Leitsatz (amtlich)
Die Minderung des Bruttoeinkommens eines Beschädigten aus Landwirtschaft, die sich aus der schenkweisen Übertragung des Miteigentums an den Grundstücken des landwirtschaftlichen Betriebes auf seine Ehefrau ergibt, erfolgt objektiv auch dann ohne verständigen - dh die Zwecke der Versorgung mitberücksichtigenden - Grund, wenn die Schenkung einer Familientradition entspricht.
Normenkette
BVG§33DV § 1 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1967-11-09; BVG§30Abs3u4DV § 9 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1968-02-28
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Oktober 1974 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger sind die Witwe und die Kinder des am 8. Juli 1973 verstorbenen Landwirts Hermann L (L.). Dieser beantragte am 17. Dezember 1970 aufgrund eines am 7. Dezember 1970 abgeschlossenen notariellen Vertrages die Neufeststellung seiner Versorgung, weil er seiner Ehefrau die ideelle Hälfte seiner Grundstücke geschenkt und übertragen hatte. Das Versorgungsamt rechnete ihm im Bescheid vom 13. Januar 1971 jedoch weiterhin den Ertrag aus dem gesamten landwirtschaftlichen Betrieb als Einkommen an. Den Widerspruch wies das Landesversorgungsamt durch Bescheid vom 22. April 1971 mit der Begründung zurück, die Verfügung des L. über die Hälfte seiner Grundstücke sei ohne verständigen Grund erfolgt.
Das Sozialgericht (SG) Marburg hat mit Urteil vom 24. August 1972 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, ab 1. Januar 1971 auf die einkommensabhängigen Versorgungsleistungen des L. nur noch die Einkünfte aus Landwirtschaft von der ihm gehörenden Fläche anzurechnen. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 22. Oktober 1974 das Urteil des SG Marburg aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat die Berufung für zulässig erachtet, weil das SG sie aus näher dargelegten Gründen willkürlich nicht zugelassen habe. Aber auch aus § 150 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) folge die Zulässigkeit der Berufung, weil der Beklagte zutreffend wesentliche Mängel im Verfahren des SG gerügt habe. Das SG habe insbesondere gegen die §§ 128 und 103 SGG verstoßen, weil es die tatsächlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 2 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 33 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) idF vom 9. November 1967 (BGBl I 1140 - DVO 67 -) nicht aufgeklärt und die Übertragung der Hälfte des Grundbesitzes des L. auf seine Ehefrau als "Familientradition" angesprochen habe, ohne die insoweit erforderliche Sachaufklärung durchzuführen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Begründet sei die Berufung, weil für die Übertragung des Miteigentums auf die Ehefrau des L. ein verständiger Grund im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 der DVO 67 fehle; denn eine Familientradition dürfe jedenfalls nicht zur zusätzlichen Belastung der Sozialgemeinschaft führen; eine Vorsorge für den Todesfall hätte hier durch testamentarische Verfügung ohne solche Belastung erfolgen können.
Die Kläger haben gegen das ihnen am 14. Februar 1975 zugestellte Urteil am 11. März 1975 Revision eingelegt und diese innerhalb der bis zum 14. Mai 1975 verlängerten Revisionsbegründungsfrist begründet. Sie beantragen,
das Urteil des Hessischen LSG vom 22. Oktober 1974 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Marburg vom 24. August 1972 als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
sie als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kläger rügen eine Verletzung des § 150 Nr. 1 und Nr. 2 SGG, weil das LSG die Berufung des Beklagten rechtsirrig nicht als unzulässig verworfen habe. Auch § 1 Abs. 2 Satz 2 DVO 67 sei verletzt. Schon bei der Eheschließung habe L. seiner Ehefrau das Miteigentum an den Betriebsgrundstücken einräumen sollen; dies sei nur wegen des Widerstandes der Eltern des L. gegen die Heirat unterblieben. Im übrigen stehe die in der Landwirtschaft wegen der dort gegebenen besonderen Verhältnisse häufig anzutreffende eigentumsmäßige Beteiligung der mitarbeitenden Ehefrau nicht im Widerspruch zum Begriff der Kriegsopferversorgung, sondern gleiche nur eine auf Kosten der im landwirtschaftlichen Betrieb mitarbeitenden Ehefrau erfolgende ungerechtfertigte Leistungsbefreiung des Versorgungsträgers aus.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er meint, das LSG habe mit Recht die Zulässigkeit der Berufung bejaht und einen verständigen Grund für die schenkweise Beteiligung der Klägerin zu 1) am Eigentum der Betriebsgrundstücke verneint.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist zulässig; sie erweist sich sachlich aber als nicht begründet.
Zu Recht hat das LSG zunächst die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG für zulässig erachtet. Ob diese rechtliche Beurteilung allerdings überzeugend auf die vom LSG in erster Linie angeführten Gründe zu § 150 Nr. 1 SGG - insbesondere auf den dem SG gemachten Willkürvorwurf - gestützt werden kann, läßt der Senat dahingestellt. Denn auch wenn das nicht zutrifft, folgt die Zulässigkeit der Berufung daraus, daß zumindest einer der mit der Berufung gerügten Mängel im Verfahren des SG vorliegt (§ 150 Nr. 2 SGG). Dieser liegt darin, daß der Feststellung des SG, die Übertragung der Hälfte des Grundbesitzes des L. auf seine Ehefrau entspreche einer Familientradition, eine hinreichende Sachaufklärung nicht vorangegangen ist. Das SG hat zwar die Versorgungsakten des L. und damit auch die dort auf Bl. 175 bis 177 befindliche Abschrift des notariellen Übergabevertrags der Landwirtschaft der Eltern des L. an diesen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Aus der im Eingang dieses Vertrages enthaltenen Angabe, daß die Eltern des L. Miteigentümer waren, als sie den Grundbesitz auf ihren Sohn übertrugen, konnte das SG jedoch noch nicht auf eine "Familientradition" des Inhalts schließen, der im landwirtschaftlichen Betrieb mitarbeitenden Ehefrau sei schenkweise zur Hälfte das Eigentum an den Betriebsgrundstücken zu übertragen. Denn unbeschadet der Frage, ob dazu schon das Verhalten einer Generation - der Eltern des L. - ausgereicht hätte, hat das SG hierzu nicht einmal festgestellt, ob diese die Grundstücke durch Kauf oder durch Erbgang - gegebenenfalls von welcher Seite - erworben hatten. Der Beklagte hat daher insoweit mit der Berufung zutreffend jedenfalls die Verletzung des § 103 SGG gerügt.
In der Sache selbst hat das LSG zutreffend den hier streitigen Anspruch auf Neufeststellung der einkommensabhängigen Versorgungsleistungen verneint, weil es an einer rechtserheblichen Änderung der Verhältnisse (§ 62 Abs. 1 BVG) fehlt. Für die Ausgleichsrente folgt das aus § 1 Abs. 2 Satz 2 DVO 67 und für den Berufsschadensausgleich aus § 9 Abs. 4 Satz 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF vom 28. Februar 1968 (BGBl I 194). Danach ist, wenn der Schwerbeschädigte ohne verständigen Grund über Vermögenswerte in einer Weise verfügt hat, daß dadurch sein bei der Feststellung der Ausgleichsrente zu berücksichtigendes Einkommen gemindert wird, die Ausgleichsrente so festzustellen, als hätte er die Verfügung nicht getroffen. Ebenso bleibt beim Berufsschadensausgleich die ohne verständigen Grund verursachte Minderung des derzeitigen Bruttoeinkommens u berücksichtigt Wie der erkennende Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat, erfüllt ein allein aus der Lage und von den Zielen des Versorgungsberechtigten her verständiges subjektives Motiv (wie z. B. Erleichterung der Scheidung, Tilgung von Schulden des verstorbenen Ehemannes oder Unterstützung des Sohnes beim Erwerb einer Eigentumswohnung) den Begriff des verständigen Grundes noch nicht (vgl. Urteil vom 8. März 1966 - 10 RV 708/65 - in BVBl 1966, 119; Urteil vom 11. November 1966 - 10 RV 270/64 - in BSG 25, 262; Urteil vom 27. März 1974 - 10 RV 113/73 - in SozR 3100 Nr. 1 zu § 40 a BVG). Es muß sich vielmehr bei dem "verständigen Grund" um einen objektiv verständigen Grund handeln. Das ist aber nur dann der Fall, wenn nicht nur in einseitiger Weise die privaten, persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Interessen des Beschädigten sondern daneben auch die Interessen des Versorgungsträgers - der Allgemeinheit - und die den einzelnen Versorgungsleistungen zugrunde liegenden Prinzipien Berücksichtigung finden.
Diesen Anforderungen genügt die Übertragung der Hälfte des Grundbesitzes des L. auf seine Ehefrau nicht. L. hatte zwar im Rahmen der verfassungsrechtlich abgesicherten freien Verfügung über sein Eigentum (Art. 14 des Grundgesetzes) auch die Wahl, seiner Ehefrau - einer möglicherweise bestehenden Familientradition folgend - die Hälfte des Eigentums an seinen Betriebsgrundstücken zu schenken oder ihre Stellung im Betrieb anderweitig - etwa testamentarisch - abzusichern. Er durfte aber, wenn er sich für die schenkweise Beteiligung seiner Ehefrau am Eigentum entschied, nicht erwarten, daß ihm die Allgemeinheit den rechtlich damit verbundenen Verzicht auf die Hälfte der Betriebseinnahmen zugunsten seiner Ehefrau aus den für die Kriegsopfer zur Verfügung stehenden Mittel ausgleichen würde. Denn der namentlich in dem zuletzt genannten Urteil vom erkennenden Senat betonte Grundsatz des Vorrangs der Verwertung eigenen Einkommens vor Inanspruchnahme der insoweit subsidiär ausgestalteten einkommensabhängigen Versorgungsleistungen verbietet es, die von der Allgemeinheit für die Kriegsopferversorgung aufgebrachten Mittel zum Ausgleich derjenigen Einkommensverluste heranzuziehen, die sich aus freiwillig erbrachten Vermögensopfern ergeben. Das müßte auch für die von den Klägern geltend gemachte Familientradition gelten. Denn sie würde sich ebenso wie die nicht traditionsgebundene Schenkung als ein freiwillig erbrachtes Vermögens- und damit auch Einkommensopfer erweisen, dessen Ausgleich nicht mehr von dem Zweck der Versorgungsleistungen gedeckt wäre.
Der Revision ist zuzugeben, daß namentlich bei beschädigten Landwirten wegen des Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft kaum ohne die Mitarbeit der Ehefrau des Beschädigten auszukommen sein wird. Diese Verhältnisse mögen auch Anlaß für die von der Revision erwähnte Praxis sein, die Ehefrau des Betriebsinhabers eigentumsmäßig zur Hälfte an dem Betrieb zu beteiligen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß ein Anspruch darauf nicht besteht. Nach § 1356 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist jeder Ehegatte verpflichtet, im Beruf oder Geschäft des anderen Ehegatten mitzuarbeiten, soweit dies nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist. Wenn die Ehefrau über die Führung des Haushaltes hinaus aus den in § 1360 BGB genannten Gründen zu einer Erwerbsfähigkeit verpflichtet ist, so ist nach § 1360 b BGB im Zweifel nicht anzunehmen, daß sie deshalb beabsichtigt, von dem anderen Ehegatten Ersatz zu verlangen; jedenfalls muß aber eine etwaige Entschädigung der Frau für ihre Mehrarbeit nicht in der eigentumsmäßigen Beteiligung an der gemeinsam betriebenen Landwirtschaft bestehen. Deshalb kann die hier vorgenommene schenkweise Übertragung des Miteigentums nicht als aus einem auch objektiv verständigen Grund erfolgt angesehen werden (wegen der Berücksichtigung eines etwaigen Entgelts aus dem Einkommen des Ehemannes, die hier nicht streitig ist, vgl. § 9 Abs. 1 letzter Absatz der DVO 68 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG sowie den in § 8 Abs. 1 Satz 1 der DVO 67 zu § 33 BVG iVm § 4 Abs. 1 und 3 des Einkommensteuergesetzes verwendeten Gewinnbegriff).
Da weitere Umstände, aus denen hier ein verständiger Grund zur schenkweisen Übertragung des Miteigentums hergeleitet werden könnte, nicht vorgebracht und auch nicht ersichtlich sind, muß die Revision der Kläger zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen