Entscheidungsstichwort (Thema)
Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr. Flämmen eines Feldes landwirtschaftliche Tätigkeit
Orientierungssatz
1. Sind die für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 5 RVO in Betracht zu ziehenden Umstände gegenüber denjenigen, welche die Anwendung des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO rechtfertigen, von so untergeordneter Bedeutung, daß sie als rechtlich unerheblich außer Betracht zu bleiben haben, richtet sich der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO (vgl BSG 30.1.1986 - 2 RU 19/84 = SozR 2200 § 539 Nr 116).
2. Das Eindämmen des von einem Landwirt entfachten Feuers auf dem Feld und das Löschen des auf fremde Felder übergegriffenen Feuers gehören nach der Art der Verrichtungen zur versicherten Tätigkeit des Flämmens. Dem Zuordnen einer solchen Verrichtung zu der versicherten Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer steht auch nicht entgegen, daß ohne das Eingreifen des Landwirts möglicherweise eine allgemeine Gefahr drohte.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 5; RVO § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 26.09.1986; Aktenzeichen L 3 U 644/85) |
SG Kassel (Entscheidung vom 24.04.1985; Aktenzeichen S 3 U 171/83) |
Tatbestand
Im Rahmen des Erstattungsbegehrens der Klägerin streiten die Beteiligten darüber, wer als Leistungsträger den Arbeitsunfall des Beigeladenen zu entschädigen hat.
Der Beigeladene ist als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Klägerin gegen Arbeitsunfall versichert. Nach den Ermittlungen der Klägerin, insbesondere nach den Feststellungen ihres technischen Aufsichtsbeamten, war der Beigeladene am 12. August 1982 damit beschäftigt, seinen Acker in der Gemarkung O. abzuflämmen und umzubrechen. Durch plötzlich aufkommenden Wind mit entsprechendem Funkenflug griff das Feuer auf Nachbaräcker über. Bei dem Versuch, mit dem Grubber am Schlepper den Übertritt des Feuers auf das Feld eines anderen Landwirtes, auf dem noch Weizen stand, zu verhindern, erlitt der Beigeladene ua Verbrennungen 2. bis 3. Grades an den Armen, am Kopf und auf dem Rücken, so daß eine stationäre Heilbehandlung erforderlich wurde. Die Klägerin übernahm die Kosten der Heilbehandlung und gewährte vorläufige Leistungen.
Ihre Aufforderungen an den Beklagten, die ihr entstandenen Kosten zu erstatten und die Leistungen zu übernehmen, weil der Beigeladene in Abwendung eines weiteren drohenden Schadens und zur Abwendung gemeiner Gefahr nach einem Unglücksfall gehandelt habe, lehnte der Beklagte ab. Er vertrat die Auffassung, der Beigeladene habe im eigenen landwirtschaftlichen Unternehmen gearbeitet.
Die Klägerin hat daraufhin am 26. September 1983 Klage erhoben und beantragt, den Beklagten zur Erstattung ihrer vorläufigen Leistungen und zur Feststellung gegenüber dem Beigeladenen zu verurteilen.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 23. April 1985 der Klage stattgegeben, da der Beigeladene beim Versuch, das Feuer vom Acker des anderen Landwirtes fernzuhalten, die Absicht gehabt habe, nach einem Unglücksfall Hilfe zugunsten eines Dritten zu leisten.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung durch Urteil vom 26. September 1986 zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt: Es sehe als erwiesen an, daß der Beigeladene sich verletzt und schwere Verbrennungen zugezogen habe, als er damit befaßt gewesen sei, den Übertritt des Feuers auf das benachbarte Weizenfeld zu verhindern. Er habe nicht mehr auf seinem Acker, sondern auf den Nachbaräckern mit dem Grubber das Feuer zum Stillstand bringen wollen. Seine Absicht sei es gewesen, eine entstandene gemeine Gefahr zu beseitigen, vor allem Schaden vom Weizen, der auf dem Feld des A. noch gestanden habe, fernzuhalten. Für die Frage, welche Tätigkeit hinsichtlich des Versicherungsschutzes von maßgeblicher Bedeutung sei, komme es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wesentlich auf die Vorstellungen des Handelnden und seine Absichten an. Die Beklagte meine zu Unrecht, daß der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu versagen sei, weil das Übergreifen des Feuers durch unsachgemäßes Abflämmen und damit zumindestens grob fahrlässig herbeigeführt worden sei.
Der Senat hat auf die Beschwerde des Beklagten die Revision zugelassen (Beschluß vom 23. April 1987 - 2 BU 187/86 -).
Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und zur Begründung ua ausgeführt: Das angefochtene Urteil beruhe auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des BSG in SozR 2200 § 539 Nr 116. Mit der Tätigkeit des Beigeladenen sei eine typische, mit jedem Abflämmvorgang objektiv verbundene Gefahr realisiert worden. Es handele sich um eine typische betriebliche Gefahr. Sowohl die Geringhaltung dieser Gefahr durch Überwachung und sorgfältige Vorbereitung des Abflämmens als auch die Bekämpfung der realisierten Gefahr seien dem landwirtschaftlichen Betrieb zuzuordnen. Der Versuch des Verletzten, das Feuer einzudämmen, habe in einer unmittelbaren tatsächlichen Beziehung zu seinem landwirtschaftlichen Unternehmen gestanden.
Der Beklagte beantragt, die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 1986 und des Sozialgerichts Kassel vom 23. April 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor: Der Beigeladene habe in der Absicht gehandelt, vor allem Schaden von dem Weizen, der auf dem Feld des Landwirts A. gestanden habe, fernzuhalten. Daß das Feuer auf dem Nachbarfeld durch verwehte Glutreste vom Acker des Beigeladenen entstanden sei, sei sozialversicherungsrechtlich ohne Bedeutung. Von Bedeutung für die Regelung des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO sei dagegen, daß die Anwendung dieser Bestimmung nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß der Helfer mit seiner Hilfeleistung ua auch eigenes Interesse wahre. Der Beigeladene sei tätig geworden, um ein Weiterlaufen des Feuers zu verhindern. Er habe damit gerechnet, daß andernfalls eine beträchtliche Gefährdung und Schädigung des Eigentums Dritter entstehen würde. Diese Rettungsaktion habe er auch nicht auf eigenem Grund und Boden, sondern auf fremdem Feld unternommen.
Der Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet.
Der Beigeladene hat am 12. August 1982 einen von der Klägerin zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten. Der Beklagte hat deshalb der Klägerin nicht die von ihr dem Beklagten aus Anlaß dieses Arbeitsunfalles erbrachten vorläufigen Leistungen zu erstatten.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Der Beigeladene war als Mitglied der Klägerin nach § 539 Abs 1 Nr 5 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Bestand dieser Versicherungsschutz bei dem Versuch fort, mit dem Grubber am Schlepper den Übertritt des Feuers auf das Feld eines anderen Landwirts, auf dem noch Weizen stand, zu verhindern, so scheidet der hier ebenfalls in Betracht kommende Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO aus (BSG SozR Nr 46 zu § 537 RVO aF; SozR 2200 § 539 Nr 116). Die Beantwortung der Frage, ob Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 5 RVO oder nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO gegeben ist, setzt die Prüfung voraus, welche Umstände rechtlich ins Gewicht fallen. Sind die für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 5 RVO in Betracht zu ziehenden Umstände gegenüber denjenigen, welche die Anwendung des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO rechtfertigen, von so untergeordneter Bedeutung, daß sie als rechtlich unerheblich außer Betracht zu bleiben haben, richtet sich der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO (vgl zu § 539 Abs 1 Nr 1 RVO BSG Urteil vom 15. Dezember 1966 - 2 RU 66/65 -; BSG SozR 2200 § 539 Nr 116). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Der Beigeladene flämmte im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer seinen Acker ab. Zu dieser versicherten Tätigkeit gehörte es nicht nur von vornherein, das Übergreifen des Feuers vor allem auf solche Felder zu verhindern, auf denen noch Getreide stand, sondern auch bei einem nicht verhinderten Übergreifen des Feuers alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um ein größeres Ausbreiten des übergegriffenen Feuers zu vermeiden und es möglichst zu ersticken. Anders als in dem der Entscheidung des Senats vom 30. Januar 1986 (SozR 2200 § 539 Nr 116) zugrundeliegenden Sachverhalt wandte sich im vorliegenden Fall der Beigeladene nicht von seiner zunächst ausgeübten versicherten Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer ab. Vielmehr stand die zum Arbeitsunfall führende Tätigkeit nicht nur in enger Verknüpfung mit dem vorangegangenen und noch nicht beendeten Flämmen des Ackers, sondern sie bildete sogar eine Fortsetzung dieser versicherten Tätigkeit. Daß diese Tätigkeit nicht mehr auf dem eigenen Acker des Beigeladenen verrichtet wurde, ist entgegen der Auffassung des LSG und der Klägerin für die unfallversicherungsrechtliche Zuordnung der Tätigkeit zu dem landwirtschaftlichen Unternehmen allein ebenso ohne Bedeutung, wie der Versicherungsschutz nach § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 5 RVO zB auch nicht deshalb verlorengeht, weil ein auf ein Nachbargrundstück gestürzter Erntewagen dort und nicht auf dem eigenen Acker aufgerichtet wird. Dem Zuordnen der zum Unfall führenden Verrichtung zu der versicherten Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer steht auch nicht entgegen, daß ohne das Eingreifen des Beigeladenen möglicherweise eine allgemeine Gefahr drohte; denn wollte man in diesem Falle stets einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO annehmen, würde dieser Versicherungsschutz - bei Vorliegen auch der anderen Voraussetzungen - entgegen der oben aufgezeigten Rechtsprechung des BSG grundsätzlich dem nach § 539 Abs 1 Nr 1 oder Nr 5 RVO vorgehen. Schließlich spricht gegen die Auffassung des Senats nicht, daß der Beigeladene, worauf sich die Revision auch stützt, ausreichend betriebshaftpflichtversichert war. Das Eindämmen des von einem Landwirt entfachten Feuers auf dem Feld und das Löschen des auf fremde Felder übergegriffenen Feuers gehören nach der Art der Verrichtungen zur versicherten Tätigkeit des Flämmens. Ob für einen sonst eintretenden oder für einen eingetretenen Schaden eine Betriebshaftpflichtversicherung aufkommt, ist unfallversicherungsrechtlich grundsätzlich ohne Bedeutung. Einer weiteren Aufklärung über die Art und den Umfang der Betriebshaftpflichtversicherung des Beigeladenen bedarf es demnach nicht. Der Senat hat vielmehr auch bei einer zugunsten der Klägerin unterstellten, den Schaden durch das Flämmen voll erfassenden Betriebshaftpflichtversicherung aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhaltes den Versicherungsschutz nach § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 5 RVO bejahen können, so daß die Klage abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen