Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsleistung nach Scheidung. Hinterbliebenenrente

 

Orientierungssatz

Ist in einer Unterhaltsvereinbarung anläßlich der Ehescheidung vereinbart, daß der Ehemann nur bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres Unterhalt an seine Ehefrau zahlen werde und stirbt dann der Unterhaltsverpflichtete nach seinem 65. Lebensjahr und hat er auch vor seinem Tode keinen Unterhalt an seine geschiedene Ehefrau gezahlt, so hat diese keinen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente.

 

Normenkette

AVG § 42 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 03.04.1963)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. April 1963 wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Ihre Ehe mit dem am 2. Dezember 1889 geborenen Versicherten wurde im August 1939 aus dessen Verschulden geschieden. Dem Scheidungsprozeß ging eine vor einem Notar in K abgeschlossene Vereinbarung zwischen der Klägerin, dem Versicherten und der späteren zweiten Frau des Versicherten - der jetzigen Beigeladenen - voraus. Darin erklärte die Klägerin, daß sie Scheidungsklage wegen ehewidriger Beziehungen des Versicherten zu einer anderen Frau erheben, der vom Versicherten beabsichtigten Eheschließung mit der Beigeladenen nicht im Wege stehen, zuvor jedoch hinsichtlich ihrer Unterhaltsansprüche für die Zukunft gesichert sein wolle; der Versicherte erklärte ua, daß er als Angestellter der Heeresbauverwaltung ein Nettoeinkommen von 509,- RM habe; er verpflichtete sich, der Klägerin ab Rechtskraft des Scheidungsurteils monatlich 110,- RM bis zu seinem Tode, längstens bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres zu zahlen. Zur Sicherheit der Klägerin für den Ablebensfall bzw für die Zeit nach der Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten wurde der Klägerin ein Betrag von rund 20.000,- RM "zugebilligt", der von der laufenden Unterhaltsrente unabhängig war; er wurde dadurch "belegt", daß - unter gleichzeitiger Übergabe der Versicherungsscheine - der Versicherte in seinen Lebensversicherungspolicen (mit rund 9.000,- RM) die Klägerin als alleinige Bezugsberechtigte zu benennen versprach, die Beigeladene die Ansprüche aus ihrer Lebensversicherung (rund 11.000,- RM) an die Klägerin abtrat und beide sich zur Weiterzahlung der Prämien verpflichteten. Unter den weiteren Abreden war auch die, daß die Klägerin bei Nichterfüllung der Verpflichtungen vom Vertrag zurücktreten und vom Versicherten den standesgemäßen Unterhalt verlangen könne. Abschließend unterwarfen sich der Versicherte und die Beigeladene wegen aller eingegangenen Verpflichtungen der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen. Die Klägerin erhielt eine Ausfertigung des Vertrages; diese ging aber bei Kriegsende verloren. Auf Antrag der Klägerin stellte das Amtsgericht Eckernförde im Oktober 1960 den Vertrag inhaltlich wieder her. Der Versicherte leistete der Klägerin bis Kriegsende regelmäßig Unterhalt; danach noch vereinzelt bis zur Währungsreform. Ab April 1950 war er nicht mehr erwerbstätig; er bezog von da an Rente wegen Berufsunfähigkeit, zu der noch eine Versorgungsrente und eine Zusatzrente hinzukamen. Am 25. April 1955 starb er. Er hatte zuletzt ein monatliches Gesamteinkommen von 326,80 DM. Demgegenüber bezog die Klägerin als Angestellte im Jahre 1954 monatlich 395,- DM, im Jahre 1955 407,- DM (brutto). Nach Nach ihren Angaben vor dem Landessozialgericht (LSG) wurden ihr in den Jahren 1950 und 1951 die aufgewerteten Lebensversicherungssummen ausbezahlt und hat sie mit den nach dem Tode des Versicherten gezahlten Altsparerentschädigungen insgesamt 2.667,18 DM erhalten.

Die Beklagte bewilligte der Beigeladenen Witwenrente. Den im Mai 1960 gestellten Rentenantrag der Klägerin lehnte sie dagegen mit Bescheid vom 17. August 1960 ab, weil die Voraussetzungen des § 42 AVG nicht erfüllt seien. Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg. Auch das LSG verneinte die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hinterbliebenenrente der Klägerin, und zwar nach den §§ 28 Abs. 3 AVG aF. 1256 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF für die Zeit vor 1957 und nach § 42 AVG i. V. m. Art. 2 § 18 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) für die folgende Zeit. Bei Abwägung der Einkommensverhältnisse habe die Klägerin gegen den Versicherten zur Zeit seines Todes keinen Unterhaltsanspruch nach dem Ehegesetz - EheG - (§§ 58, 59 EheG 46) gehabt. Der Versicherte habe ihr im letzten Jahr vor seinem Tode auch keinen Unterhalt geleistet. Es bleibe daher nur zu prüfen, ob der Versicherte im Hinblick auf den notariellen Vertrag zur Zeit seines Todes der Klägerin aus einem "sonstigen Grunde" hätte Unterhalt gewähren müssen. Das sei ebenfalls zu verneinen. Diese Alternative des § 42 AVG umfasse nämlich nur materiell-rechtliche Gründe, "und zwar diejenigen, die von der gesetzlichen Unterhaltspflicht abweichende, zusätzliche vertragliche Unterhaltsverpflichtungen begründen". In dem notariellen Vertrag hätten der Versicherte und die Klägerin jedoch nur den gesetzlichen Unterhalt für die Zeit nach der Scheidung festlegen wollen. Der Vertrag enthalte zudem keine Bestimmung, daß eine spätere Änderung der Verhältnisse auf die Höhe der Unterhaltsrente ohne Einfluß sei; der Versicherte hätte sich daher auf seine verschlechterten wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Kriege berufen und mit Erfolg Vollstreckungsgegenklage nach § 767 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erheben können. Der materiell-rechtliche Unterhaltsanspruch der Klägerin, der die Grundlage des notariellen Vertrags gebildet habe, sei deshalb schon vor der Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten untergegangen. Unter diesen Umständen könne dahingestellt bleiben, ob der notarielle Vertrag wegen der Mitwirkung der Beigeladenen sittenwidrig und deshalb ganz oder teilweise nichtig sei.

Mit der zugelassenen Revision beantragte die Klägerin,

den Bescheid der Beklagten sowie die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenrente ab Januar 1957 zu verurteilen,

hilfsweise,

die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Sie erblickt eine Verletzung der §§ 42 AVG, 1265 RVO darin, daß das LSG einen sonstigen Grund für eine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes verneint habe. Der notarielle Vertrag sei nicht nichtig gewesen; im übrigen dürften die Sozialgerichte eine Nichtigkeit auch nicht feststellen. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, daß die früheren Ehegatten keine Unterhaltspflicht abweichend von den gesetzlichen Unterhaltsbestimmungen hätten begründen wollen. Die Abweichung ergebe sich schon aus der Abtretung von Lebensversicherungsansprüchen. Mutmaßungen über das Ergebnis einer vom Versicherten nicht erhobenen Abänderungsklage seien unerheblich. Der festgesetzte Unterhaltssatz von 110,- RM habe entgegen der Annahme des LSG unter dem angemessenen Unterhalt der Klägerin gelegen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragten,

die Revision zurückzuweisen.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II.

Die Revision der Klägerin ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 SGG), im Ergebnis jedoch unbegründet.

Streitig ist noch der Anspruch der Klägerin für die Zeit ab Januar 1957. Dieser Anspruch ist nach § 42 AVG (Art. 2 § 18 AnVNG) zu beurteilen. Dabei ist von der Fassung der Vorschrift vor dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 auszugehen (das RVÄndG hat die Vorschrift für den hier nicht gegebenen Fall der Nichtgewährung einer Witwenrente ergänzt).

Die Klägerin könnte demnach aus der Angestelltenversicherung ihres früheren Ehemannes Hinterbliebenenrente erhalten, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Im Revisionsverfahren macht die Klägerin nur noch geltend, der Versicherte habe ihr zur Zeit seines Todes aus einem sonstigen Grunde - auf Grund des notariellen Vertrages - Unterhalt leisten müssen. Die übrigen Tatbestandsalternativen: Unterhaltspflicht zur Zeit des Todes nach dem EheG, tatsächliche Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode kommen nicht in Betracht.

Der Annahme der Klägerin, der notarielle Vertrag sei ein sonstiger Grund für eine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes, ist entgegenzuhalten:

1) Der Große Senat des Bundessozialgerichts - BSG - hat entschieden (BSG 20, 1), daß ein vollstreckbarer Unterhaltstitel - das ist nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auch eine vor einem Notar errichtete vollstreckbare Urkunde - zwar auch dann einen "sonstigen Grund" im Sinne des § 1265 RVO (Parallelvorschrift zu § 42 AVG) bilden kann, wenn der nach einem solchen Titel zu leistende Unterhalt nicht über den nach den Vorschriften des EheG zu leistenden Unterhalt hinausgeht, daß aber ein vollstreckbarer Titel ausnahmsweise dann kein "sonstiger Grund" mehr ist, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes die Wirkungen des Titels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZPO hätte beseitigen können.

2) In mehreren Entscheidungen des BSG (Beschluß des 1. Senats vom 23. März 1962 - 1 RA 56/62; Urteile des erkennenden Senats vom 2. September 1964 und vom 10. Oktober 1964 - SozR Nrn. 23 und 25 zu § 1265 RVO -) ist weiter dargelegt, daß Vollstreckungstitel, die vor dem Tode des Versicherten in Verlust geraten und zur Zeit des Todes nicht "greifbar" sind, sowie Rechtspositionen, die erst nach dem Tode des Versicherten begründet worden sind (wie hier die Wiederherstellung der notariellen Urkunde im Jahre 1960), keinen sonstigen Grund für eine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes bilden können.

3) In dem Urteil vom 14. Februar 1964, 1 RA 210/60, hat der 1. Senat des BSG ausgeführt, daß Vollstreckungstitel, die auf RM lauten, ohne Umstellung auf DM gemäß § 1 der 16. Durchführungsverordnung (DVO) zum Umstellungsgesetz nur in Höhe von 10 Prozent ihres RM-Betrages in DM vollstreckt werden dürfen. Bei einer Vollstreckungsmöglichkeit in Höhe von monatlich 11,- DM (110,- RM : 10) wäre aber der Unterhaltsanspruch zu geringfügig gewesen, um eine Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG auslösen zu können (Urteil des BSG vom 27. Oktober 1964, SozR Nr. 26 zu § 1265 RVO).

4) In seinem Urteil vom 23. Juli 1964, 11/1 RA 39/61, hat der erkennende Senat - anknüpfend an frühere Urteile des 1. Senats des BSG - dargelegt, daß Unterhaltsverträge in weitem Umfang der Auslegung zugänglich sind und daß sie, sofern sich aus ihnen nicht ausdrücklich etwas anderes ergibt, den gleichen inhaltlichen Veränderungen unterliegen können wie die gesetzliche Unterhaltspflicht selbst.

Indessen kann letztlich dahinstehen, inwieweit der Anspruch der Klägerin aus den vorstehenden Gründen erfolglos bleiben müßte. Wie im Berufungsverfahren kann ferner offenbleiben, ob der notarielle Vertrag angesichts der Mitwirkung der Beigeladenen überhaupt wirksam ist. Der Anspruch der Klägerin muß jedenfalls daran scheitern, daß sich schon aus dem Inhalt des notariellen Vertrages keine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes gegenüber der Klägerin ergibt. Die Unterhaltsrente von 110,- RM war nur bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten zu leisten. Der Versicherte hat das 65. Lebensjahr am 2. Dezember 1954, also nahezu ein halbes Jahr vor seinem Tode vollendet. Von diesem Zeitpunkt bis zu seinem Tode oblagen ihm nach dem notariellen Vertrag keine Verpflichtungen mehr, geschweige denn monatlich zu erfüllende Unterhaltspflichten. Warum das LSG nicht schon im Hinblick hierauf einen sonstigen Grund für eine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes verneint hat, ist aus dem angefochtenen Urteil nicht erkennbar. Möglicherweise hat das LSG in die maßgebende "Zeit des Todes" auch eine Zeit vor der Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten, nämlich die Zeit seit der Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente, einbeziehen wollen. Diese Auffassung wäre jedoch unzutreffend. Wenn das BSG wiederholt dargelegt hat, unter der "Zeit des Todes" des Versicherten sei der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten zu verstehen, so soll diese erweiternde Auslegung nur verhindern (vgl. Urteil vom 23. Juni 1964, SozR Nr. 22 zu § 1265 RVO), daß vorübergehende Besonderheiten in den unterhaltsrechtlichen Beziehungen bei der Gewährung oder Versagung von Hinterbliebenenrenten den Ausschlag geben. Da hier jedoch die vertragliche Verpflichtung zur Gewährung einer Unterhaltsrente an die Klägerin mit der Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten für dauernd entfallen ist, war erst die folgende Zeit, was die vertraglichen Pflichten und das Vorhandensein sonstiger Gründe für eine Unterhaltspflicht betrifft, der letzte Dauerzustand vor dem Tode und damit zugleich die maßgebende "Zeit des Todes" des Versicherten.

Die Revision der Klägerin ist somit als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982410

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