Leitsatz (redaktionell)
Die Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung bedingt nicht, daß eine eingetretene weitere Verschlimmerung des anerkannten Leidens stets als Folge der Schädigung gilt.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 13. April 1956 und des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 1955 mit der Maßgabe aufgehoben, daß der Beklagte verpflichtet ist, wegen eines leichten seitlichen Wackelknies links mit Gelenkveränderungen, starkem Muskelschwund des Oberschenkels infolge Verschüttung und Krampfadern am linken Bein, letztere im Sinne der Verschlimmerung, vom 1. Juli 1950 an Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v.H. zu gewähren. Im übrigen wird die Klage gegen die Bescheide vom 14. März 1952, 10. September 1953 und 30. Juli 1954 abgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des ersten Rechtszuges zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu ersetzen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger wurde im Juni 1944 als Soldat im Alter von 21 Jahren verschüttet; dabei wurde das linke Bein erheblich gequetscht. Wegen der Folgen der Verletzung gewährte der Beklagte durch den Bescheid vom 14. März 1952 Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 40 v.H. vom 1. Juli 1950 an und erkannte als Schädigungsfolgen an:
"leichtes seitliches Wackelknie links und starker Muskelschwund des Oberschenkels infolge Verschüttung."
Nach erfolglosem Einspruch hat der Kläger Klage erhoben und ein am linken Bein bestehendes Krampfaderleiden als Versorgungsleiden geltend gemacht; wegen der Schädigung des linken Beins könne er seinen Beruf als Autoschlosser nicht mehr ausüben, was berücksichtigt werden müsse. Im Laufe des Verfahrens hat der Beklagte nach einer neuen ärztlichen Untersuchung durch Bescheid vom 30. Juli 1954 als Versorgungsleiden anerkannt:
"1. Leichtes seitliches Wackelknie links mit Gelenkveränderungen starkem Muskelschwund des Oberschenkels infolge Verschüttung,
2. Krampfadern am linken Bein,
und zwar zu 2) im Sinne der Verschlimmerung durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG";
die Höhe der Rente wurde mit 40 v.H. beibehalten, weil durch das Krampfaderleiden die Erwerbsfähigkeit nicht zusätzlich gemindert werde.
Durch Urteil vom 15. Februar 1955 hat das Sozialgericht - (SG.) - den Beklagten unter Aufhebung der Verwaltungsbescheide verurteilt, dem Kläger Versorgungsrente nach einer MdE. um 50 v.H. zu gewähren und die Krampfadern am linken Bein im Sinne der Entstehung als Versorgungsleiden anzuerkennen, weil eine Krampfadererkrankung vor der Verschüttung nicht vorhanden gewesen, also auch nicht verschlimmert worden sei.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt, wobei er die MdE. in Höhe von 50 v.H. unangefochten gelassen hat. Er hat geltend gemacht, das SG. habe zu Unrecht das Krampfaderleiden als entstanden und nicht als verschlimmert bezeichnet. Das Landessozialgericht - (LSG.) - hat durch Urteil vom 13. April 1956 die Entscheidung des SG. geändert und den Beklagten verurteilt, die Krampfadern am linken Bein als durch eine Schädigung mitverursacht anzuerkennen. Eine Verschlimmerung setze begriffsnotwendig voraus, daß vor der Schädigung ein Gesundheitsschaden vorhanden gewesen sei. Unter Berücksichtigung der bei den Akten befindlichen ärztlichen Äußerungen und Gutachten der Fachärzte für Chirurgie Dres. S... S... und B... des praktischen Arztes Dr. U... und der prakt. Ärztin Dr. D... sei festzustellen, daß die Krampfadern des Klägers auf einer allgemeinen konstitutionellen Bindegewebsschwäche beruhten und ebenfalls am unverletzten rechten Bein später und schwächer aufgetreten seien. Der schweren Prellung komme für dieses Leiden eine wesentliche Bedeutung zu. Sie sei eine Mitursache, weil im Versorgungsrecht mehrere Umstände, die zu einem Erfolg beigetragen haben, dann nebeneinander Mitursachen seien, wenn sie - wie hier - in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig seien. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat das Rechtsmittel der Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Der vom LSG. geprägte Begriff der Mitverursachung sei dem Versorgungsrecht fremd und führe zu Verwirrung und zu Weiterungen, die nicht vertretbar seien.
Er beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Berufung gegen die Entscheidung des SG. Berlin in vollem Umfange stattzugeben.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Urteils des LSG. Berlin zu verurteilen, die Krampfadern im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung als Schädigungsfolge anzuerkennen, im übrigen aber die Revision zurückzuweisen.
Seines Erachtens hat eine Anlage für das Krampfaderleiden vorgelegen; die Schädigung habe aber zu einer richtunggebenden Verschlimmerung geführt.
Streitig ist die Art der Anerkennung des Krampfaderleidens am linken Bein. Die Revision hierüber ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Beklagte ist sowohl durch die Entscheidung des SG. als auch die des LSG. beschwert; denn hinsichtlich der Einflüsse des Wehrdienstes auf das Krampfaderleiden am linken Bein hat der Beklagte eine Verschlimmerung anerkannt, während das SG. Entstehung und das LSG. Mitverursachung angenommen haben.
Wie aus dem Bescheid vom 30. Juli 1954 hervorgeht, ist das Krampfaderleiden nur nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als Schädigungsfolge anerkannt; denn bei Punkt II dieses Bescheides ist nur das BVG aufgeführt; infolgedessen ist die einleitende Bemerkung vor Punkt I, in der auch das Berliner Kriegsopferversorgungsgesetz (KVG) erwähnt ist, ohne Bedeutung. Der Senat brauchte daher nicht zu prüfen, ob und inwieweit hier die Revision deshalb ausgeschlossen sein könnte, weil nicht revisibles Recht aus dem Berliner KVG nachgeprüft werden müßte.
Die demnach im vollen Umfange zulässige Revision mußte Erfolg haben.
Hinsichtlich des Krampfaderleidens hat das LSG. festgestellt, beim Kläger bestehe eine allgemeine konstitutionelle Bindegewebsschwäche. Die Krampfadern am rechten Bein seien im November 1950 noch nicht vorhanden gewesen. Während zwei Ärzte im Januar 1952 und Februar 1954 die Krampfaderbildung als "gering" und als "mäßigen Grades" bezeichnet hätten, habe ein anderer Gutachter im Mai 1955 sogar eine erst beginnende Erweiterung der oberflächlichen Venen beschrieben. Diese Feststellungen sind nicht angegriffen. Sie binden nach § 163 SGG das Revisionsgericht.
Die Folgerungen, die das LSG. aus diesen Feststellungen gezogen hat, sind nicht frei von Bedenken. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - (BSG.) - können die Bedingungen im erkenntnistheoretischen Sinne nicht als Ursachen im Rechtssinne angesehen werden. Vielmehr sind in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts und des Reichsversorgungsgerichts nur diejenigen Einzelbedingungen als Ursachen im Rechtssinne anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie rechtlich nur dann nebeneinanderstehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind (Urteil des erkennenden Senats vom 14. Juli 1955, BSG. 1 S. 150 ff. [156-157]). Der Senat hat im Urteil vom 30. Oktober 1957 (8 RV 47/56 SozR. BVG § 1 Ca 5 Nr. 15) weiter entschieden, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen der Schädigung im Sinne des BVG und den Schädigungsfolgen sowohl die Entstehung als auch die Verschlimmerung einer Gesundheitsstörung durch ein schädigendes Ereignis umfasse.
Wie sich bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, hat das LSG. nicht gebührend berücksichtigt, daß nach seinen Feststellungen das Krampfaderleiden des Klägers am nicht betroffenen rechten Bein ebenfalls aufgetreten ist, wenn auch erheblich später und nicht im gleichen Maße wie am verletzten linken Bein. Diese Entwicklung des Leidens um die Wende des dritten zum vierten Lebensjahrzehnt hätte das LSG. zu der Folgerung veranlassen müssen, daß das Krampfaderleiden des Klägers sich nach eigener Gesetzlichkeit entwickelt hat und in typischer Weise verläuft. Ein solches Leiden kann zwar von außen beeinflußt werden, wie die Entwicklung am verletzten linken Bein sowohl hinsichtlich der Schwere als auch des Auftretens bereits zu Beginn des dritten Lebensjahrzehnts dartut. Maßgebend aber bleibt immer die Anlage, die in Fällen der vorliegenden Art stetig fortschreitende Veränderungen im Körper hervorruft, bis deren Ergebnis in Gestalt des Krampfaderleidens sichtbar wird. Das äußere Ereignis kann in solchen Fällen nur den Zeitpunkt vorverlegen, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder es kann das Leiden schwerer auftreten lassen, als sonst zu erwarten gewesen wäre. Zwar gibt es auch auf einer Anlage beruhende Leiden, bei denen erst die äußere Einwirkung die bis dahin ruhende Anlage dazu veranlaßt, daß sich Veränderungen im Körper zu bilden beginnen, die ihrerseits das Leiden in Erscheinung treten lassen. Der hier zu entscheidende Streitfall gibt keinen Anlaß zu Ausführungen über den ursächlichen Zusammenhang in derart besonders gelagerten Fällen, weil nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts wegen der Eigentümlichkeiten der Krampfadererkrankung des Klägers nicht von einer ruhenden Anlage gesprochen werden kann.
Wenn hier das LSG. der Quetschung bei der Verschüttung die gleiche Bedeutung wie der Anlage zugebilligt hat, so hat es den vorstehend dargelegten Begriff der Kausalität verkannt und hat durch die unrichtige Abwägung der einzelnen, zur Entwicklung des Leidens beitragenden Umstände einen rechtlich unzutreffenden Schluß gezogen. Die angefochtene Entscheidung beruht auf dieser Verkennung des Ursachenbegriffs (§ 162 Abs. 2 SGG) und war deshalb aufzuheben. Bei der nunmehr bestehenden Möglichkeit, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG), hat der Senat den Rechtsstreit als spruchreif angesehen.
Nach den bindenden Feststellungen des LSG. bleibt die Quetschung bei der Verschüttung hinter der Anlage so erheblich zurück, daß sie in ihrer Bedeutung und Tragweite auch nicht annähernd gleichwertig ist und demnach als Mitursache nicht in Betracht kommt. Sie kann daher das Leiden lediglich verschlimmert haben und demgemäß nur zu einer Anerkennung als Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung führen; dies ist im Bescheid vom 30. Juli 1954 ausgesprochen worden. Auch der Kläger hat das nicht verkannt, wie sich aus seinem Antrag in der Revisionsinstanz ergibt. Die von ihm begehrte Anerkennung einer "richtunggebenden Verschlimmerung" wird von der Versorgungsverwaltung und den Kriegsbeschädigten im allgemeinen dahin verstanden, daß eine nach Anerkennung des Versorgungsanspruchs im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung eingetretene weitere Verschlimmerung des anerkannten Leidens stets als Folge der Schädigung gilt. Dies trifft jedoch nicht zu.
Wie der Senat in dem oben bezeichneten Urteil vom 30. Oktober 1957, das sich mit den Folgen einer Verschlimmerung befaßt, ausgeführt hat, muß bei einer neuen Bescheiderteilung auf Grund des § 62 BVG in jedem Fall erneut geprüft werden, ob der veränderte Zustand noch auf Einflüsse des Wehrdienstes zurückgeführt werden kann. Dies gilt auch bei einer als richtunggebend anerkannten Verschlimmerung eines Leidens; denn auch hier braucht eine weitere spätere Verschlimmerung nicht mehr auf Einflüssen des Wehrdienstes, sondern kann auch auf davon gänzlich unabhängigen Umständen beruhen. Eine Verschlimmerung der Krampfadern nach der Anerkennung durch den Bescheid vom 30. Juli 1954 steht hier nicht im Streit. Vielmehr sind sich die Beteiligten einig, daß die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit infolge von Wehrdiensteinflüssen 50 v.H. beträgt, auch wird über die allein durch die Krampfadern hervorgerufene MdE. im Rahmen der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit nicht gestritten. Hinzu kommt noch, daß die Entscheidung darüber, ob eine einmalig abgegrenzte oder eine richtunggebende Verschlimmerung eingetreten ist, nur die Frage betrifft, welchen Anteil die Verschlimmerung an der festgestellten Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit hat (vgl. Beschluß des 11. Senats vom 18. Dezember 1957 - SozR. BVG § 1 Ca 6 v Nr. 17).
Da das SG. durch die Aufhebung sämtlicher Bescheide die Anspruchsgrundlage für die nicht in Streit stehenden und fraglos zu entschädigenden Leiden beseitigt und das LSG. diesen Fehler des Urteils der ersten Instanz bestätigt hat, war es geboten, die anspruchsberechtigenden Schädigungsfolgen im Urteil aufzuführen und die Höhe der Versorgungsbezüge zu bezeichnen.
Demnach war, wie geschehen, zu erkennen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen