Entscheidungsstichwort (Thema)
Streit über Versicherungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
In Streitigkeiten über das Bestehen der Versicherungspflicht, die alsdann die Beitragspflicht auslöst, sind Arbeitgeber und Versicherter notwendige Streitgenossen. Diesen gegenüber kann die Entscheidung nur einheitlich ergehen, so daß die Beiladung notwendig ist. Das Unterlassen der notwendigen Beiladung ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten.
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 27.11.1975; Aktenzeichen L 4 An 183/74) |
SG Detmold (Entscheidung vom 14.11.1974; Aktenzeichen S 17 An 60/73) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1975 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die wegen ihrer Beschäftigung bei ihrem Ehemann auf ihren Antrag von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten befreite Klägerin auf die Befreiung verzichten kann.
Die in der Anwaltskanzlei ihres Ehemannes als Bürovorsteherin beschäftigte Klägerin wurde auf ihren Antrag mit Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1967 gemäß Art. 2 § 1 des Zweiten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 23. Dezember 1966 (2. RVÄndG) von der Versicherungspflicht befreit. Am 18. Oktober 1972 erklärte sie gegenüber der Beklagten, daß ihre Befreiung von der Versicherungspflicht ab sofort enden solle. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, das Rentenreformgesetz (RRG) sehe für Ehegatten, die im Hinblick auf die Beschäftigung bei ihren Ehegatten von der Versicherungspflicht befreit worden seien, keine Verzichtsmöglichkeit vor (Bescheid vom 12. Februar 1973). Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28. März 1973, Urteil des Sozialgerichts - SG - Detmold vom 14. November 1974, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1975). Das LSG hat die Auffassung vertreten, die Befreiung aufgrund des Art. 2 § 1 des 2. RVÄndG sei unwiderruflich und unverzichtbar. Art. 2 § 1 Abs. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten (AnVNG) idF des RRG, der entsprechend dem Grundgedanken der Rentenreform über eine Öffnung der Rentenversicherung für weitere Personengruppen auch den befreiten Angestellten die Pflichtversicherung geöffnet habe, sehe eine Verzichtmöglichkeit bei einer Befreiung anläßlich der Beschäftigung bei einem Ehegatten nicht vor. Diese Vorschrift verstoße nicht gegen die Art. 3 und 6 des Grundgesetzes (GG). Das LSG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des Art. 2 § 1 des 2. RVÄndG. Diese Vorschrift enthalte seit dem RRG eine offene Regelungslücke, die durch Anwendung des auch in Art. 2 § 1 Abs. 3 AnVNG zum Ausdruck kommenden Grundsatzes geschlossen werden müsse. Eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 2 § 1 des 2. RVÄndG müsse heute dazu führen, daß der Verzicht auf die Befreiung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Zulassung möglich sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und unter Abänderung des Urteils des SG und Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 12. Februar 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1973 festzustellen, daß sie ab 18. Oktober 1972 wieder in der gesetzlichen Angestelltenversicherung pflichtversichert ist.
Die Beklagte hat unter Hinweis darauf, daß die im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehende Frage der Vereinbarkeit des Art. 2 § 1 Abs. 4 AnVNG idF des RRG mit dem Grundgesetz bereits dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Aktenzeichen 1 BvL 10/76 zur Prüfung vorliegt, von einer Antragstellung und Äußerung zur Sache abgesehen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Streit geht darum, ob die Klägerin die von ihr durch Antrag bewirkte Befreiung von der Versicherungspflicht wieder rückgängig machen und damit die durch ihre entgeltliche Beschäftigung bei ihrem Ehemann an sich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) begründete Versicherungspflicht wiederherstellen kann. Es handelt sich somit um eine Streitigkeit über das Bestehen der Versicherungspflicht. Bei einem solchen Rechtsstreit kann die Entscheidung gegenüber Arbeitgeber und Versicherten nur einheitlich ergehen. Beide sind daher notwendige Streitgenossen mit der Folge, daß der nicht als Kläger am Verfahren beteiligte Vertragspartner des die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisses nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen ist (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd.I/2, S. 234 w VI, BSG SozR Nr. 32 und 37 zu § 75 SGG). Der Ehemann der Klägerin hätte daher als Arbeitgeber zwingend beigeladen werden müssen. Von dieser unverzichtbaren Notwendigkeit hat nicht deshalb abgesehen werden dürfen, weil der Ehemann die Klägerin als Prozeßbevollmächtigter vertreten hat, denn eine Prozeßvertretung ist auf die Wahrung der Interessen des Vertretenen beschränkt. Die Beiladung dagegen macht den Beigeladenen im Interesse der Wahrung seiner eigenen Belange, die sich von denjenigen des Versicherten unterscheiden können, selbst zum Beteiligten am Verfahren. Ob die im Prozeß vom klagenden Versicherten und vom beigeladenen Arbeitgeber jeweils im eigenen Namen verfolgbaren Interessen im Einzelfall gleich oder unterschiedlich sind, ist für die Notwendigkeit der Beiladung ohne Belang, so daß unberücksichtigt bleiben mußte, daß der Ehemann der Klägerin als Prozeßvertreter offenkundig das gleiche Ziel wie die Klägerin selbst verfolgte. Das Unterlassen der notwendigen Beiladung ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr. 1).
Das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des LSG muß danach aufgehoben und - da das Revisionsgericht die Beiladung nicht selbst vornehmen kann (§ 168 SGG) - der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Von Ausführungen zur Sache selbst hat der Senat deshalb absehen müssen. Der Senat brauchte den Ausgang des Verfahrens vor dem BVerfG nicht abzuwarten. Ungeachtet des dortigen Ausgangs gibt die unterlassene notwendige Beiladung auf jeden Fall Anlaß zur Zurückverweisung.
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen