Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit einer Anschlussberufung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie. sachliche Zuständigkeit. Auslegung von Landesrecht durch das LSG. Bindungswirkung. örtliche Zuständigkeit. stationäre Leistung. Einrichtungsbegriff in Abgrenzung zur Pflegefamilie
Leitsatz (amtlich)
1. Die in einem zwischen Leistungsträgern geführten Erstattungsstreit eingelegte Anschlussberufung des Erstattungsberechtigten, mit der er den Erstattungszeitraum auf Folgezeiträume erweitert, ist unzulässig.
2. Das BSG ist an die Auslegung von Landesrecht durch das LSG auch dann gebunden, wenn das LSG für seine Auslegung bundesrechtliche Vorschriften herangezogen hat (Fortsetzung von BSG vom 3.7.1956 - 1 RA 30/56 = SozR Nr 43 zu § 162 SGG).
3. Zur Abgrenzung einer "stationären Einrichtung" von einer "Pflegefamilie".
Normenkette
SGG § 202 S. 1; ZPO § 524 Abs. 1 S. 1; SGG § 99 Abs. 3 Nr. 2; SGB 10 § 104 Abs. 1 S. 1; SGB 9 § 14; SGB 8 § 10 Abs. 4 S. 2 Fassung: 2006-12-14, S. 2 Fassung: 2011-03-24; SGB 12 § 53 Abs. 1 S. 1; SGB 12 § 54 Abs. 3 S. 1; SGB 12 § 97 Abs. 1, 2 S. 1; SGB 12 § 98 Abs. 2 Sätze 1-2; SGB 12 § 107; SGB 12 § 13 Abs. 2; SGG § 162; SGB12AG NW § 2 Buchst. a Fassung: 2004-12-16; SGB12AGAV NW § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2016 geändert. Die Anschlussberufung der Klägerin wird verworfen. Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 454 258,34 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit ist die Erstattung von Kosten in Höhe von 454 258,34 Euro für Leistungen der Eingliederungshilfe, die die Klägerin in der Zeit vom 1.4.2010 bis 30.9.2014 zugunsten des Hilfeempfängers P. L. (L) erbracht hat.
Der 1993 geborene L lebte zusammen mit seiner Mutter im Zuständigkeitsbereich der Klägerin, einer dem Kreis Lippe angehörigen Stadt. Bereits 1997 wurde bei ihm eine Schwerbehinderung infolge einer allgemeinen Entwicklungsretardierung festgestellt (GdB 70, Merkzeichen G, B und H). Seit 1999 war er in einer Einrichtung untergebracht; die Klägerin übernahm die Kosten als Leistungen der Jugendhilfe (Bescheid vom 25.11.1999). Am 16.11.2004 wurde die Unterbringung dort infolge sexuellen Missbrauchs an L beendet; L kehrte zu seiner Mutter nach Hause zurück. Anlässlich eines stationären Aufenthalts in einer psychiatrischen Kinderklinik von Februar bis Juni 2005 wurden bei L eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Enkopresis mit analer Manipulation und eine leichte Intelligenzminderung diagnostiziert, infolge derer L einer permanenten Überwachung bedürfe, weil er Stuhl und Blut verschmiere und esse, sich durch Manipulationen selbst gefährde und die Gefahr sexueller Übergriffe gegenüber anderen Kindern bestehe. Ab 15.6.2005 wurde L in die Krisen- und Diagnosegruppe des Kinderheims G. in Bad S. aufgenommen. Die Klägerin bewilligte (Bescheid vom 20.7.2005) hierfür Leistungen der Jugendhilfe nach § 34 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder-und Jugendhilfe - (SGB VIII).
Ab dem 26.10.2005 war L in einer Einrichtung der M.-Stiftung in G. stationär untergebracht. Da sein Aufenthalt dort ab Anfang 2009 nicht mehr tragbar war und eine Vielzahl etablierter Einrichtungen der Jugendhilfe eine Aufnahme des L wegen seiner speziellen Auffälligkeiten abgelehnt hatte, zog L zum 2.4.2009 in das "Standortprojekt Familie I." des Q. Jugendhilfe Projekt (Q.) nach E. und von dort mit der Familie I. am 1.7.2009 nach V./N. um. Zum 5.12.2010 wechselte L aufgrund persönlicher Schwierigkeiten mit Herrn I. in die "Projektstelle" K. von Q. in T./S. Nach Erreichen der Volljährigkeit am 11.4.2011 bewilligte die Klägerin dem L Hilfe für junge Volljährige als Leistungen der Jugendhilfe (Bescheide vom 23.5. und 28.11.2011 sowie vom 11.4., 21.9. und 10.12.2012).
Bereits mit Schreiben vom 17.12.2009 hatte die Klägerin den beklagten Landschaftsverband um "Übernahme" des Falles in dessen Zuständigkeit gebeten und einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) geltend gemacht. Der Hilfeempfänger habe eine geistige Behinderung und könne nunmehr Leistungen der Sozialhilfe beanspruchen, für die der Beklagte zuständig sei. Dieser lehnte den Erstattungsanspruch ab, weil es sich bei der Betreuung des L in einer Pflegefamilie um ambulante Leistungen handele, für die er nicht zuständig sei (Schreiben vom 26.8. und vom 22.9.2010).
Die (zunächst nur) für den Zeitraum vom 1.4.2010 bis 28.2.2011 (am 9.5.2011) erhobene Klage auf Kostenerstattung in Höhe von 94 255,40 Euro nebst 4 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 12.5.2011 ist erfolgreich gewesen (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Detmold vom 9.10.2012). Im von dem Beklagten geführten Berufungsverfahren hat die Klägerin die Klage erweitert und Erstattung eines weiteren Betrags von 360 002,94 Euro nebst Zinsen für den Zeitraum vom 1.3.2011 bis 30.9.2014 begehrt. In der mündlichen Verhandlung hat sie zum Zwecke der Klageerweiterung Anschlussberufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat das Urteil des SG geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin die im Zeitraum vom 1.4.2010 bis zum 30.9.2014 entstandenen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 454 258,34 Euro zu erstatten; im Übrigen (wegen der Zinsen) hat es die Klage ab- und die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 15.2.2016). Die allein zum Zwecke der Klageerweiterung eingelegte Anschlussberufung sei zulässig. Die Klage sei hinsichtlich der Hauptforderung begründet. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung ergebe sich aus § 104 Abs 1 SGB X. Ihre Leistungspflicht als Jugendhilfeträgerin sei im Verhältnis zur Leistungspflicht des Beklagten nachrangig (§ 10 Abs 4 Satz 2 SGB VIII), denn L sei geistig behindert. Für diese Leistungen sei der Beklagte der (eigentlich) sachlich (§ 97 Abs 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ≪SGB XII≫ iVm § 2 Buchst a Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen ≪AG-SGB XII NW≫ und § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen ≪AV-SGB XII NW≫) und örtlich zuständige Sozialhilfeträger. Die Hilfeleistung in den Familien I. und K. stelle eine stationäre Leistung im Sinne der landesrechtlichen Regelungen über die sachliche Zuständigkeit dar. Die im Zusammenhang mit der Legaldefinition des § 13 Abs 2 SGB XII durch die Rechtsprechung geforderte, auch räumliche Eingebundenheit in die Rechts- und Organisationsphäre von Q. als Einrichtungsträger liege vor. Zinsen könne die Klägerin dagegen nicht beanspruchen.
Mit seiner Revision macht der Beklagte eine Verletzung von § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 524 Zivilprozessordnung (ZPO), § 99 SGG sowie den §§ 97 f SGB XII geltend. Die von der Klägerin eingelegte Anschlussberufung sei nicht zulässig, denn sie führe einen neuen Streitgegenstand in das Verfahren ein. Ein Fall der zulässigen Klageerweiterung liege nicht vor. Für die Erbringung von Leistungen an L sei er (der Beklagte) seit dem Aufenthalt in den Familien I. und K. sachlich nicht zuständig, denn die Hilfe sei nicht in einer stationären Einrichtung, sondern als ambulante Maßnahme in Pflegefamilien erfolgt. Insbesondere sei der Wohnraum nicht vom Jugendhilfeprojekt vorgehalten worden und befinde sich damit nicht in der Rechts- und Organisationssphäre der Q. Für die erbrachte Eingliederungshilfe sei er darüber hinaus aber auch örtlich unzuständig. Im Übrigen sei ein etwaiger im Wege der Anschlussberufung geltend gemachter Erstattungsanspruch nach § 113 SGB X verjährt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2016 zu ändern, das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 9. Oktober 2012 aufzuheben, die Klage insgesamt abzuweisen und die Anschlussberufung der Klägerin zu verwerfen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet, soweit das LSG den Beklagten auf die Anschlussberufung der Klägerin vom 15.2.2016 zur Erstattung von Kosten für in der Zeit vom 1.3.2011 bis 30.9.2014 an L erbrachte Leistungen der Eingliederungshilfe verurteilt hat (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Im Übrigen (Kostenerstattung für die Zeit vom 1.4.2010 bis zum 28.2.2011) ist die Revision im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der Klägerin statthaft im Wege der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) verfolgte Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 454 258,34 Euro für Leistungen der Eingliederungshilfe, die die Klägerin zugunsten von L im Zeitraum vom 1.4.2010 bis zum 30.9.2014 erbracht hat. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist der ebenfalls geltend gemachte Zinsanspruch; insoweit hat das LSG die Klage rechtskräftig abgewiesen.
Verfahrensfehler, die einer Sachentscheidung entgegenstünden, liegen nicht vor. Eine Beiladung des L gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG (echte notwendige Beiladung) war im vorliegenden Erstattungsstreit nicht erforderlich (stRspr; vgl nur BSG SozR 4-3500 § 106 Nr 1 RdNr 14; Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 6/12 R - RdNr 10 mwN). Auch eine echte notwendige Beiladung von Q. kommt nicht in Betracht, weil diese im Erstattungsstreit (nach bereits erfolgter Bezahlung) nicht einmal mehr mittelbar betroffen ist.
Die Revision des Beklagten ist begründet, soweit sie sich gegen eine Verurteilung zur Erstattung für im Zeitraum vom 1.3.2011 bis 30.9.2014 erbrachte Leistungen der Eingliederungshilfe zur Wehr setzt. Denn die zum Zwecke der Klageerweiterung eingelegte Anschlussberufung der Klägerin ist unzulässig. Sie betrifft nicht den gleichen prozessualen Anspruch der Hauptberufung des Beklagten und war daher zu verwerfen (§ 158 SGG).
Die auch im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 202 SGG iVm § 524 ZPO mögliche Anschlussberufung (allgemeine Meinung, vgl zB BSGE 2, 229, 231 und 24, 247, 248 = SozR Nr 9 zu § 521 ZPO; BSGE 28, 31, 33 = SozR Nr 4 zu § 522a ZPO; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 8 RdNr 17 ff) ist kein Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner (hier: die Klägerin) innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers (hier: des Beklagten) an dessen Rechtsmittel anschließt. Sie bietet die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entscheidung des SG auch zu seinen, des sich Anschließenden, Gunsten ändern zu lassen, ohne dass insoweit eine Beschwer vorliegen müsste (stRspr vgl grundlegend BSGE 24, 247 = SozR Nr 9 zu § 521 ZPO; vgl zuletzt BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 9). Mit ihr können aber nicht Ansprüche zur Überprüfung des Berufungsgerichts gestellt werden, die von der Berufung gar nicht erfasst werden; anderenfalls liegt kein Fall einer "Anschließung" an das eingelegte Rechtsmittel vor. Für die Zulässigkeit der Anschlussberufung ist es deshalb erforderlich, dass sie den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung betrifft (stRspr; vgl BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 18 ff; BSG SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; BSG Urteil vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - Juris RdNr 33 f; BSG Urteil vom 23.6.1998 - B 4 RA 33/97 R - Juris RdNr 16 ff). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Der Maßstab für die Beurteilung, ob der gleiche prozessuale Anspruch betroffen ist, ergibt sich in Anwendung von § 99 Abs 3 SGG. In Fallkonstellationen, in denen eine Änderung des Klageantrags denselben Klagegrund betrifft, eine der in § 99 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGG genannten Voraussetzungen vorliegt und deshalb die Antragsänderung im Sinne dieser Vorschrift nicht als Klageänderung anzusehen ist, führt die Anschlussberufung keinen im genannten Sinne neuen Streitgegenstand in das Verfahren ein (darauf stellt bereits BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 9 ab). Eine solche Konstellation ist hier jedoch nicht gegeben. Die im vorliegenden Erstattungsstreit erfolgte Erweiterung des Leistungsantrags auf Folgezeiträume führt vielmehr zu einer Änderung des Klagegrundes, weil hierdurch zugleich der dem Klageantrag zugrundeliegende Lebenssachverhalt geändert wird (vgl zu diesem Maßstab BGHZ 154, 342; vgl auch Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 99 RdNr 2b). Zum Klagegrund rechnen dabei alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören (vgl zu diesem Maßstab auch Guttenberger in jurisPK-SGG, 2017, § 99 RdNr 8). Danach liegt eine Änderung des Klagegrundes nicht vor etwa beim Übergang von einer Klageart zur anderen, weil diese lediglich eine Präzisierung des Begehrens unter Berücksichtigung der konkreten prozessualen Konstellation darstellt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 5), oder bei der Umstellung des ursprünglich bezifferten Leistungsantrags auf einen Bescheidungsantrag (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 91). § 99 Abs 3 Nr 2 SGG kann auch eingreifen, wenn ein Kläger auf ein sinngemäß schon im ursprünglichen Antrag enthaltenes Begehren umstellt (so die Konstellation in BSGE 117, 1 aaO). Die zeitliche Ausdehnung einer Erstattungsforderung ist mit diesen Fallkonstellationen jedoch nicht vergleichbar. Es erfolgte nicht nur eine quantitative Erweiterung eines schon bestehenden Anspruchs (§ 99 Abs 3 Nr 2 Alt 1 SGG), sondern es träte auch ein neuer Zeitraum und damit ein neuer Lebenssachverhalt hinzu, für den neue Feststellungen zu treffen wären, anhand derer eine neue rechtliche Bewertung von Anspruchsgrundlagen und erbrachten Leistungen erforderlich würde.
Unerheblich ist daher, dass die hier beantragte Einbeziehung von Folgezeiträumen in den Erstattungsstreit - wäre sie in der ersten Instanz erfolgt - möglicherweise nach § 99 Abs 1 SGG zulässig gewesen wäre. Deshalb kommt es - anders als das LSG meint - auch nicht darauf an, ob der Beklagte sich iS des § 99 Abs 1 Alt 1 und Abs 2 SGG auf das neue Klagebegehren rügelos eingelassen hat. Gründe der Prozessökonomie (vgl zu diesem Gesetzeszweck des § 99 Abs 1 SGG nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 99 RdNr 1) spielen bei der Anschlussberufung keine Rolle. Sie sprächen wegen der erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen im Übrigen nicht für, sondern gegen die Einbeziehung weiterer Leistungszeiträume in einen Erstattungsstreit.
Soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Erstattung von Kosten für Leistungen wendet, die die Klägerin für L im Zeitraum vom 1.4.2010 bis 28.2.2011 erbracht hat, konnte der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Zwar ist der Beklagte als der eigentlich zuständige Leistungsträger gemäß § 104 SGB X der Klägerin zur Erstattung verpflichtet; es fehlen jedoch hinreichende Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zur Bestimmung der Höhe des Erstattungsanspruchs.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten nach § 104 SGB X (idF des Gesetzes vom 21.12.2000, BGBl I 1983) iVm § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (≪SGB IX≫ idF des Gesetzes vom 23.4.2004, BGBl I 606) dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Leistungen der Eingliederungshilfe, die sie an L im Zeitraum vom 1.4.2010 bis 28.2.2011 erbracht hat. Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, ist nach § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Im Fall einer Erbringung von Leistungen als erstangegangener Rehabilitationsträger begründet § 14 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 1 und 2 SGB IX (ggf iVm § 14 Abs 3 SGB IX) für das Erstattungsverhältnis zwischen den Trägern eine nachrangige Zuständigkeit des erstangegangenen Trägers, wenn er nach den Zuständigkeitsregelungen außerhalb von § 14 SGB IX unzuständig, ein anderer Träger aber zuständig gewesen wäre (stRspr; vgl nur BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 9 ff). § 14 SGB IX ist auch im Verhältnis nachrangiger Leistungspflichten anwendbar (vgl nur BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 21).
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Die Klägerin ist erstangegangene Rehabilitationsträgerin iS des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX, weil eine (rechtzeitige) Weiterleitung des Falls der von Amts wegen (§ 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII) gegenüber L zu erbringenden Leistungen der Eingliederungshilfe durch sie nicht erfolgt ist. Für die Anwendung des § 14 Abs 1 und 2 SGB IX genügt es, dass die Klägerin (jedenfalls) als Trägerin der Jugendhilfe (§ 69 Abs 1 SGB VIII iVm § 2 Erstes Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ≪AG-KJHG NW≫ und § 1 der Verordnung über die Bestimmung Großer kreisangehöriger Städte und Mittlerer kreisangehöriger Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vom 8.1.1991 - Gesetz- und Verordnungsblatt ≪GV≫ NW 598) nach § 6 Abs 1 Nr 6 SGB IX eine Rehabilitationsträgerin ist und Rehabilitationsleistungen erbracht hat (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 19; BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7, RdNr 28 ff). Eine zielgerichtete Zuständigkeitsanmaßung durch die Klägerin, die die Erstattung nach § 104 SGB X ausschlösse (vgl dazu BSGE 98, 267 aaO; vgl auch BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 30), ist auf der Grundlage der den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht gegeben. Auch ein Fall des § 103 SGB X liegt nicht vor.
Die Klägerin ist für die erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber dem Beklagten nur nachrangig verpflichtet. Nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war L im streitigen Zeitraum neben seiner seelischen Behinderung auch geistig behindert. In diesem Falle ergibt sich für Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 10 Abs 4 Satz 2 SGB VIII (in den hier maßgeblichen Fassungen vom 14.12.2006, BGBl I 3134 und vom 24.3.2011, BGBl I 453; bis zum 30.9.2005 entsprechend in § 10 Abs 2 Satz 2 SGB VIII geregelt) unabhängig davon, welche Behinderung im Vordergrund steht (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 26; BVerwGE 142, 18 - RdNr 31 mwN), eine vorrangige Leistungsverpflichtung des nach §§ 97 f SGB XII sachlich und örtlich (eigentlich) zuständigen Sozialhilfeträgers. Dies war im hier streitigen Zeitraum vom 1.4.2010 bis 28.2.2011 der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe. Seine sachliche Zuständigkeit ergibt sich auf der Grundlage der Feststellungen des LSG zum Landesrecht, dessen Auslegung gemäß § 162 SGG nicht revisibel ist; seine örtliche Zuständigkeit folgt aus einer entsprechenden Anwendung (vgl § 107 SGB XII) von § 98 Abs 2 SGB XII.
Die sachliche Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers bestimmt sich nach § 97 Abs 1 und 2 SGB XII (idF des Gesetzes vom 27.12.2003, BGBl I 3022). Für die Sozialhilfe ist danach grundsätzlich der örtliche Sozialhilfeträger sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist (Abs 1). Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird nach Landesrecht bestimmt (Abs 2 Satz 1). Soweit Landesrecht keine Bestimmung nach Abs 2 Satz 1 enthält, ist der überörtliche Träger nach Maßgabe der Regelungen in § 97 Abs 3 SGB XII sachlich zuständig.
Nach § 2 Buchst a AG-SGB XII NW und § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a AV-SGB XII NW, beide vom 16.12.2004 (GV NW 816 bzw 817), ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel für Personen, die in § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII genannt sind, Menschen mit einer geistigen Behinderung, Menschen mit einer seelischen Behinderung oder Störung, Anfallskranke und Suchtkranke bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn es wegen der Behinderung oder des Leidens dieser Personen in Verbindung mit den Besonderheiten des Einzelfalls erforderlich ist, die Hilfe in einer teilstationären oder stationären Einrichtung zu gewähren. Als überörtliche Träger der Sozialhilfe führen nach § 1 AG-SGB XII NW die Landschaftsverbände die Aufgaben der Sozialhilfe durch.
Das LSG hat auf der Grundlage und in Auslegung dieser Vorschriften festgestellt, dass die "Unterbringung" des L in den Familien I. und K. den Begriff der stationären Einrichtung iS von § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a AV-SGB XII NW erfüllt und daher der überörtliche Sozialhilfeträger, hier der beklagte Landschaftsverband, zuständig ist. Auch wenn der Senat dem jedenfalls für den Einrichtungsbegriff iS von § 13 SGB XII nicht folgt (dazu später), sind die sich vorliegend im Zusammenhang mit der sachlichen Zuständigkeit ergebenden Fragen einer Prüfung durch das Revisionsgericht entzogen (§ 162 SGG). Ein "Feststellungsdefizit", welches es dem BSG erlaubte, selbst Feststellungen zum Landesrecht zu treffen (so etwa die Fallkonstellation in BSGE 120, 51 = SozR 4-3500 § 75 Nr 9, RdNr 13), liegt nicht vor.
Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten sind auch nicht dadurch revisibel, dass das LSG bei seiner Prüfung der sachlichen Zuständigkeit auf den Begriff der stationären Einrichtung iS des § 13 SGB XII und folglich auf eine bundesrechtliche Vorschrift abgestellt hat. Die Revisibilität kann nicht damit begründet werden, dass ein im Landesrecht ausgelegter Begriff (hier: der stationären Einrichtung) auch in revisiblen Normen (hier: § 13 Abs 2 SGB XII) enthalten ist (vgl dazu BSG SozR Nr 43 zu § 162 SGG). Wird eine Vorschrift des Bundesrechts auf der Grundlage des Landesrechts herangezogen, um das Landesrecht zu ergänzen oder auszulegen, wird die Vorschrift Teil des Landesrechts und entzieht sich damit revisionsrechtlicher Überprüfung (stRspr; vgl BSG Urteil vom 5.12.1989 - 5 RJ 7/88 - Juris RdNr 14; BVerwGE 57, 204; BVerwG Beschluss vom 28.3.2007 - 10 B 43/06 - Juris RdNr 4 und Urteil vom 7.6.2006 - BVerwG 4 C 7.05 - NVwZ 2006, 1065, 1066; BGHZ 10, 367, 371; vgl im Übrigen auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 162 RdNr 6a). So liegt der Fall auch hier. Das LSG hat den Einrichtungsbegriff des § 13 SGB XII (aus seiner Sicht) maßstabbildend zur Auslegung von § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a AV-SGB XII NW herangezogen, diese Auslegung im Übrigen aber noch einmal einer Ergebnisüberprüfung anhand landesrechtlicher Gesetzgebungsziele unterworfen. Zusammenfassend hat es ausgeführt, nach der landesrechtlichen Zuständigkeitsverteilung in NW solle gerade für derart aufwendige und kostenintensive Fälle wie dem vorliegenden der überörtliche Träger und nicht der örtliche Träger einstehen. Seine Ausführungen zum Begriff der stationären Einrichtung für Q. bleiben daher eine Auslegung von Landesrecht (vgl entsprechend BSG SozR Nr 43 zu § 162 SGG).
Ausgehend von seiner sich daraus ergebenden sachlichen Zuständigkeit als überörtlicher Träger ist der Beklagte im hier streitbefangenen Zeitraum auch der nach § 98 SGB XII örtlich zuständige Träger. Zwar ergibt sich seine örtliche Zuständigkeit nicht unmittelbar nach § 98 Abs 2 SGB XII, denn die in den Familien I. und K. erbrachten Leistungen sind keine stationären Eingliederungshilfeleistungen im Sinne dieser Vorschrift. Die Leistung ist aber eine solche der Eingliederungshilfe in einer Pflegefamilie nach § 54 Abs 3 SGB XII mit der Folge, dass § 98 Abs 2 SGB XII entsprechende Anwendung findet (§ 107 SGB XII).
Nach § 98 Abs 2 SGB XII (idF des Gesetzes vom 2.12.2006, BGBl I 2670) ist für die stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder in den letzten zwei Monaten vor ihrer Aufnahme gehabt haben (Satz 1). Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung iS des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend (sog Einrichtungskette, Satz 2).
Die in den Familien I. und K. erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe sind auf der Grundlage der Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) keine in einer stationären Einrichtung iS von § 98 Abs 2 SGB XII erbrachten Leistungen. Die vom LSG zur sachlichen Zuständigkeit aufgestellten landesrechtlichen Maßstäbe binden den Senat bei der Feststellung der örtlichen Zuständigkeit nicht. Der Einrichtungsbegriff des § 98 Abs 2 SGB XII ist bundesrechtlich anhand von § 13 Abs 2 SGB XII zu bestimmen.
Eine Einrichtung gemäß § 13 Abs 2 SGB XII ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist (BVerwGE 95, 149, 152; BVerwG Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 - FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 13/91 - FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 - ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE 106, 264 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2, RdNr 13; BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3) und der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dient (vgl § 13 Abs 2 SGB XII; näher dazu BSG SozR 4-5910 § 97 Nr 1 RdNr 15). Soweit Personen dezentral untergebracht sind, ist es für die Bejahung einer Einrichtung erforderlich, dass die dezentrale Unterkunft zu den Räumlichkeiten der Einrichtung gehört, der Hilfebedürftige also in die Räumlichkeiten des Trägers eingegliedert ist (vgl BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3). Dies ist nur dann der Fall, wenn die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen anzusehen ist (BVerwG Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 - FEVS 45, 52 ff). Die Vorhaltung von Wohnraum durch den Träger der Einrichtung selbst ist also keine bloße Formalie, sondern wesentliches Merkmal einer Zuordnung zur Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers (vgl BSG SozR 4-3500 § 106 Nr 1). Zudem ist erforderlich, dass der Einrichtungsträger von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfeempfängers nach Maßgabe des angewandten Konzepts die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt. Gelegentliche Maßnahmen rechtfertigen die Gleichstellung mit der stationären Einrichtung nicht; die Unterbringung außerhalb der Einrichtung muss vielmehr qualitativ einer stationären Leistungserbringung in der Einrichtung entsprechen (vgl BVerwGE 95, 149 ff - RdNr 18; vgl entsprechend zu § 106 SGB XII BSG SozR 4-3500 § 106 Nr 1).
Diese Voraussetzungen erfüllt weder die Unterbringung in der Familie I. noch in der Familie K. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine stationäre Einrichtung schon begrifflich nicht immer jedenfalls auch ein Stammhaus im Sinne einer Stammunterkunft voraussetzt. Nur wenn dies nicht erforderlich wäre, könnte die vom LSG festgestellte Struktur der Q. mit einer Geschäftsstelle als "zentraler Einrichtung" und 13 bzw 14 geschulten sog "Koordinatoren", die sich von eigenen Büros in der ganzen Bundesrepublik verantwortlich um die ihnen zugewiesenen sog "individual-pädagogischen Betreuungsstellen" kümmern, überhaupt den Einrichtungsbegriff erfüllen. Denn die individual-pädagogischen Betreuungsstellen selbst (hier: die Betreuung in den Familien I. und K.) stellen keine stationären Einrichtungen dar (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 30).
Jedenfalls aber fehlte es hinsichtlich beider Familien an der unerlässlichen Vorhaltung von Wohnraum durch den Träger der Einrichtung. Nach den Feststellungen des LSG wurde der Wohnraum von den einzelnen Familien vorgehalten, nicht dagegen von Q. Q. also konnte nicht frei nach eigenem Ermessen feste Plätze zuteilen. Sie war stets auf die Bereitschaft der Familien angewiesen, einzelne Personen aufzunehmen. Die Familien waren jeweils nur bezogen auf den konkreten Einzelfall vertraglich eingebunden und stellten auch nur dann die Unterkunft bereit. Eine vom einzelnen Leistungsfall ununterbrochene Anmietung von Wohnraum ist damit nicht gegeben.
Zudem hatte Q. auch nicht die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Hilfebedürftigen von der Aufnahme bis zur Entlassung übernommen. Den zur Betreuung eines Falls von Q. eingesetzten Koordinatoren kam nach den Feststellungen des LSG allenfalls zu Beginn der Unterbringung in einer Familie eine konzeptionell wesentliche Bedeutung zu. Im weiteren Verlauf hatten sie nur noch eine koordinierende und überwachende Funktion. Mit Blick darauf, dass 14 Betreuer für 160 Jugendliche in der ganzen Bundesrepublik zuständig waren, wird eine Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung damit konzeptionell nicht gewährleistet und ist auch nicht beabsichtigt. Der "Einrichtung" blieb im Alltag gerade kein bestimmender Einfluss, sondern dieser lag bei den einzelnen Familien. Mit Q. wurden auch keine Vereinbarungen auf der Grundlage der §§ 75 ff SGB XII geschlossen, ein organisatorischer Gesamtplan, der Gültigkeit für alle "Bewohner" beansprucht, existierte nicht.
Dass sowohl Q. als auch Familie K. nach den Feststellungen des LSG eine Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung gemäß § 45 SGB VIII hatten, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Unabhängig davon, ob diese Erlaubnis jeweils zu Recht erteilt wurde (vgl zum - soweit ersichtlich - bislang höchstrichterlich noch nicht geklärten Einrichtungsbegriff nach § 45 SGB VIII zB Busse in jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl 2014, RdNr 28 ff mit Verweisen auf die Maßstäbe des SGB XII; offengelassen BVerwG Beschluss vom 4.8.2006 - 5 B 52/06), kommt dieser Erlaubnis keine Tatbestandswirkung für die Frage des Vorliegens einer Einrichtung iS des SGB XII zu.
Unerheblich ist auch, ob die Intensität der Betreuung in den von Q. unter Vertrag genommenen Familien höher war als in einer stationären Einrichtung. Nach der Rechtsprechung spielt die Intensität der Betreuung zwar in der Abgrenzung der stationären Hilfe zum Ambulant-betreuten-Wohnen eine Rolle (vgl zB BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3). Auch das SGB XII kennt aber mit der Unterbringung in einer Pflegefamilie (§ 54 Abs 3 SGB XII, mWv 5.8.2009 eingeführt durch das Gesetz vom 30.7.2009, BGBl I 2495) ausdrücklich eine ambulante Leistung, die durch ein intensives Betreuungsverhältnis gekennzeichnet ist (nach dem Inhalt der Vorschrift: "Versorgung Tag und Nacht" im Haushalt der Pflegeperson). Dass die Unterbringung dort zur Vermeidung oder Beendigung eines Aufenthalts in einer vollstationären Einrichtung erfolgt (Abs 3 Halbsatz 2), hat in Parallele zur Unterbringung in einer Pflegefamilie in der Jugendhilfe (§ 33 Satz 2 SGB VIII) vor allem Belange des Kindeswohls im Blick (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 39; vgl auch Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl 2015, § 33 RdNr 24 zum Vorzug familiärer gegenüber institutioneller Strukturen). Dagegen wird keine Aussage in dem Sinne getroffen, dass die stationäre Unterbringung stets als die betreuungsintensivere anzusehen wäre. Dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Betreuungsintensität vielmehr vom Gegenteil ausgegangen ist, ergibt sich aus § 107 SGB XII, der die Unterbringung in einer Pflegefamilie nicht mit anderen ambulanten Leistungen (insbesondere dem Ambulant-betreuten-Wohnen, vgl § 98 Abs 5 SGB XII) gleichsetzt, sondern vielmehr die Vorschriften zur Zuständigkeit bei stationärer Unterbringung für analog anwendbar erklärt.
Der Beklagte ist damit zwar nicht nach § 98 Abs 2 SGB XII unmittelbar, wohl aber gemäß § 107 SGB XII (seit Einführung durch das Gesetz vom 27.12.2003, BGBl I 3022 unverändert) iVm § 98 Abs 2 SGB XII örtlich zuständig, weil L im hier streitbefangenen Zeitraum als noch Minderjähriger in einer anderen Familie untergebracht war. Die Unterbringung in einer anderen Familie iS des § 107 SGB XII meint seit Einführung des § 54 Abs 3 SGB XII zum 5.8.2009 (nur noch) eine Unterbringung im Sinne dieser Vorschrift. Kommt seither für Kinder und Jugendliche ein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form einer Betreuung in einer Pflegefamilie nur noch unter den dort genannten qualifizierten Voraussetzungen in Betracht (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 37), kann im Rahmen der Zuständigkeitsanordnung für ein solches Betreuungsverhältnis kein anderer Maßstab gelten (vgl Böttiger in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 107 RdNr 20). Der Schutz des "Einrichtungsortes" setzt eine entsprechend qualifizierte Form der Unterbringung voraus.
Die Voraussetzungen des § 54 Abs 3 SGB XII sind für die Unterbringung des L in den Familien I. und K. im hier streitbefangenen Zeitraum gegeben. Nach § 54 Abs 3 Satz 1 SGB XII ist eine Leistung der Eingliederungshilfe auch die Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie, soweit eine geeignete Pflegeperson Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht versorgt und dadurch der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werden kann. Die Pflegeperson bedarf einer Erlaubnis nach § 44 SGB VIII (Abs 1 Satz 1). Sämtliche Anforderungen sind hier auf der Grundlage der Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erfüllt. L war jeweils in den privaten Haushalt der Familien aufgenommen, wo er Tag und Nacht sein zu Hause hatte (vgl zu diesem Maßstab BVerwGE 140, 305 - RdNr 15; vgl auch BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 37). In beiden Familien war eine geeignete Person im Sinne dieser Vorschrift vorhanden, denn sowohl Herr I. als auch Frau K. hatten eine erzieherische Qualifikation (Heilerziehungspfleger bzw staatlich anerkannte Erzieherin). Dass jedenfalls Herr I. keine Erlaubnis zur Vollzeitpflege iS von § 44 SGB VIII (in der hier maßgeblichen Fassung der Norm vom 14.12.2006, BGBl I 3134) hatte, schließt die Leistungserbringung nach § 54 Abs 3 SGB XII nicht aus. Denn jedenfalls liegt nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG der Ausnahmetatbestand des § 44 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB VIII vor, weil L auf Vermittlung der Klägerin als Trägerin von Leistungen der Jugendhilfe in den beiden Familien untergebracht war (vgl zu einer entsprechenden Konstellation OVG Lüneburg Beschluss vom 7.6.2017 - 4 LA 281/16 - Juris RdNr 7). Der Verweis in § 54 Abs 3 SGB XII auf die Erlaubnis nach § 44 SGB VIII ist umfassend in dem Sinne zu verstehen, dass auch im Rahmen von Leistungen nach dem SGB XII die Ausnahmetatbestände des § 44 Abs 1 Satz 2 SGB VIII zum Tragen kommen können (vgl entsprechend Böttiger, aaO, RdNr 44).
War damit § 98 Abs 2 SGB XII anwendbar, kommt es bei durchgehendem Aufenthalt in stationären Einrichtungen oder Pflegefamilien für die örtliche Zuständigkeit auf den gewöhnlichen Aufenthalt des L im Zeitpunkt des Eintritts in die erste Einrichtung oder Pflegefamilie an (Satz 2). Dieser lag im Kreis Lippe und folglich im örtlichen Zuständigkeitsgebiet des Beklagten (vgl § 1 Abs 1 der Hauptsatzung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe vom 12.1.1995) unabhängig davon, ob insoweit, nachdem L zuvor (wieder) mehrere Monate zu Hause gewohnt hatte, auf die stationäre Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 24.2.2005 bis zum 15.6.2005 in Bad S., auf die Aufnahme in das Kinderheim in Bad S. am 15.6.2005 oder auf die sich unmittelbar anschließende Aufnahme in die M.-Stiftung am 26.10.2005 abzustellen ist. Seither war L durchgängig stationär oder in einer Pflegefamilie untergebracht. Dies gilt auch für die Reise des L mit Herrn I. im März 2009, die L ebenfalls schon in den Haushalt des Herrn I. eingliederte.
Die damit bestehende vorrangige Leistungspflicht des Beklagten als eigentlich zuständiger Leistungsträger (§ 10 Abs 4 Satz 2 SGB VIII) erfasst im Rahmen der hier erbrachten Eingliederungshilfe in Form der Unterbringung in einer Pflegefamilie sämtliche nach § 54 Abs 3 SGB XII zu erbringenden Leistungen. Denn seit Inkrafttreten des § 54 Abs 3 SGB XII zum 5.8.2009 hat der Gesetzgeber jede erforderliche Betreuung eines behinderten Kindes in einer Pflegefamilie typisierend als Eingliederungshilfe normiert. Diese schließt daher insbesondere auch die für den Lebensunterhalt erforderlichen Leistungen ein (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 39 unter Verweis auf die ebenfalls zum 5.8.2009 erfolgte Änderung des § 28 Abs 5 SGB XII, jetzt § 27a Abs 4 Satz 3 SGB XII; anders noch BVerwGE 125, 96 zur zuvor geltenden Rechtslage). Auf die Frage, ob die Klägerin als kreisangehörige Stadt ggf für Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII auf der Grundlage einer Heranziehungssatzung (§ 1 Abs 1 Nr 1 der Satzung über die Heranziehung der Städte, Kreise und kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe in der hier maßgeblichen Fassung vom 10.3.2005, GV NW 202) zuständig war, kam es daher nicht an.
Die Leistungserbringung durch die Klägerin an L war dem Grunde nach auf der Grundlage der Regelungen des SGB XII rechtmäßig. Die Voraussetzungen der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in einer Pflegefamilie nach § 19 Abs 3 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - erhalten hat) iVm § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022) und § 54 Abs 3 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009, BGBl I 2495) lagen in der Person des L vor. L war nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) wesentlich behindert iS des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII und gehörte damit zum leistungsberechtigten Personenkreis. Es bestand auch die Notwendigkeit (§ 4 Abs 1 SGB IX) der Unterbringung in den Pflegefamilien, denn L war ständig zu betreuen und zu überwachen. Eine stationäre Unterbringung konnte dadurch vermieden werden.
Der Senat konnte jedoch nicht abschließend entscheiden, ob die von der Klägerin für den hier streitbefangenen Zeitraum geltend gemachten Kosten, die weder verspätet angemeldet (§ 111 SGB X) noch verjährt (§ 113 SGB X) sind, in voller Höhe zu erstatten sind. Das LSG hat weder festgestellt, in welcher Höhe die Leistungen jeweils monatlich erbracht wurden, noch in welcher Höhe ggf Einkommen jeweils monatsweise im hier streitbefangenen Zeitraum zu berücksichtigen war. Dass der Beklagte auf die "nachvollziehbaren Darlegungen" der Klägerin keine "Einwände vorgebracht" hat, ersetzt diese Feststellungen nicht.
Im Übrigen richtet sich gemäß § 104 Abs 3 SGB X der Umfang der Erstattungspflicht nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften, also den §§ 53 ff SGB XII. Danach ist zwar unerheblich, dass mit den Pflegeeltern keine Verträge nach den §§ 75 ff SGB XII geschlossen wurden (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 32). Es ist jedoch nicht festgestellt, welche Bedarfe des L insoweit zu decken und in welcher Höhe hierzu Leistungen erforderlich waren. Auch wenn die Leistung in einer Pflegefamilie nicht im Sinne einer Dienstleistung entlohnt werden kann und dem Leistungsträger daher für Art und Höhe der Leistung Ermessen zusteht (§ 17 Abs 2 SGB XII; vgl entsprechend BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 34, 37), ist stets nur das im Einzelfall zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs Erforderliche zu leisten (vgl Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 17 RdNr 40). Insoweit wird das LSG auch zu überprüfen haben, ob und in welcher Höhe die an Q. bezahlten Beträge Verwaltungskosten erfassten, die - je nach den noch zu treffenden Feststellungen des LSG - ggf keine für die Hilfe in einer Pflegefamilie erforderlichen Kosten waren.
Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs 3 und Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 und 2, § 52 Abs 1, § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Fundstellen
Haufe-Index 11554033 |
FEVS 2018, 496 |
SGb 2017, 709 |
ZfF 2018, 91 |