Leitsatz (redaktionell)
Auch wenn streitig ist, ob Versorgung wegen Ungewißheit über die Ätiologie des Magenkrebses gewährt werden kann (BVG § 89 Abs 2 idF des 1. NOG KOV und BVG § 1 Abs 3 S 2 idF des 2. NOG KOV), betrifft ein hilfsweise gestellter Beweisantrag nach SGG § 109 medizinische Vorfragen für die Ermessensentscheidung der Versorgungsverwaltung.
Deshalb darf das Gericht einen Antrag nach SGG § 109 ohne Verfahrensverstoß nicht mit der Begründung ablehnen, daß der medizinische Sachverhalt aufgrund der im vorangegangenen Verfahren wegen Hinterbliebenenrente eingeholten Gutachten hinreichend erörtert und - nach rechtskräftiger Ablehnung des Versorg. Anspruchs (BVG § 1 Abs 1) - nur noch über eine Rechtsfrage zu entscheiden sei.
Normenkette
BVG § 89 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27, § 1 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1964-02-21, Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; SGG § 109 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Juli 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin zu 1.) und Vater des Klägers zu 2.), R H (H.), leistete von 1941 bis Kriegsende Wehrdienst und war anschließend - 4 ½ Monate lang - bis zu seiner Entlassung im September 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft. 1941 zog er sich durch einen Sturz vom Pferde Prellungen zu; 1942/43 war er in Lazarettbehandlung wegen fieberhafter Erkrankung, Ruhr, Durchfällen, Malaria und Fleckfieber. In der russischen Gefangenschaft hat er nach eigenen Angaben an Fieber, Durchfällen und Stichen in der Herzgegend gelitten.
1951 hatte H. Versorgung wegen Rücken-, Herz- und Leberbeschwerden beantragt. Das Versorgungsamt (VersorgA) holte 1952 von dem Internisten Dr. G ein Gutachten ein. Die bei der Untersuchung durchgeführten Leberfunktionsproben ließen den Gutachter auf eine Leberschädigung schließen; außerdem wurde der Verdacht ausgesprochen, daß H. sich 1942 eine chronische Infektionskrankheit unklarer Art zugezogen habe. Auf Grund der klinischen Untersuchung und der stationären Behandlung des H. im P-Krankenhaus (Tropengenesungsheim) in T vom 14. April bis 21. Mai 1954 kam das Gutachten der Dres. R/B vom 24. Juni 1954 zu dem Ergebnis, daß eine fragliche Malariaerkrankung folgenlos abgeheilt und eine fragliche Fleckfiebererkrankung ohne bleibende organische Schädigungen abgelaufen sei. Dagegen wurde eine Infektion des Darmes mit Ruhramoeben und Lamblien als Wehrdienstfolge mit nachfolgendem postdysenterischem Syndrom diagnostiziert, das eine Leberparenchymschädigung, eine toxische Schädigung der Magenschleimhaut mit Störung der Magensaftbildung und eine Infektion der oberen Dünndarmabschnitte, der Gallenwege und der Gallenblase mit pathogenen Keimen beinhalte. Durch Bescheide vom 15. September 1954 und 30. Oktober 1954 wurden als Schädigungsfolgen Leber- und Magenschäden nach Infektion (Amöbenruhr und Lambliasis) anerkannt und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. ab 1. Juli 1951 bewilligt.
Im September 1955 stellte H. einen Verschlimmerungsantrag. Auf Grund einer stationären Behandlung im Städtischen Krankenhaus A vom 30. September 1955 bis 10. Oktober 1955 wurde der Befund eines Karzinoms im Bereich des Antrums (des Magens) mit Lebermetastasierung erhoben und im Stadtkrankenhaus K im Dezember 1955 auf Grund einer Leberspiegelung (Laparoskopie) die Durchsetzung der Leber mit Karzinommetastasen bei unbekanntem Primärtumor festgestellt. Am Magen fanden sich bei der röntgenologischen Untersuchung lediglich Veränderungserscheinungen durch die vergrößerte Leber. Am 3. April 1956 begab sich H. in das B-Institut in H, wo er am 22. April 1956 gestorben ist. Mit Bescheid vom 25. Juni 1956 lehnte das VersorgA den Verschlimmerungsantrag, mit Bescheid vom 21. Juni 1956 den im Mai 1956 gestellten Antrag auf Hinterbliebenenversorgung ab. Die Widersprüche gegen beide Bescheide waren erfolglos; sie wurden zurückgewiesen, nachdem Prof. Dr. M/Dr. B vom Tropeninstitut in H - auch auf Grund eigener Beobachtung des Verstorbenen vom 3. April bis 22. April 1956 - in dem Gutachten vom 28. Februar 1957 ausgeführt hatten, daß Malaria, wolhynisches oder Fleckfieber ohne Hinterlassung von Schädigungsfolgen ausgeheilt seien; es hätten sich (am Dickdarm) keine Geschwüre oder Narben gezeigt, die auf eine früher durchgemachte Ruhr hinweisen könnten. Auf Grund des Verlaufes der Erkrankung werde angenommen, daß das Magenkarzinom bereits die Ursache der 1950 aufgetretenen Blutarmut gewesen sei. Nach der Überzeugung der Gutachter habe auch keine chronische Amöbenruhr vorgelegen, ebensowenig eine chronische entzündliche Magenerkrankung (Gastritis oder Ulcus) als Voraussetzung der Anerkennung eines Magenkarzinoms als Schädigungsfolge.
Im Klageverfahren wurde gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Prof. Dr. B, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik in H, gutachtlich gehört. Dieser kam zu dem Ergebnis, daß die Magenkrebsgeschwulst auch ohne das Schädigungsleiden entstanden wäre und der Tod des H. als Folge der Magenkrebsgeschwulst mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht Schädigungsfolge im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei. Der nach § 106 SGG gehörte Gutachter Dr. D wies darauf hin, daß H. bis zur Entwicklung des Krebses immerhin über 10 Jahre an einer chronischen, anaciden Gastritis gelitten habe. Das Sozialgericht (SG) forderte darauf Prof. Dr. B zu einer ergänzenden Stellungnahme auf; dieser verblieb bei der vorher im Gutachten vom 9. Januar 1959 vertretenen Auffassung, da im tropischen Institut T zwar eine Anacidität des Magensaftes, im Tropenkrankenhaus H eine histaminrefrektäre Anacidität festgestellt worden, aber von einer Gastritis, also einer entzündlichen Schleimhautveränderung des Magens, weder bei der Antragstellung 1951 noch bei allen hausärztlichen und gutachterlichen Untersuchungen jemals die Rede gewesen sei; auch bei Röntgenuntersuchungen des Magens sei nie eine Magenschleimhautentzündung festgestellt worden; eine chronische Amöbenruhr habe ebenfalls mit Sicherheit nicht vorgelegen. Der im Termin vom 6. September 1960 von dem SG gehörte medizinische Gutachter Dr. H kam zu dem Ergebnis, daß bei dem zeitlich vorhergehenden Befunderhebungen das Vorliegen einer chronischen Gastritis nicht ausgeschlossen worden sei und damit die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs des Magenkarzinoms mit dem anerkannten Schädigungsleiden nicht in Abrede gestellt werden könne. Er schlug die Gewährung einer Rente im Rahmen des Härteausgleichs vor. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 6. September 1960 abgewiesen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung haben die Kläger zurückgenommen, nachdem sie ein Gutachten des Internisten Dr. S vorgelegt hatten und Prof. Dr. G/Dr. M noch gutachtlich gehört worden waren. Diese hatten in dem Gutachten vom 31. Juli 1963 die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs des Krebsleidens mit den anerkannten Schädigungsfolgen und sonstigen Einflüssen des Wehrdienstes verneint. Den im Termin vor dem LSG vom 25. Oktober 1963 gestellten Antrag der Klägerin zu 1.), ihr im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 Ziff. 2 BVG vom 1. Juni 1960 an Versorgung zu gewähren, lehnte das VersorgA nach versorgungsärztlicher Stellungnahme des Dr. U durch Bescheid vom 14. Dezember 1964 ab, da sich ein Magenkrebs in der Regel etwa ein Jahr vor der Objektivierung entwickle und hier angenommen werden könne, daß er zwischen Mitte 1954 und Mitte 1955 entstanden sei; die 1942 in Rußland durchgemachte Amöbenruhr habe auf die Krebserkrankung keinen Einfluß genommen; auch ohne diese Schädigungsfolge wäre der Krebs zur Ausbildung gekommen. Der Widerspruch war erfolglos.
Hiergegen haben die Kläger (nicht nur die Klägerin zu 1.)) Klage erhoben. Im gerichtlichen Verfahren ist kein Beweis mehr erhoben worden. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19. August 1965 ab-, das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 11. Juli 1966 die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Die in § 89 Abs. 2 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) enthaltene und in § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG idF des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) aufgenommene inhaltsgleiche Vorschrift für die Gewährung eines Härteausgleichs als Kann-Leistung habe den gerichtlich nachprüfbaren Begriff zum Inhalt, daß die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben sei, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der ärztlichen Wissenschaft Ungewißheit bestehe (die Voraussetzungen für einen Härteausgleich "in einzelnen Fällen" - § 89 Abs. 1 BVG - seien vorliegend nicht gegeben). Auf Grund der Ausnahmevorschrift des § 89 Abs. 2 BVG solle die Ungewißheit in der ärztlichen Wissenschaft über die Ursache eines geltend gemachten Leidens den Hinterbliebenen nicht zum Nachteil gereichen, wenn die äußeren Umstände auf einen Zusammenhang schließen ließen. Ergäben jedoch die äußeren Umstände, z. B. die zeitlichen Zusammenhänge, nicht schon hinreichend zwingende Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang, dann entfielen die Voraussetzungen für einen Härteausgleich. Die Versorgungsbehörde sei im Falle der Kläger den zeitlichen Zusammenhängen des Krebsleidens des H. mit dem Wehrdienst nachgegangen. Dr. U habe - vor Erlaß der Ermessensentscheidung - an Hand der vorliegenden Befunde, vor allem der Tropeninstitute T und H, sowie der Gutachten von Prof. Dr. B und Prof. Dr. G dargelegt, daß das Krebsleiden wahrscheinlich zwischen Sommer 1954 und Sommer 1955 entstanden sei. Wenn nach dem Gutachten von Prof. Dr. M schon gewisse 1950 erhobene Symptome (die Blutarmut) Hinweise auf ein Krebsleiden sein könnten, so sei mit dieser Möglichkeit für den Anspruch auf einen Härteausgleich nichts gewonnen, da die Möglichkeit hier nicht genügten und keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß das Krebsleiden bereits vor dem Jahre 1954 vorhanden gewesen sei. Aber selbst wenn es schon 1950 begonnen haben sollte, würde sich immer noch nicht ein zeitlicher Zusammenhang mit den dafür angeschuldigten Schädigungen in den Jahren 1942 bis 1945 herstellen lassen. Die Versorgungsbehörde habe sich auf das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren gestützt und auch stützen dürfen. Vor allem hätten die Gutachten von Prof. Dr. B und Prof. Dr. G ihr erlaubt, auch bei der Prüfung des Härteausgleichs die Meinung zu vertreten, daß der Anspruch der Kläger nicht, geschweige denn nicht "nur", daran gescheitert sei, daß in der ärztlichen Wissenschaft Ungewißheit über den ursächlichen Zusammenhang des Krebsleidens bestehe. Die Sachverständigen hätten den Hinterbliebenenrentenanspruch nicht abgelehnt, weil die Wissenschaft im unklaren über die Ursache des Krebses sei, sondern weil die vorliegenden Befunde einen solchen Zusammenhang unwahrscheinlich machten. Prof. Dr. B, ein besonders erfahrener Sachkenner auf dem Gebiet der Krebserkrankungen habe klar ausgesprochen, daß das Krebsleiden sich auch entwickelt hätte, wenn H. nicht kriegsbeschädigt gewesen sei. Die Versorgungsbehörde sei nicht verpflichtet gewesen, vor der Ermessensentscheidung ein Ergänzungsgutachten von Prof. Dr. B oder einem anderen Sachverständigen einzuholen. Der medizinische Sachverhalt sei hinreichend erörtert. Die Auswertung des Akteninhalts erlaube es ohne weiteres, § 89 Abs. 2 BVG aF und § 1 Abs. 3 BVG nF anzuwenden. Dies sei eine materiell-rechtliche Entscheidung, für die Vorschläge ärztlicher Sachverständiger nicht ausschlaggebend seien. Des - halb sei auch der Hilfsantrag der Kläger abgelehnt worden, ein Gutachten (von Prof. Dr. B) nach § 109 SGG einzuholen. Selbst wenn ein solches Gutachten den Anspruch der Kläger befürwortete, könne die angefochtene Entscheidung nicht aufgehoben werden.
Mit der zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung des § 109 SGG. Das LSG habe den hilfsweise gestellten Antrag der Kläger auf gutachtliche Anhörung des Prof. Dr. B nicht ablehnen dürfen. Offenbar habe das LSG die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob einem Antrag nach § 109 SGG auch dann stattgegeben werden müsse, wenn - die Erheblichkeit der Beweisfrage vorausgesetzt - bei Streit um eine Ermessensleistung auf Grund medizinisch relevanter Umstände der Nachweis eines ermessenswidrigen Handelns der Versorgungsbehörde geführt werden solle. Diese Frage sei in dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. August 1963 - 11 RV 430/61 - schon grundsätzlich entschieden worden. Die Kläger hätten mit der von ihnen nach § 109 SGG beantragten erneuten medizinischen Beurteilung dartun wollen, daß die Voraussetzungen des § 89 Abs. 2 BVG idF des 1. NOG bzw. des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG idF des 2. NOG gegeben seien. Diese Frage hätte das LSG auf Grund der ihm vorliegenden Sachverständigengutachten aber nicht entscheiden können, da diese Gutachten sich nur mit dem Rechtsanspruch der Kläger auf Versorgung und nur mit der Frage der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs der Gesundheitsstörung mit dem Wehrdienst im Sinne des § 1 Abs. 3 BVG zu befassen gehabt hätten. Der in der Berufungsbegründung unglücklich gefaßte Antrag (zu § 106 SGG) habe der Berücksichtigung des Antrages nach § 109 SGG nicht entgegengestanden, da er im Zweifel auf alle für das Klagebegehren bedeutsamen medizinischen Fragen zu beziehen gewesen sei.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der gerügte Verfahrensmangel liege nicht vor. Die hier in Frage stehende Beweisfrage sei nicht erheblich gewesen, denn Prof. Dr. G und Prof. Dr. B hätten klar ausgesprochen, daß die vorliegenden Befunde einen ursächlichen Zusammenhang unwahrscheinlich machten. Prof. Dr. B habe zudem ausdrücklich hervorgehoben, daß sich das Krebsleiden auch entwickelt hätte, wenn H. nicht kriegsbeschädigt gewesen wäre.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist deshalb zulässig (§§ 164, 166 SGG). Sie ist - im Sinne der beantragten Zurückverweisung - auch sachlich begründet.
Mit Recht rügt die Revision als Verfahrensmangel, daß das LSG den Hilfsantrag der Kläger, von Prof. Dr. B ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, abgelehnt hat. Mit diesem Antrag haben die Kläger die Überprüfung der medizinischen Grundlagen des Bescheides vom 14. Dezember 1964 begehrt. Die Begründung für den im Schriftsatz vom 17. März 1966 gestellten Antrag nach § 106 SGG, in dem als erheblich angesehen worden ist, ob nach irgendeiner der in der medizinischen Wissenschaft über die Ätiologie des Magenkrebses geltenden Arbeitshypothesen der Tod des H. wahrscheinlich auf Einwirkungen des Wehrdienstes oder der Kriegsgefangenschaft zurückgeführt werden könne, war für den nach § 109 SGG gestellten Antrag unerheblich. Dieser Antrag war angesichts des Umstandes, daß Versorgung nach § 89 Abs. 2 BVG aF, § 1 Abs. 3 Satz 2 SGG beantragt worden war, so auszulegen, daß eine gutachtliche Äußerung über alle streitigen medizinischen Fragen, die für dieses Klagebegehren bedeutsam sind, begehrt wurde (vgl. BSG-Urteil vom 20. August 1963 - 11 RV 430/61 -; KOV 1964 S. 152, 153). Im übrigen war das Beweisthema des Antrages nach § 106 SGG so weit gefaßt, daß sich auch für eine medizinische Begutachtung nach § 109 SGG ein entsprechend ausgedehnter Rahmen ergab; nach der darin zum Ausdruck gebrachten Auffassung sollte es genügen, daß auch nur eine wissenschaftliche Arbeitshypothese einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Magenkrebs und dem anerkannten Leidenszustand annehme.
Die Vorschrift des § 89 Abs. 2 BVG idF des 1. NOG (aF) hat im wesentlichen unverändert Eingang in § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG idF des 2. NOG (nF) gefunden. Das Dritte Neuordnungsgesetz (3. NOG) vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) hat durch die Einfügung der Worte "in gleicher Weise wie für Schädigungsfolgen" in § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG (hinter "Versorgung") hier keine irgendwie erhebliche Änderung gebracht. Die Versorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG nF als Ermessensleistung ist an die Voraussetzung geknüpft, daß die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit "nur" deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht. Auch bei der Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG läßt das Gesetz somit nicht die - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem zu beurteilenden Leiden als Folge einer anerkannten Schädigung und dem militärischen Dienst genügen. Es ist vielmehr lediglich die Möglichkeit eines solchen Zusammenhanges - wegen der unbekannten Atiologie - zu unterstellen und dann zu prüfen, ob unter dieser Voraussetzung bei Anwendung allgemeiner ärztlicher Erfahrungssätze und der dadurch begrenzten Erkenntnismöglichkeiten - nach dem Ablauf des Leidens und dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Kriegsdienst - ein ausreichender Anhalt dafür besteht, den ursächlichen Zusammenhang des Leidens mit anerkannten Schädigungsfolgen und dem Wehrdienst i. S. des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG zu bejahen (vgl. dazu bes. Roemer, KOV 1965 S. 201; Prof. Dr. B, Grundsatzgutachten in Schriftenreihe des Bundesversorgungsblattes Heft 2, zum Magenkrebs S. 9 - 11 ; Rauschelbach, KOV 1967 S. 84 - gegen Scholmann, KOV 1967 S. 23 ff - Wilke, Bundesversorgungsgesetz, Handkomm. 3. Aufl. § 1 VI mit weiteren Nachweisen; Verwaltungsvorschrift - VerwV - Nr. 4 zu § 1 BVG vom 23. Januar 1965 - Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29. Januar 1965 - sowie Rundschreiben des BMA vom 25. April 1968 in BVBl 1968 S. 82). Bei den Voraussetzungen für die Ermessensentscheidung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG handelt es sich um einen gesetzlichen Tatbestand, der einer unbeschränkten richterlichen Nachprüfung im Sozialgerichtsverfahren unterliegt (vgl. zu dem Rechtsbegriff der besonderen Härte i. S. des § 89 BVG auch Urteil des BSG vom 18. Dezember 1963 - 7 RV 1302/61 - in KOV 1964 S. 195, 196 - BSG in SozR Nr. 1 - Ca 1 - zu § 89 BVG). Sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift als Rechtsbegriff nicht erfüllt, kann eine Ablehnung nicht rechtswidrig sein, weil in diesem Fall die in § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG enthaltene Ermächtigung eine Ermessensentscheidung nicht zuläßt. Das bedeutet, daß der Richter, soweit die Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG streitig und von einer medizinischen Beurteilung abhängig ist, auf die ablehnende Ermessensentscheidung der Versorgungsverwaltung vom Amts wegen nach § 103 SGG nicht näher einzugehen braucht, wenn auf Grund einer verfahrensfehlerfreien Beweiswürdigung auch unter Berücksichtigung einer in der Wissenschaft bestehenden Ungewißheit über die Ursache des festgestellten Leidens die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges der Gesundheitsstörung oder des Todes als Folge einer Schädigung verneint werden kann. Ist darüber hinaus auch unstreitig, daß der in § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG vorausgesetzte medizinische Sachverhalt für eine Ermessensentscheidung nicht vorliegt, so sind alle Beweisanträge, die nur noch darauf abzielen, die bei der Ermessensentscheidung angestellten Erwägungen aus medizinischen oder anderen Gründen zu bekämpfen, unerheblich. Dies gilt in einem solchen Fall auch für Beweisanträge nach § 109 SGG, denn dann ist der noch streitige Sachverhalt für die Entscheidung aus Rechtsgründen unerheblich (vgl. auch BSG in SozR Nr. 25 zu § 109 SGG und das erwähnte Urteil des BSG vom 20. August 1963, KOV 1964 S. 152).
Ist - wie hier - ein Rechtsanspruch auf Versorgung nach § 1 Abs. 1, 3 (Satz 1) BVG rechtskräftig abgelehnt und darf das Gericht in dem wegen Versagung von Versorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG anhängigen Verfahren aus dem Gutachten, die in dem Vorprozeß erstattet worden sind, die Überzeugung gewinnen, daß unabhängig von der unbekannten Ätiologie des Leidens, das zum Tode geführt hat (hier Magenkrebs), der Zusammenhang zwischen dem Leiden und den Einflüssen des Wehrdienstes oder der Gefangenschaft unwahrscheinlich ist, so ist kein Raum mehr für weitere Ermittlungen von Amts wegen nach § 103 SGG. Obgleich das Gericht den medizinischen Sachverhalt für ausreichend geklärt hält und auch halten darf, kann es jedoch einen - nicht verspätet gestellten - Antrag nach § 109 SGG über streitige, nach seiner Auffassung geklärte, aber als solche von ihm selbst als beweiserheblich angesehene medizinische Fragen nicht ablehnen. Die Ausführungen des LSG in dem angefochtenen Urteil darüber, daß nach der Auffassung von Prof. Dr. B das Krebsleiden sich auch entwickelt hätte, wenn H. nicht kriegsbeschädigt gewesen wäre, mögen sachlich-rechtlich geeignet gewesen sein, zu begründen, daß es im vorliegenden Falle auf die Ungewißheit über die Ätiologie des Magenkrebses nicht ankomme und eine Versorgung schon deshalb abgelehnt werden durfte, weil auf Grund ärztlicher Erfahrung unabhängig von der Ungewißheit über die Ursachen des Magenkrebses der Zusammenhang zwischen diesem Leiden und den Einflüssen des Wehrdienstes ausgeschlossen werden könne. Diese Auffassung des LSG wurde zwar auch durch die Ausführungen in dem Gutachten des Prof. Dr. B vom 9. Januar 1959 gestützt, daß das Krebsleiden wahrscheinlich erst zwischen Mitte 1954 und Mitte 1955 zur Entwicklung gekommen sei. Das LSG mag auch ausreichende Gründe für die Auffassung gehabt haben, es lasse sich selbst dann, wenn das Krebsleiden schon 1950 begonnen habe, der zeitliche Zusammenhang mit den dafür angeschuldigten Schädigungen in den Jahren 1942 bis 1945 nicht herstellen. Es konnte aber den Antrag nach § 109 SGG nicht mit der Begründung ablehnen, daß der medizinische Sachverhalt hinreichend erörtert worden sei und deshalb die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht beanstandet werden könne. Das LSG mußte diesem Antrag entsprechen, wenn streitig geblieben war, ob Versorgung wegen Ungewißheit über die Ätiologie des Magenkrebses gewährt werden konnte oder nicht. Denn dann betraf der Beweisantrag die medizinischen Vorfragen für die Ermessensentscheidung über die Bewilligung des Härteausgleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG. Diese Vorfragen hätten nach Auffassung der Kläger bejaht werden müssen. Da die Entscheidung eine ärztliche Beurteilung des streitigen und auch beweiserheblichen Sachverhalts erforderte, hatte das LSG damit auch nicht nur über eine bloße Rechtsfrage zu entscheiden.
Ein Antrag nach § 109 SGG ist im übrigen auch bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung nicht unzulässig, wenn die Ermessensentscheidung von der Klärung medizinischer Fragen abhängig ist (vgl. das erwähnte Urteil des BSG vom 20. August 1963).
Die Ausführungen der Kläger im Klage- und Berufungsverfahren lassen keinen Zweifel darüber, daß sie in vollem Umfang die medizinischen Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG überprüft wissen wollten; insbesondere hatten sie in den Schriftsätzen vom 11. August 1965 und 17. März 1966 geltend gemacht, daß die Wahrscheinlichkeit der Anerkennung des Todes des H. als Schädigungsfolge nur deshalb nicht gegeben sei, weil über die Ursache des Magenkrebses in der ärztlichen Wissenschaft Ungewißheit bestehe. Zum Nachweis hierfür hatten sie sich auf das Gutachten des Dr. S vom 31. Mai 1961 bezogen, der die Auffassung vertreten hatte, daß eine Amöbenruhr mit nachfolgender anacider Gastritis als Schädigungsfolge anerkannt gewesen sei, daß sich eine chronische Amöbenruhr entwickelt habe und daß alle Kriegserfahrungen dafür sprächen, daß ein während des Krieges erworbener Magen- und Magendarmkatarrh hauptsächlich nach Ruhr, Typhus usw. bei längerem Bestehen zur Krebsbildung führen könne. Ferner hatten die Kläger sich auf das Gutachten des Dr. H vom 6. September 1960 bezogen, der zu der Auffassung gekommen war, daß ein Härteausgleich nicht versagt werden könne. Im Berufungsverfahren haben die Kläger mit Schriftsatz vom 17. März 1966 gerügt, daß das SG nicht nachgeprüft habe, ob ein Sachverhalt feststellbar sei, der unter den in § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG vorausgesetzten Rechtsbegriff falle. Ob die von den Klägern und den Sachverständigen Dr. S und Dr. H vertretene Auffassung im sachlichen Ergebnis richtig war, ob insbesondere auf Grund der von dem LSG erwähnten anderen medizinischen Gutachten als erwiesen angesehen werden konnte, daß die Ungewißheit der Ätiologie des Magenkrebses für die Ablehnung des Versorgungsanspruchs nicht erheblich gewesen sei, war für die Entscheidung über den Antrag nach § 109 SGG nicht wesentlich, sofern nur mit diesem Antrag die medizinischen Grundlagen angegriffen werden sollten, auf denen die von dem LSG vertretene gegenteilige Meinung beruhte. Das aber war hier der Fall. Das LSG konnte sich dafür, daß der Antrag nach § 109 SGG nicht beweiserheblich sei, nicht auf die Rechtskraft des Urteils des SG vom 6. September 1960, mit dem die Klage abgewiesen worden war, stützen, denn die Rechtskraft dieses Urteils ging nicht über den Streitgegenstand hinaus, also nicht über die Feststellung, daß der "Anspruch" der Kläger auf höhere Rente bzw. auf Hinterbliebenenrente mit Recht abgelehnt worden war (§ 141 SGG). Die Bindungswirkung erstreckte sich insbesondere nicht auf die Begründung im einzelnen und nicht auf die Feststellungen, die für die Bewilligung oder Ablehnung einer Kann-Leistung Bedeutung gewinnen konnten. Der Antrag auf Einholung eines erneuten Gutachtens von Prof. Dr. B nach § 109 SGG war auch nicht deshalb unzulässig, weil dieser im Vorprozeß bereits ein Gutachten nach § 109 SGG und dazu eine ergänzende Stellungnahme abgegeben hatte. Darin waren zwar auch Ausführungen über die noch keineswegs sicher geklärte Frage eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen einer chronischen Gastritis und der Entstehung einer Magenkrebsgeschwulst, über das Erfordernis einer entzündlichen Schleimhautveränderung des Magens bei histaminrefrektärer Anacidität des Magensaftes sowie darüber enthalten, daß bei H. eine chronische Amöbenruhr nicht vorgelegen habe. Diese Ausführungen standen aber nur unter dem Blickpunkt, daß die vom Gesetz geforderte Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem anerkannten Magenleiden und dem zum Tode führenden Magenkrebsleiden nicht bejaht werden könne. Dazu genügt bei einem Leiden mit unbekannter Ätiologie der Hinweis auf diese medizinische Ungewissheit, die Frage, wie der Zusammenhang zwischen dem zu beurteilenden Leiden und den Einflüssen des militärischen Dienstes zu beurteilen wäre, wenn die Ursachen des Leidens bekannt wären, fiel aus dem Rahmen des Gutachterauftrages. Mindestens konnte eine Ergänzung dieser Ausführungen, etwa in Fortführung der von Prof. Dr. G in dem Gutachten vom 31. Juli 1963 (S. 9 ff) diskutierten Problematik erwartet werden, wenn dem Gutachter eine den Erfordernissen des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG entsprechende Beweisfrage vorgelegt worden wäre.
Da das angefochtene Urteil auf dem mit Erfolg gerügten Verfahrensmangel einer Verletzung des § 109 SGG beruht, war es aufzuheben. Die Sache war an das LSG zurückzuverweisen, weil eine Entscheidung erst nach Berücksichtigung des übergangenen Beweisantrages der Kläger zulässig ist und diese Entscheidung anders als bisher ausfallen kann. Bei der neuen Entscheidung wird das LSG zu berücksichtigen haben, daß ein ablehnender Bescheid mit Wirkung gegen den Kläger zu 2.) noch nicht ergangen ist. Mit den Bescheiden vom 14. Dezember 1964 und 7. April 1965 wurde nur der Antrag der Klägerin zu 1.), ihr Versorgung zu gewähren, abgelehnt.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen