Entscheidungsstichwort (Thema)
Halber Grundbetrag aus der Angestelltenversicherung und halber Zuschlag nach dem SVAG für halbversicherte Handwerker
Leitsatz (redaktionell)
Halbversicherten Handwerkern, die erst nach der Vollendung ihres 50. Lebensjahres von der halben zur vollen Beitragsleistung in der Handwerkerversorgung übergegangen sind, steht für die Zeit bis zum 1956-12-31 nach dem bis dahin gültig gewesenen Recht auch dann nur der halbe Grundbetrag aus der Angestelltenversicherung und der halbe Zuschlag nach dem SVAG zu, wenn sie die vollen Beiträge zunächst pflichtmäßig auf Grund der SVD 3 Nr 4 und nach deren Aufhebung weiterhin freiwillig entrichtet haben. Der Senat hält diese Rechtsprechung nach erneuter Prüfung der Rechtslage aufrecht.
Normenkette
HwAVGDV § 23 Abs. 2 Fassung: 1939-07-13; SVAnpGDV § 1 Abs. 2 Fassung: 1949-06-27; SVD 3 Nr. 4 Fassung: 1945-10-14
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. Juli 1957 und des Sozialgerichts Hamburg vom 25. September 1956 werden - mit Ausnahme der Festsetzung der Gebühr für die Berufstätigkeit des Prozeßbevollmächtigten des Klägers - aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger, der im Jahre 1890 geboren worden ist, erhält von der Beklagten seit 1955 das Altersruhegeld. Die Beklagte bewilligte dem Kläger jedoch nur den halben Grundbetrag aus der Rentenversicherung der Angestellten (AV.) und den halben Zuschlag nach dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz (SVAG) vom 17. Juni 1949. Sie begründete ihre Entscheidung damit, daß der Kläger 1939 beim Eintritt in die Handwerkerversorgung die Halbversicherung gewählt habe und erst 1945 nach der Vollendung seines 50. Lebensjahres zur vollen Beitragsleistung übergegangen sei. Sie stützte sich dabei auf § 23 Abs. 2 der "Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk" vom 13. Juli 1939 - VO vom 13.7.1939 - und auf § 1 Abs. 2 der "Verordnung zur Durchführung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes" vom 27. Juni 1949 - VO v. 27.6.1949 - (Bescheid vom 2.8.1955). Der Kläger, der die Zahlung voller Beiträge bis zur Bewilligung des Ruhegeldes beibehielt, erstrebt mit der Klage für die Zeit bis Ende 1956 die Gewährung des vollen Grundbetrages der AV. und des vollen Zuschlags nach dem SVAG. Beide Vorinstanzen verurteilten die Beklagte entsprechend den Anträgen des Klägers (Urteil des Sozialgerichts -SG.- vom 25.9.1956 und Urteil des Landessozialgerichts -LSG.- vom 19.7.1957).
Das LSG. ließ die Revision zu. Die Beklagte legte gegen das ihr am 10. August 1957 zugestellte Urteil des LSG. am 4. September 1957 Revision ein und begründete sie am 10. Oktober 1957. Sie rügte die unrichtige Anwendung des § 23 Abs. 2 der VO vom 13. Juli 1939 in Verbindung mit der Ziffer 4 der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 3 vom 14. Oktober 1945 ( Arbeitsbl . für die brit. Zone 1947 S. 12) sowie des § 1 Abs. 2 der VO vom 27. Juni 1949 und beantragte, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig und begründet. Halbversicherten Handwerkern, die erst nach der Vollendung ihres 50. Lebensjahrs von der halben zur vollen Beitragsleistung in der Handwerkerversorgung übergegangen sind, steht für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 (Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze für die Rentenversicherungen) nach dem bis dahin gültig gewesenen Recht auch dann nur der halbe Grundbetrag aus der AV. und der halbe Zuschlag nach dem SVAS zu, wenn sie die vollen Beiträge zunächst pflichtmäßig auf Grund der Ziffer 4 der SVD Nr. 3 und nach deren Aufhebung weiterhin freiwillig entrichtet haben. Dies hat der Senat bereits früher in einen gleichgelagerten Rechtsstreit entschieden (BSG., SozR. zur SVD Nr. 3, Aa Nr. 4; vgl. auch LSG. Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.1.1958 - LS IV AV 333/56). Auch nach erneuter Prüfung der Rechtslage und unter Berücksichtigung der rechtlichen Erwägungen des Klägers hält der Senat diese Rechtsprechung aufrecht. Er gründet sie auf die folgenden Überlegungen.
§ 23 Abs. 2 der VO vom 13. Juli 1939, auf den dieses Ergebnis beruht, ist von der Ermächtigung in § 12 Abs. 2 des "Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk" (HVG) vom 21. Dezember 1938 gedeckt und deshalb, wie auch das LSG. entschieden hat, eine gültige Rechtsvorschrift. Dies muß nach den damaligen staatsrechtlichen Verhältnissen - nicht nach den heutigen rechtsstaatlichen Auffassungen - beurteilt werden. Nach diesen wurden unter "ergänzenden" Rechtssätzen nicht nur Bestimmungen zur näheren Ausgestaltung des Gesetzes, sondern auch Vorschriften verstanden, die das Gesetz um neue Tatbestände erweiterten, sofern sich diese Vorschriften nur im allgemeinen Rahmen der gesetzlichen Regelung hielten (vgl. BSG. 3 S. 161 ff. und die dort erwähnte Rechtsprechung und Literatur). Das aber tut die im vorliegenden Rechtsstreit umstrittene Vorschrift des § 23 Abs. 2 der VO vom 13. Juli 1939. Ihr liegt die versicherungsmathematische Erwägung zu Grunde, daß dann, wenn die Halbversicherung erst nach dem 50. Lebensjahr endet, der verhältnismäßig hohe Grundbetrag der AV. in der kurzen, bis zum Eintritt des Vorsicherungsfalls noch zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr gedeckt werden kann. Mit dieser Zielsetzung durchbricht sie nicht, wie der Kläger annimmt, das System des Sozialversicherungsrechts. Es ist zwar richtig, daß die Angestellten und Handwerker, die erstmalig nach der Vollendung des 50. Lebensjahrs versicherungspflichtig wurden, den vollen Grundbetrag der AV. erhielten; das war jedoch die Übernahme eines echten Versicherungsrisikos zu Gunsten der erst spät in die Versicherung Eintretenden durch die Versichertengemeinschaft, vergleichbar der Übernahme des Versicherungswagnisses für die Frühinvaliden. Der Kläger ist vor der Vollendung des 50. Lebensjahrs durch die Handwerkerversorgung in der AV. versicherungspflichtig geworden, hat aber durch seine Entscheidung für die Halbversicherung einen Teil des Risikos selbst übernommen. Vergleiche mit den versicherten Angestellten, Arbeitern und Weiterversicherten, die der Kläger in diesem Zusammenhang anstellt, gehen auch deswegen fehl, weil die Handwerkerversorgung eine berufsständische Versicherung eigener Art ist (vgl. BSG. 2 S. 91), die mehrfach Abweichungen von den allgemeinen Rentenversicherungen - zum Beispiel gerade durch die Halbversicherung und die Eigenverantwortlichkeit des Handwerkers - aufweist.
Die SVD Nr. 3 hat zwar für den Kläger die Pflicht gebracht, vorübergehend volle statt halbe Beiträge zur Handwerkerversorgung zu entrichten, sie hat jedoch das auf diesen Beiträgen beruhende Leistungsrecht nicht berührt. Die Maßnahmen der SVD Nr. 3, von denen die Aufhebung der Beitragsfreiheit für die Handwerker nur ein Teil war, dienten alle der Sanierung der Rentenversicherungen. Als solche waren sie bei der Unübersichtlichkeit der damaligen Verhältnisse und bei der schlechten Finanzlage der Rentenversicherungsträger gerechtfertigt und brauchten, soweit sie Vergünstigungen im Beitragsrecht beseitigten, nicht mit Verbesserungen im Leistungsrecht verbunden zu sein. Diese Maßnahmen vermochten während ihrer kurzen, noch nicht zwei Jahre dauernden Wirksamkeit (vgl. die Sozialversicherungsanordnung Nr. 16 vom 2.8.1947 - Arbeitsbl . für die brit. Zone 1947 S. 304) nicht, das für eine lange Dauer geplante und entsprechend berechnete Versicherungsverhältnis des Klägers in so entscheidender Weise umzugestalten, daß aus der selbst gewählten Halbversicherung eine Vollversicherung wurde. Die SVD Nr. 3 hat kein neues Versicherungsverhältnis innerhalb der Handwerkerversorgung geschaffen. Diese Rechtslage wird auch nicht dadurch beeinflußt, daß der Kläger wegen seiner Pflicht, volle statt halbe Beiträge zu leisten, möglicherweise hinsichtlich seiner privaten Lebensversicherungen andere als sonst geplante Dispositionen getroffen hat. Die Entscheidung darüber gehört zur Eigenverantwortlichkeit des Handwerkers. Der Kläger konnte der SVD Nr. 3 nicht entnehmen, daß mit den Änderungen im Beitragsrecht zugleich das Leistungsrecht zu seinen Gunsten verändert worden sei. Die höheren Beiträge des Klägers haben sich sowohl in höheren Steigerungsbeträgen als auch bei der Umstellung des Ruhegeldes auf Grund der Rentenreform von 1957 günstig ausgewirkt.
Diese Regelung verletzt keine höherrangigen Normen des Grundgesetzes. Die SVD Nr. 3 enthielt erkennbar Not- und Übergangsmaßnahmen für die erste wirre Nachkriegszeit. Die Übergangsregelung für die halbversicherten Handwerker veränderte nur die damalige Beitragshöhe, nicht auch die künftige Rentenhöhe. Die Beklagte gewährte und gewährt dem Kläger das Ruhegeld, das den Erwartungen entspricht, die er nach der freiwilligen Wahl der Halbversicherung bei der Leistung seiner Beiträge hegen durfte. Es sind deshalb keine irgendwie eigentumsähnlichen Rechte des Klägers berührt worden. Die Regelung betraf gleichmäßig alle Arten von Befreiungen von der Beitragszahlung, so daß auch der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht durchbrochen worden ist (ebenso auch LSG. Nordrhein-Westfalen a.a.O.).
Weil dem Kläger nur der halbe Grundbetrag der AV. zusteht, hat er auch nur einen Anspruch auf den halben Zuschlag nach dem. SVAG (§ 1 Abs. 2 der VO v. 27.6.1949). Für die Zeit vom 1. Januar 1957 an berechnet sich das Ruhegeld des Klägers nach dem "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten" vom 23. Februar 1957. Grundbetrag und Zuschlag spielen dabei keine Rolle mehr.
Die Revision ist begründet. Die Urteile des LSG. und SG. sind aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 170 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen