Leitsatz (amtlich)
Ist ein Versicherter arbeitslos geworden, nachdem er bis dahin Rente wegen Invalidität bezogen hatte, so ist die Zeit der Arbeitslosigkeit keine Ausfallzeit nach AVG § 36 Abs 1 Nr 3.
Normenkette
AVG § 36 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. August 1964 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Altersruhegeldes, das der Kläger seit dem 1. Februar 1960 bezieht. Die Beklagte berücksichtigte im Bescheid vom 19. September 1960 eine nach Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) berechnete pauschale Ausfallzeit von 36 Monaten. Der Kläger will stattdessen eine (längere) Ausfallzeit vom 1. November 1927 bis zum 29. Juni 1934 angerechnet erhalten; in dieser Zeit sei er arbeitslos gewesen.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war der Kläger bis Herbst 1924 versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 1. September 1925 bis zum 31. Oktober 1927 bezog er eine Invalidenrente. Vom 1. Juli 1934 an stand er erneut in versicherungspflichtiger Beschäftigung. Bis zu diesem Zeitpunkt (seit 1924) wurde er von der Dienststelle der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenenfürsorge in K betreut und unterstützt.
Das Sozialgericht (SG) gab dem zunächst auf Berücksichtigung einer Ausfallzeit vom 1. Januar 1929 bis zum 29. Juni 1934 beschränkten Klageantrag statt. Der Kläger sei sowohl vor als nach Bezug der Invalidenrente arbeitslos gewesen. Diese Arbeitslosigkeit sei als einheitliches Ganzes anzusehen, so daß (im Herbst 1924) die versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (§ 36 Abs.1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) durch die Arbeitslosigkeit "unterbrochen" worden sei.
Die Beklagte legte Berufung, der Kläger Anschlußberufung ein; er erweiterte den Klageantrag dahin, daß auch die Zeiten der Arbeitslosigkeit von 1927 bis 31. Dezember 1928 zu berücksichtigen seien.
Das LSG hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Der Klageanspruch sei schon deshalb nicht begründet, weil der Kläger nicht - wie § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG (§ 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO) voraussetze - bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitssuchender gemeldet gewesen sei. Die Betreuung durch die Dienststelle der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge erfülle dieses Erfordernis selbst dann nicht, wenn die Arbeitsvermittlung von Schwerkriegsbeschädigten allein Aufgabe der Schwerbeschädigtenfürsorgestellen gewesen sein sollte (Urteil vom 18. August 1964).
Mit der - zugelassenen - Revision beantragt der Kläger,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des SG Kassel vom 19. April 1961 zurückzuweisen und in Abänderung dieses Urteils die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung des Ruhegeldes des Klägers noch die Zeit vom 1. November 1927 bis zum 31. Dezember 1928 als Ausfallzeit zu berücksichtigen.
Er rügt die Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG (§ 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Zu Unrecht habe das LSG die Meldung bei der für die Arbeitsvermittlung des Klägers nach § 22 des Reichsversorgungsgesetzes und §§ 11, 19 des Schwerbeschädigtengesetzes idF vom 12. Januar 1923 allein zuständigen Schwerbeschädigtenfürsorgestelle nicht der Meldung bei einem deutschen Arbeitsamt gleich geachtet.
Selbst wenn die Schwerbeschädigtenfürsorgestellen die Arbeitsvermittlung Schwerbeschädigter nicht allein durchgeführt hätten, könne bei einem dem Schwerbeschädigten zugestandenen Wahlrecht die Meldung bei der Schwerbeschädigtenfürsorgestelle hinsichtlich der rechtlichen Folgen nicht anders behandelt werden als die beim Arbeitsamt.
Soweit dieser Sondertatbestand vom Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG (§ 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO) nicht erfaßt sein sollte, sei eine durch die Rechtsprechung auszufüllende gesetzliche Lücke anzunehmen. Im übrigen sei den Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils zuzustimmen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Selbst wenn man unterstelle, der Kläger sei in der fraglichen Zeit arbeitslos gewesen, so sei durch diese Arbeitslosigkeit weder eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden, noch sei der Kläger bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitssuchender gemeldet gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden ist.
Es kann dahinstehen, ob der Ansicht des LSG zu folgen ist, die geltend gemachte Zeit der Arbeitslosigkeit sei deshalb keine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG, weil der Kläger nicht bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet gewesen war, oder ob dem Meldeerfordernis nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 deshalb genügt war, weil der Kläger durch die Fürsorgestelle für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene betreut wurde; denn der Klageanspruch ist schon aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt.
Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG ist eine Zeit der Arbeitslosigkeit nur dann Ausfallzeit, wenn durch sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit "unterbrochen" worden ist. Diese Voraussetzung erfüllt die vom Kläger geltend gemachte Zeit der Arbeitslosigkeit von November 1927 bis Juni 1934 nicht. Denn eine "Unterbrechung" im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG liegt nur dann vor, wenn sich sie Arbeitslosigkeit unmittelbar an eine versicherungspflichtige Beschäftigung anschließt (BSG 16, 120; SozR Nr. 12 zu § 1259 RVO). Hieran fehlt es im vorliegenden Falle. Selbst wenn der Kläger nach Beendigung seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung im Herbst 1924 zunächst arbeitslos gewesen sein sollte, so endete doch dieser Zustand mit dem Bezug der von 1925 bis 1927 gewährten Invalidenrente. In dieser Zeit war der Kläger nicht mehr "arbeitslos" im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG. Bei der Auslegung dieses Begriffes ist das Recht der Arbeitslosenversicherung unter Beachtung der Besonderheiten des Rentenrechts heranzuziehen (SozR Nr. 12 zu § 1259 RVO). Danach liegt Arbeitslosigkeit nicht vor, wenn Invalidität bestand und deswegen Rente bezogen wurde. Zwar galt die Erwerbsfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit weder nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) idF vom 16. Juli 1927 (RGBl I 187) noch nach der vorhergehenden Verordnung über die Erwerbslosenfürsorge idF vom 1. November 1921 (RGBl I 1337) als Merkmal der Arbeitslosigkeit, sondern war ihr als weitere Anspruchsvoraussetzung nebengeordnet (§ 87 Nr. 1 AVAVG idF vom 16. Juli 1927, § 6 der Verordnung - VO - vom 1. November 1921). Ob deswegen trotz vorübergehender Arbeitsunfähigkeit noch Arbeitslosigkeit gegeben sein könnte, mag jedoch dahinstehen; denn jedenfalls kann bei Rentenbezug wegen Invalidität das Vorliegen von Arbeitslosigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG nicht mehr angenommen werden. Als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG kommt nämlich nur eine Zeit der Arbeitslosigkeit in Betracht, die zum Bezug der in § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG aufgezählten Unterstützungen berechtigte. Das ergibt sich aus dem Erfordernis, daß diese Leistungen bezogen worden sein müssen oder ausschließlich wegen Zusammentreffens mit anderen Bezügen oder wegen eines Einkommens oder Vermögens nicht bezogen worden sind. Nach § 6a Abs. 2 der VO vom 1. November 1921 schied aber aus der Erwerbslosenfürsorge aus, wer Invalide war und deswegen Rente bezog. Ebenso entfiel nach § 88 Abs. 2 AVAVG idF vom 16. Juli 1927 bei Invalidität der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Derartige Zeiten können danach nicht als Zeiten der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG in Betracht kommen.
Der Kläger war somit während der Zeit des Rentenbezuges von 1925 bis 1927 nicht arbeitslos im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG; deshalb kann die Arbeitslosigkeit vor und nach Bezug der Invalidenrente nicht als einheitliches Ganzes angesehen werden und konnte die folgende Zeit der Arbeitslosigkeit auch nicht die im Herbst 1924 beendete versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrechen.
Eine "Unterbrechung" kann auch nicht etwa deshalb angenommen werden, weil die geltend gemachte Zeit der Arbeitslosigkeit einer Rentenbezugszeit folgte, die ihrerseits als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 5 oder 6 AVG in Betracht kommen könnte. Im Schrifttum wird zwar zum Teil das Merkmal einer "Unterbrechung" auch dann noch bejaht, wenn nach der versicherungspflichtigen Beschäftigung mehrere verschiedene Ausfallzeiten aufeinanderfolgen (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 6. Aufl., Bd.III, S. 700 d/700 e; Elsholz/Theile. Die gesetzliche Rentenversicherung, Syn.Komm. Nr. 41 zu Anm. 2b). Diese Ansicht, der jetzt auch § 36 Abs. 1 Satz 2 AVG in der Fassung von Art.1 § 2 Nr. 19 Buchst. f des Rentenversicherungsgesetzes ( RentversichG ) vom 9. Juni 1965 (BGBl 476) Rechnung trägt, mag berechtigt sein, soweit Arbeitslosigkeit, Krankheit, Schwangerschaft oder Schlechtwettergeldbezug aufeinanderfolgen; denn es könnte sinnwidrig erscheinen, den Arbeitslosen, der krank wird, oder den Kranken, der arbeitslos wird, nur deshalb von der Anrechnung der späteren Ausfallzeit auszuschließen, weil die Beschäftigung schon vorher durch eine Ausfallzeit unterbrochen worden war. Dies kann jedoch nicht auch dann gelten, wenn sich eine Zeit der Arbeitslosigkeit an eine Rentenbezugszeit anschließt. Denn im Gegensatz zu den Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 1 Nr. 1, 2, 2a AVG, die ihrer Natur nach von vorübergehender Dauer zu sein pflegen und die Fortsetzung der vorher ausgeübten Beschäftigung erwarten lassen, wird eine Rente wegen Invalidität in der Regel auf nicht absehbare Zeit bezogen, und kann nur in den seltesten Fällen die frühere Beschäftigung wieder aufgenommen werden. Sie ist deshalb nicht nur als "unterbrochen", sondern als "abgebrochen", d.h. als zunächst beendet anzusehen.
Die 1924 beendete versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers ist demnach durch die sich an die Rentenbezugszeit anschließende Arbeitslosigkeit nicht unterbrochen worden. Da die Arbeitslosigkeit somit nicht als Ausfallzeit anzusehen ist, hat das LSG die Klage im Ergebnis zu Recht für unbegründet erachtet. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen