Leitsatz (amtlich)
Der für die Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung maßgebende Jahresarbeitsverdienst (AVAVG § 65a, AVG § 5) wird auch dann nach der zwölffachen monatlichen Durchschnittsheuer berechnet, wenn die Beschäftigung erfahrungsgemäß nicht das ganze Jahr über andauert.
Leitsatz (redaktionell)
Die Versicherungspflicht muß grundsätzlich schon zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses geklärt werden.
Normenkette
AVG § 5 Fassung: 1957-02-23; AVAVG § 65a Fassung: 1957-07-27
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Juli 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger arbeitet als Kapitän in der Hochseefischerei. Seit 1949 meldete er sich regelmäßig jedes Jahr nach Abschluß der Fangzeit (etwa Mai bis Dezember) bis zum Beginn der neuen Fangzeit arbeitslos und bezog jeweils Arbeitslosenunterstützung (Alu) bzw. Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu). Zuletzt war der Kläger vom 23. Mai bis zum 18. Dezember 1957 bei der G Heringsfischerei AG beschäftigt. Vom 23. Dezember 1957 bis zum 11. März 1958 war er arbeitsunfähig krank. Am 13. März 1958 meldete er sich arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg). Das Arbeitsamt bewilligte ihm dieses jedoch nur für den Rest einer früher nicht erschöpften Bezugsdauer und lehnte den weitergehenden Antrag ab, weil der Kläger aus der Beschäftigung vom 23. Mai bis zum 18. Dezember 1957 keine neue Anwartschaft erworben habe. Seine Beschäftigung als Kapitän habe nur für die Zeit bis zum 31. August 1957 der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen. Abs. 1. September 1957 überschreite seine Durchschnittsheuer die für die Angestelltenversicherung maßgebliche Verdienstgrenze. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab und ließ Berufung zu. Mit Urteil vom 18. Juli 1961 wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück. Es vertrat wie schon das SG die Auffassung, der Kläger sei vom 1. September 1957 an gemäß § 65 a des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) nicht mehr versicherungspflichtig zur Arbeitslosenversicherung (ArblV) gewesen, weil sein Jahresarbeitsverdienst (JAV) bei Zugrundelegung der festgesetzten Durchschnittsheuer von 1458.- DM monatlich die Versicherungspflichtgrenze überschritten habe. Bei Berechnung des JAV könnten voraussehbare beschäftigungslose Zeiten nicht berücksichtigt werden; denn der JAV sei so zu ermitteln, als ob das festgesetzte monatliche Arbeitsentgelt während des ganzen Jahres erzielt worden wäre. Revision wurde zugelassen.
Der Kläger legte gegen das ihm am 5. August 1961 zugestellte Urteil am 25. August 1961 Revision ein und begründete sie nach Verlängerung der Begründungsfrist am 26. Oktober 1961. Er trägt vor, es sei im vorliegenden Falle nicht zulässig, bei Berechnung des JAV von dem zwölffachen Betrag einer Monatsheuer auszugehen. Diese Berechnungsart gebe nur dann ein richtiges Bild, wenn die Beschäftigung das ganze Jahr über andauere. Sofern sie wie hier nach ihrer Natur und dem Berufs- und Arbeitsbild nur einige Monate im Jahr betrage, müsse - wie bei schwankendem Arbeitsentgelt - die voraussichtliche Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses als Grundlage genommen werden. Bei dieser Berechnung sei aber die Versicherungspflichtgrenze von 15000,- DM jährlich nicht überschritten. Weiter müsse auch der Schutzgedanke der Sozial- und ArblV gebührend berücksichtigt werden. Dieser erfordere aber bei dem tatsächlichen JAV des Klägers die Annahme der Versicherungspflicht und damit die Bejahung des Anspruchs auf Alg.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen vom 18. Juli 1961 und des SG Hannover vom 6. Januar 1959 sowie den Bescheid vom 24. März 1958 abzuändern, den Bescheid vom 11. April 1958 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger vom 13. März 1958 bis zum 19. Mai 1958 Alg zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet, weil das LSG zutreffend den Anspruch des Klägers auf Alg auf Grund der Beschäftigung vom 23. Mai bis zum 18. Dezember 1957 wegen fehlender Anwartschaft verneint hat.
Nach § 74 AVAVG hat bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Alg, wer die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Laut § 85 AVAVG hat diese erfüllt, wer in der Rahmenfrist von zwei Jahren 26 Wochen oder sechs Monate in versicherungspflichtiger Beschäftigung gestanden hat. Die Rahmenfrist geht dem Tag der Arbeitslos-meldung unmittelbar voraus (§ 85 Abs. 2 Satz 2 AVAVG). Der Kläger hat sich am 13. März 1958 arbeitslos gemeldet. Innerhalb der Rahmenfrist war er vom 23. Mai bis zum 18. Dezember 1957 als Kapitän beschäftigt. Die im Jahre 1956 ausgeübte, in demselben Zeitraum liegende Tätigkeit kann zum Erwerb einer Anwartschaft nicht mit herangezogen werden, weil sie bereits bei einer früheren Anwartschaft berücksichtigt wurde und der Kläger aus dieser Leistungen bis auf einen Restanspruch von 22 Tagen bezogen hatte. Die Entscheidung hängt daher davon ab, ob die Zeit von Mai bis Dezember 1957 als arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung angesehen werden kann. Dies ist zu verneinen.
Bis zum 31. August 1957 war der Kläger als Kapitän nach § 56 Abs. 1 AVAVG i. V. m. § 3 Abs. 1 Ziff. 7, § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und § 165 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) arbeitslosenversicherungspflichtig. Hiernach unterliegen Schiffsführer, die zu den Angestellten gehören, der Angestelltenversicherungspflicht unabhängig davon, ob ihr regelmäßiger JAV die nach § 5 AVG festgesetzte JAV-Grenze von 15000,- DM überschreitet. Da der Kläger angestelltenversicherungspflichtig war, unterlag er bis zum 31. August 1957 gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG auch der Arbeitslosenversicherungspflicht. Außerdem war er nach § 165 Abs. 3 RVO auch krankenversicherungspflichtig; denn die in dieser Bestimmung in Abs. 1 Nr. 2 für Angestellte festgesetzte JAV-Grenze gilt laut Abs. 3 dieser Bestimmung nicht für Angestellte auf Seefahrzeugen. Der Kläger war mithin auch gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 1 AVAVG bis zum 31. August 1957 arbeitslosenversicherungspflichtig.
Dagegen war die vom 1. September bis zum 18. Dezember 1957 weiterhin ausgeübte Tätigkeit als Kapitän nicht arbeitslosenversicherungspflichtig. Mit Wirkung vom 1. September 1957 wurde durch § 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AVAVG vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1069) der § 65 a in das AVAVG eingefügt. Seit dem 1. September 1957 ist die Frage, ob die Beschäftigung des Klägers weiterhin arbeitslosenversicherungspflichtig ist, lediglich nach dieser Vorschrift zu beurteilen, weil sie gegenüber dem § 56 AVAVG als Sondervorschrift anzusehen ist. Nach § 65 a AVAVG ist eine Beschäftigung von Angestellten auf deutschen Seefahrzeugen versicherungsfrei, wenn der regelmäßige JAV den als Grenze der Angestelltenversicherungspflicht für sonstige Angestellte festgesetzten Betrag übersteigt. Der JAV für Angestellte auf Seefahrzeugen wird auf Grund der von der Seekrankenkasse für die Beitragsberechnung zugrunde gelegten Durchschnittsheuer berechnet. - Die Seekrankenkasse hat die monatliche Durchschnittsheuer des Klägers auf 1458,- DM festgesetzt. Bei Berechnung des JAV ist von dieser Durchschnittsheuer auszugehen (Satz 2 aaO). Da der Kläger auf Grund der Gegebenheiten in der Seefischerei jedoch nur etwa sieben Monate im Jahr in seinem Beruf Arbeitsmöglichkeiten hat, fragt es sich, ob von seinem tatsächlich erzielten jährlichen Einkommen von 10000,- bis 11000,- DM als regelmäßigem JAV auszugehen und seine Beschäftigung mithin auch weiterhin arbeitslosenversicherungspflichtig ist oder ob seine feste Monatsheuer von 1458.- DM zur Errechnung des JAV mit zwölf vervielfacht werden muß. Bei dieser Art der Berechnung würde das Einkommen des Klägers die Grenze der Angestelltenversicherungspflicht überschreiten und damit eine Arbeitslosenversicherungspflicht des Klägers entfallen.
In Schrifttum und Rechtsprechung wird überwiegend angenommen, daß von dem Zwölffachen des monatlichen Verdienstes auszugehen ist (vgl. u. a. Hess. LSG Urt. vom 19. Dezember 1956, Breith. 1957 S. 481; Bayer. LSG Urt. vom 20. September 1959, Die Angestelltenversicherung 1960 S. 64), und zwar aus der Erwägung, die Frage der Versicherungspflicht müsse grundsätzlich schon zu Beginn des Versicherungsverhältnisses geklärt werden. Dabei könne nicht von dem tatsächlich erzielten Verdienst eines bereits abgelaufenen früheren Kalenderjahres ausgegangen werden, vielmehr seien unter Berücksichtigung des vereinbarten monatlichen Entgelts vom Beginn des Beschäftigungsverhältnisses zwölf Monate im voraus zu berechnen. Der Senat teilt diese Auffassung.
Tritt jemand ein neues Beschäftigungsverhältnis an, das zeitlich nicht beschränkt ist, so muß davon ausgegangen werden, daß es auf unbestimmte Zeit abgeschlossen ist. Demgemäß hat der Betreffende ein Jahreseinkommen zu erwarten, das dem Zwölffachen des ersten Monatsverdienstes entspricht. Hiervon ist bei der Prüfung auszugehen, ob die für die Angestelltenversicherung maßgebliche JAV-Grenze überschritten ist, und es hat sich in der Sozialversicherung mit Recht die Übung herausgebildet, auf das Zwölffache des ersten Monatsverdienstes abzustellen. An diesem Grundsatz muß auch im Interesse der Rechtssicherheit festgehalten werden. Er muß auch dann gelten, wenn wie hier üblicherweise nicht mit einer Beschäftigung das ganze Jahr über zu rechnen ist. Den Verdienst des ersten Monats mit der vermutlichen Zahl der Beschäftigungsmonate zu vervielfältigen, hieße einen ungewissen Faktor bei der Frage der Versicherungspflicht verwenden. Die voraussichtliche Entwicklung des Beschäftigungsverhältnisses ist, wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat (vgl. BSG 13, 98; SozR RVO § 168 Nr. 6), nur dann verwertbar, wenn es sich um schwankendes Arbeitsentgelt und schwankende Arbeitszeit handelt. In solchen Fällen wäre es nicht gerechtfertigt, die Versicherungspflicht von dem mehr oder weniger zufälligen Entgelt des ersten Monats abhängig zu machen. Anders liegt es jedoch, wenn die Verdiensthöhe konstant und nur die Beschäftigungsdauer ungewiß ist. Hier muß der Grundsatz der Rechtssicherheit vorgehen. Bei dem Kläger ist daher das Zwölffache der ersten Monatsheuer zugrunde zu legen, zumal in der Zeit, in der die gewohnte Beschäftigung nicht ausgeübt werden kann, möglicherweise eine andere verrichtet wird. Hinzu kommt noch, daß die Sozialversicherung im Gegensatz zum Steuerrecht, das ähnliche Fragen durch den Lohnsteuerjahresausgleich regelt, keine derartige Einrichtung kennt. Daher muß jedenfalls dann das Zwölffache des Monatsgehalts maßgebend sein, wenn wie hier nicht mehrere verschiedene Beschäftigungsverhältnisse vorliegen, sondern ein einheitliches bei einem einzigen Arbeitgeber und mit gleich-bleibendem Verdienst, auch wenn es nach der Erfahrung nicht das ganze Jahr über andauert.
Ob diese Berechnung auch auf mehrere Beschäftigungsverhältnisse mit wechselnden Verdiensten anzuwenden wäre (vgl. Reichsversicherungsamt - RVA - 12. Juli 1913 GE 1741, An 1913 S. 603), braucht nicht geprüft zu werden, da dieser Fall nicht zur Entscheidung steht.
Ebenso ist das Urteil des LSG Berlin vom 22. Januar 1960 (abgedruckt in "Die Krankenversicherung in Rechtsprechung und Schrifttum" 1280/4 S. 11) nicht hinderlich. In ihm ist ausgesprochen, daß ein immer nur einige Tage bei verschiedenen Filmgesellschaften beschäftigter Kleindarsteller, dessen Arbeitszeit insgesamt höchstens ein Drittel des Jahres ausmachte, als unständig Beschäftigter in der Kranken- und der Angestelltenversicherung versicherungspflichtig und daß bei Berechnung des JAV nicht von dem 300-fachen einer Tagesgage auszugehen, sondern der JAV unter Berücksichtigung der Eigenart des Berufs und des Berufsbildes zu schätzen sei. Denn auch dort handelt es sich wie in dem vom RVA entschiedenen Falle jeweils um mehrere Arbeitsverhältnisse mit wechselnden Verdiensten.
Somit war der Kläger wegen Überschreitung der JAV-Grenze seit dem 1. September 1957 nicht mehr versicherungspflichtig in der ArblV. Er hat daher durch die zuletzt ausgeübte Beschäftigung keine Anwartschaft erfüllt, so daß die Beklagte mit Recht die Gewährung von Alg abgelehnt hat.
Dieses Ergebnis kann endlich nicht mit der Begründung angegriffen werden, es nehme nicht genügend auf die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers Rücksicht. Der Kläger ist ohne Rücksicht auf seinen JAV versicherungspflichtig in der Kranken- und der Angestelltenversicherung (§ 165 Abs. 3 RVO, §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 7 AVG). Er ist zwar nicht arbeitslosenversicherungspflichtig, hätte aber auf Grund seiner Beschäftigung im Falle der Bedürftigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (§ 145 AVAVG).
Nach allem muß die Revision zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 2324175 |
BSGE, 49 |
MDR 1963, 166 |