Leitsatz (amtlich)
Die Eigenschaft als "Deutscher iS des GG" muß am 1956-01-01, dem Stichtag nach Vtr Jugoslawien SV Art 1 Abs 1 Buchst a vom 1956-03-10 vorgelegen haben.
Normenkette
SVVtr YUG Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1956-03-10, Art. 2 Fassung: 1956-03-10; SVVtrYUGVtrG Art. 5 Abs. 1 Fassung: 1958-06-25; GG Art. 116 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. August 1975 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht Berlin zurückverwiesen.
Tatbestand
Der im Jahr 1905 geborene Kläger arbeitete von 1924 bis 1942 mit Unterbrechungen in Jugoslawien und zog im Jahr 1942 nach Berlin. Das Landessozialgericht (LSG) hat festgestellt, in einer polizeilichen Meldebescheinigung vom Mai 1952 heiße es, er sei Staatenloser; auf seinen Antrag habe der Polizeipräsident in Berlin ihn mit Verfügung vom 1. Juli 1952 einem deutschen Staatsangehörigen gemäß Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gleichgestellt; sein bereits vor 1945 ausgestellter Staatenlosenpaß sei eingezogen worden. Die Polizeibehörde trug in seinen Personalausweis als Staatsangehörigkeit "Deutscher" ein. Nachdem der Kläger im Jahr 1970 das Altersruhegeld beantragt hatte, überprüfte der Senator für Inneres in Berlin die frühere staatsangehörigkeitsrechtliche Beurteilung des Polizeipräsidenten. Er kam zu dem Ergebnis, daß der Kläger nicht Deutscher im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG, sondern entweder jugoslawischer Staatsangehöriger oder staatenlos, aber dem deutschen Volkstum zuzurechnen sei. Mit der im Jahr 1971 ausgehändigten Urkunde verlieh er dem Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit. Durch unanfechtbar gewordenen Bescheid des Senators für Arbeit und soziale Angelegenheiten in Berlin von 1974 ist festgestellt, daß der Kläger kein Heimatvertriebener ist, weil er Jugoslawien nicht unfreiwillig verlassen habe. Die Beklagte gewährt dem Kläger Altersruhegeld. Sie lehnte mit Bescheid vom 1. Februar 1972 die Anrechnung der in Jugoslawien zurückgelegten Versicherungszeiten ab. Der jugoslawische Versicherungsträger gewährte im Jahr 1972 eine Teilleistung unter Berücksichtigung der von 1940 bis 1942 zurückgelegten Arbeitszeiten.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die in Jugoslawien von 1924 bis 1942 zurückgelegten Zeiten zu berücksichtigen. Das LSG hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Nach Art. 5 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes vom 25. Juni 1958 (BGBl II 168) zum deutsch-jugoslawischen Vertrag über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung vom 10. März 1956 (BGBl 1958 II 170) - im folgenden: Vertrag - könnten die Zeiten nicht berücksichtigt werden. Diese Bestimmung gelte, wie sich aus der Verweisung auf Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a des Vertrages ergebe, nur für Personen, die am 1. Januar 1956 Deutsche im Sinne des Grundgesetzes gewesen seien. Das sei beim Kläger nicht der Fall gewesen. Die Verfügung des Polizeipräsidenten vom Jahr 1952 habe ihm diesen Status nicht verschafft, sie sei nicht konstitutiv und könne jederzeit berichtigt werden. Ob der Kläger gegenüber der zuständigen Behörde einen Vertrauensschutz habe, könne dahinstehen, da dieser Schutz jedenfalls nicht von der Beklagten zu gewähren sei.
Mit der zugelassenen Revision trägt der Kläger u. a. vor: Das Berufungsgericht habe zu Unrecht der Verfügung des Polizeipräsidenten keine konstitutive Bedeutung beigemessen. Er sei in seinem Vertrauen auf die seinerzeitige Feststellung von jeder Behörde zu schützen.
Er beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Berlin vom 27. August 1975 die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte verurteilt wird, des Klägers Altersruhegeld seit dem 1. Juli 1970 unter Anrechnung folgender Beschäftigungszeiten in Jugoslawien zu erhöhen:
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a) |
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von April 1924 bis März 1926 als kaufmännischer Angestellter, |
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b) |
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von August bis Oktober 1931 als Zimmerer, |
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c) |
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von November 1931 bis März 1934 als Zimmerer, |
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d) |
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von Mai 1934 bis April 1935 als Zimmerer, |
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e) |
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von Juni 1935 bis Februar 1940 als Zimmerer, |
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insoweit begründet, als die Sache zurückverwiesen werden muß. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für die Entscheidung darüber, ob die jugoslawischen Zeiten bei der Berechnung des Altersruhegeldes zu berücksichtigen sind, nicht aus.
Nach innerdeutschem Recht können die Zeiten nicht berücksichtigt werden. Das Fremdrentengesetz findet keine Anwendung, weil der Kläger nicht zu dem Personenkreis des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) gehört. Er ist nicht als Vertriebener anerkannt. Er gehört aber auch nicht zu jenen Deutschen, die infolge der Kriegsauswirkungen den früher für sie zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen können; denn spätestens seit dem Inkrafttreten (1. September 1969) des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl 1969 II 1438) - im folgenden: Abkommen -, geändert durch das Abkommen vom 30. September 1974 (BGBl 1975 II 390), können deutsche Staatsangehörige die jugoslawischen Versicherungsträger wieder in Anspruch nehmen.
Auch das Abkommen stellt keine Rechtsgrundlage für eine Rentenerhöhung aufgrund jugoslawischer Zeiten dar. Es sieht (in Art. 25) eine Berücksichtigung "fremder" Versicherungszeiten nur für den Erwerb des Leistungsanspruchs vor, also für Wartezeiten, Brückenbeiträge u. ä., nicht aber für die Rentenberechnung. Ansprüche aus jugoslawischen Zeiten muß also auch der Deutsche vor dem jugoslawischen Versicherungsträger geltend machen, wie es der Kläger - allerdings nur mit einem Teilerfolg - getan hat.
Ob Art. 5 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes vom 25. Juni 1958 hier Anwendung findet, kann der Senat nicht entscheiden.
Nach dieser Vorschrift werden Zeiten, die von den in Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a des Vertrages genannten Deutschen vor dem 1. Januar 1956 in einer jugoslawischen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, unter bestimmten Voraussetzungen wie deutsche Versicherungszeiten angerechnet; die Bestimmung gilt auch heute noch (BSG 31, 54, 55). Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a des Vertrages spricht von Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, die am 1. Januar 1956 ihren ständigen Wohnsitz im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder im Land Berlin hatten.
Das Berufungsgericht geht mit Recht davon aus, daß der Stichtag nicht nur für den ständigen Wohnsitz des Versicherten, sondern auch für seine Eigenschaft als Deutscher gilt (so u. a. Schwarz, BArbBl 1960, 59, 60 und BG 1960, 30, 31 mit dem Hinweis darauf, daß auf den Stichtag 1. Januar 1956 die dem Unterschiedsbetrag nach Art. 1 Abs. 2 des Vertrages zugrunde liegenden Berechnungen auch bezüglich der Staatsangehörigkeit der Berechtigten abgestellt worden seien). Die Vertragsschließenden wollten zum Stichtag die in Frage kommenden Berechtigten auf die deutsche und die jugoslawische Sozialversicherung verteilen; es erscheint sinnvoll, dann auch alle Einzelvoraussetzungen für die Verteilung auf diesen Stichtag zu beziehen.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß der Kläger am 1. Januar 1956 (noch) nicht Deutscher im Sinne des Grundgesetzes und innerhalb der Sozialversicherung einem Deutschen auch nicht gleichgestellt gewesen sei. Dafür reichen jedoch seine Feststellungen nicht aus.
Art. 116 Abs. 1 GG, der hier allein heranzuziehen ist (Abs. 2 regelt die Verhältnisse der Verfolgten), kennt zwei Gruppen von Deutschen: Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, und Personen, die als Flüchtlinge oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit in dem Gebiet des deutschen Reiches Aufnahme gefunden haben. Nach den bisherigen Feststellungen besteht kein Anhalt dafür, daß der Kläger am Stichtag die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hat. Nach § 3 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) vom 22. Juli 1913 (BGBl III 102-1) wird die deutsche Staatsangehörigkeit außer durch Geburt und Legitimation nur durch die - nach § 16 RuStAG mit der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde wirksam werdende - Einbürgerung erworben. Dieser Akt ist bei dem Kläger erst im Jahr 1971 erfolgt. Die Verfügung des Polizeipräsidenten von 1952 wird nicht als wirksame Verleihung der Staatsangehörigkeit gewertet werden können, wie sich bereits daraus ergibt, daß sie den Kläger einem deutschen Staatsangehörigen (nur) "gleichstellt". Der Kläger war auch kein Flüchtling oder Vertriebener; das hat das Berufungsgericht zutreffend aus dem Bescheid des Senators für Arbeit und soziale Angelegenheiten in Berlin und aus dem eigenen Vorbringen des Klägers entnommen, ohne daß die Beteiligten etwas dagegen eingewendet haben.
Der Kläger könnte aber aus einem anderen Grund am 1. Januar 1956 zu dem Personenkreis gehört haben, der später vom Zustimmungsgesetz begünstigt worden ist. Die vom Polizeipräsidenten vorgenommene "Gleichstellung" könnte bewirkt haben, daß der Kläger jedenfalls in Angelegenheiten der Sozialversicherung "wie" ein Deutscher im Sinne des Grundgesetzes anzusehen war. So sind z. B. nach § 18 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 (BGBl III 243-1), in Berlin eingeführt durch das Gesetz vom 28. Februar 1952 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1952, 126), die heimatlosen Ausländer in der Sozialversicherung den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind sie grundsätzlich so zu behandeln wie Deutsche im Sinne des Art. 116 GG (BSG 9, 132, 136; vgl. aber BSG 24, 20; 29, 100; 29,197). Auch sah z. B. das bayerische Flüchtlingsgesetz vom 19. Februar 1947 (GVBl 51) die Möglichkeit vor, deutsche Flüchtlinge, soweit sie als staatenlos galten, den deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen (Mang, Verwaltungsrecht in Bayern, Band II, 1952, S. 47).
Welcher Art die vom Polizeipräsidenten vorgenommene "Gleichstellung" war, insbesondere auf welche Rechtsnorm sie gestützt wurde, hat das Berufungsgericht nicht klar festgestellt. Es ist zwar unwahrscheinlich, daß sie auf der Grundlage des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer erfolgte, denn dazu wäre Voraussetzung gewesen, daß der Kläger der Obhut der von den Vereinten Nationen mit der Betreuung verschleppter Personen und Flüchtlinge beauftragten Internationalen Organisation unterstand. Auch wäre eine Gleichstellung aufgrund eines etwa damals geltenden Berliner Flüchtlingsgesetzes ohne Interesse; denn ein solcher Bescheid hätte keine rechtsbegründende Wirkung gehabt (Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, RdNr 25 zu Art. 116; dazu auch § 105 des Bundesvertriebenengesetzes i. V. m. der Verordnung vom 8. März 1955, BGBl I 103, wonach die von den Ländern für Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge ausgestellten Ausweise mit dem Ablauf des 30. Juni 1955 außer Kraft gesetzt wurden, soweit sie nicht von der zuständigen Landesstelle als weitergehend gekennzeichnet worden waren); er hätte an der wahren Rechtslage, daß nämlich der Kläger kein Vertriebener ist, nichts ändern können. Aber eine eingehende Ermittlung, insbesondere auch anhand der vollständigen Akten des Polizeipräsidenten, könnte eine Grundlage für die rechtliche Beurteilung der seinerzeitigen "Verfügung" ergeben; es ist nicht ausgeschlossen, daß die Verfügung eine von einer - möglicherweise landesrechtlichen - Rechtsnorm vorgesehene Gleichstellung des Klägers mit einem deutschen Staatsangehörigen und damit - je nach der Rechtsnorm - auch mit einem Deutschen im Sinne des Grundgesetzes bewirkt hat, die für das Zustimmungsgesetz zum deutsch-jugoslawischen Vertrag von Bedeutung ist und Auswirkungen auf die Behandlung des Klägers in der Sozialversicherung (vgl. z. B. § 18 des oben genannten Gesetzes über die heimatlosen Ausländer) hat. Falls nicht § 105 Bundesvertriebenengesetz i. V. m. der Verordnung vom 8. März 1955 eingreift, wird sich auch die Frage der Bindungswirkung einer eventuell inhaltlich falschen "Verfügung" stellen.
Die Frage, ob der Kläger aufgrund der Verfügung von 1952 Vertrauensschutz genießt, hat das Berufungsgericht zutreffend unentschieden gelassen. Denn wenn sich aus einem etwaigen Vertrauensschutz Ansprüche des Klägers ergäben, dann nur gegen das Land Berlin. Für ein möglicherweise anzunehmendes Fehlverhalten des Berliner Polizeipräsidenten, der durch seine Verfügung den Kläger veranlaßt haben könnte, in der Zeit vor 1956 einen - aussichtsreichen - Einbürgerungsantrag zu unterlassen, hat jedenfalls die Beklagte nicht einzustehen. Die Ansicht der Revision, der Kläger müsse von jeder Behörde vor den Folgen der fehlerhaften Verfügung geschützt werden, ist rechtsirrig. Vielmehr ergibt sich aus Art. 34 GG, aber auch aus der Lehre vom Folgenbeseitigungsanspruch (Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 54 II, und BSG 34, 124, 126), daß nur der Rechtsträger einstehen muß, der dem Bürger einen Nachteil zugefügt hat.
Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten entscheiden wird.
Fundstellen