Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung von einem auf den Erholungsurlaub angerechneten, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden "Betriebsurlaub", den ein Unternehmer mit dem überwiegenden Teil seiner Belegschaft verbringt.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 542 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Mai 1967 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. November 1964 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der - während des Revisionsverfahrens verstorbene - Ehemann der Revisionsbeklagten (L.) war als Unternehmer einer Pflästerei bei der Beklagten pflichtversichert. In den Jahren 1956 und 1957 wurden vom Betrieb eintägige Betriebsausflüge unternommen. Diese wurden vom Jahre 1958 an auf Vorschlag der Belegschaft auf mehrere Tage ausgedehnt. 1958 waren die Teilnehmer 5 Tage, 1959 8 Tage und 1961 4 Tage unterwegs. Im Jahre 1960 fand kein Betriebsausflug statt. Die Betriebsangehörigen besprachen das Vorhaben jeweils zunächst unter sich und erholten dann das Einverständnis des Ehemannes der Revisionsbeklagten. Dieser übernahm die Fahrtkosten und nach seinem Belieben anteilige Kosten für Essen und Trinken. Der Betrieb war in dieser Zeit geschlossen. Die gemeinsam verbrachten Tage wurden den Arbeitnehmern auf ihren Jahresurlaub angerechnet. Die nicht teilnehmenden Betriebsangehörigen verbrachten ihren Urlaub für sich.
Im Jahre 1962 war vorgesehen, daß in der Zeit vom 4. bis 12. August in W (Allgäu) "Betriebsurlaub" gemacht werden solle. Nach Absage von zwei Betriebsangehörigen beteiligten sich fünf der insgesamt neun damals im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. L. mietete einen VW-Bus; dieser wurde von einem Bekannten eines teilnehmenden Betriebsangehörigen, welcher für diese Zeit Urlaub nahm, gefahren. In Wertach bezogen die Teilnehmer teils Quartier in Gasthöfen, welches L. besorgt hatte, teils wurde gezeltet. Von Wertach aus wurden Tagesausflüge unternommen. Diese wurden gemeinsam festgelegt; L. nahm stets an ihnen teil. Abends gingen die Betriebsangehörigen gemeinsam miteinander aus; der Ehemann der Revisionsbeklagten beteiligte sich teilweise daran.
Am 6. August 1962 wurde ein gemeinsamer Tagesausflug in das kleine Walsertal unternommen. Auf der Rückfahrt wurde der VW-Bus in einen Verkehrsunfall verwickelt. Der neben dem Fahrer sitzende Ehemann der Revisionsbeklagten erlitt schwere Verletzungen, welche einen neunmonatigen stationären Krankenhausaufenthalt erforderlich machten.
Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 28. Mai 1963 die begehrte Unfallentschädigung, weil der Aufenthalt in W nach seiner Planung und seinem Charakter als verbilligte Urlaubsreise anzusehen sei; im Hinblick auf die Dauer des Aufenthalts sowie darauf, daß dieser auf den Jahresurlaub angerechnet worden sei und der Unternehmer nur einen Teil der gesamten Kosten getragen habe, könne von einem Betriebsausflug im Sinne einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung nicht mehr gesprochen werden.
Auf Klage hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe durch Urteil vom 27. November 1964 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, den Unfall des Ehemannes der Revisionsbeklagten als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat durch Urteil vom 17. Mai 1967 (SGb. 1967, 520) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Der Auffassung des SG, daß es sich bei dem im Jahre 1962 veranstalteten "Betriebsurlaub" um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt, L. bei dem Verkehrsunfall am 6. August 1962 somit unter Versicherungsschutz gestanden habe, sei zuzustimmen. Daran ändere der Umstand nichts, daß ihre Planung und Gestaltung nur in Zusammenarbeit mit der Belegschaft erfolgt, L. somit nicht alleiniger Veranstalter und Kostenträger gewesen sei. Es müsse genügen, wenn L. die aus der Belegschaft kommenden Anregungen über die Durchführung der jeweiligen Veranstaltung gebilligt habe. Er habe sie durch Übernahme der Fahrtkosten und gelegentlicher Bezahlung von Verzehrkosten gefördert und tätig mitgestaltet, indem er das Beförderungsmittel gemietet, die Reiseroute bestimmt und das jeweilige Tagesprogramm mitgeplant und bei dessen Ausführung sich beteiligt habe. Die Veranstaltung sei somit geeignet gewesen, die Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft zu fördern; deshalb sei sie einer versicherten Betriebstätigkeit gleichzusetzen. Es sei daher nicht entscheidend, welchen Zeitraum die Betriebsleitung für erforderlich halte, um diesen Zweck der Veranstaltung zu erreichen. Unter den heutigen Verkehrsverhältnissen stelle eine mehrtägige Fahrt ins Allgäu keine außergewöhnliche Ausgestaltung eines Betriebsurlaubs dar. Um einen solchen habe es sich trotz der geringen Teilnehmerzahl gehandelt, weil sämtliche Betriebsangehörige die Möglichkeit zur Teilnahme gehabt hätten. Schon weil die Mehrzahl der Betriebsangehörigen teilgenommen habe, habe eine ins Gewicht fallende Gelegenheit zur Pflege des Gemeinschaftsgeistes und der Verbundenheit mit der Betriebsleitung bestanden. Angesichts dieses eindeutigen Zwecks liege noch eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung vor, obwohl die Reisetage voll auf den Erholungsurlaub angerechnet worden seien. Die persönliche Anwesenheit des Ehemannes der Revisionsbeklagten und dessen tätige Mitgestaltung des jeweiligen Tagesprogramms unter Verzicht auf die Durchsetzung persönlicher Wünsche sprächen dagegen, daß eine dem privaten Lebensbereich zuzurechnende Urlaubsfahrt unternommen worden sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie hat es im wesentlichen wie folgt begründet:
Während der Dauer des Aufenthalts in Wertach sei der Betrieb geschlossen gewesen. In dieser Zeit habe weder für den Unternehmer noch für seine Beschäftigten eine Möglichkeit zur betrieblichen Betätigung bestanden. Zu einem nicht in Funktion befindlichen Betrieb könne es aber keine den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung hervorrufenden Beziehungen geben. Betriebsausflüge würden üblicherweise an einem einzigen Tag durchgeführt. Dieser Tag werde nicht auf den Urlaub angerechnet. Dies sei aber hier erfolgt. Wer betrieblich tätig sei, lasse sich diese Zeit nicht auf den Erholungsurlaub anrechnen. Im Vordergrund der Veranstaltung habe nicht die Förderung der Betriebsverbundenheit, sondern die Ermöglichung eines verbilligten Erholungsurlaubs für die im Unternehmen des Ehemannes der Revisionsbeklagten Beschäftigten, somit ein unversicherter Zweck gestanden. L. könne als Unternehmer nicht besser gestellt werden als seine Betriebsangehörigen; diese hätten sich indessen auf einem unversicherten Urlaub befunden. Bei Unternehmen mit einer so geringen Beschäftigtenzahl erfordere überdies der mit einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung verfolgte Zweck, daß alle oder wenigstens nahezu sämtliche Betriebsangehörige daran teilnähmen.
Die Revisionsbeklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein Urlaub müsse nicht zwangsläufig Erholungsurlaub sein. Er könne auch für andere Zwecke und somit auch für betriebliche Zwecke eingesetzt werden. Dies hätten L. und seine Beschäftigten mit ihrer gemeinsam nach W unternommenen Fahrt getan.
Die Beklagte beantragt,
die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Revisionsbeklagte beantragt,
die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, Leistungen bis zum 30. April 1969 zu gewähren.
II
Die Revision ist begründet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 1, 179; 7, 249; 17, 280) stehen betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen im allgemeinen unter Versicherungsschutz. Dies setzt u.a. voraus, daß die Veranstaltung der Pflege der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft dient, die Unternehmensleitung sie veranstaltet oder billigt und sie fördert, die Veranstaltung von ihrer Autorität getragen wird und alle Betriebsangehörigen daran teilnehmen sollen. Ob für die Teilnehmer gemeinschaftlicher Veranstaltungen der Versicherungsschutz nach diesen vom Senat aufgestellten Grundsätzen begründet ist, hängt sonach von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei nicht zu verkennen ist, daß die Grenzziehung im einzelnen schwierig sein kann (siehe auch das Urteil des erkennenden Senats vom 28. August 1968 - BG 1969, 276).
Der als "Betriebsurlaub" bezeichnete, für neun Tage im Allgäu vorgesehene Aufenthalt des Ehemannes der Revisionsbeklagten mit fünf seiner insgesamt neun Beschäftigten entspricht, wozu es keiner näheren Ausführungen bedarf, nicht dem typischen Bild eines Betriebsausflugs (vgl. dazu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 26. September 1961 - SozEntsch. BSG IV RVO § 542 (a) Nr. 31). Allerdings können bei Unternehmen, deren Mitarbeiterzahl gering ist, Vorbereitung und Durchführung eines Betriebsausflugs etwas anders gestaltet sein als bei Betrieben mit einer größeren Zahl von Beschäftigten (siehe auch Hess. LSG, Breithaupt 1959, 111). Für einen Betriebsausflug ist indessen kennzeichnend, daß er im allgemeinen an einem Arbeitstag und nur ausnahmsweise an einem arbeitsfreien Tag (s. z.B. die in BSG 1, 179 entschiedene Streitsache) stattfindet. Es widerspricht seinem Sinn, den Tag eines Betriebsausflugs auf den tariflichen Urlaub des Arbeitnehmers anzurechnen. Einem Beschäftigten, der seinen Erholungsurlaub zwecks Teilnahme an einem Betriebsausflug, welcher an einem Arbeitstag stattfindet, unterbricht, ist diese Zeit gutzubringen, da er insoweit "Dienst" leistet. Arbeitnehmer, welche sich am Betriebsurlaub nicht beteiligen, sind daher in dieser Zeit im allgemeinen zur Arbeitsleistung im Betrieb verpflichtet.
Nach den von keinem der Beteiligten angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts war es bei den im Unternehmen des Ehemannes der Revisionsbeklagten in den letzten Jahren vor dem Unfall der Belegschaft ausgeführten Fahrten anders. Der Betrieb wurde für diese Zeit geschlossen. Die an der Fahrt nicht teilnehmenden Betriebsangehörigen verbrachten während dieser Zeit ihren Urlaub in der ihnen zusagenden Art und Weise. Ebenso wurde den teilnehmenden Arbeitnehmern diese Zeit als Urlaub angerechnet. Angesichts der Dauer des im Jahre 1962 vorgesehenen "Betriebsurlaubs" (9 Tage) und der Art seiner Ausführung, welche sich nicht wesentlich davon unterscheidet, wie einander bekannte Personen einen Urlaub gemeinsam verbringen könnten, stand jedenfalls für die teilnehmenden Betriebsangehörigen die Erholung von der Arbeit im Vordergrund. Der Umstand, daß diese Zeit von L. und der Mehrheit seiner wenigen Beschäftigten zusammen verbracht wurde, ist für sich allein noch nicht geeignet, eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung im Sinne der Unfallrechtsprechung zu bejahen. In Unternehmen mit geringer Beschäftigtenzahl kann der private Kontakt zwischen den Betriebsangehörigen enger sein als in größeren Betrieben. Der Gedanke, sich auch außerhalb des Betriebes zu gemeinsamer Betätigung zusammenzufinden, liegt daher nicht so fern. Es mag sogar - wenn dies auch nicht häufig sein wird - vorkommen, daß selbst der Unternehmer an einer solchen Veranstaltung sich beteiligt und sie fördert. Eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung setzt indessen u.a. voraus, daß ihr Hauptzweck die Förderung der Verbundenheit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsangehörigen ist. Die Förderung des Ehemannes der Revisionsbeklagten für die Teilnehmer des "Betriebsurlaubs" des Jahres 1962 bestand in der Übernahme der Kosten für die Hin- und Rückfahrt zum Urlaubsort sowie der Fahrtkosten für die Tagesausflüge, außerdem in in seinem Belieben stehenden Zuzahlungen zu den Verzehrkosten der Teilnehmer. Dies läßt erkennen, daß sie im wesentlichen dazu führte, denjenigen seiner Arbeitnehmer, welcher mit ihm nach Wertach fahren und dort eine längere Zeit urlaubsmäßig zubringen wollten, den dortigen Aufenthalt zu verbilligen. Wenn auch verschiedene Umstände einzelnen Merkmalen entsprechen, welche nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats erforderlich sind, um den Versicherungsschutz für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung zu begründen, so ergibt sich doch eine Gesamtwürdigung, daß dem Aufenthalt in W angesichts seiner Gestaltung und des Tagesablaufs der Erholungszweck der Arbeitnehmer das Gepräge gegeben hat. Demgegenüber tritt der Umstand, daß die gemeinsam mit dem Unternehmer verbrachte Zeit auch geeignet war, die Verbundenheit untereinander und mit L. zu fördern, in den Hintergrund. L. mag sich allerdings als Unternehmer für den guten Verlauf der gemeinsam verbrachten Tage verantwortlich gefühlt haben. Dies ändert aber nichts daran, daß seine Arbeitnehmer einen Erholungsurlaub verbracht, somit nicht unter Versicherungsschutz gestanden haben. Für den Ehemann der Revisionsbeklagten kann deshalb nichts anderes gelten, da rechtlich wesentlich für den Aufenthalt in W der Erholungszweck der Arbeitnehmer war (siehe auch BSG 9, 222, 224 ff; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 41 zu § 548 RVO; WzS 1959, 239; Schneider, BG 1957, 525, 528; OLG Wien, SSV 8, 313).
Auf die Revision der Beklagten waren deshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben; die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen