Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. italienischer Beamter. Recht zur freiwilligen Versicherung
Orientierungssatz
1. Kann ein italienischer Beamter gemäß § 1233 Abs 1 S 1 RVO iVm Anh VI Abschn C Nr 7 Buchst b zu Art 89 der EWGV 1408/71 freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung leisten, hat er keinen Anspruch auf Erstattung von Beiträgen gemäß § 1303 Abs 1 RVO.
2. Dieses Recht entfällt auch nicht durch § 1233 Abs 1a RVO. Eine Gleichstellung von Beamten anderer Mitgliedstaaten der EG mit deutschen Beamten kann nicht unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 der EWGV 1408/71 erreicht werden. Diese Vorschrift erfordert insoweit nicht eine Gleichbehandlung mit einem deutschen Beamten, weil die Verordnung auf Sondersysteme für Beamte und ihnen gleichgestellte nicht anzuwenden ist (Art 4 Abs 4 EWGV 1408/71) (vgl BSG vom 12.9.1979 - 5 RJ 124/77 und vom 29.1.1981 - 11 RA 22/80 = SozR 2200 § 1303 Nrn 15 und 17).
Normenkette
RVO § 1303 Abs. 1 Fassung: 1974-03-02, § 1233 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1975-05-07; EWGV 1408/71 Art. 89, 4 Abs. 4, Art. 3 Abs. 1; EWGV 1408/71 Anh 6 Abschn. C Nr. 7 Buchst. b
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt, ihm die Beiträge zu erstatten, die er selbst in den Jahren 1960 und 1961 zur Arbeiterrentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland entrichtet hat.
Der 1923 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und lebt in Italien. Er war in den Jahren 1960 und 1961 in der Bundesrepublik versicherungspflichtig beschäftigt und entrichtete für insgesamt 8 Monate Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung. 1986 wurde der Kläger als italienischer Beamter pensioniert. Er beantragte im September 1986, ihm die in der Bundesrepublik von ihm selbst entrichteten Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung zu erstatten. Nach seinem Vorbringen hat er die in Italien zur allgemeinen Rentenversicherung entrichteten Beiträge erstatten und in die Beamtenversorgung übertragen lassen. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 29. Dezember 1986; Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. September 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Hälfte der in der Zeit vom 1. Juni 1960 bis 11. Februar 1961 zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichteten Beiträge zu erstatten. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Nach § 1303 Abs 1 Satz 1 und 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei einem Versicherten nach Ablauf von 2 Jahren nach Ende der Versicherungspflicht die Hälfte der entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn für ihn kein Recht zur freiwilligen Versicherung bestehe. Die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung sei aufgrund analoger Anwendung des § 1233 Abs 1a RVO entfallen, weil der Kläger Beamter eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft (EG) sei. Es verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des EG-Rechtes, insoweit einen Beamten in einem anderen EG-Land einem deutschen Beamten nicht gleichzubehandeln. Es könnte auch rechtsmißbräuchlich sein, dem Kläger die Beiträge nicht zu erstatten. Denn für den Kläger sei es seit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG) nicht mehr möglich, Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit zu erhalten. Für einen Anspruch auf Altersruhegeld eines 65-jährigen müßte er bis zum 59. Lebensjahr freiwillige Beiträge entrichten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt insbesondere vor: Die Ausgestaltung der Beamtenrechte sei von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden regelbar. Zwischen dem Status eines Beamten und dem eines Angestellten seien auch fließende Übergänge denkbar, wie sich zB am Streikrecht der Beamten in anderen Ländern der EG zeige. Aus dem Beamtenstatus in einem anderen EWG-Land allein lasse sich daher nicht schließen, es bestehe dort eine dem deutschen Beamtenrecht gleichwertige soziale Sicherheit, und eine weitere Versorgung sei damit überflüssig.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17. September 1987 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Und im übrigen werde angeregt, den Rechtsstreit zwecks Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art 177 EWG-Vertrag vorzulegen.
