Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Unter den Beteiligten ist in Streit, von wann an die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) dem Kläger Altersruhegeld zu gewähren hat.
Der am 28. Februar 1909 geborene Kläger zog im Dezember 1972 aus der DDR ins Bundesgebiet zu und beantragte am 18. Januar 1973 beim Versicherungsamt Kiel mündlich Altersruhegeld. Das Versicherungsamt gab dem Kläger auf, erforderliche Unterlagen beizubringen und stellte die Meldung für die Krankenversicherung der Rentner aus, die der Kläger der Ortskrankenkasse Kiel weiterreichte. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ereignete sich sodann in der Rentenangelegenheit des Klägers zunächst nichts weiter. Erst am 18. Juli 1974 stellte der Kläger beim Versicherungsamt erneut Rentenantrag, der in der Folge vervollständigt und an die Beklagte weitergeleitet wurde. Mit Bescheid vom 12. Juni 1975 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld ab 1, März 1974, welches sie mit dem weiteren Bescheid vom 21. Dezember 1975 ab Rentenbeginn erhöhte.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage hat der Kläger Altersruhegeld wegen Vollendung des 63. Lebensjahres bereits ab 1. Januar 1973 begehrt. Das LSG hat im angefochtenen Urteil vom 13. März 1978 das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 22. November 1977 aufgehoben und dem Begehren des Klägers entsprochen. In der Begründung führt das Gericht aus, der Kläger habe am 18. Januar 1973 beim Versicherungsamt Kiel formlos einen ausreichenden Antrag nach § 1248 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestellt. Er habe die Rechte aus diesem Antrag auch später nicht wieder verloren; sie seien insbesondere nicht verwirkt.
Gegen dieses Urteil hat der Senat die Revision zugelassen (Beschluß vom 25. Oktober 1978).
Die Beklagte hat die Revision eingelegt und vorgetragen: Das angefochtene Urteil widerspreche dem Beschluß. des erkennenden Senats vom 8. Dezember 1960 - 1 RA 63/60 - und seinem Urteil vom 30. Mai 1978 - 1 RA 37/77 -. Der Kläger habe seine Rechte durch mündliche Beantragung einer Versichertenrente nur so unvollkommen geltend gemacht, daß hierauf Rente nicht habe bewilligt werden können. Er habe stillschweigend oder durch konkludentes Handeln auf seine Rechte aus der mündlichen Antragstellung verzichtet. Im übrigen habe das LSG die genauen Umstände bei und nach der Antragstellung im Januar 1973 nicht aufgeklärt. Es sei sehr gut möglich, daß dem Kläger damals schon der übliche Antragsvordruck mit Belehrung über die Folgen der unterlassenen Mitwirkung ausgehändigt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. März 1978 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 22. November 1977 zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er führt aus, er bzw. seine Ehefrau seien im März oder April 1973, einige Wochen später und schließlich nochmals im Sommer 1973 mündlich und telefonisch beim Versicherungsamt Kiel in seiner Rentenangelegenheit vorstellig geworden. Er habe sich also keineswegs auf einen mündlichen Antrag im Januar 1973 beschränkt. Das Versicherungsamt habe inzwischen selbst eingeräumt, daß das bei ihm angewendete Verfahren die ordnungsgemäße Abwicklung seines Rentenantrages nicht gewährleistet habe. Von fehlender Mitwirkung seinerseits könne nicht die Rede sein.
Die Revision ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
Altersruhegeld wegen Vollendung des 63. Lebensjahres gemäß § 12Z0 Abs. 1 Regelung 1 RVO ist nach § 1290 Abs. 1 Satz 2 a.a.O. vom Beginn des Antragsmonats an zu gewähren, wenn der Antrag später als drei Monate nach Erfüllung der Voraussetzungen gestellt wird. Letzteres war beim Kläger nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG im Januar 1973 der Fall. Gleichfalls unbeanstandet festgestellt hat das Berufungsgericht, daß der Kläger am 18. Januar 1973 beim Versicherungsamt Kiel mündlich Altersruhegeld beantragt hat, Dieser Rentenantrag war wirksam, da für ihn nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 RVO in der vor dem Inkrafttreten des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB 1) am 1. Januar 1976 geltenden Fassung keine Form vorgeschrieben ist, und zwar gleichgültig, ob der Antrag nur die Funktion hat, das Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen (§§ 1545 Abs. 1 Nr. 2) oder - wie im Fall des Klägers - auch sachlich-rechtliche Voraussetzung des Rentenanspruchs ist (§ 1248 Abs. 1 a.a.O.; vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 1613 und ausführlich Koch/Hartmann, AVG, Bd V, Einführung in das 6. Buch der RVO, XI, Anm. 3 bis 6). Dies bestreitet auch die Beklagte nicht. Sie meint aber, aus dem Verhalten des Klägers nach Beantragung der Rente folge, daß der Rentenantrag seine Wirkung später verloren habe. Darin kann ihr nicht gefolgt werden.
Der Annahme der Beklagten, der Kläger habe seinen - zunächst wirksamen - Rentenantrag später stillschweigend oder konkludent wieder zurückgenommen oder doch auf die Rechte hieraus verzichtet, fehlt bereits die tatsächliche Grundlage. Ein auch nur stillschweigender oder schlüssiger Antragsverzicht oder eine Antragsrücknahme bedürfte tatsächlicher Umstände, aus denen die Abgabe einer solchen Willenserklärung hinreichend deutlich hergeleitet werden, könnte. Solche Umstände hat das LSG nicht festgestellt. Es hat sich im angefochtenen Urteil auf die Feststellung beschränkt, nach mündlicher Beantragung des Altersruhegeldes habe sich in der Rentenangelegenheit des Klägers bis 18. Juli 1974 - 2. Rentenantrag - "nichts weiter ereignet". An diese Feststellung ist der Senat nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden. Zwar hat die Beklagte gerügt, das LSG habe unter Verletzung seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 SGG) nicht aufgehellt, ob dem Kläger der bei ihr - Beklagten - am 16. Juni 1975 eingegangene Antragsvordruck nicht schon bei seiner ersten Vorsprache beim Versicherungsamt im Januar 1973 ausgehändigt worden sei. Der Umstand indessen, daß der Antragsteller entgegen der im Vordruck gegebenen Belehrung über einen sonst eintretenden Rechtsverlust das Formular nicht binnen angemessener Frist nach mündlichem Antrag zurückgereicht hat, läßt für sich allein noch nicht schließen, daß der Rentenbewerber auf seinen mündlichen Antrag verzichtet oder ihn zurückgenommen hat. Die Beklagte übersieht, daß der Kläger rechtlich nicht verpflichtet war, einen Vordruck zu benutzen (BSG SozR § 1613 Nr. 1). Hierbei hat es auch das ab 1. Januar 1976 geltende Recht belassen, wenn § 60 Abs. 2 SGB 1 bestimmt, daß vorgesehene Vordrucke benutzt werden "sollen''. Wenn der Kläger einen ihm bei mündlicher Antragstellung etwa ausgehändigten Vordruck entgegen der darin enthaltenen Aufforderung nicht binnen angemessener Frist zurückgegeben haben sollte, so mag er dies getan haben, weil er sich - zu Recht - hierzu nicht verpflichtet fühlte und keine wirksamen Sanktionen befürchtete, nicht also deswegen, um - wie die Beklagte meint - kundzutun, daß er an der Weiterbehandlung seines mündlichen Antrags nicht interessiert sei.
Bei diesen Gegebenheiten kann dahinstehen, ob die Feststellung des LSG, nach mündlicher Beantragung der Rente habe sich bis zum erneuten Rentenantrag nichts weiter ereignet, auch auf das Versicherungsamt bezogen und angenommen werden muß, daß dieses entgegen § 1613 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht für die Beschaffung der fehlenden Beweisstücke gesorgt und sodann die Verhandlungen an die Versicherungsanstalt nicht zurückgesandt hat. Schon aus den zuvor dargelegten Gründen ist die von der Beklagten mit ihrer Verfahrensrüge bezweckte weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht geeignet nachzuweisen, daß der Kläger nach dem 18. Januar 1973 auf die Rechte aus dem mündlich gestellten Rentenantrag stillschweigend oder konkludent verzichtet oder einen solchen Antrag gar zurückgenommen hätte.
Im übrigen ist die Auffassung der Beklagten zutreffend, daß sich die Pflichten eines Rentenbewerbers nicht im Rentenantrag selbst erschöpfen. Der Rentenantrag ist, bezogen auf das Verfahren zur Feststellung einer Versichertenrente, zwar Ausdruck der stärksten Form einer Mitwirkung des Rentenversicherten (vgl. den erkennenden Senat in SozR 2200 § 29 Nr. 11 und Koch/Hartmann, SGB 1, § 60 RdNr. 9). Indessen treten zum Rentenantrag weitere Mitwirkungspflichten hinzu, wie sie in § 60 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 und Abs. 2 SGB 1 näher bezeichnet sind. Zwar ist auch diese Vorschrift erst am 1. Januar 1976 in Kraft getreten (Art II § 23 Abs. 1 a.a.O.). Jedoch ist der Gesetzgeber bei den §§ 60ff. SGB 1 davon ausgegangen, daß er mit ihnen allein Übereinstimmung mit dem bereits geltenden Recht aller Sozialleistungsbereiche herbeiführe (der erkennende Senat a.a.O. unter Berufung auf die Amtliche Begründung des Gesetzes; ebenso Hauck/Haines, SGB 1, § 60 Anm. 3 und Thieme in Wannagat, SGB, § 60 RdNr. 2). Mithin hatte der Rentenantragsteller auch schon vor dem 1. Januar 1976 zusätzlich zum Rentenantrag alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 SGBI), Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen (Nr. 3 a.a.O.).
Die bereits oben erwähnten tatsächlichen Feststellungen des LSG ergeben keinen hinreichenden Anhalt, wieweit der Kläger im vorliegenden Fall diese Mitwirkungspflichten verletzt hat. Es kam auch dahinstehen, wieweit dem Kläger etwa wegen fortgeschrittenen Alters oder wegen Nichtvertrautheit mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik an sich bestehende Mitwirkungspflichten nicht hätten zugemutet werden können (vgl. dazu § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB 1). Denn selbst wenn der Kläger Mitwirkungspflichten verletzt haben sollte, könnte ihm die Beklagte die Rente nicht wie geschehen vorenthalten. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB 1 kam zwar der Leistungsträger bei Verletzung dieser Pflichten die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Es bestehen gewichtige Bedenken, diese Sanktionen für eine Zeit vor dem Inkrafttreten der §§ 66 a.a.O., also auf Pflichtverletzungen vor dem 1. Januar 1976 anzuwenden; dies liefe darauf hinaus, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches vorzuverlegen. Selbst wem diese Bedenken im Hinblick darauf zurückgestellt würden, daß rechtsähnliche Vorschriften nicht nur im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. §§ 1243 Abs. 1 Satz 1, 1281 Satz 1, 1287 Abs. 1 RVO9 §§ 20 Abs. 1 Satz 1, 58 Satz 1, 64 des, Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG), sondern in fast allen Bereichen des sozialen Leistungsrechts schon vor dem 1. Januar 1976 bestanden haben (vgl. §§ 192 Abs. 2, 624 Abs. 1 RVO; § 121 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -; § 63 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -; § 16 Abs. 2 des Verfahrensgesetzes in der Kriegsopferversorgung Vfg KOV) und daher der Verallgemeinerung auch für die streitige Zeit zugänglich wären, so könnte die Beklagte dem Kläger das Altersruhegeld dennoch für die Zeit vom 1. Januar 1973 bis 28. Februar 1974 nicht versagen. Das könnte sie auch in diesem Fall nur dann, wenn sie ihn zuvor auf diese Folge schriftlich hingewiesen und ihm angemessene Frist zur Nachholung der Mitwirkung gesetzt hätte. Dies folgt nicht erst aus § 66 As 3 SGB 1. Wo immer vor dem 1. Januar 1976 eine Rentenversagung wegen fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten zugelassen war, war auch bereits ein vorheriger schriftlicher Hinweis durch den Leistungsträger vorgeschrieben (vgl. die vorgenannten Vorschriften, für die gesetzliche Rentenversicherung insbesondere §§ 1243 Abs. 1 Satz 2, 1281 Satz 2, 1287 Abs. 1 RVO; §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 58 Satz 2, 64 Abs. 1 AVG). Auch diese gesetzliche Pflicht des Versicherungsträgers zur vorherigen schriftlichen Belehrung mit Aufklärung der sonst eintretenden nachteiligen Rechtsfolgen müßte zusammen mit den Versagungsvorschriften verallgemeinert werden. Daß aber die Beklagte oder - für sie handelnd - das Versicherungsamt Kiel dem Kläger im vorliegenden Fall eine solche Belehrung erteilt hätte, ist weder vom LSG festgestellt noch von der Beklagten selbst auch nur behauptet.
Mit dieser Entscheidung widerspricht der Senat nicht eigenen früheren Erkenntnissen. Im Beschluß vom 8. Dezember 1960 - 1 RA 63/60 - hatte er über das Rentenbegehren eines Versicherten zu entscheiden, der zwar bei der u.a. vorgesprochen, jedoch einen "mündlichen Rentenantrag nicht wirksam gestellt" hatte. In seiner Entscheidung vom 30. Mai 1978 (SozR 2200 § 29 Nr. 11) hat der Senat die Folgen herausgestellt, die die Verletzung der - auch im vorliegenden Fall bejahten - Mitwirkungspflichten des Rentenbewerbers bei Anwendung der bis 31. Dezember 1975 geltenden Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung haben konnten (§ 29 Abs. 3 RVO). Über eine Vorenthaltung des Rentenanspruchs selbst hatte der Senat dort nicht zu entscheiden; die Verjährung setzt im übrigen voraus, daß der zu prüfende Anspruch besteht (vgl. dazu statt vieler Palandt, BGB, 34. Aufl., § 2229 Anm. 1).
Nach allem kann die Beklagte weder mit ihrem rechtlichen noch mit ihrem tatsächlichen Revisionsvorbringen Erfolg haben. Ihr Rechtsmittel war daher als unbegründet zurückzuweisen. Zugleich war sie zu verpflichten, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung zu erstatten (§ 193 SGG).1 RJ 124/78
Bundessozialgericht
Verkündet am 27. Februar 1980
Fundstellen
Haufe-Index 518595 |
Breith. 1981, 417 |