Leitsatz (redaktionell)
Der durch das KOVNOG 1 neu eingeführte Berufsschadensausgleich (BVG § 30 Abs 3) ist als völlig selbständige neue Leistung neben die in BVG § 30 Abs 2 vorgesehen Möglichkeit der Erhöhung der MdE wegen besondere beruflicher Betroffenheit getreten. Damit ist die Gewährung des Berufsschadensausgleichs nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen des BVG § 30 Abs 2 erfüllt sind (Anschluß an BSG 1969-03-21 9 RV 730/67 = SozR Nr 36 zu § 30 BVG).
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1960-06-27, Abs. 2
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. August 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
Der 1920 geborene Kläger erhält wegen "Bandschaden am rechten Kniegelenk, Bewegungseinschränkung im Kniegelenk, Arthrosis deformans und Reizzustand im Knie" Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H.. Er erlernte das Maschinenschlosserhandwerk und war vor dem seit 1940 geleisteten Wehrdienst Montageschlosser. Nach dem Kriege war er Schlosser bis 1949 und seither Pkw-Fahrer. Seit dem 1. Februar 1960 ist der Kläger Kraftfahrer beim Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt mit einem monatlichen Verdienst von 855,- DM (seit Januar 1964) und von 1085,- DM (seit November 1964). Am 6. November 1964 beantragte er Berufsschadensausgleich. Im Verwaltungsverfahren hatte der Kläger keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat mit Urteil vom 2. Februar 1967 den Beklagten unter Aufhebung der Verwaltungsbescheide verurteilt, dem Kläger Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung eines Durchschnittseinkommens der Leistungsgruppe 1 der männlichen Arbeiter im "Wirtschaftsbereich Investitionsgüterindustrie" zu gewähren. Bei Prüfung der Leistungsvoraussetzungen komme es nicht darauf an, ob beim Anspruchsberechtigten ein besonderes berufliches Betroffensein vorliege. Gemäß § 3 der Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (DVO) müsse das Durchschnittseinkommen der Leistungsgruppe 1 der Metallarbeiter im "Wirtschaftsbereich Stahl- und Leichtmetallbau" in Höhe von 855,49 DM für die Zeit von April 1964 an und von 1021,- DM für die Zeit vom 1. Oktober 1966 an mit dem streitigen Durchschnittseinkommen des Klägers gegenübergestellt werden.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 17. August 1967 das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Nach § 30 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) idF des 2. Neuordnungsgesetzes (2. NOG) erhalten Schwerbeschädigte einen Berufsschadensausgleich, soweit sie durch die Schädigungsfolgen besonders betroffen sind. Die Vorschrift über den Berufsschadensausgleich (§ 30 Abs. 3 BVG) sei indes nur anwendbar, wenn ein besonderes berufliches Betroffensein i.S. des § 30 Abs. 2 BVG bestehe. Das sei nicht der Fall, so daß ein Anspruch auf Schadensausgleich nicht gegeben sei. Die Verwaltungsvorschriften Nr. 7 zu § 30 BVG widersprächen insoweit dem Gesetz. Über die Zeit nach dem 31. Dezember 1966 habe die Verwaltung nicht entschieden; weil für diese Zeit ein Bescheid noch nicht ergangen sei, habe hierüber auch das LSG nicht entscheiden müssen.
Gegen das ihm am 28. August 1967 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. September 1967 Revision eingelegt und diese begründet. Er rügt Verletzung des § 30 Abs. 2, 3 und 4 BVG und der Verwaltungsvorschrift Nr. 7 zu § 30 BVG i.d.F. des 2. Neuordnungsgesetzes. Der Berufsschadensausgleich sei nicht davon abhängig, daß ein besonderes berufliches Betroffensein i.S. des § 30 Abs. 2 BVG vorliege. Mit der Verweisung in § 30 Abs. 3 BVG auf Abs. 2 dieser Vorschrift sollte vielmehr nur erreicht werden, daß zunächst eine gegebenenfalls erforderliche Erhöhung des MdE-Grades vorzunehmen sei. Ein Schwerbeschädigter habe jedoch Anspruch auf Schadensausgleich, auch wenn sich die MdE nicht berufsbedingt erhöht habe; diese Auffassung komme auch in den Verwaltungsvorschriften in Nr. 7 zu § 30 BVG zum Ausdruck. Folgerichtig enthalte § 30 Abs. 3 i.d.F. des 3.NOG nicht mehr die Worte "beruflich insoweit betroffen als er".
Das LSG hätte den geltend gemachten Anspruch auf Berufsschadensausgleich gemäß § 30 Abs. 3 BVG prüfen müssen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Duisburg vom 2. Februar 1967 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17. August 1967 als unbegründet zurückzuweisen.
Überwiegend werde in der Literatur die Ansicht vertreten, daß § 30 Abs. 3 BVG nur dann anwendbar sei, wenn eine besondere Betroffenheit i.S. des Abs. 2 BVG bejaht worden sei (so Krempe in KOV 1967, 65 und Wüst in KOV 1965, 169; ferner Tichy in KOV 1964, 119). Der Berufsschadensausgleich scheitere auch daran, daß der Kläger keinen Einkommensverlust von mindestens monatlich 75,- DM habe; denn er würde als Montageschlosser 710,- DM verdienen, während er als Kraftfahrer 855,- DM monatlich erhalte, so daß es an einem schädigungsbedingten Einkommensverlust fehle.
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist form- und fristgerecht erhoben und gem. § 164 SGG schriftlich begründet worden. Sie ist auch sachlich gerechtfertigt.
Streitig ist, ob dem Kläger Berufsschadensausgleich zusteht. Das LSG hat zutreffend angenommen, daß der Kläger eine höhere Bewertung der MdE auf Grund eines besonderen beruflichen Betroffenseins i.S. des § 30 Abs. 2 BVG nicht verfolgt habe. Unzutreffend ist jedoch die Auffassung des LSG, schon damit entfalle ein Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG, weil dieser Anspruch voraussetze, daß ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG festgestellt, d.h. die MdE nach dieser Vorschrift bereits erhöht worden ist. Der Anspruch auf Berufsschadensausgleich - seit Inkrafttreten des 1. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (1. NOG unter der Geltung des 1., 2. und 3. NOG - ist nicht davon abhängig, daß die MdE nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht worden ist. Diese Auffassung hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem (zur Veröffentlichung bestimmten) Urteil vom 21. März 1969 - 9 RV 730/67 - vertreten. Der erkennende Senat ist dieser Ansicht in seinen Urteilen vom 27. März 1969 - 8 RV 611/67, 629/67 und 827/68 gefolgt. Sie beruht hauptsächlich auf folgenden Erwägungen:
Mit dem durch das 1. NOG (§ 30 Abs. 3) eingeführten Berufsschadensausgleich trat neben die Erhöhung der MdE (§ 30 Abs. 2 BVG) und von dieser unabhängig eine (neue) selbständige Leistung zur Abgeltung schädigungsbedingten Berufsschadens. Das 1. NOG sah einen Berufsschadensausgleich nur für Erwerbsunfähige vor. Die weitaus überwiegende Zahl dieser Beschädigten erreichte eine MdE von 100 v.H. bereits auf Grund der körperlichen Beeinträchtigung. Es ist nicht anzunehmen, daß nur der kleinere Teil der Erwerbsunfähigen, bei denen noch eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG (auf 100 v.H.) möglich ist, den Berufsschadensausgleich erhalten soll, während die überwiegende Zahl mit schwererem körperlichen Schaden davon ausgeschlossen sein sollte. Es entspricht daher nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes (des 1. NOG), die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG als Anspruchsvoraussetzung für den Berufsschadensausgleich anzusehen.
Das 2. NOG brachte Verbesserungen des Berufsschadensausgleichs, insbesondere die Erweiterung der Anspruchsberechtigung auf alle Schwerbeschädigte, änderte aber nichts an der Grundauffassung, daß es sich bei dem Berufsschadensausgleich um einen gegenüber der Höherbewertung der MdE nach Abs. 2 BVG selbständigen und andersartigen Anspruch auf Ausgleich eines (rein) wirtschaftlichen Berufsschadens handelt. Dem Wortlaut des § 30 i.d.F. des 2. NOG ist nicht zu entnehmen, daß (nunmehr) die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG "Ausgangstatbestand" und damit Anspruchsvoraussetzung für den Berufsschadensausgleich sein soll. Die Worte "beruflich insoweit besonders betroffen als" in § 30 Abs. 3 BVG in Verbindung mit einem zahlenmäßig bestimmten Einkommensverlust, sind nicht so aufzufassen, daß auch für Abs. 3 ein dem Abs. 2 gleichbedeutendes besonderes berufliches Betroffensein vorliegen müsse; sie lassen vielmehr erkennen, daß dem Berufsschadensausgleich ein eigenständiger Begriff des beruflichen Schadens zugrunde liegt.
Durch Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 30 BVG i.d.F. des 3. NOG wird eindeutig bestätigt, daß der Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG von einem besonderen beruflichen Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG unabhängig ist. Diese Vorschrift läßt erkennen, daß der Gesetzgeber auch den Berufsschadensausgleich nach dem 1. und 2.NOG im Sinne des klarstellenden neuen Wortlauts als eine von Voraussetzungen des besonderen Betroffenseins nach § 30 Nr. 2 BVG unabhängige Leistung aufgefaßt hat.
Die Formulierung "nach Anwendung des Abs. 2" in § 30 Abs. 3 (im 2. und 3. NOG) rechtfertigt kein anderes Ergebnis; sie soll nur gewährleisten, daß die Verwaltung (vorrangig) von einer (noch gegebenen) Möglichkeit, den Berufsschaden durch eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG auszugleichen, Gebrauch macht, weil sich diese Art der Abgeltung des Berufsschadens günstiger auswirken kann.
Auch der Anrechnungsvorschrift (§ 30 Abs. 4 letzter Satz des 1. NOG; § 30 Abs. 5 des 2. und 3. NOG) ist zu entnehmen, daß der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nicht eine Erhöhung der MdE nach Abs. 2 vorausgegangen sein muß.
Ist eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 (bindend) abgelehnt worden, weil ein durch Schädigungsfolgen verursachter Berufsschaden nicht vorliege, so ist damit keine bindende Feststellung über eine Voraussetzung des selbständigen und andersartigen Anspruchs auf den Berufsschadensausgleich getroffen worden.
Die Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG (idF vom 23. Januar 1965 - BundesAnz. Nr. 19 vom 19. Januar 1965), in denen es unter Nr. 7 heißt: Bei Anwendung von § 30 Abs. 2 ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs. 2 gegeben sind; die Gewährung des Berufsschadensausgleichs ist jedoch nicht davon abhängig, daß die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 erfüllt sind, stehen daher mit dem Gesetz in Einklang.
Der 9. Senat hat in seinem Urteil vom 21. März 1969 die hier zusammengefaßten Darlegungen im einzelnen noch näher begründet; er hat hierbei auch zu den teilweise abweichenden Meinungen in Rechtsprechung und Schrifttum Stellung genommen und diese widerlegt. Der erkennende Senat schließt sich - ebenso wie in dem bereits erwähnten Urteil vom 27. März 1969 - diesen Ausführungen des 9. Senats an.
Da das LSG von seiner abweichenden Rechtsauffassung aus die Voraussetzung eines Anspruchs auf einen Berufsschadensausgleich nicht geprüft, insbesondere keine Feststellung zur Frage eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes des Klägers getroffen hat und dem Revisionsgericht tatsächliche Feststellungen verwehrt sind, war - entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers - das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird seine neue Entscheidung daher nicht davon abhängig machen dürfen, daß der Kläger i.S. des § 30 Abs. 2 BVG beruflich besonders betroffen ist. Es wird für die jeweiligen Zeitabschnitte das Bruttoeinkommen des Klägers zu ermitteln und aus dem festzustellenden Unterschied zwischen dem Bruttoeinkommen und dem durchschnittlichen Bruttoeinkommensverdienst im Wirtschaftsbereich "Stahl- und Leichtmetallbau" für männliche Arbeiter der Leistungsgruppe 1 (nach den Erhebungen des Statist. Bundesamtes den Berufsschadensausgleich zu berechnen haben. Dabei kommt es - entgegen der Auffassung des Beklagten - auf den gegenwärtigen fiktiven Verdienst des Beschädigten in seinem früheren Beruf als Montageschlosser (710,- DM brutto lt. Auskunft der Fa. Scholten vom 7.12.1964) nicht an.
Der Anspruch über die außergerichtlichen Kosten bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen