Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 3. Juni 1997 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist der Beginn der Verletztenrente des Klägers. Dieser war im Beitrittsgebiet als Stahlbaumonteur beschäftigt. Am 26. August 1989 stürzte er bei Montagearbeiten an einem Riesenrad von einer Flächenrüstung und zog sich dabei eine Radiusköpfchenfraktur zu.
Am 21. Januar 1993 reichte der Kläger bei der Beklagten das Original der Unfallmeldung seines damaligen Beschäftigungsbetriebes vom 28. August 1989 an den Bezirksvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) – Arbeitsschutzinspektion – sowie den Unfalluntersuchungsbericht vom 29. August 1989 ein. Später gab er dazu vor dem Sozialgericht Berlin (SG) an, diese Unterlagen seien ihm im Jahre 1993 von seinem damaligen Betrieb anläßlich dessen Auflösung ausgehändigt worden. Ob der Betrieb wegen des Schadensereignisses tatsächlich etwas bei der Sozialversicherung veranlaßt habe, sei ihm nicht bekannt.
Nach medizinischen Ermittlungen bewilligte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 26. Januar 1994 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. August 1989 eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH ab 1. Januar 1993. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger Rentenzahlung ab 1. Januar 1992 geltend; er habe bereits im Krankenhaus am 23. November 1989 einen Antrag auf Feststellung bleibender Unfallfolgen gestellt und darauf vertraut, daß das ausgefüllte Antragsformular von dem diensthabenden Vertrauensarzt weitergeleitet werde. Dieses Verfahren sei in der ehemaligen DDR üblich gewesen. Er habe dann an eine Verzögerung wegen der inzwischen eingetretenen „Wende” geglaubt und sich erst an die Beklagte gewandt, nachdem er auch im Januar 1993 immer noch keine Nachricht erhalten habe. Möglicherweise seien die weitergeleiteten Unterlagen vernichtet worden; die Ungewißheit darüber dürfe aber nicht zu seinen Lasten gehen. Nachdem die Landesversicherungsanstalt Berlin mitgeteilt hatte, ihr liege kein Unfallversicherungsvorgang über den Kläger vor, wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 3. August 1995). Der Antrag auf Gewährung von Verletztenrente sei erst nach Ablauf der zweijährigen Ausschlußfrist des am 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet in Kraft getretenen § 1546 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestellt worden, so daß die Rente erst ab Antragstellung im Januar 1993 bewilligt werden könne.
Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides und Abänderung des Bescheides vom 26. Januar 1994 verurteilt, die dem Kläger durch den Bescheid zuerkannte Verletztenrente ab 1. Januar 1992 zu zahlen (Urteil vom 8. Januar 1996). Daß dem Kläger der Rentenanspruch ab diesem Zeitpunkt zustehe, ergebe sich aus § 1150 Abs 2 Satz 1 iVm § 1156 Abs 1 RVO, welche die Vorschrift des § 1546 Abs 1 RVO als spezialgesetzliche Regelungen verdrängten.
Das Landessozialgericht Berlin (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 3. Juni 1997). Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Verletztenrente erst ab 1. Januar 1993 zu. Der Unfall vom 26. August 1989 gelte nach § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO als Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buches der RVO, wegen dessen Folgen dem Kläger nach dem bis 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet geltenden Recht ein Anspruch auf Unfallrente zugestanden hätte. Es sei nicht erwiesen, daß der Kläger den danach schriftlich bei der zuständigen Stelle der Sozialversicherung zu stellenden Antrag tatsächlich gestellt habe; diese Ungewißheit gehe zu seinen Lasten. § 1156 Abs 1 RVO sehe vor, daß Leistungen frühestens für Zeiten vom 1. Januar 1992 an erbracht würden, wenn – wie hier – das Verwaltungsverfahren erst nach dem 31. Dezember 1991 begonnen habe. Einem Anspruch des Klägers auf Verletztenrente nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO von diesem – frühestmöglichen – Zeitpunkt an stehe aber § 1546 Abs 1 RVO entgegen. Diese Vorschrift werde nicht durch die im Übergangsrecht der §§ 1148 ff RVO enthaltenen Regelungen verdrängt. § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1, § 1154 Abs 2 Satz 2 und Abs 3 Satz 3 RVO beträfen andere Fallgestaltungen, aus denen sich kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts herleiten lasse, nach dem Sozialversicherungsrecht der DDR begründete, aber bis zum 31. Dezember 1991 nicht festgestellte unfallversicherungsrechtliche Leistungsansprüche lösten ab 1. Januar 1992 Ansprüche nach der RVO aus, wenn sie bis zum 31. Dezember 1993 beantragt bzw dem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung bekannt würden. Die in § 1546 Abs 1 RVO vorgesehene Zweijahresfrist sei abgelaufen; die Voraussetzungen der in dieser Vorschrift vorgesehenen Ausnahmeregelung seien nicht gegeben.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe zu Unrecht § 1546 Abs 1 RVO auf seinen Rentenanspruch angewandt und damit § 1156 Abs 1 RVO verletzt. Zwar erkläre der Einigungsvertrag (EinigVtr) den § 1546 RVO im Beitrittsgebiet für anwendbar. Diese Vorschrift werde aber durch die §§ 1148 ff RVO verdrängt, die für das Beitrittsgebiet ein spezielles Übergangsrecht enthielten. Dieses bestehe nicht allein aus der Regelung des § 1156 RVO, der lediglich den frühestmöglichen Zahlungsbeginn festlege und daher noch der konkretisierenden Ausfüllung bedürfe. Die Anwendung des § 1546 RVO würde diese Lücke zwar schließen, verbiete sich aber im Zusammenhang mit dem im Beitrittsgebiet entstandenen Anspruch. Der Gesetzgeber habe mehrere Normen geschaffen, die den Beginn der Leistungsgewährung in Fällen von im Beitrittsgebiet entstandenen, nach dem Recht der ehemaligen DDR begründeten Ansprüchen konkretisierten. Heranzuziehen seien hier § 1150 Abs 2, § 1154 Abs 2 Satz 2 und Abs 3 Satz 3 RVO. Aus dem Zusammenhang dieser Normen folge, daß § 1546 RVO, der den Leistungsbeginn ebenfalls auf den Ersten des Antragsmonats lege, nicht auf solche Fälle aus dem Beitrittsgebiet anwendbar sei, in denen das Verwaltungsverfahren ab dem 1. Januar 1992 begonnen habe und auf einer Antragstellung bis zum 31. Dezember 1992 beruhe. In diesen Fällen komme vielmehr der in § 1156 Abs 1 RVO geregelte Leistungsbeginn am 1. Januar 1992 uneingeschränkt zum Tragen.
Entgegen der Ansicht des LSG beträfen diese Normen auch seinem Fall vergleichbare Fallgruppen. § 1150 Abs 2 RVO betreffe nicht nur Unfälle, die nur nach dem Recht der ehemaligen DDR, nicht aber nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen seien. Die Vorschrift regele vielmehr lediglich, welche Unfälle, die sich vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet ereignet hätten, nach dem Dritten Buch der RVO, dh auch nach § 1156 RVO zu entschädigen seien. Ein Fall des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO, der die Anwendung des § 1156 RVO und damit die Rentenzahlung zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausschlösse, liege hier gerade nicht vor. Es werde aber deutlich, daß der Gesetzgeber im Dritten Buch der RVO habe regeln wollen, in welchen Fällen die Rentenzahlung nicht mit dem 1. Januar 1992 beginne. Überdies regele die Norm auch, welche Unfälle doch nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen seien. Eine bloße Ausschlußfrist enthalte die Norm lediglich für die Fälle, die dem zuständigen Träger erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden seien.
In § 1154 Abs 2 Satz 2 und Abs 3 Satz 3 RVO seien allerdings besondere Fallgruppen geregelt. Das LSG habe zwar zutreffend darauf hingewiesen, daß insoweit zwischen diesen Fällen und seinem Anspruch auf Verletztenrente nicht unerhebliche Unterschiede bestünden, diese jedoch überbewertet. Entscheidend sei, daß diese Normen die Reaktion des Gesetzgebers auf eine seinem Fall gleichgelagerte Problematik seien: Die Ausschlußfrist zum 31. Dezember 1993 solle im Falle des beitrittsbedingten Wechsels in das neue Versicherungssystem auf beiden Seiten des Stichtages Rechtssicherheit schaffen. In den Fallgruppen des § 1154 RVO wie auch in seinem eigenen Fall sei der Wechsel in das bundesdeutsche Versicherungssystem gleichermaßen geeignet, Rechtsunsicherheit entstehen zu lassen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 3. Juni 1997 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Januar 1996 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Ihm steht ein Anspruch auf Verletztenrente erst ab 1. Januar 1993 zu, wie das LSG mit überzeugender Begründung zutreffend entschieden hat.
Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) geltenden Vorschriften, da der geltend gemachte Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten war (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, §§ 212 ff SGB VII).
Das im Beitrittsgebiet nach dem 2. Oktober 1990 geltende Unfallversicherungsrecht war zunächst im EinigVtr geregelt (Anl I Kap VIII Sachgebiet I Abschn III, Anl II Kap VIII Sachgebiet I Abschn III iVm Anl II Kap VIII Sachgebiet F Abschn III EinigVtr). Es handelte sich um Vorschriften für eine Übergangszeit; die endgültige Regelung war einem noch zu erlassenden besonderen Bundesgesetz vorbehalten (Art 30 Abs 5 EinigVtr), die das Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) mit Wirkung im wesentlichen vom 1. Januar 1992 durch die §§ 1148 ff RVO geschaffen hat (vgl BSGE 80, 119, 120 = SozR 3-1300 § 48 Nr 61). Nach § 1148 RVO galten die Vorschriften des Ersten bis Vierten Teils der RVO im Beitrittsgebiet, soweit sich aus den nachfolgenden Vorschriften und aus Anl I Kap VIII Sachgebiet I Abschn III des EinigVtr iVm Art 1 des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II 885, 1062) nichts Abweichendes ergab. Da dies im Hinblick auf § 581 RVO nicht der Fall war, galt diese Norm im Beitrittsgebiet vom 1. Januar 1992 an.
Bis zu diesem Zeitpunkt war noch die Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung (RentV-DDR) vom 23. November 1979 (GBl I 401) idF vom 28. Juni 1990 (GBl I 509) in Kraft (vgl Anl II Kap VIII Sachgebiet F Abschn III Nr 6 Buchst a EinigVtr). Nach § 23 Abs 1 RentV-DDR hatte der Versicherte Anspruch auf Unfallrente, der durch Arbeitsunfall bzw Berufskrankheit einen Körperschaden von mindestens 20 % erlitten hatte. Diese Voraussetzungen lagen bei dem Kläger wahrscheinlich vor. Nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden § 220 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsgesetzbuchs der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl I 185) idF des Gesetzes vom 22. Juni 1990 (GBl I 371) war ein Arbeitsunfall die Verletzung eines Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozeß. Da der Kläger nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) bei seiner Tätigkeit als Stahlbaumonteur einen Unfall erlitten hatte, war ein solcher Arbeitsunfall gegeben; angesichts der später von der Beklagten angenommenen unfallbedingten MdE von 30 vH kann davon ausgegangen werden, daß die rentenberechtigende MdE von 20 % bereits im September 1989 vorlag.
Allerdings waren nach § 63 Abs 1 RentV-DDR die Leistungen nach dieser Verordnung schriftlich bei der zuständigen Dienststelle der Sozialversicherung zu beantragen. Nach den bindenden berufungsgerichtlichen Feststellungen (§ 163 SGG) ist es nicht erwiesen, daß der Kläger einen solchen Antrag bis zum Außerkrafttreten der Norm am 31. Dezember 1991 gestellt hat. Nach seinen Angaben hat er einen entsprechenden Antrag am 23. November 1989 im Krankenhaus dem diensthabenden Vertrauensarzt zur Weiterleitung übergeben. Ob ein solcher Antrag aber bei dem damaligen FDGB oder dessen Funktionsnachfolger einging, ist nach den Feststellungen des LSG nicht erwiesen. Das Übermittlungsrisiko für empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärungen – wie etwa Anträge auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung – trägt indes der Absender, die bloße Möglichkeit, daß der Antrag bei der zuständigen Stelle angekommen, dort aber verlorengegangen sein könnte, reicht für die Feststellung des Zugangs nicht aus (vgl BSG SozR 3-4100 § 81 Nr 1 mwN). Auch wenn man die Angaben des Klägers über die Antragsabgabe als wahr unterstellt, mangelt es daher gleichwohl an einem während der Geltung des § 23 RentV-DDR gestellten Leistungsantrag.
Dem Kläger steht wegen der Folgen des Unfalls vom 26. August 1989 allerdings ein Anspruch auf Verletztenrente nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO zu. Diese Leistung wird (als Teilrente) gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge eines Arbeitsunfalls gemindert ist. Einen Arbeitsunfall in diesem Sinn hat der Kläger erlitten, worüber die Beteiligten auch einig sind. Gemäß § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle, die – wie hier – vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sind und nach dem dort geltenden Recht Arbeitsunfälle der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle im Sinn des Dritten Buches der RVO. Diese Voraussetzungen liegen – wie oben erörtert – nach den bindenden Feststellungen des LSG bei dem Unfall des Klägers vom 26. August 1989 vor. Streitig ist indes der Beginn dieser Verletztenrente.
Nach § 1156 Abs 1 RVO werden Leistungen aufgrund der RVO für die Vergangenheit frühestens für Zeiten vom 1. Januar 1992 an erbracht, wenn das Verwaltungsverfahren – wie hier angesichts des erstmaligen Ansuchens des Klägers bei der Beklagten am 21. Januar 1993 – nach dem 31. Dezember 1991 begann. Allerdings besteht der Anspruch des Klägers auf Verletztenrente nicht bereits von diesem in dieser Regelung vorgesehenen frühestmöglichen Zeitpunkt an. Dem steht die Vorschrift des § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO entgegen, nach welcher der Anspruch, wenn die Unfallentschädigung nicht von Amts wegen festgestellt wird, spätestens zwei Jahre nach dem Unfall bei dem Versicherungsträger anzumelden ist, und die Leistungen bei späterer Anmeldung (erst) mit dem Ersten des Antragsmonats beginnen, es sei denn, daß die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet ist, die außerhalb des Willens des Antragstellers liegen.
Diese Norm ist hier anzuwenden. Sie ist nach Anl I Kap VIII Sachgebiet I Abschn III Nr 1 Buchst a EinigVtr ab dem 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet gültig und wird nicht durch die im Zuge des Gesetzgebungswerks zur Rentenüberleitung geschaffenen Regelungen ausgeschlossen bzw verdrängt. Zwar enthalten die §§ 1148 ff RVO ein spezielles Übergangsrecht für das Beitrittsgebiet. Aus diesem ergibt sich jedoch entgegen der Ansicht der Revision nicht, daß § 1156 Abs 1 RVO, der für sich genommen lediglich den frühestmöglichen Zahlungsbeginn festlegt, noch einer konkretisierenden Ausfüllung bedürfte. Dem klaren Wortlaut, insbesondere dem Ausdruck „frühestens”, ist lediglich zu entnehmen, daß für die Vergangenheit zu erbringenden Leistungen unter den dort genannten Voraussetzungen eine äußerste zeitliche Grenze gesetzt werden soll. Nicht berührt von dieser Regelung werden damit Vorschriften, die – wie § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO – im Rahmen dieser zeitlichen Begrenzung aus anderen Gründen einen späteren Leistungsbeginn vorsehen.
Nichts anderes ergibt sich aus den vom Kläger zur Stützung seiner Ansicht herangezogenen Vorschriften (§ 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO und § 1154 Abs 2 Satz 2 sowie Abs 3 Satz 3 RVO). Bei diesen Bestimmungen handelt es sich um Sonderregelungen für spezielle Fälle gegenüber den vom RÜG erfaßten „allgemeinen” Überleitungsfällen. So bezieht sich § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO auf solche Unfälle, die zwar nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht, aber nicht nach dem Dritten Buch der RVO als Arbeitsunfälle zu entschädigen wären. Andere Fallgestaltungen sind von dem (allein) für diese Sonderfälle genannten Stichtag (31. Dezember 1993) nicht erfaßt; ist der Unfall einem ab 1. Januar 1992 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger bis zum 31. Dezember 1993 nicht bekannt geworden, gilt er nicht nach Abs 2 Satz 1 aaO als Arbeitsunfall. Die Vorschrift enthält damit – wie das LSG zutreffend ausgeführt hat – keine Antrags-, sondern eine gesetzliche Ausschlußfrist. Diese Rechtsfolge ist weder mit derjenigen des § 1156 Abs 1 RVO noch mit der des § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO vergleichbar, so daß insoweit eine entsprechende Anwendung nicht naheliegt.
Dagegen ordnen Abs 2 Satz 2 und Abs 3 Satz 3 des § 1154 RVO Rechtsfolgen an, die derjenigen des § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO ähnlich sind. Nach beiden Vorschriften wird die – dort näher bezeichnete – Rente, wenn der Unfallversicherungsträger keine Kenntnis von dem Anspruch bzw dem Arbeitsunfall hatte, (erst) auf Antrag gezahlt, wobei dies im Fall einer Antragstellung nach dem 31. Dezember 1993 mit dem Ersten des Monats der Antragstellung, ansonsten ab 1. Januar 1992 erfolgt. Beide Bestimmungen regeln allerdings besondere Gegenstände, die sich erheblich von der den vorliegenden Fall kennzeichnenden Problematik unterscheiden. § 1154 Abs 2 RVO betrifft den Fall, daß nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht ein Anspruch auf eine Unfallrente bestand und diese wegen eines Anspruchs auf eine weitere Rente der Sozialversicherung nicht oder nur teilweise gezahlt wurde. § 1154 Abs 3 RVO regelt den Fall, daß für einen vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Arbeitsunfall aufgrund von § 4 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeit vom 11. April 1973 (GBl I Nr 22 S 199) am 31. Dezember 1991 kein Anspruch auf eine Rente bestand; in diesem Fall soll bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 580 RVO die Rente am 1. Januar 1992 beginnen. Die Anwendungsbereiche dieser Sonderregelungen sind mit dem Fall des Klägers auch nicht annähernd vergleichbar. Denn der vom Kläger erlittene Unfall ist ein typischer Arbeitsunfall ohne rechtliche Besonderheiten; dies gilt sowohl für die Beurteilung nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland als auch für die nach dem Unfallversicherungsrecht der ehemaligen DDR.
Soweit die Revision nunmehr vorträgt, das LSG habe diese Unterschiede überbewertet und entsprechend unzutreffende Folgerungen gezogen, da es nicht auf den entscheidenden Umstand abgestellt habe, daß diese Normen die Reaktion des Gesetzgebers auf eine dem Fall des Klägers gleichgelagerte Problematik sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Schaffung des Stichtages „31. Dezember 1993” mag im Fall des beitrittsbedingten Wechsels in das neue Sozialversicherungssystem zwar Rechtssicherheit schaffen. Rechtssicherheit für einen mit dem Wechsel des Trägers und der Rechtsgrundlage verbundenen Übergang in das bundesdeutsche Versicherungssystem wird – wie hier im Falle des Klägers – indes ebenso durch die Anwendung der Regelung des § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO geschaffen, ohne daß es eines Stichtages bedürfte. Gegen die von der Revision vorgetragene Ansicht spricht auch, daß § 1546 RVO durch den EinigVtr im Beitrittsgebiet für anwendbar erklärt wurde und der Gesetzgeber bereits am 25. Juli 1991 durch das RÜG die Überleitung auch hinsichtlich der genannten Sonderfälle endgültig geregelt hat. Angesichts dessen kann gerade nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe über die gesetzlich geregelten Sonderfälle hinaus einen allgemeinen Grundsatz mit dem Inhalt aufstellen wollen, nach dem Sozialversicherungsrecht der DDR begründete, aber bis zum 31. Dezember 1991 nicht festgestellte unfallversicherungsrechtliche Leistungsansprüche sollten ab 1. Januar 1992 Ansprüche nach der RVO auslösen, wenn sie bis zum 31. Dezember 1993 beantragt bzw dem ab 1. Januar 1991 zuständigen Träger bekannt würden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß er dann eine – von der des § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO abweichende – allgemeine Regelung unmißverständlich getroffen hätte.
Ob im vorliegenden Fall die in § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO vorgesehene Zweijahresfrist im Zeitpunkt des Unfalls oder erst mit dem Inkrafttreten der Norm im Beitrittsgebiet am 1. Januar 1991 zu laufen begonnen hat, bedarf hier keiner Entscheidung, worauf das LSG bereits zutreffend hingewiesen hat. Denn in beiden Fällen war die Frist bei der erst im Januar 1993 erfolgten Anmeldung des Anspruchs bei der Beklagten bereits verstrichen.
Die in § 1546 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz aE RVO vorgesehene Ausnahmeregelung vom Erfordernis der Fristeinhaltung greift hier nicht zugunsten des Klägers ein. Danach beginnen die Leistungen bei einer später als zwei Jahre nach dem Unfall erfolgten Anmeldung des Anspruchs mit dem Ersten des Antragsmonats, es sei denn, daß die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet ist, die außerhalb des Willens des Antragstellers lagen. Diese Regelung ist praktisch identisch mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch bzw § 67 Abs 1 SGG, so daß die dortigen Grundsätze hier entsprechend gelten (vgl Kasseler Komm-Ricke, § 1546 RVO RdNr 7). Die Versäumung einer Frist ohne Verschulden iS des § 67 Abs 1 SGG wird angenommen, wenn der Säumige diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozeßführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, 1998, § 67 RdNr 3 mwN).
Das Vorbringen des Klägers, er habe angenommen, seine Unterlagen seien weitergeleitet worden, und er habe wegen der „dazwischen gekommenen Wende” lediglich an eine Verzögerung geglaubt, reicht nicht aus, um die Versäumung der Zweijahresfrist für die Antragstellung als unverschuldet in diesem Sinne erscheinen zu lassen. Zwar konnten die politische „Wende” in der DDR und die deutsche Einigung für eine gewisse Übergangszeit Verhältnisse bedingen, die infolge der Auflösung der bisherigen Staats- und Verwaltungsstrukturen und der Installierung einer neuen staatlichen und verwaltungsmäßigen Ordnung auch bei Anwendung der nach diesen Umständen möglichen und zumutbaren Sorgfalt ein Fristversäumnis als unverschuldet erscheinen lassen konnten. Diese durch ständige, für den einzelnen schwer überschaubare Veränderungen geprägte Übergangszeit endete indes spätestens mit Beginn des Jahres 1991, da zu diesem Zeitpunkt auch im Bereich der Sozialverwaltung in ausreichendem Maße ansprechbare handlungsfähige Behörden eingerichtet waren. Dem Kläger verblieb demnach, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, ausreichend Zeit, um sich nach seiner Unfallangelegenheit zu erkundigen und ggf seinen Anspruch anzumelden. Die als Grund für die verspätete Anmeldung dann nur noch in Betracht kommende Unkenntnis der einschlägigen Rechtsvorschriften, hier des § 1546 RVO, begründet keine Verhältnisse, die außerhalb des Willens des Antragstellers iS des § 1546 RVO lagen (vgl bereits Urteil des Senats vom 25. Juni 1992 ≪BSGE 71, 38, 40 ff = SozR 3-2200 § 1546 Nr 1≫).
Ein Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente steht dem Kläger nach § 1546 Abs 1 Satz 1 RVO daher erst ab dem Ersten des Antragsmonats zu, hier also ab 1. Januar 1993.
Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1175456 |
SGb 1999, 74 |