Er trägt vor: Das allgemeine Diskriminierungsverbot verlange, daß ein Beamter in einem anderen EWG-Land ebenso behandelt werde wie ein deutscher Beamter. Eine Vorlage an den EuGH erscheine nun unumgänglich.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung von Beiträgen, die er in den Jahren 1960 und 1961 zur deutschen Arbeiterrentenversicherung entrichtet hat. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 12. September 1979 (5 RJ 124/77 SozR 2200 § 1303 Nr 15) ausgesprochen, daß nichtdeutsche Beamte nicht wie deutsche Beamte nach § 1233 Abs 1a RVO dem Grundsatz nach von der freiwilligen Versicherung in der Arbeiterrentenversicherung ausgeschlossen sind. Der 11. Senat hat dasselbe zur Rentenversicherung der Angestellten ausgeführt, deren Bestimmungen denen der Arbeiterrentenversicherung entsprechen (Urteil vom 29. Januar 1981 11 RA 22/80 in SozR 2200 § 1303 Nr 17). Dem Urteil des LSG sind keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die nicht schon in den beiden genannten Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) abgehandelt worden sind. Es sind auch sonst keine weiteren Gesichtspunkte dieser Art zu erkennen.
Den Versicherten ist nach Ablauf von 2 Jahren nach dem Ende der Versicherungspflicht auf Antrag die Hälfte der entrichteten (auch nachentrichteten) Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfallen ist, ohne daß ein Recht zur freiwilligen Versicherung besteht. Die Versicherungspflicht des Klägers ist zwar schon seit mehr als 2 Jahren entfallen. Doch ist er zur freiwilligen Versicherung berechtigt. Der Kläger kann gemäß § 1233 Abs 1 Satz 1 RVO iVm Anhang VI Abschnitt C Nr 7 Buchst b zu Art 89 der EWG-VO 1408/71 freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung leisten, auch wenn er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich der RVO hat.
Staatsangehörige der übrigen Mitgliedsstaaten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem dieser Staaten haben, dürfen bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichten, wenn sie vorher zu irgendeinem Zeitpunkt in der deutschen Rentenversicherung pflichtversichert oder freiwillig versichert waren. Der Kläger hat sich durch seine früheren Beitragsentrichtungen in Deutschland das Recht zur freiwilligen Versicherung eröffnet.
Dieses Recht entfällt auch nicht durch § 1233 Abs 1a RVO. Denn durch die Bestimmungen, auf die dort verwiesen wird, sind nur deutsche Beamte von der freiwilligen Versicherung ausgeschlossen. Eine Gleichstellung von Beamten anderer Mitgliedstaaten der EG mit deutschen Beamten kann nicht unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 der EWG-VO 1408/71 erreicht werden. Diese Vorschrift regelt die Gleichstellung der vom persönlichen Geltungsbereich der VO erfaßten Arbeitnehmer und Hinterbliebenen bei der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften nur, soweit besondere Bestimmungen dieser VO nichts anderes vorsehen. Eine derartige Ausnahmeregelung enthält aber Art 4 Abs 4 der VO, wonach diese gerade auf Sondersysteme für Beamte und ihnen gleichgestellte nicht anzuwenden ist. Verfehlt ist es insoweit von einer Diskriminierung nichtdeutscher Beamter zu sprechen. Das Recht, Erstattung zu verlangen, ist die Kehrseite einer mangelnden Berechtigung, nämlich des Fehlens des Rechtes, sich freiwillig zu versichern. Soweit der Gesetzgeber einer Personengruppe, also auch deutschen Beamten oder etwa Nicht-EG-Ausländern das Recht zur freiwilligen Versicherung vorenthält, gesteht er ihnen das Recht zu, die Erstattung von Beiträgen zu fordern, die sich nicht mehr zu einer von dem Versicherten gewünschten höheren Anwartschaft ergänzen lassen. Für einen nicht-deutschen Beamten den Ausschluß vom Recht, sich freiwillig zu versichern, wie ein Vorrecht einzufordern, verkennt, daß dies für diese Personengruppe zu erheblichen Nachteilen führen könnte, die der Gesetzgeber ihnen nicht zumuten wollte. In den beiden veröffentlichten und zitierten Urteilen des BSG (SozR 2200 § 1303 Nrn 15 und 17) ist dies bereits ausführlich dargestellt worden.
Recht der EG wird durch die deutsche Regelung nicht verletzt. Es bedarf auch keiner Vorlage an den EuGH zur Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechtes.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen