Leitsatz (amtlich)
Israelische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Ost-Jerusalem waren nicht nach Art 12 der Durchführungsvereinbarung zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung berechtigt.
Orientierungssatz
Zur Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen.
Normenkette
SozSichAbkDVbg ISR Art 12; SozSichAbk ISR Art 3 Abs 1; SozSichAbk ISR Art 1 Nr 1; VtrRKonv Art 31 Nr 1
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 04.08.1988; Aktenzeichen L 10 An 23/88) |
SG Berlin (Entscheidung vom 06.01.1988; Aktenzeichen S 1 An 3204/86) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die in Ost-Jerusalem wohnende Klägerin zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Angestelltenversicherung berechtigt ist.
Die 1940 geborene Klägerin, die aus der Sowjetunion (Buchara) stammt und seit November 1973 die israelische Staatsangehörigkeit besitzt, wohnt in demjenigen Teil Jerusalems, der östlich der im Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und Jordanien vom 3. April 1949 festgelegten Teilungslinie liegt und seit dem Juni 1967 faktisch der israelischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung untersteht (Ost-Jerusalem). Am 13. Juni 1983 beantragte sie bei der Beklagten die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 12 der Durchführungsvereinbarung zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DV-DISVA) iVm Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG). Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Februar 1985 idF des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1986 mit der Begründung ab, die Klägerin halte sich gewöhnlich außerhalb des Gebiets des Staates Israel auf und gehöre daher nicht zum nachentrichtungsberechtigten Personenkreis. Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos. Bereits in den Vorinstanzen hat sich die Klägerin auf ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg gestützt, welches das Sozialgericht (SG) in einer ähnlich gelagerten Streitsache eingeholt hatte. Diesem Gutachten zufolge gehört Ost-Jerusalem zwar nicht völkerrechtlich, aber im Sinne des DISVA zum Gebiet des Staates Israel. SG und Landessozialgericht (LSG) sind diesem Gutachten nicht gefolgt. In den Entscheidungsgründen des landessozialgerichtlichen Urteils heißt es im wesentlichen, die das Gebiet der Vertragsstaaten, insbesondere Israels, betreffende Bestimmung des DISVA (Art 1 Nr 1) sei mangels anderer Anhaltspunkte nach dem Willen der Vertragsparteien auszulegen. Zur Zeit des Abschlusses der DV-DISVA im November 1978 sei die Auffassung der Bundesregierung, derzufolge Ost-Jerusalem nicht Teil des israelischen Staatsgebiets, sondern besetztes Gebiet gewesen sei, der israelischen Seite bekannt gewesen. Diese Auffassung sei ua in den bereits 1976 und 1978 veröffentlichten deutschen Kommentierungen des Abkommenstextes, in späteren Stellungnahmen des Auswärtigen Amts - ua (dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gegenüber) vom 10. Februar 1981 und (der Beklagten gegenüber) vom 17. September 1987 - und schließlich im "Abstimmungsverhalten des deutschen Vertragspartners in der UN" zum Ausdruck gekommen. Die israelische Seite habe diese "Darlegung der deutschen Position" hingenommen. Das spreche für eine Übereinstimmung beider Vertragsparteien bei der Anwendung des Vertrages.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Das Urteil des LSG verletze Art 12 der DV-DISVA sowie Art 3 Abs 1 und Art 1 Nr 1 DISVA. Bei Abschluß des DISVA sei der Wille beider vertragsschließender Parteien hinsichtlich des Gebiets des Staates Israel uneinheitlich gewesen. Die Bezeichnung "Gebiet des Staates Israel" in Art 1 Nr 1 DISVA stelle einen sog Formelkompromiß zur Überdeckung gegensätzlicher Standpunkte dar. Ein übereinstimmender Parteiwille scheide daher als Auslegungsmaßstab für Art 1 Nr 1 DISVA aus. Die in dieser Bestimmung gebrauchte Formulierung "Gebiet des Staates Israel" sei daher in erster Linie nach Sinn und Zweck des Vertrages auszulegen, wovon auch das Gutachten des Max-Planck-Instituts ausgegangen sei. Sinn und Zweck des DISVA bestünden vorrangig in der Sicherung, Klärung und Harmonisierung der sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen zwischen Versicherten und fremden Sozialversicherungsträgern. Diese Zielsetzung lege es nahe, Gebiete unter einheitlicher Verwaltung und gleichartiger Eingliederung in das nationale Sicherungssystem auch bei der Durchführung des Abkommens einheitlich zu behandeln. Da die Bewohner von Ost-Jerusalem in die israelische Sozialversicherung integriert seien, müsse das Abkommen auch auf sie Anwendung finden. Das gebiete auch der Gleichheitssatz des Art 3 des Bonner Grundgesetzes (GG). Zudem sprächen völkerrechtliche Überlegungen für dieses Ergebnis. So habe der Internationale Gerichtshof (IGH) in dem Namibia-Gutachten vom Jahre 1971 den Grundsatz aufgestellt, daß die Nichtanerkennung der völkerrechtswidrigen Herrschaft über ein Gebiet den dort lebenden Personen nicht zum Nachteil gereichen dürfe. Ferner werde der in Art 29 der Wiener Vertragsrechtskonvention gebrauchte Ausdruck "entire territory" überwiegend dahin ausgelegt, daß darunter das ganze von einem Staat als sein eigenes Staatsgebiet behandelte und beherrschte Gebiet zu verstehen sei. Das Urteil des LSG lasse außerdem den Umstand unberücksichtigt, daß die Bundesregierung die Anwendung des Abkommens im Westteil von Jerusalem uneingeschränkt zulasse, obwohl auch insoweit eine offizielle Anerkennung der Zugehörigkeit zum Staate Israel noch nicht erfolgt sei. Schließlich habe das SG zu Unrecht Ost-Jerusalem als jordanisches Gebiet angesehen, denn das Königreich Jordanien habe dieses Gebiet inzwischen aufgegeben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG sowie unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 18. Februar 1985 idF des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1986 zu verurteilen, ihr (der Klägerin) die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 12 DV-DISVA iVm Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG zu gestatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das landessozialgerichtliche Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Klägerin nicht dem nach den einschlägigen Vorschriften zur Nachentrichtung berechtigten Personenkreis angehört.
Nach Art 12 Sätze 1 und 3 der am 12. Juni 1980 in Kraft getretenen Durchführungsvereinbarung (DV) vom 20. November 1978 (BGBl 1980 II S 574) zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA) vom 17. Dezember 1973 (BGBl 1975 II S 245) - DV-DISVA - konnten die nach Art 3 Abs 1 DISVA "den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellten Personen" binnen drei Jahren nach dem Inkrafttreten der DV-DISVA, also bis zum 13. Juni 1983, für die Zeit bis zum Inkrafttreten die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung nach Maßgabe bestimmter deutscher Rechtsvorschriften (darunter Art 2 § 49a AnVNG) beantragen. In Art 3 Abs 1 DISVA werden den Staatsangehörigen eines Vertragsstaates bestimmte Personengruppen, insbesondere die Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaats gleichgestellt, "wenn sie sich im Gebiet eines Vertragsstaats gewöhnlich aufhalten". Die Klägerin als israelische Staatsangehörige hätte nach dieser Regelung dann einer deutschen Staatsangehörigen gleichgestanden, wenn sie sich gewöhnlich im Gebiet des Vertragsstaats Israel aufgehalten hätte. Dies war aber im fraglichen Zeitraum nicht der Fall, da das Gebiet des Staates Israel - jedenfalls bis zum Ende der Antragsfrist - den Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts (Ost-Jerusalem) nicht einschloß. Das ergibt sich aus Art 1 Nr 1 des Abkommens. Danach bedeutet der Ausdruck "Gebiet" in bezug auf den Staat Israel "das Gebiet des Staates Israel". Was wiederum darunter zu verstehen ist, wird im Abkommen nicht näher erläutert und bedarf der Auslegung. Hierfür sind die völkerrechtlichen Auslegungskriterien heranzuziehen. Ausgangspunkt für die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages ist - anders als im deutschen bürgerlichen Recht (§ 133 BGB), wonach der Wille der vertragsschließenden Parteien zu erforschen ist - der Wortlaut des Vertrages (BSGE 36, 125, 126; 39, 284, 287; 55, 131, 134; 61, 30, 32). Maßgeblich ist dabei der gewöhnliche Sinn ("ordinary meaning" - "sens ordinaire") des vereinbarten Vertragswortlauts, der allerdings nach Treu und Glauben, in Übereinstimmung mit der den Vertragsbestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht des Vertragszieles und Vertragszwecks auszulegen ist (vgl Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl, § 776). Dies bestimmt heute ausdrücklich Art 31 Nr 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 (BGBl 1985 II S 926) -WVK-. Auch wenn diese Konvention bei Abschluß des DISVA für dessen Vertragsparteien nicht bindend war, weil sie seinerzeit weder für die Bundesrepublik noch für Israel in Kraft getreten war (vgl BGBl 1987 II S 757), hatten die Auslegungsregeln der WVK bereits vor deren Inkrafttreten und auch zwischen Staaten, die sie noch nicht ratifiziert hatten, eine wichtige Bedeutung in der Staatenpraxis und Judikatur (vgl dazu Verdross aaO § 775 Anm 5).
Der gewöhnliche, dh der objektive Sinn der in Art 1 Nr 1 des DISVA gebrauchten Formulierung "Gebiet des Staates Israel" deckt sich nach Auffassung des Senats mit dem Sinn, der dieser Umschreibung nach der fast einhelligen, jedenfalls deutlich überwiegenden Überzeugung der am internationalen Rechtsverkehr teilnehmenden Staaten zukommt. Das gilt sowohl dann, wenn man den verwendeten Ausdruck in dem Sinn versteht, "wie er im Zeitpunkt der Normanwendung in einem an dem konkreten Streit uninteressierten Milieu verstanden würde" (vgl insoweit Wengler, Völkerrecht Band I S 355) als auch, wenn man die hier fragliche Textstelle unter Heranziehung "anderer normativer Inhalte" interpretiert (vgl Wengler aaO S 356). Angesichts der noch vor dem Abschluß des Abkommens gefaßten Beschlüsse der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 4. und 14. Juli 1967 (Resolutionen 2253 und 2254), nach welchen die 1967 zur Einbeziehung von Ost-Jerusalem in das israelische Staatsgebiet durch Israel getroffenen Maßnahmen für rechtlich unbeachtlich erklärt wurden, umfaßt der ohne nähere Erläuterung verwendete Ausdruck "Gebiet des Staates Israel" nach seinem "gewöhnlichen Sinn" nicht den von Israel erst im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen im Juni 1967 in Besitz genommenen östlichen Teil Jerusalems. Dabei ist es nicht von Belang, daß die Bundesrepublik Deutschland zu dem Zeitpunkt, als die fraglichen Beschlüsse der Vollversammlung der Vereinten Nationen gefaßt wurden, noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen war, ebensowenig, daß die fraglichen Beschlüsse ohne die Stimme Israels gefaßt wurden und im übrigen völkerrechtlich nicht bindender Natur waren. Gleichwohl erlauben sie einen Schluß auf den objektiven Wortsinn der fraglichen Vertragsformulierung. Dies gilt umso mehr, als diese Beschlüsse in der Folgezeit durch eine Reihe von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen bekräftigt wurden (vgl Resolutionen 252 vom 21. Mai 1968, 267 vom 3. Juli 1969, 271 vom 15. September 1969, 298 vom 25. September 1971, 338 vom 22. Oktober 1973, 381 vom 30. November 1975). Unerheblich ist auch, daß in einer der beiden verbindlichen Vertragssprachen des DISVA, nämlich dem Hebräischen, die Bezeichnung "Eretz Israel" gebraucht worden ist, die möglicherweise sowohl "israelisches Staatsgebiet" als auch "Palästina" bedeutet. Denn auch diese Bezeichnung konnte in einem völkerrechtlichen Vertrag zwischen zwei Mitgliedern der Vereinten Nationen angesichts der erwähnten Beschlüsse der Vollversammlung und des Sicherheitsrats "gewöhnlich" nur so verstanden werden, daß damit das der Auffassung der internationalen Staatengemeinschaft entsprechende Staatsgebiet Israels gemeint war.
Auch der Zusammenhang der Vertragsbestimmungen ("Kontext") gebietet keine andere Betrachtungsweise. Weder im DISVA noch in der DV-DISVA spricht nämlich der sonstige Vertragsinhalt für die von der Revision erstrebte Auslegung der umstrittenen Formel "Gebiet des Staates Israel". Dasselbe gilt von dem weiteren Auslegungskriterium des vertraglichen Ziels und Zwecks. Entgegen der im Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht vertretenen Ansicht, wonach es "naheliegt", Ost-Jerusalem wenigstens im Sinne des DISVA dem "Gebiet des Staates Israel" zuzurechnen, ergibt die Zielsetzung des Abkommens nach Auffassung des Senats keinen genügenden Anhaltspunkt für eine Auslegung der fraglichen Begriffsbestimmung entgegen ihrer "gewöhnlichen Bedeutung". Sinn und Zweck des DISVA ist es, den angemessenen sozialrechtlichen Schutz von Staatsangehörigen der Vertragsstaaten zu gewährleisten, die sich im jeweils anderen Vertragsstaat aufhalten. Dies sollte im wesentlichen durch Erhaltung der im anderen Vertragsstaat erworbenen sozialrechtlichen Anwartschaften und durch die Gewährung von Leistungen aus diesen Anwartschaften in dem Heimatstaat erreicht werden (vgl Amtliche Begründung BT-Drucks 7/3101). Diesem Ziel wird das DISVA weitgehend auch dann gerecht, wenn man Ost-Jerusalem nicht als Bestandteil des "Gebiets des Staates Israel" iS des Art 1 Nr 1 DISVA ansieht. So sieht das DISVA selbst seine Durchführung auch außerhalb der Gebiete der Vertragsstaaten vor, zB in Art 3 Abs 2, wonach Leistungen nach den Rechtsvorschriften des einen Vertragsstaates den Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates auch dann zu erbringen sind, wenn sie sich gewöhnlich außerhalb der Gebiete der Vertragsstaaten aufhalten. Das gilt auch für Staatsangehörige Israels, die in Ost-Jerusalem wohnen. Ferner wird bei bestimmten Leistungsvoraussetzungen nicht auf das Gebiet abgestellt, in welchem diese erfüllt worden sind, sondern auf die Rechtsvorschriften, nach denen sie erfüllt worden sind. So sind nach Art 11 DISVA für den Leistungsanspruch und die Dauer der Leistungsgewährung im Falle der Mutterschaft die nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten und Zeiten des Bezuges einer Leistung zusammenzurechnen, soweit sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Nach Art 14 DISVA kommt es für die Berücksichtigung früher eingetretener Arbeitsunfälle ebenfalls nicht darauf an, ob diese sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates ereignet haben, sondern ob sie unter die Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates gefallen sind. Ähnlich steht es mit der Anrechnung von Versicherungszeiten im Bereich der Rentenversicherung nach Art 20 Abs 1 DISVA. Hiernach reicht es aus, daß Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt sind, einerlei an welchem Ort die versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt worden ist. Mithin stellen eine Reihe von Vorschriften des DISVA nicht auf das "Gebiet" der Vertragsstaaten ab. Aber auch wo dies der Fall ist, bleibt die praktische Anwendung dieser - vereinzelten - gebietsbezogenen Vorschriften des DISVA in der großen Mehrzahl der Fälle gewährleistet, nämlich soweit ein Staatsangehöriger oder eine sonstige unter das Abkommen fallende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem von Israel vor dem Juni 1967 innegehabten Gebiet hat. Die verhältnismäßig wenigen verbleibenden Fälle einer unterschiedlichen Behandlung israelischer Staatsangehöriger je nach ihrem Wohnsitz stellen den Sinn und Zweck des DISVA nicht in Frage. Hinzu kommt, daß die Vertragsparteien des DISVA bei denjenigen Vorschriften, die auf das Gebiet der Vertragsstaaten abstellen, ohnehin in Kauf genommen haben, daß ein Teil der Personen, auf die die Rechtsvorschriften einer der Vertragsparteien Anwendung finden können, nicht unter diese gebietsbezogenen Bestimmungen fällt. Das gilt zB von solchen Personen, die sich gewöhnlich in Drittstaaten aufhalten, aber Anwartschaften aus der Rentenversicherung eines der Vertragsstaaten besitzen. Da jedenfalls für diese Personengruppen gebietsbezogene Vorschriften - wie etwa Art 12 der DV-DISVA - von vornherein keine Anwendung finden können, läßt es den Sinn und Zweck des Vertrages unberührt, wenn auch die in Ost-Jerusalem wohnenden Personen von der Anwendung derartiger Vorschriften ausgeschlossen bleiben.
Entgegen der Ansicht der Revision ist der Senat nicht der Auffassung, daß die im Text des DISVA gewählte Bezeichnung "Gebiet des Staates Israel" nach den völkerrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist, die für einen sog Formelkompromiß gelten (vgl dazu Verdross/Simma aaO § 756). Ein solcher läge nämlich nur dann vor, wenn der fragliche Ausdruck keine feststellbare "gewöhnliche Bedeutung" hätte, sondern mehrdeutig wäre. Dies ist hier aber nicht der Fall, wie schon dargelegt worden ist. Insbesondere reicht es für die Annahme eines Formelkompromisses nicht aus, daß die Parteien über die Bedeutung eines Begriffes kein Einvernehmen erzielen konnten. Benutzen diese in einem solchen Fall - wie hier - Formulierungen mit objektiv eindeutigem Inhalt, so ist auch dann der objektive ("gewöhnliche") Wortlaut des Vertrages maßgebend (vgl Wengler aaO S 359). Im übrigen wäre im Falle eines Formelkompromisses das spätere Verhalten der Vertragsparteien für die Auslegung der mehrdeutigen Vertragsbestimmung maßgeblich (vgl Verdross/Simma aaO § 756 aE und Anm 19 hierzu; Art 31 Nr 3 Buchst b WVK). Das spätere Verhalten der Vertragsparteien ließ hier aber, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, seit Inkrafttreten des DISVA eindeutig den Schluß zu, daß unter "Gebiet des Staates Israel" nicht auch Ost-Jerusalem zu verstehen sei. Das ergibt sich zwar weniger aus dem Abstimmungsverhalten der Bundesrepublik in den Vereinten Nationen, zumal die Bundesrepublik Deutschland 1967 noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen und nach ihrem Beitritt 1973 nur in den Jahren 1976 bis 1978 Mitglied des Sicherheitsrats war. Indessen haben die deutschen Sozialversicherungsträger bei der praktischen Anwendung des Abkommens - ohne daß die israelische Seite dies bisher beanstandet hätte - Art 1 Nr 1 DISVA ständig in dem hier dargelegten Sinn ausgelegt (vgl zB das Rundschreiben Nr 62/1983 der deutschen Verbindungsstelle -KV- vom 20. September 1983, - auszugsweise abgedruckt unter Anm 2 zu Art 1 des DISVA bei Plöger und Wortmann aaO; vgl auch Klitscher/Säuberlich/Költzsch, Sozialversicherungsabkommen Deutschland - Israel, herausgegeben im Auftrage der BfA im November 1976 S 87; Gerhard in Mitteilung der LVA Rheinprovinz 1980 S 455, 457). Die angegebenen, soweit ersichtlich unwidersprochen gebliebenen Literaturstellen belegen, daß die Verwaltungspraxis der deutschen Sozialversicherungsträger bisher in diesem Sinne verfahren ist.
Die Vertragsparteien des DISVA haben auch nicht etwa dem Ausdruck "Gebiet des Staates Israel" eine besondere, von der gewöhnlichen abweichende Bedeutung beilegen wollen (vgl Art 31 Nr 4 WVK). Dafür reicht es keineswegs aus, daß dies die Absicht einer der Vertragsparteien war. Vielmehr müssen beide Vertragsparteien übereinstimmend diesen Willen gehabt haben, wofür vorliegend Anhaltspunkte fehlen.
Nach allem würde Ost-Jerusalem nur dann im Sinne des DISVA zum "Gebiet des Staates Israel" zählen, wenn die Vertragsbeteiligten im DISVA ausdrücklich eine dahingehende Begriffsbestimmung vorgenommen hätten. Entsprechendes ist zwar hinsichtlich des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland in Art 1 Nr 1 DISVA geschehen, indem dieses Gebiet näher als "Geltungsbereich des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland" bestimmt wurde, weswegen West-Berlin ebenfalls unter diesen Begriff fällt. Eine ähnliche Formel wurde in bezug auf das Gebiet des Staates Israel jedoch nicht gewählt.
Die von der Revision herangezogenen Ausführungen des IGH im Namibia-Gutachten aus dem Jahre 1971 rechtfertigen keine andere Beurteilung. Einerseits betrifft dieses Gutachten "official acts", also (einseitige) Maßnahmen der südafrikanischen Behörden personenstandsrechtlicher Art, nicht aber die Auslegung eines (zweiseitigen) völkerrechtlichen Vertrages. Was den in diesem Gutachten zum Ausdruck gelangten Grundsatz betrifft, daß die betroffene Bevölkerung des besetzten Gebietes (inhabitants of the territory) keine Nachteile dadurch erleiden soll, daß die Staatsgewalt derzeit ohne völkerrechtliche Anerkennung durch eine fremde Macht wahrgenommen wird, so darf nicht übersehen werden, daß sich das Gutachten des IGH in erster Linie auf diejenigen bezieht, die ohne handlungsfähige eigene Staatsgewalt in dem besetzten Territorium wohnen, nicht aber auf diejenigen Bewohner des Territoriums, für die bisher schon die Staatsgewalt des okkupierenden Staates zuständig war.
Auch die herrschende Auslegung des Art 29 WVK, wonach als "gesamtes Hoheitsgebiet" einer Vertragspartei im Sinne dieses Artikels alles von einem Staat als eigenes Staatsgebiet behandelte und beherrschte Gebiet, unabhängig von einer völkerrechtlichen Anerkennung, gelten soll, kann keine andere Beurteilung begründen, zumal Art 1 Nr 1 DISVA nicht den Anwendungsbereich des Abkommens definiert, sondern lediglich den Ausdruck "Gebiet", soweit dieser im Abkommen verwendet wird.
Soweit die Revision sich darauf beruft, daß auch West-Jerusalem völkerrechtlich nicht zum "Gebiet des Staates Israel" zähle, von der Bundesrepublik Deutschland aber stillschweigend als Gebietsteil des Staates Israel behandelt werde, ist dem entgegenzuhalten, daß kein Vertragsstaat gehindert werden kann, mehr zu leisten, als wozu er verpflichtet ist. Daraus können aber nicht noch weitergehende Forderungen abgeleitet werden. Es braucht daher nicht entschieden zu werden, wie die fragliche Bestimmung des DISVA in bezug auf West-Jerusalem auszulegen ist, insbesondere ob insoweit eine spätere Übung bei der Anwendung des DISVA eine besondere Auslegung gestattet.
Soweit die Revision in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 3 GG) rügt, ist fraglich, inwieweit dieser Artikel im Ausland lebenden Ausländern gegenüber Geltung beanspruchen kann (vgl Art 23 Satz 1 GG). Selbst wenn man dies bejahen wollte, so bestehen hinsichtlich des Status von Ost- und West-Jerusalem historische und völkerrechtliche Unterschiede, die eine verschiedene Behandlung der Einwohner beider Stadtteile in völkerrechtlichen Verträgen rechtfertigen. Insbesondere ist West-Jerusalem bereits seit April 1949 faktisch in den Hoheitsbereich des Staates Israel einbezogen; auch fehlen insoweit Resolutionen von Organen der Vereinten Nationen aus einer Zeit nach dem Jahr 1950.
Ob eine Änderung im Status des Ostteils der Stadt Jerusalem dadurch eingetreten ist, daß Jordanien ua dieses Gebiet zum 31. Juli 1988 aufgegeben habe, wie die Revision vorträgt, kann dahinstehen. Die Klägerin hat am 13. Juni 1983, dem letztmöglichen Zeitpunkt, den Antrag nach Art 12 DV-DISVA gestellt. Damals war eine mögliche Statusänderung Ost-Jerusalems jedenfalls noch nicht eingetreten. Deshalb konnte die Klägerin bis zum Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen des Art 3 DISVA selbst dann nicht erfüllen, wenn eine Maßnahme Jordaniens vom Juli 1988 den völkerrechtlichen Status Ost-Jerusalems zugunsten Israels verändert haben sollte.
Nach allem mußte die Revision der Klägerin erfolglos bleiben.
Im Kostenpunkt beruht das Urteil auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1666474 |
BSGE, 28 |