Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen das GG (Art 3 und 6), daß im Ausland lebende Kinder für den Anspruch auf Kindergeld nur berücksichtigt werden, wenn der Berechtigte insgesamt mindestens 15 Jahre lang einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet - Deutsche im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 1937-12-31 - gehabt hat - BKGG § 2 Abs 5 S 2 Nr 1 Buchst a und b - (Anschluß an BSG 1966-11-25 7 RKg 12/65 = BSGE 25, 295).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 6 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; BKGG § 2 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 Buchst. a, b; KGG § 34
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 14.09.1977; Aktenzeichen L 2 Kg 2/77) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 09.12.1976; Aktenzeichen S 11/17 Kg 22/75) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. September 1977 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ein Kindergeldanspruch der Klägerin für ihr in Kanada lebendes nichteheliches Kind.
Die Klägerin ist die Mutter der am 3. Mai 1963 geborenen nichtehelichen J F (J.) und ihrer und ihres Ehemannes gemeinsamer Tochter E C (geboren am 14. März 1972). Letztere wohnt in dem gemeinsamen Haushalt der Klägerin und ihres Ehemannes, J. lebt bei Pflegeeltern in Kanada. Für das gemeinsame Kind hat die Klägerin ihren Ehemann als Bezugsberechtigten bestimmt. Die Klägerin ist seit dem 17. Juli 1969 infolge Heirat deutsche Staatsangehörige. Sie hatte aber bei Antragstellung nicht 15 Jahre lang einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 gehabt.
Den Antrag der Klägerin, ihr für J. ab 1. Januar 1975 Kindergeld zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juli 1975 ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1975 zurück. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts - SG - für das Saarland vom 9. Dezember 1976; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - für das Saarland vom 14. September 1977). Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin rügt eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes - GG -) durch § 2 Abs 5 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. September 1977, das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 9. Dezember 1976 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1975 und den Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Kindergeld für ihre Tochter Joelle zu gewähren.
hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art 100 des Grundgesetzes herbeizuführen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Nach den nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) erfüllt die Klägerin seit dem 1. Januar 1975 nicht die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruches für ihr erstes Kind, die am 3. Mai 1963 geborene und in Kanada bei Pflegeeltern lebende J. Die Klägerin hat zwar seit dem 17. Juli 1969 durch Heirat die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, hat aber nicht mindestens 15 Jahre lang in Deutschland gewohnt oder sich gewöhnlich aufgehalten. Nach § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG in der hier anzuwendenden, seit dem 1. Januar 1975 geltenden Fassung des Art 2 Nr 2 des Einkommensteuerreformgesetzes (EStRG) vom 5. August 1974 (BGBl I 1769, 1846) werden Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG haben. Dies gilt ua nach § 2 Abs 5 Satz 2 Nr 1 Buchst a und b BKGG nicht gegenüber Berechtigten, die insgesamt mindestens 15 Jahre lang einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG gehabt haben oder Deutsche iS des Art 116 des GG sind und insgesamt mindestens 15 Jahre lang einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 gehabt haben. Diese Regelungen stehen mit dem Grundgesetz (GG) im Einklang.
Das Territorialitätsprinzip hat von jeher im Kindergeldrecht in zweifacher Hinsicht seinen Niederschlag gefunden. Einerseits war der Kreis der Bezugsberechtigten zunächst auf diejenigen beschränkt, die nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) gegen Arbeitsunfälle versichert oder versicherungsfrei waren (§ 1 des Kindergeldgesetzes - KGG - vom 13. November 1954 - BGBl I 333) und sodann auf solche Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 des BKGG vom 14. April 1964 - BGBl I 265 in der jeweils geltenden, im Grundsatz unveränderten Fassung). Andererseits ist aber auch der Status der den Kindergeldanspruch auslösenden Kinder rechtlich bedeutsam. Zunächst war es allerdings unerheblich, ob das Kind innerhalb oder außerhalb der Bundesrepublik lebte oder sich aufhielt. Lediglich Angehörige fremder Staaten erhielten, soweit in zwischenstaatlichen Abkommen nichts Abweichendes bestimmt war, für die Kinder, die nicht im Geltungsbereich des Gesetzes wohnten oder sich gewöhnlich aufhielten, kein Kindergeld (§ 34 Abs 2 KGG). Mit Wirkung vom 1. Februar 1956 wurde diese Regelung geändert (§ 34 Abs 2 KGG idF des § 10 Nr 10 des Kindergeldergänzungsgesetzes - KGEG - vom 23. Dezember 1955 - BGBl I 841). Danach bestand Anspruch auf Kindergeld nicht für Kinder, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 hatten. Der Bundesregierung war allerdings die Ermächtigung eingeräumt, durch Rechtsverordnungen Ausnahmen von dieser Vorschrift zuzulassen (§ 34 Abs 3 KGG). Hiervon hat sie wiederholt für Kinder von in der Bundesrepublik beschäftigten Arbeitnehmern Gebrauch gemacht, die ua in den Niederlanden, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und in der Türkei lebten. Daneben hatten Arbeitnehmer aus den EWG-Staaten Ansprüche auf Kindergeld (Art 39 ff der EWG-Verordnung Nr 3 vom 25. September 1958 - BGBl II 1959, 474 und Art 67 der Durchführungsverordnung Nr 4 zur EWG-Verordnung Nr 3 vom 3. Dezember 1958 - BGBl II 1959, 496).
§ 2 Abs 3 BKGG bestimmte sodann, daß Kinder nicht berücksichtigt werden (§ 2 Abs 1 und 2 BKGG), die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 haben. Damit blieben diese Kinder nicht, wie bisher, nur als sogenannte Zahlkinder, sondern auch als sogenannte Zählkinder unberücksichtigt. Wiederum war die Bundesregierung ermächtigt, Kinder von in der Bundesrepublik lebenden Beschäftigten zu berücksichtigen (§ 2 Abs 3 Sätze 2 und 3 BKGG). Mit Art 1 Nr 3 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BKGG vom 5. April 1965 (BGBl I 222) wurde dem § 2 Abs 3 der Satz 5 angefügt. Danach können im Ausland lebende Kinder bei Personen berücksichtigt werden, die insgesamt mindestens 15 Jahre lang ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem Gebiet des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 gehabt haben und für den Unterhalt dieser Kinder regelmäßig insgesamt mindestens den Betrag aufwenden, um den sich das ihnen für die gleiche Zeit zu gewährende Kindergeld bei Berücksichtigung dieser Kinder erhöht. Hiermit war erstmals die Möglichkeit geschaffen worden, im Ausland lebende Kinder bei allen Bezugsberechtigten, nicht nur bei Beschäftigten, zu berücksichtigen. Nach dem § 1 Abs 2 und § 2 der ersten Durchführungsverordnung zum BKGG vom 22. Oktober 1965 (BGBl I 1727) erhalten belgische, französische, italienische, luxemburgische und niederländische Staatsangehörige sowie Deutsche im Sinne des GG, die im Bundesgebiet einschließlich des Landes Berlin als Arbeitnehmer beschäftigt werden, auch für diejenigen Kinder Kindergeld, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden haben. Entsprechendes gilt hinsichtlich der in Portugal wohnenden oder sich gewöhnlich aufhaltenden Kinder von portugiesischen und deutschen Arbeitnehmern.
Abs 5, Sätze 2 und 3 des mit dem EStRG neugefaßten § 2 BKGG regeln nunmehr in Anlehnung an § 2 Abs 3 Satz 5 BKGG in der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung mit weiteren Tatbeständen ausdrücklich die Ausnahmen von dem weiterhin geltenden Grundsatz, daß im Ausland lebende Kinder nicht berücksichtigt werden, und gibt denjenigen Berechtigten, die die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, soweit sie nicht schon von zwischen- oder überstaatlichen Regelungen erfaßt werden, einen Rechtsanspruch auf Kindergeld.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist durch diese Regelungen nicht verletzt. Wie das Bundessozialgericht (BSG) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden haben (BSGE 25, 295 ff; BVerfGE 23, 258 ff), verstieß § 34 Abs 2 KGG idF des § 10 Nr 10 KGEG nicht gegen das GG, weil die unterschiedliche Behandlung von Deutschen, deren Kinder ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt entweder innerhalb oder außerhalb des früheren deutschen Reichsgebietes haben, ihren Grund in dem Ziel der Kindergeldgesetzgebung habe. Dieser erstrebe einen "Familienlastenausgleich". Der durch Kinder bedingte höhere Aufwand einer Familie solle teilweise ausgeglichen werden. Der maßgebende Gesichtspunkt sei nicht die Entlastung des Unterhaltspflichtigen, sondern die Begünstigung der Familie, in der das Kind dauernd lebe. Diejenigen, die dem Kind eine Heimstatt bieten und sich um sein persönliches Wohl kümmern, sollten für die damit verbundenen finanziellen, mindestens aber persönlichen Opfer einen Ausgleich von der Gesellschaft erhalten. Die grundsätzlich bestehende Pflicht des Staates zur Förderung der Familie gehe nicht soweit, daß er gehalten wäre, jede die Familie treffende finanzielle Belastung auszugleichen, so daß auch Art 6 Abs 1 GG nicht verletzt sei.
Nach diesen Grundsätzen ist auch die Regelung des § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG nF (wie auch schon in § 2 Abs 3 Satz 1 BKGG idF vom 14. April 1964) mit dem Grundgesetz vereinbar. Eine Familie wird in dem oben genannten Sinne nicht tatsächlich durch im Ausland lebende Kinder belastet, so daß es nicht willkürlich und sachwidrig ist, den Berechtigten für diese Kinder nicht nur keinen Kindergeldanspruch zu geben (§ 34 Abs 2 KGG), sondern sie auch nicht als Zählkinder zu berücksichtigen (vgl Wickenhagen/Krebs, Bundeskindergeldgesetz, Band II, 8. Lfg. Januar 1978, § 2 Anm 30 aE).
Die zunächst mit § 2 Abs 3 Satz 5 BKGG aF eröffnete Möglichkeit, bei allen Personen solche Kinder entgegen dem Territorialitätsgrundsatz zu berücksichtigen, wenn sie mindestens 15 Jahre lang im früheren deutschen Reichsgebiet gewohnt oder sich gewöhnlich aufgehalten und für diese Kinder regelmäßig bestimmte Unterhaltsbeiträge aufgebracht wurden, beruhte auf der Erwägung, daß der Ausschluß von der Kindergeldberechtigung für diesen Personenkreis eine Härte bedeuten würde (zu BT-Drucks IV, 3028). Es erschien daher angemessen, zugunsten von Anspruchsberechtigten, die weitgehend in die Gesellschaft und Sozialordnung der Bundesrepublik eingegliedert sind, auch im Ausland lebende Kinder zu berücksichtigen und damit die Zahlung des vollen Kindergeldes auch für diese Kinder zu ermöglichen (BT-Drucks 7/2032 S 9 zu Nr 2 Abs 5). Damit wird zwar der Territorialitätsgrundsatz zugunsten weiterer Personengruppen durchbrochen. Jedoch ist es nicht willkürlich oder sachwidrig, ihn für andere Gruppen aufrechtzuerhalten und als Abgrenzungsmerkmal eine weitgehende Eingliederung der Berechtigten in die Gesellschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik zu wählen. Im Rahmen der gewährenden Staatsverwaltung hat der einfache Gesetzgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 6, 77; 11, 60; 12, 166; 17, 216). Sie findet ihre äußerste Grenze nur am Willkürverbot. Sie ist aber nicht daraufhin zu überprüfen, ob der Gesetzgeber im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (BVerfGE 3, 24, 135, 182; 14, 117, 238; 15, 201; 18, 124; 19, 367). Die Eingliederung in die deutsche Gesellschafts- und Sozialordnung ist ein geeignetes Merkmal für die Gewährung von Sozialleistungen, zu denen auch das Kindergeld gehört, das aus allgemeinen Steuermitteln aufgebracht wird. Es ist daher sachlich gerechtfertigt, bei solchen Personen, die nicht längere Zeit zu den allgemeinen Lasten beigetragen haben, weil sie der Gesellschafts- und Sozialordnung nicht angehört haben, an dem Territorialitätsgrundsatz festzuhalten und nicht allein den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit als ausreichendes Integrationsmerkmal zu bewerten.
Der vom Gesetzgeber hierfür gewählte Zeitraum eines insgesamt mindestens fünfzehnjährigen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts des Berechtigten im Bundesgebiet (§ 2 Abs 5 Satz 2 Nr 1a BKGG) - bei Deutschen im früheren Reichsgebiet (§ 2 Abs 5 Satz 2 Nr 1b BKGG) - als Konkretisierung einer weitgehenden Eingliederung im obengenannten Sinne ist, wenn auch vielleicht ein kürzerer Zeitraum ebenso als sachgerecht angesehen werden könnte, nicht willkürlich, um daraus entgegen dem allgemeinen Grundsatz der Nichtberücksichtigung von im Ausland lebenden Kindern ausnahmsweise einen Kindergeldanspruch herzuleiten, wenn der Berechtigte für die betreffenden Kinder regelmäßig Unterhalt in Höhe des auf sie entfallenden Kindergeldes leistet (§ 2 Abs 5 Satz 2 letzter Satzteil BKGG). Kindergeld wird in der Regel für viele Jahre gezahlt und erfordert deshalb einen entsprechend hohen Aufwand aus allgemeinen Steuermitteln. § 2 Abs 5 BKGG regelt nicht wesentlich gleiche Sachverhalte willkürlich ungleich und verstößt deshalb nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Ist die Nichtberücksichtigung von im Ausland lebenden Kindern mit Art 6 Abs 1 GG vereinbar (vgl BVerfGE 23, 258 ff), so kann diese Vorschrift nicht dadurch verletzt sein, daß in bestimmten Ausnahmefällen diese Kinder dennoch berücksichtigt werden.
Bei dieser Rechtslage besteht kein Grund, das Verfahren auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art 100 Abs 1 Satz 1 GG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen