenden Vertrauensschutz.
Der Kläger beantragt,
- Das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16. Mai 1989 – S 21 Kr 96/89 – aufzuheben.
- Die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides aus Dezember 1988 und des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1989 zu verpflichten, den Kläger über den 31. Dezember 1988 in der Beitragsklasse 608 mit einem kalendertäglichen Anspruch auf Krankentagegeld in Höhe von 172,– DM zu versichern.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Dem Kläger steht nach den vom 1. Januar 1989 an geltenden Vorschriften des SGB V kein Anspruch zu, weiter mit einem kalendertäglichen Krankengeld in Höhe von 172,– DM versichert zu werden. Der Kläger hat gegen die Beklagte im Krankheitsfall keinen höheren Anspruch auf Krankengeld als 80 % des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt. Diese Beschränkung ist in § 47 Abs 1 SGB V vorgeschrieben. Der Beitragsberechnung unterliegen die Einnahmen nur bis zu einem Betrag von 1/360 der Jahresarbeitsverdienstgrenze für den Kalendertag (§ 223 Abs 3 SGB V). Die Bestimmung des § 47 Abs 1 SGB V gilt ohne Ausnahme auch für die Ersatzkassen. Nach der allgemeinen Grundregel des § 2 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im 3. Kapitel genannten Leistungen zur Verfügung. Zu den Leistungen nach dem 3. Kapitel gehört das Krankengeld nach §§ 44 ff SGB V. Krankenkassen sind auch die Ersatzkassen (§ 4 Abs 2 SGB V). Für die Zulässigkeit von Versicherungsbedingungen mit einem den Betrag von 1/360 der Jahresarbeitsverdienstgrenze übersteigenden Krankengeld stützten sich die Ersatzkassen vor dem 1. Januar 1989 auf die Bestimmung des Art 2 § 4 Abs 2 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (Ersatzkassen der Krankenkversicherung) – 12. AufbauV – in der im BGBl III Gliederungsnummer 8230-13 veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch § 51 des Gesetzes vom 27. Juli 1981 (BGBl I 705). Danach haben für die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht die Bestimmungen der Satzung der Ersatzkasse gegolten. Die 12. AufbauV ist indessen durch Art 79 Nr 6 GRG aufgehoben worden. Mit der Aufhebung der 12. AufbauV hat die in der Satzung der Beklagten geregelte Beitragsklasse 608, die ein höheres Krankengeld als nach § 47 SGB V vorsah, ihre Rechtsgrundlage verloren.
Der Kläger kann sich dagegen nicht auf einen „Versicherungsvertrag” stützen, an den die Beklagte gebunden sei. Mit Recht hat das SG dargelegt, daß die Mitgliedschaft Versicherungsberechtigter bei Ersatzkassen öffentlich-rechtlich geregelt ist. Es liegt kein Vertrag zugrunde. Die Änderung des Mitgliedschaftsverhältnisses bestimmt sich allein nach den gesetzlichen Vorschriften und der Satzung.
Die Aufhebung der Ermächtigung, die Versicherung der freiwilligen Mitglieder durch die Satzung zu regeln, und die Begrenzung des Krankengeldanspruchs dieser Mitglieder gemäß § 47 SGB V sind, soweit sie den Kläger betreffen, nicht verfassungswidrig.
Nicht verletzt ist Art 14 GG. Sozialversicherungsrechtliche Positionen können allerdings in den Schutzbereich des Art 14 GG gehören. Dafür ist eine vermögenswerte Rechtsposition Voraussetzung, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist (BVerfG in SozR 2200 § 165 der Reichsversicherungsordnung -RVO- Nr 81 sowie SozR 4100 § 104 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG- Nr 13). Die Versicherung mit Anspruch auf höheres Krankengeld gemäß Beitragsklasse 608 der Beklagten kann eine vermögenswerte Rechtsposition sein. Es handelt sich nicht um eine bloße Aussicht auf eine zukünftige Leistung, sondern um einen nach der Satzung gegebenen Versicherungsschutz mit bestimmten gewählten Bedingungen, nämlich mit Anspruch auf höheres Krankengeld. Für das Entstehen des satzungsmäßigen konkreten Leistungsanspruchs mußte nur noch der Versicherungsfall eintreten. Diese Position ist dem Versicherten ausschließlich zugeordnet, so daß sie ihm als Grundlage privater Initiativen von Nutzen ist und derjenigen eines Eigentümers entspricht (vgl BVerfG aaO).
Der sozialversicherungsrechtlichen Position muß indessen, soll sie den Schutz der Eigentumsgarantie genießen, weiterhin eine nicht unerhebliche Eigenleistung des Versicherten zugrunde liegen. Der Eigentumsschutz beruht dabei wesentlich darauf, daß die in Frage kommende Rechtsposition durch die persönliche Arbeitsleistung des Versicherten, wie diese vor allem in den einkommensbezogenen Eigenleistungen Ausdruck findet, mitbestimmt ist (BVerfG SozR 2200 § 165 RVO Nr 81 S 126). Daran fehlt es hier. Es ist nicht zu entscheiden, ob allgemein Rechte aus der Krankenversicherung eigentumsgeschützt sind. Die streitige Rechtsposition des Klägers, in die durch das SGB V eingegriffen wird, ist das Versicherungsverhältnis nach der Beitragsklasse 608 der Beklagten, soweit sich daraus ein Krankengeldanspruch nach einem über der Jahresarbeitsverdienstgrenze liegenden Betrag ergibt. In dieses Versicherungsverhältnis hat das GRG mit Wirkung vom 1. Januar 1989 für die Zukunft entwertend eingegriffen. Das – ohne das SGB V gegebene – Recht des Klägers, in der Beitragsklasse 608 versichert zu bleiben, beruht aber nicht auf nicht unerheblichen Eigenleistungen. Die Wahl der Beitragsklasse 608 war nicht von vorausgegangenen Beitragsleistungen abhängig. Durch Beitragsleistungen in der Zeit vor dem 1. Januar 1989 ist die Rechtsposition des Klägers auch nicht verbessert worden. Sie unterscheidet sich insofern etwa von derjenigen eines Versicherten in der Arbeitslosenversicherung, der die Anwartschaftszeit gemäß § 104 AFG erfüllt hat. Zum Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) gehört eine beitragspflichtige Beschäftigung von bestimmter Dauer in der Rahmenfrist vor dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit. Es ist mit Art 14 GG nicht vereinbar, daß diese Anwartschaftszeit von 180 Kalendertagen auch für Versicherte, welche diese Zeit bereits erfüllt hatten, durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz übergangslos verdoppelt wurde (BVerfG in SozR 410 § 104 AFG Nr 13). Für den Krankengeldanspruch nach einem die Jahresarbeitsverdienstgrenze übersteigenden Betrag gilt aber keine derartige Anwartschaftszeit. Die Versicherungsbedingungen der Beklagten sehen auch keine Wartezeit vor. Durch Art 14 GG mögen zwar höhere Krankengeldansprüche aus einem vor dem 1. Januar 1989 eingetretenen Versicherungsfall geschützt sein, wenn sie an diesem Tag noch fortbestanden haben. Einen konkreten entstandenen Krankengeldanspruch hat der Kläger aber durch das SGB V nicht verloren.
Eine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des Art 79 Nr 6 GRG ergibt sich, soweit es den Kläger berührt, auch nicht nach den Maßstäben über die unechte Rückwirkung. Durch Art 79 Nr 6 GRG ist die 12. AufbauV für die Zukunft aufgehoben worden. Die Vorschrift entfaltet durch ihre Einwirkung auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen eine unechte Rückwirkung. Wenn eine Verletzung des Art 14 GG verneint wird, sind Änderungen von Gesetzen weiter nach den Maßstäben über die unechte Rückwirkung zu prüfen (vgl BVerfGE 72, 141, 154). Die unechte Rückwirkung eines Gesetzes ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich aber aus dem Prinzip der Rechtssicherheit, das einen Schutz gegen Eingriffe in Vertrauenstatbestände gewährt. Verfassungswidrig ist die unechte Rückwirkung, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte, und wenn sein Vertrauen billigerweise eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber beanspruchen kann. Es bedarf der Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfG aaO).
Im vorliegenden Fall überwiegt die Bedeutung des Art 79 Nr 6 GRG das Ausmaß des Vertrauensschadens. Art 79 Nr 6 GRG ist insoweit auch unter dem Gesichtspunkt der unechten Rückwirkung nicht verfassungswidrig. Im Regierungsentwurf des GRG wird zu Art 70 Satz 2 Nr 3 (= Art 79 Nr 7 des Gesetzes) auf die Vorschriften der §§ 177 bis 181 des Entwurfs des SGB V verwiesen (BR-Drucks 200/88 S 273). Diese Vorschriften des Entwurfs stimmen, soweit hier einschlägig, mit §§ 168 bis 171 des Gesetzes überein und stehen unter der Überschrift „Ersatzkassen”. Nach der Begründung zu § 177 des Entwurfs sieht das neue Recht eine weitgehende Gleichstellung aller Krankenkassen im Bereich des Leistungs-, Beitrags- und Mitgliedschaftsrechts vor, weil die unterschiedlichen Regelungen zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen zwischen den Krankenkassen geführt haben (BR-Drucks aaO S 213). Es gehört zu den wesentlichen Aufgaben, die sich der Gesetzgeber gestellt hat, Unterschiede im Leistungs-, Beitrags- und Mitgliedschaftsrecht zwischen RVO-Kassen und Ersatzkassen abzubauen, denn ein fairer Wettbewerb ist nur bei angeglichenen Rahmenbedingungen möglich (BR-Drucks aaO S 152).
Gegenüber dieser Bedeutung des gesetzlichen Anliegens muß der Vertrauensschutz für den Kläger zurücktreten. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz gebietet nicht, den von einer bestimmten Rechtslage Begünstigten vor jeglicher Enttäuschung seiner Erwartungen betreffend die Dauerhaftigkeit der Rechtslage zu bewahren (BVerfGE 76, 359). In der Krankenversicherung hat der Versicherte vom ersten Tag an vollen Versicherungsschutz ohne Rücksicht darauf, wie lange und in welcher Höhe er Beiträge geleistet hat. Das schützenswerte Vertrauen ist daher geringer als etwa in der Rentenversicherung (BSG SozR 2200 § 183 RVO Nr 50). Ob die Einrichtung der Beitragsklasse 608 der Beklagten überhaupt rechtmäßig war, kann dahingestellt bleiben. Der Anspruch auf höheres Krankengeld war jedenfalls auch nach dem vor dem 1. Januar 1989 geltenden Recht nicht vollkommen und unabhängig von allen Entwicklungen gewährleistet. Wenn etwa ein freiwilliges Mitglied der Beklagten arbeitslos wurde und Alg bezog, trat die Versicherungspflicht nach § 155 AFG ein. Ein Fortbestehen der Beitragsklasse 608 war in diesem Fall nicht vorgesehen, vielmehr galt diese Klasse nur für Angestellte, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherungspflichtig waren.
Die Bedeutung des dargelegten Anliegens der Aufhebung der 12. AufbauV überwiegt deutlich das Ausmaß des Vertrauensschadens des Klägers. Dafür ist ausschlaggebend, daß der Kläger sich einen dem verlorenen entsprechenden Versicherungsschutz mit geringfügigem Aufwand außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung beschaffen kann. Der Kläger hat zum Hinweis der Beklagten auf die Möglichkeit einer zusätzlichen Versicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen lediglich eingewandt, dieser Hinweis sei unangemessen; zum einen dürfte die Beklagte dabei hinsichtlich der Kosten sein Alter nicht berücksichtigt haben, zum anderen liege nach Auffassung des Vorsitzenden des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen hier eine Enteignung von erworbenen Ansprüchen vor. Die zusätzlichen Kosten für eine private Zusatzkrankengeldversicherung sind indessen unerheblich. Der Kläger war, wie sich aus seinem Vorbringen ergibt, am 1. Januar 1989 noch keine 55 Jahre alt. Nach den vom Senat beigezogenen Tarifbedingungen einer privaten Krankenversicherungs-Gesellschaft – der Barmenia – müßte der Kläger für die Differenz von 50,– DM zwischen dem ihm zustehenden Krankengeld von 122,– DM und dem Krankengeld bei Fortdauer der Versicherung in Beitragsklasse 608 von 172,– DM, einen monatlichen Beitrag von 9,– DM zahlen. Für die Gewichtung des Vertrauensschadens ist davon noch der zusätzliche Beitrag nach Beitragsklasse 608, soweit er höher liegt als der Beitrag nach Klasse 606, abzuziehen. Es verbleibt jedenfalls ein geringfügiger Betrag, zumal es hier um Angestellte mit Einkommen über der Jahresarbeitsverdienstgrenze geht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen