Leitsatz (amtlich)
Ist ein Urteil gegen einen nicht zur Prozeßführung berechtigten Beklagten ergangen, war der zur Prozeßführung Berechtigte aber zum Verfahren beigeladen, so ist der Verfahrensmangel, der in der Verkennung der Prozeßführungsbefugnis liegt, nicht wesentlich im Sinne des SGG § 162 Abs 1 Nr 2 (Fortführung BSG 1958-01-28 6 RKa 6/56 = BSGE 6, 278).
Normenkette
SGG § 70 Nr. 4 Fassung: 1955-08-17, § 75 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 368b Fassung: 1955-08-17
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 1957 wird als unzulässig verworfen. Der Kläger hat dem Beigeladenen Dr. med. ... C... die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Zulassungsausschuß für Ärzte, W.../D..., ließ durch Beschluß vom 23. November 1956 den beigeladenen prakt. Arzt Dr. med. G... zur Kassenpraxis mit dem Sitz in W... S... zu. Dr. G... war damals 45 Jahre alt, seine Bestallung war am 15. August 1939 ausgesprochen seit dem 12. Februar 1948 hatte er sich in H... niedergelassen, und seit dem 4. September 1948 war er zur Kassenpraxis zugelassen. Unter anderen hatte sich auch der Kläger, der prakt. Arzt Dr. N... um Zulassung beworben. Er war damals 32 Jahre alt, seine Bestallung ist am 1. Mai 1950 erteilt, seit dem 15. August 1952 hatte er sich niedergelassen und war als Vertreter für Kassenärzte tätig. Der Zulassungsausschuß führte aus, nach § 20 Abs. 1 letzter Satz der Zulassungsordnung Hessen (ZOH) könne eine Niederlassung am Ausschreibungsort (Ortsteil) berücksichtigt werden, wenn sie mindestens drei Jahre vor der Ausschreibung der zu besetzenden Kassenarztstelle ununterbrochen bestanden habe. Dr. N... erfülle nicht diese Voraussetzung. Dr. med. G... sei zugelassen worden wegen seines größeren Lebens- und Approbationsalters und wegen seiner langjährigen Tätigkeit als zugelassener Allgemeinpraktiker. Der Beschwerdeausschuß für Ärzte in F... wies durch Beschluß vom 23. Februar 1957 die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Zulassungsausschusses zurück, denn das Alter gäbe Dr. G... ein Übergewicht, und an Kenntnis von Land und Leuten seien beide Bewerber ungefähr gleich. Über das, was die Zulassungsordnung unter engerer Heimatzugehörigkeit verstehe, verfügten jedoch beide Bewerber nicht. Wirtschaftliche Erwägungen müßten bei der Auswahl außer Betracht bleiben.
Auf die gegen die Kassenärztliche Vereinigung und die Landesverbände der Krankenkassen gerichtete Klage hat das Sozialgericht durch die Beschlüsse vom 5. und 12. August 1957 Dr. med. G... und den Berufungsausschuß für Ärzte beigeladen, weil sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt seien, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen könne.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 16. August 1957 die Klage abgewiesen und den Kläger verurteilt, den beigeladenen Dr. med. G... dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Das Landessozialgericht hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und hat den Kläger verurteilt, dem beigeladenen Dr. C... auch die außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtsganges zu erstatten. Da in einen Anfechtungsstreit von der Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes auszugehen sei, so sei die Zulassungsordnung (ZulO) vom 9. Dezember 1953 zugrunde zu legen; danach seien die dort genannten Vertragspartner als bisherige Rechtsträger des Zulassungswesens passiv legitimiert. Daran habe sich auch nichts dadurch geändert, daß für den nach § 70 Nr. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) parteifähigen und nach § 368 b Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Gesetzes über Kassenarztrecht (GKAR) Art. I und § 35 der ZulO für Kassenärzte vom 28. Mai 1957 (BGBl. I S. 572) neu gebildeten Berufungsausschuß der Vorsitzende handele (§ 71 Abs. 4 SGG). Dieser sei aus Gründen der Rechtssicherheit nach § 75 SGG von Amts wegen zum Verfahren beigeladen worden, so daß das Urteil nach §§ 141, 69 SGG auch dem Berufungsausschuß gegenüber rechtskräftig werde. Die zu berücksichtigenden Auswahlmerkmale sprächen überwiegend zu Gunsten des Beigeladenen. Es sei kein Ermessensmißbrauch, längeres Lebens- und Approbationsalter ausschlaggebend sein zu lassen.
Den Antrag des Klägers, die Revision zuzulassen, hat das Landessozialgericht abgelehnt.
Das Urteil des Landessozialgerichts ist dem Kläger am 21. Dezember 1957 zugestellt worden. Am 21. Januar 1958 hat er die Revision eingelegt.
Er beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Mit der am 20. Februar 1958 beim Bundessozialgericht eingegangenen Revisionsbegründung rügt der Kläger, das angefochtene Urteil beruhe auf einem wesentlichen Mangel des Verfahrens, denn es sei gegen die Verbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung ergangen anstatt gegen den richtigen Beklagten, den Berufungsausschuß. Das Berufungsgericht habe somit eine Prozeßvoraussetzung des sozialgerichtlichen Verfahrens verkannt. Das Bundessozialgericht habe nach seiner bisherigen Rechtsprechung die Rechtsansicht vertreten, § 70 Nr. 4 SGG in der Fassung des GKAR sei seit seinem Inkrafttreten (20.8.1955) anzuwenden. Das Landessozialgericht habe versäumt, nach § 106 SGG darauf hinzuwirken, daß der Berufungsausschuß als Beklagter beteiligt werde.
Aber auch wegen Verletzung des materiellen Rechts sei das angefochtene Urteil aufzuheben, denn das Berufungsgericht habe nicht alle nach § 20 Satz 1 und 2 der ZOH zu beachtenden sachlichen und persönlichen Umstände der Bewerber gegeneinander abgewogen.
Der Beigeladene Dr. ... beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
II.
Der Kläger hat die Revision frist- und formgerecht eingelegt und begründet.
Da das Landessozialgericht die Revision jedoch nicht zugelassen hat, so wäre sie nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nur statthaft, wenn ein tatsächlich vorliegender wesentlicher Mangel des Verfahrens form- und fristgerecht gerügt worden wäre. Der vom Kläger gerügte Fehler ist aber kein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Wie der Kläger zutreffend darlegt, hat der Senat im Urteil vom 28. Januar 1958 - 6 RKa 6/57 - (BSG. 6 S. 278) ausgesprochen, daß der seit dem Inkrafttreten des GKAR auch in schwebenden Verfahren anzuwendende § 70 Nr. 4 SGG die Parteifähigkeit und ein ausschließliches Prozeßführungsrecht der Berufungsausschüsse in Zulassungssachen begründet. Das gilt nach der Rechtsprechung des Senats auch für die Zulassungsinstanzen, die nach Art. 4 § 11 Abs. 2 GKAR bis zur Bildung der neuen Berufungsausschüsse (§ 368 b RVO) weiter in Zulassungsverfahren zuständig sind. Diese Grundsätze des Senats sind auch auf die Parteifähigkeit und das Prozeßführungsrecht des Hessischen Beschwerdeausschusses (§ 27 ZOH) anzuwenden. Denn in seinen Aufgabenbereich und in der Zusammensetzung unterschied sich der Hessische Beschwerdeausschuß nicht von dem Berufungsausschuß der britischen Zone - abgesehen davon, daß nach § 31 Abs. 2 Satz 2 ZOH zu den Vertretern der Ärzte ein nicht zur Kassenpraxis zugelassener Arzt gehören mußte. Die im übrigen weitgehende sachliche Übereinstimmung rechtfertigt es, den Beschwerdeausschuß der ZOH dem Berufungsausschuß im Sinne des § 70 Nr. 4 SGG gleichzustellen - zumal die im GKAR verwandten Bezeichnungen nicht überall in einem streng rechtstechnischen Sinn gebraucht werden (vgl. BSG. 4, S. 246 [248] für den Begriff "Zulassungsausschüsse" in Art. 4 § 11 Abs. 3 GKAR). Da mithin der Beschwerdeausschuß im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts allein der richtige Beklagte war (§ 70 Nr. 4 SGG), so hat das Landessozialgericht durch eine Sachentscheidung gegen die Verbände das Gesetz verletzt. Dieser vom Revisionskläger gerügte Verfahrensmangel ist jedoch in diesem Rechtsstreit nicht wesentlich im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, weil der Berufungsausschuß nach § 75 Abs. 2 SGG von Amts wegen beigeladen war. Dadurch ist der Beschwerdeausschuß Beteiligter im Sinne des § 69 SGG geworden, und das rechtskräftige Urteil bindet ihn nach § 141 SGG in gleicher Weise wie den Kläger und die beklagten Verbände. Der Beschwerdeausschuß konnte als notwendig Beigeladener auch alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen und abweichende Sachanträge stellen (§ 75 Abs. 4 SGG). Er hatte also während des Verfahrens im wesentlichen die gleiche Stellung wie ein Beklagter. Daher wäre es - auch vom prozeßökonomischen Standpunkt aus - nicht gerechtfertigt, die Revision des Klägers allein deshalb als statthaft und begründet anzusehen, weil der Beschwerdeausschuß zum Verfahren nur beigeladen und nicht Beklagter war.
Das Berufungsverfahren leidet somit zwar an einem Mangel; der Erlaß des Sachurteils gegen die Verbände stellt aber keinen "wesentlichen Mangel" des Verfahrens dar, der die nicht zugelassene Revision statthaft machen würde. Weitere Verfahrensrügen hat der Kläger nicht vorgebracht. Seine Rüge, das Berufungsgericht habe nicht alle zu beachtenden sachlichen Umstände der Bewerber gewürdigt, ist eine Rüge unrichtiger Sachentscheidung, die vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden kann, da die Revision nicht statthaft ist.
Die Revision ist daher nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen