Leitsatz (amtlich)
1. Das Bestreiten des "überwiegenden Unterhalts" in RVO § 1266 Abs 1 erfordert nicht, daß die verstorbene Ehefrau einen wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Mehrbeitrag zum Familienunterhalt erbracht hat.
2. Bei Anwendung des RVO § 1266 werden Renteneinkünfte und Arbeitsentgelte (im weiten Sinn) demjenigen, der sie tatsächlich dem Familienunterhalt beigesteuert hat, auch dann zugerechnet, wenn Gütergemeinschaft bestand (Anschluß an BSG 1968-05-29 4/12 RJ 386/67 = SozR Nr 5 zu § 1266 RVO).
Normenkette
RVO § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.03.1979; Aktenzeichen L 18 J 130/78) |
SG Detmold (Entscheidung vom 19.04.1978; Aktenzeichen S 11 (18/11) J 91/76) |
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Witwerrente aus der Versicherung seiner am 6. Juli 1975 im Alter von 64 Jahren verstorbenen Ehefrau (Versicherte).
Die Eheleute vereinbarten im März 1953 die allgemeine Gütergemeinschaft (§§ 1437 ff Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- idF vor dem Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957) und erwarben als Miteigentümer ein Zweifamilienhaus, in dem außer ihnen auch die Familie ihrer verheirateten Tochter wohnte. Beiden Eheleuten standen Rentenansprüche zu, und zwar der Versicherten zuletzt in Höhe von 805,70 DM, dem Kläger im selben Zeitraum im Betrage von 838,30 DM monatlich. Darüber hinaus erhielt die Versicherte von ihrem Schwiegersohn für die Mithilfe in dessen Haushalt seit Jahren eine monatliche Zuwendung von 50,-- DM.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Witwerrente ab mit der Begründung, die Versicherte habe im Hinblick auf das höhere Renteneinkommen des Klägers den Familienunterhalt nicht überwiegend bestritten; daran könne auch der Erhalt einer monatlichen Vergütung von 50,-- DM für die Beschäftigung im Haushalt des Schwiegersohns nichts ändern, weil dann der Anteilswert des Klägers an der Haushaltsführung um mindestens den gleichen Betrag höher anzusetzen sei (Bescheid vom 28. Dezember 1975).
Das Sozialgericht Detmold (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. April 1978), das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) die Berufung zurückgewiesen und im Urteil vom 6. März 1979 ausgeführt: Das Renteneinkommen der Versicherten habe zusammen mit der Zuwendung des Schwiegersohns das Einkommen des Klägers um monatlich 17,40 DM überstiegen. Dieser Betrag sei zu geringfügig, um einen überwiegenden Beitrag der Versicherten zum Unterhalt der Familie annehmen zu können; denn er erreiche kaum ein Prozent der Gesamteinkünfte und falle daher bei der gemeinsamen Lebensführung wirtschaftlich nicht ins Gewicht. Der Anteil der von der Versicherten im gemeinsamen Haushalt geleisteten Arbeit sei nicht höher als derjenige des Klägers zu bewerten, zumal in einem Zweipersonenhaushalt der Ehemann die anfallenden Arbeiten in gleicher Weise übernehmen müsse wie die Frau.
Der Kläger hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er ist der Ansicht, in einem Zweipersonenhaushalt bestreite derjenige Ehegatte den Unterhalt der Familie überwiegend, dessen Anteil mehr als die Hälfte ausmache (Hinweis auf SozR Nr 4 zu § 1266 RVO); das sei hier die Versicherte gewesen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. März 1979 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 19. April 1978 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Dezember 1975 zu verurteilen, ihm Witwerrente nach seiner Ehefrau für die Zeit vom 1. August 1975 an zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie macht geltend, unbeschadet der Rechtsansicht des LSG sei vorliegend die vom Normalfall ausgehende Annahme, beide Ehegatten hätten gleichermaßen zur Hausarbeit beizutragen, nicht haltbar. Da die Versicherte für ihre Mithilfe im Haushalt der Tochter und des Schwiegersohns monatlich 50,-- DM erhalten habe, sei der Kläger verpflichtet gewesen, einen größeren, zumindest dem Wert dieses Betrages entsprechenden Anteil der Arbeit im gemeinsamen Haushalt zu übernehmen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß. Die bisherigen Feststellungen reichen für die abschließende Entscheidung über den Anspruch nicht aus.
Nach § 1266 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO), der noch geltendes Recht ist (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975, BVerfGE 39, 169 = SozR 2200 § 1266 Nr 2), wird Witwerrente gewährt, wenn die verstorbene Ehefrau den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Bestand - wie im vorliegenden Fall - die Familie nur aus den in gemeinsamer Haushaltsführung lebenden Ehegatten, so hat derjenige den Unterhalt überwiegend bestritten, dessen Beitrag unter Einschluß der Haushaltsarbeit mehr als die Hälfte der gesamten Unterhaltsleistungen beträgt (ständige Rspr, zuletzt SozR 2200 § 1266 Nr 8 S. 38 und § 593 Nr 1 S. 4).
Soweit das LSG davon ausgegangen ist, zum gemeinsamen Familienunterhalt habe an Geldleistungen der Kläger den monatlichen Rentenbetrag von 838,30 DM, die Versicherte monatlich 855,70 DM (Renteneinkommen von 805,70 DM und Zuwendung vom Schwiegersohn in Höhe von 50,-- DM) beigesteuert, enthält das angefochtene Urteil allerdings keine Erörterung hinsichtlich etwaiger Auswirkungen der von den Eheleuten vereinbarten allgemeinen Gütergemeinschaft. Indessen bleibt dieses vertragliche Sondergüterrecht im Ergebnis ohne Einfluß auf die Beurteilung, welche beiderseitigen Geldbeträge dem Familienetat zugeflossen sind. Die allgemeine Gütergemeinschaft des Klägers mit der Versicherten nach §§ 1437 ff BGB aF wurde durch Art 8 I Nr 6 des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 (BGBl I 609) in die Gütergemeinschaft neuen Rechts (§§ 1415 ff BGB) übergeleitet. Danach werden durch die Gütergemeinschaft sowohl eingebrachtes wie auch während der Gütergemeinschaft erworbenes Vermögen des Mannes und der Frau gemeinschaftliches Vermögen (Gesamtgut), ohne daß es einer rechtsgeschäftlichen Übertragung der einzelnen Gegenstände bedarf (§ 1416 Abs 1 und 2 BGB). Vom Gesamtgut ausgeschlossenes Sondergut sind Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können (§ 1417 Abs 1 BGB). Hierzu gehören Rentenansprüche, soweit es sich um das sog. Stammrecht (Grundanspruch, Gesamtanspruch) handelt (vgl der für die Rentenansprüche der Eheleute bis zum Tode der Versicherten maßgebend gewesene § 119 RVO, der erst mit Wirkung vom 1. Januar 1976 durch das Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil -SGB 1-, Art II §§ 4, 23 Abs 1 gestrichen wurde); hierzu dürfte auch das dienstvertragsähnliche Beschäftigungsverhältnis der Versicherten zu rechnen sein (vgl § 613 Abs 1 BGB). Einzelne Rentenzahlungen fallen allerdings ebenso wie die der Versicherten gewährten Fünfzig-DM-Beträge als Nutzungen in das Gesamtgut (§ 1417 Abs 3 BGB) und werden erst dann für den Familienunterhalt verwendet (§ 1420 BGB).
Gleichwohl kann aus dieser güterrechtlich bedingten Konstellation nicht hergeleitet werden, die Eheleute hätten zu gleichen Teilen den Familienunterhalt bestritten. So hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits entschieden (Urteil vom 29. Mai 1968 = SozR Nr 5 zu § 1266 RVO). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Denn § 1266 RVO stellt auf das tatsächlich Gegebene und Empfangene sowie darauf ab, in welchem Ausmaß die Familie durch den Tod der Versicherten einen tatsächlichen Unterhaltsverlust erlitten hat (vgl BSG aaO). Hiernach bleibt von maßgebender Bedeutung, daß Rentenansprüche und Arbeitsentgelte (im weiten Sinn) der Versicherten mit deren Tod weggefallen sind. Wollte man der gegenteiligen anscheinend vom Reichsversicherungsamt (RVA) vertretenen Auffassung folgen (EuM 42, 187, 190), so wäre ein Witwer, der in Gütergemeinschaft gelebt hat, stets in ungerechtfertigter Weise benachteiligt, wenn seine Ehefrau durch den Bezug von Renten den Familienunterhalt überwiegend bestritten hätte; eine derartige Gesetzesauslegung würde jedoch den Sinn und Zweck des § 1266 RVO in sein Gegenteil verkehren.
Im Ergebnis unerheblich ist auch, daß die Vorinstanz keine Feststellungen getroffen hat, ob die finanziellen Mittel in Höhe von insgesamt 1.694,-- DM tatsächlich für den gemeinsamen Unterhaltsbedarf verwendet worden sind. Bei verhältnismäßig geringem Einkommen besteht ein Erfahrungssatz, daß alle finanziellen Mittel verbraucht werden; andererseits ist eine genauere Prüfung erforderlich, wenn jeder der Ehegatten über relativ hohes Einkommen verfügt und damit zu rechnen ist, daß auch unter Berücksichtigung eines entsprechend höheren Lebensstandards nicht alles für den Familienunterhalt benötigt wird (SozR Nr 4 Aa 5 R, 6 zu § 1266 RVO).
In diesem Zusammenhang ist der "Unterhalt der Familie" ebenso wie in § 1360a Abs 1 BGB zu verstehen (vgl ua SozR 2200 § 1266 Nr 5); er "umfaßt alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten .... zu befriedigen". Rechtsprechung und Schrifttum haben den Begriff "Unterhalt der Familie" zunehmend weit aufgefaßt und ua auch Aufwendungen für einen Bausparvertrag und Investitionen in ein Haus einbezogen (vgl zuletzt SozR 2200 § 593 Nr 1 Seiten 2, 3 mit weiteren Hinweisen). Geht man im vorliegenden Fall davon aus, daß die Einkünfte beider Ehegatten nicht besonders niedrig, sicher aber auch nicht relativ hoch gewesen sind, und berücksichtigt man weiter, daß weder die Beteiligten vorgetragen haben noch sonst Anhaltspunkte dafür erkenntlich sind, es seien für einen Ehegatten reinen Privatinteressen dienende Ausgaben gemacht worden, so besteht - auch für den erkennenden Senat - keine Veranlassung, Bedenken gegen die Unterhaltsbezogenheit der Gesamteinkünfte zu erheben.
Nicht folgen kann der Senat jedoch der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Betrag von monatlich 17,40 DM, um den der Unterhaltsbeitrag der Versicherten denjenigen des Klägers überstiegen habe, sei, da wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallend, zu geringfügig, als daß deshalb ein überwiegender Unterhalt der Familie angenommen werden könnte. Das LSG hat mit seiner Gegenüberstellung des "rechnerischen" (irrelevanten) Mehrbetrags einerseits und des (nach seiner Ansicht erforderlichen) "wirtschaftlichen" Unterschiedsbetrages auf der anderen Seite im Ergebnis ein zusätzliches, im Gesetz nicht enthaltenes Tatbestandsmerkmal in § 1266 RVO hineininterpretiert. Dies läßt sich jedoch nicht rechtfertigen. Der Wortlaut ist eindeutig; er enthält insbesondere auch keine adverbiale Bestimmung über die Intensität oder den Grad des Überwiegens. Folglich hat die Rechtsprechung "überwiegend" mit "mehr als die Hälfte" umschrieben (ua SozR Nr 6 aE zu § 1266 RVO) und dies auch anhand von Zahlenbeispielen zum Ausdruck gebracht (vgl SozR Nr 7 Aa 11 R zu § 1266 RVO). Am Sinn der Vorschrift sind zwar schon Zweifel geäußert worden in der Richtung, ob nicht besser zu verlangen sei, die Versicherte müsse den Unterhalt des Ehemannes (anstatt denjenigen der Familie) überwiegend bestritten haben (SozR Nr 7 zu § 1266 RVO); diese Überlegungen scheiterten aber an der Erkenntnis, nicht befugt zu sein, den Wortlaut des § 1266 RVO umzudeuten. Das vom LSG gutgeheißene Erfordernis eines von der Versicherten beigesteuerten wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Mehrbetrags würde zudem an die Stelle einer klaren Aussage des Gesetzes einen unbestimmten Rechtsbegriff treten lassen, der zu neuen Auslegungsschwierigkeiten und Anwendungsschwierigkeiten führen müßte. Der in diesem Zusammenhang noch von der Beklagten erwähnte Vergleich mit der Rechtsprechung zu § 1265 RVO, wonach nicht jeder Betrag als Unterhalt anzusehen sei, geht fehl; denn dort soll nicht jeder unwesentliche Unterhaltsbeitrag einen Hinterbliebenenrentenanspruch (der geschiedenen Frau) begründen können, während hier das überwiegende Bestreiten des Familienunterhaltes stets zugleich auch einen nicht nur unwesentlichen Unterhaltsbeitrag voraussetzt, ohne daß der Höhe der Differenz zwischen den beiderseitigen Unterhaltsbeiträgen eigenständige Bedeutung beigemessen wird.
Mit der dargelegten Würdigung des Begriffs "überwiegender Unterhalt der Familie" ist aber hier nicht zugleich die Grundlage für eine dem LSG entgegengesetzte Entscheidung in der Sache selbst - im Sinne der Zuerkennung des Anspruchs - geschaffen. Denn einzubeziehen in die Beurteilung ist auch der Wert der im Haushalt geleisteten Arbeit, wobei hierunter ganz allgemein der Familie dienende Arbeiten zu verstehen sind, wie zB Arbeiten am Haus, im Garten und im Zusammenhang mit dem Haushalt stehende Besorgungen (vgl SozR 2200 § 1266 Nr 7). Dies hat das LSG auch erkannt, sich aber mit der - aus seiner anderen rechtlichen Sicht möglicherweise angängigen - Aussage begnügt, von den im ehelichen Haushalt verrichteten Tätigkeiten sei der Anteil der Versicherten nicht höher als derjenige des Klägers. Damit ist indessen keine konkrete tatsächliche Feststellung über den wirklichen Anteil getroffen, sondern nur der nach Ansicht des LSG höchstmögliche Anteil der Versicherten abgegrenzt worden; es bleibt die Möglichkeit offen, daß die Versicherte weniger und der Kläger mehr als die Hälfte dieser Arbeiten getragen hat. Dessen ungeachtet macht die Beklagte mit der Gegenrüge geltend, hier müsse dem Kläger ein Hausarbeitsanteil zugerechnet werden, dessen Wert mit wenigstens 50,-- DM höher monatlich anzusetzen sei. Die Bestätigung dieser Annahme (wobei entscheidungserheblich schon ein geringerer Differenzbetrag wäre) ist zumindest nicht auszuschließen; sie liegt umso näher, je größer der Zeitaufwand der Versicherten für die Arbeit in dem anderen Haushalt gewesen ist. Auf die Verpflichtung des Ehemannes zur Haushaltsmithilfe hat die Rechtsprechung des BSG wiederholt hingewiesen (vgl zuletzt SozR 2200 § 1266 Nr 4 S. 23). Dies stimmt mit der zivilrechtlichen Rechtsprechung überein, die im Hinblick auf die gewandelte Rollenverteilung von Mann und Frau in der Ehe dahin geht, die Haushaltsführung obliege "nunmehr auch nicht immer nur der Frau, sondern im Falle ihrer vollen oder teilweisen Erwerbstätigkeit oder bei Überlastung je nach den Umständen ganz oder teilweise dem Manne" (so BGHZ 56, 389, 393).
Hiernach sind im vorliegenden Rechtsstreit noch Ermittlungen und Feststellungen erforderlich, die nur vom LSG als Tatsacheninstanz getroffen werden können; deshalb ist es erforderlich, den Rechtsstreit zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zweckmäßigerweise wird zunächst der Gesamtwert der Haus(halts)arbeiten und danach der auf Kläger und Versicherte jeweils entfallende Anteil festzustellen sein. Dabei dürften jedenfalls mittelbar Art und Ausmaß der Mithilfe der Versicherten im Haushalt der Tochter und des Schwiegersohnes von Bedeutung sein, wobei die bisherigen Beweisergebnisse sowie der Sachvortrag der Beteiligten mitverwertet werden können. Im einzelnen stehen dem LSG für seine Ermittlungen verschiedene Wege offen (vgl zB SozR Nr 7 Aa 14 zu § 1266 RVO).
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen