Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Urteil vom 21.02.1990) |
Tenor
Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21. Februar 1990 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger zu 1) für die Zeit vom 3. Januar 1978 bis 31. Januar 1986 und die Klägerin zu 2) für die Zeit seit 3. Januar 1978 Anspruch auf Halbwaisenrente nach § 1267 Reichsversicherungsordnung (RVO) haben.
Der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) sind die Kinder der am 3. Januar 1978 verstorbenen M. … P. … L. … (im folgenden: Versicherte). Der Kläger zu 1) ist am 9. Januar 1968, die Klägerin zu 2) am 14. Oktober 1976 geboren.
Die Versicherte, die spanische Staatsangehörige war, hatte in Spanien keine Versicherungszeiten zurückgelegt. In der Bundesrepublik Deutschland hatte sie 56 Monate Versicherungszeit, in der Schweiz sieben Monate Versicherungszeit zurückgelegt. Die Anträge der Kläger auf Gewährung von Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 1983 ab. Sie führte aus, daß eine notwendige Voraussetzung für den Anspruch nicht erfüllt sei. Die Versicherte habe im Zeitpunkt ihres Todes die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) nicht erfüllt. Für den Anspruch auf BU-Rente seien insgesamt nur 56 Monate Versicherungszeit anrechenbar. Dieser Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach gegen den Bescheid innerhalb von drei Monaten nach seiner Bekanntgabe entweder Widerspruch oder unmittelbar Klage erhoben werden könne. Gegen den am 28. Juli 1983 abgesandten Bescheid haben die Kläger am 2. November 1983 Widerspruch erhoben.
Die Beklagte hat den Widerspruch mit Einverständnis der Kläger als Klage an das Sozialgericht (SG) abgegeben. Das SG hat den Bescheid vom 28. Juli 1983 abgeändert und die Beklagte verurteilt, nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften, an den Kläger zu 1) ab 3. Januar 1978 bis 31. Januar 1986 eine Halbwaisenrente gem § 1267 RVO zu gewähren und der Klägerin zu 2) nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften ab 3. Januar 1978 eine Halbwaisenrente gem § 1267 RVO zu gewähren (Urteil vom 21. Februar 1990).
Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt, daß eine der in § 1263 Abs 2 RVO alternativ genannten Voraussetzungen für den Anspruch auf Hinterbliebenenrente erfüllt sei. Die Versicherte habe die Wartezeit für den Anspruch auf Rente wegen BU erfüllt gehabt. Auf die Wartezeit sei nicht nur die in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegte Versicherungszeit von 56 Monaten, sondern auch die in der Schweiz zurückgelegte Versicherungszeit von sieben Monaten anrechenbar. Die Pflicht zur Zusammenrechnung der in beiden Staaten zurückgelegten Versicherungszeiten auf die Wartezeit ergebe sich aus der Gleichstellungsklausel in Art 4 des Abkommens vom 4. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem spanischen Staat über Soziale Sicherheit (im folgenden: Abk Spanien SozSich). Die Gleichstellung der spanischen Staatsangehörigen mit den deutschen Staatsangehörigen gebiete es, den Hinterbliebenen der Versicherten, die spanische Staatsangehörige gewesen sei, die Rechtswohltat des Art 11 Abs 1 des Abkommens vom 25. Februar 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit (im folgenden: Abk Schweiz SozSich) zukommen zu lassen. Für den Zeitraum seit dem 1. Januar 1986, dem Zeitpunkt des Beitritts Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft (EWG) ergebe sich die Pflicht zur Zusammenrechnung auch aus Art 3 Abs 1 der Verordnung EWG Nr 1408/71 (EWGV 1408/71).
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom SG zugelassene Revision der Beklagten. Die Beklagte rügt eine Verletzung von § 1263 Abs 2 RVO sowie von Art 3 und Art 11 Abs 1 des Abk Schweiz SozSich und des Art 4 des Abk Spanien SozSich sowie von Art 3 Abs 1 der EWGV 1408/71.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 21. Februar 1990 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Ihnen sind das Teilurteil des 13. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. August 1991 – 13/5 RJ 40/89 = SozR 3-6858 Nr 2 und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-23/92 übersandt worden. Die Beteiligten sind anschließend vom vorgesehenen Entscheidungstermin am 27. Januar 1994 unterrichtet worden.
Entscheidungsgründe
II
Die Kläger sind wirksam durch einen bei der spanischen Botschaft Beschäftigten vertreten. Nach Art 45 Abs 2 des Abk Spanien SozSich, der nach Anhang III Buchst A Nr 22 zur EWGV 1408/71 weiterhin Anwendung findet, können sich spanische Staatsangehörige durch die spanische Botschaft vor den Sozialgerichten vertreten lassen. Mit dieser Vorschrift ist auch die Vertretungsbefugnis der Angehörigen der spanischen Botschaft vor dem BSG gegeben. Die Vorschrift gibt eine umfassende Vertretungsbefugnis und ist damit ein Spezialgesetz zu § 166 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Rechtsprechung des BSG nach der § 166 SGG Arbeitnehmervereinigungen, die ihren Sitz nicht im Geltungsbereich des SGG haben, keine Vertretungsbefugnis vor dem BSG einräumt (BSG Urteil vom 13. Januar 1984 – 1 RA 25/83 – = SozR 1500 § 166 Nr 11) und im Anschluß daran Senatsbeschluß vom 19. April 1988 (5/4a RJ 75/86 – nicht veröffentlicht –), steht dem nicht entgegen. Diese Rechtsprechung bezieht sich nur auf die Anwendung des § 166 SGG im Verhältnis zu ausländischen Arbeitnehmervereinigungen.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Gewährung von Hinterbliebenenrente an die Kläger verurteilt. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 1983 ist rechtmäßig.
Die Klage ist zulässig. Zu Recht ist das SG davon ausgegangen, daß hier nach § 66 SGG die Klagefrist von einem Jahr gilt, die die Kläger gewahrt haben. Die Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Bescheides, in der auch für den Widerspruch eine Widerspruchsfrist von drei Monaten angegeben wurde, war unrichtig. Ist eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig, so gilt die Jahresfrist des § 66 SGG auch dann, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung eine zu lange Frist nennt (BSG Urteil vom 28. Mai 1991 – 13/5 RJ 48/90 – = SozR 3-1500 § 66 Nr 1).
Die Klage ist aber nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Für die geltend gemachten Ansprüche gilt noch die RVO, denn die Ansprüche werden für einen Zeitraum vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch (SGB VI) geltend gemacht und sind auch vor dem Inkrafttreten des SGB VI beantragt worden (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Nach § 1263 RVO werden Hinterbliebenenrenten, zu denen auch die von den Klägern beanspruchten Waisenrenten gehören, gewährt, wenn dem Verstorbenen zZ seines Todes Versichertenrente zustand oder zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit für die Rente wegen BU von ihm erfüllt ist oder nach § 1252 RVO als erfüllt gilt. Der Versicherten stand im Zeitpunkt ihres Todes weder Versichertenrente zu, noch galt die Wartezeit nach § 1252 RVO als erfüllt. Dies bedarf keiner weiteren Erörterung. Die Versicherte hatte im Zeitpunkt ihres Todes aber auch die Wartezeit für die Rente wegen BU, die nach § 1246 Abs 3 RVO 60 Kalendermonate Versicherungszeit beträgt, nicht erfüllt. Für sie sind im Zeitpunkt ihres Todes lediglich die in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten von 56 Monaten auf die Wartezeit von 60 Monaten anrechenbar gewesen.
Eine Zusammenrechnung der in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz zurückgelegten Versicherungszeiten für die Erfüllung der Wartezeit kommt nicht in Betracht. Unmittelbar aus dem Abk Schweiz SozSich können die Kläger keinen Anspruch auf Zusammenrechnung dieser Versicherungszeiten beanspruchen, denn dieses Abkommen gilt nach seinem Art 3 nur für Staatsangehörige der Vertragsparteien, dh Deutsche und Schweizerbürger, und begünstigt damit weder die Versicherte noch die Kläger, die Spanier sind. Die Kläger können sich wegen der Zusammenrechnung der Versicherungszeiten auch nicht auf die Gleichstellungsklausel in Art 4 des Abk Spanien SozSich berufen. Nach dieser Vorschrift sind spanische und deutsche Staatsangehörige hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten aus den Rechtsvorschriften jeweils den Staatsangehörigen des anderen Staates gleichgestellt. Rechtsvorschriften in diesem Sinne sind die in Art 2 Abk Spanien SozSich aufgeführten Rechtsvorschriften. Weder das Abk Schweiz SozSich noch das Zustimmungsgesetz hierzu sind in dieser Vorschrift aufgeführt. Es kann offenbleiben, ob die Kläger wegen der Gleichstellungsklausel in Art 4 Abk Spanien SozSich gleichwohl aus einem auf die jeweiligen Staatsangehörigen beschränkten Sozialversicherungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit einem dritten Staat – hier: dem Abk Schweiz SozSich – Ansprüche herleiten könnten. Die Anwendung der Gleichstellungsklausel des Abk Spanien SozSich und damit die Zusammenrechnung der Versicherungszeiten scheitert jedenfalls an der Nr 2 des Schlußprotokolls zum Abk Schweiz SozSich. Diese Vorschrift lautete in der maßgebenden Fassung des Zusatzabkommens zum Abk Schweiz SozSich vom 9. September 1975 (BGBl II 1976 S 1372) seit 1. November 1976 (vgl Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Abkommens vom 7. Oktober 1976 BGBl II S 1723): „Sind außer den Voraussetzungen für die Anwendung des Abkommens auch die Voraussetzungen für die Anwendung eines anderen Abkommens oder einer überstaatlichen Regelung erfüllt, so läßt der deutsche Träger bei Anwendung des Abkommens das andere Abkommen oder die überstaatliche Regelung unberücksichtigt, soweit diese nichts anderes bestimmen.” Mit dieser Vorschrift wollten die Vertragsparteien die Koppelung der Ansprüche aus verschiedenen Sozialversicherungsabkommen (SozVersAbkommen), insbesondere die sog multilaterale Zusammenrechnung von Versicherungszeiten aufgrund der Begünstigung aus anderen SozVersAbkommen abwehren. Im vorliegenden Fall bewirkt die Vorschrift, daß die Gleichstellungsklausel in Art 4 des Abk Spanien SozSich zugunsten der Versicherten und der Kläger keine Anwendung findet. Dies hat der 13. Senat des BSG bereits mit Teilurteil vom 28. August 1991 – 13/5 RJ 40/89 – (SozR 3-6858 Nr 2 Nr 1) in einem gleichgelagerten Fall entschieden. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung zur Wirkung einer sog Abwehrklausel an. Die Änderung der og Nr 2 des Schlußprotokolls zum Abk Schweiz SozSich durch das 2. Zusatzabkommen zum Abk Schweiz SozSich vom 2. März 1989 (BGBl II S 892), die am 1. April 1990 in Kraft getreten ist (Bekanntmachung über das Inkrafttreten des 2. Zusatzabkommens vom 13. März 1990 – BGBl II S 199 –) hat für die Kläger keine günstigere Rechtslage geschaffen. Durch Art 1 Nr 29 des 2. Zusatzabkommens sind in der Nr 2 Schlußprotokoll zum Abk Schweiz SozSich lediglich die Worte „soweit diese nichts anderes bestimmen” gestrichen worden.
Auch für die Zeit seit dem Beitritt Spaniens zur EWG am 1. Januar 1986 gilt nichts anderes. Rechtsvorschriften der EWG räumen den Klägern keine zusätzlichen Rechte ein. Insbesondere ergibt sich aus den Vorschriften der EWGV 1408/71 nicht, daß die Beklagte verpflichtet ist, zugunsten der Kläger die von der Versicherten in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz zurückgelegten Versicherungszeiten für die Erfüllung der Wartezeit zusammenzurechnen. Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 ordnet allerdings an, daß alle EG-Angehörigen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates haben, wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Diese Vorschrift begünstigt die Kläger jedoch nicht, denn weder das Abk Schweiz SozSich noch das Zustimmungsgesetz hierzu sind Rechtsvorschriften iS von Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71. Der EuGH hat mit Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-23/92 entschieden, daß Art 3 Abs 1 und Art 1 Buchst j EWGV Nr 1408/71 so auszulegen sind, daß zu den „Rechtsvorschriften” iS dieser Vorschriften nicht Bestimmungen von zwischenstaatlichen Abkommen über die Soziale Sicherheit gehören, die nur zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat geschlossen worden sind. Nach dieser Entscheidung gilt dies auch dann, wenn die Abkommen mit Gesetzesrang in die innerstaatliche Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaates übernommen worden sind. Aus diesem Urteil, das ebenfalls zur Frage der möglichen Begünstigung von EG-Angehörigen durch Anwendung des Abk Schweiz SozSich ergangen ist, ergibt sich somit, daß zwischenstaatliche Abkommen eines Mitgliedstaates mit einem Nichtmitgliedstaat auch dann, wenn sie – wie hier – in innerstaatliches Recht durch ein Zustimmungsgesetz transformiert worden sind, keine Rechtsvorschriften sind, auf die sich die EG-Angehörigen hinsichtlich der in Art 3 EWGV 1408/71 angeordneten Gleichbehandlung aller EG-Angehörigen mit Staatsangehörigen des Mitgliedstaates berufen können. Jeder Mitgliedstaat kann durch ein solches Abkommen allein seine Staatsangehörigen begünstigen, wie dies die Bundesrepublik Deutschland mit dem Abk Schweiz SozSich allein für deutsche Staatsangehörige getan hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen