Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. November 1968 und des Sozialgerichts Würzburg vom 16. August 1965 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin studierte Medizin und war Mitglied des Kirchenchores der evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Johannis in Würzburg. Am 12. Februar 1964 wurde sie auf dem Wege von ihrer Wohnung nach der St. Johanniskirche zu einer turnusmäßigen Chorprobe von einem Unbekannten überfallen und erheblich verletzt.
Mit Bescheid vom 25. März 1965 lehnte die Beklagte einen Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, an musikalischen Darbietungen mitwirkende Vereinsmitglieder seien nicht als Angestellte des Vereins im Sinne der Unfallversicherung anzusehen; da der Kirchenchor nur mit seinen Mitgliedern tätig werde, seien die Mitglieder eines Kirchenchores weder nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch nach Abs. 2 dieser Vorschrift versichert.
Die Klägerin hat Klage erhoben.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 16. August 1965 (SGb 1967, 134) die Beklagte verurteilt, der Klägerin Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die Folgen des Unfalles am 12. Februar 1964 zu gewähren. Das SG hat ausgeführt, die Klägerin sei bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Mitglied des Kirchenchores der Evangelisch-Lutherischen Kirche nach § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO gegen Arbeitsunfall versichert gewesen.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 8. November 1968 die Berufung zurückgewiesen. Es hat in den Urteilsgründen u. a. ausgeführt: Ein Beschäftigungsverhältnis zufolge eines Arbeits- oder Dienstvertrages im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO sei vor allem deshalb zu verneinen, weil es bei der Mitwirkung in einem Kirchenchor an der das Arbeits- oder Dienstverhältnis kennzeichnenden persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit mangele. Die Klägerin sei als Kirchenchormitglied auch nicht zur Vorführung künstlerischer Leistungen im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO vertraglich verpflichtet gewesen. Die Tätigkeit der Klägerin beim Kirchenchor der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Johannis lasse sich indessen noch als ehrenamtliche Tätigkeit im Dienst der Körperschaft des öffentlichen Rechts „evangelische Kirchengemeinde” einordnen. Die Kirchenchöre im allgemeinen und der Kirchenchor der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Johannis in Würzburg im besonderen würden im Dienst einer Körperschaft des öffentlichen Rechts tätig. Zweifelhaft könne allenfalls sein, ob seine Mitglieder „ehrenamtlich” im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO tätig würden. Die Gesetzesbegründung lasse erkennen, daß es dem Gesetzgeber darum ging, ohne Einschränkung die Personen in den Unfallversicherungsschutz einzubeziehen, die im Interesse der Allgemeinheit für eine juristische Person des öffentlichen Rechts ehrenamtlich tätig würden und die hierfür nicht durch Gesetz eine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts erhielten. Ein solches Tätigwerden im Interesse der Allgemeinheit lasse sich aber für die Mitglieder von Kirchenchören nicht verneinen. Es sei gerichtsbekannt und werde überdies durch die Kirchenchorordnung erhärtet, die für die bayerischen Verhältnisse zwar erst im Jahre 1966 bearbeitet wurde (s. „Gottesdienst und Kirchenmusik” Jahrgang 1966 S. 52 und S. 53), jedoch schon lange Zeit vorher, mindestens aber im Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin, bestanden habe und gehandhabt worden sei, daß der Kirchenchor eine Einrichtung der Kirchengemeinde sei; er versehe im Gottesdienst und in Gemeindeveranstaltungen den der Kirche aufgetragenen Dienst, Gott zu loben und das Wort Gottes zu verkündigen, mit den Mitteln der vokalen Kirchenmusik. Alle diese in der Kirchenchorordnung von 1966 zusammengestellten Grundsätze und Regeln hätten bereits im Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin Gültigkeit besessen, was sich aus den umfassenden und absolut glaubhaften Erklärungen der Klägerin im Erörterungstermin vom 12. Juli 1968 ergebe. Die Kirchenchormitglieder hätten weitaus größere und umfassendere Aufgaben und Pflichten übernommen, als sie den Mitgliedern der Kirchengemeinde im allgemeinen zufielen. Die Mitwirkung in einem Kirchenchor stelle wegen der mit dem Beitritt gleichzeitig übernommenen besonderen Verpflichtung, der Kirche bei der Erfüllung der ihr zufallenden Aufgaben in besonderer Weise und mit besonderen Mitteln zu helfen und damit gleichzeitig der kirchlichen Allgemeinheit zu dienen, ein Ehrenamt dar. Die Kirchenchormitglieder übten zweifellos ihre ehrenvolle Tätigkeit ehrenhalber als Ehrenamt aus. Dabei sei besonders zu bedenken, daß es sich naturgemäß um ein Kirchenamt handele, das sich in seiner Ausgestaltung von ehrenamtlichen Tätigkeiten zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben im Bereich anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts unterscheiden möge, im Rahmen der Aufgaben und Zielsetzung der Kirche jedoch durchaus die Charaktermerkmale eines echten Amtes aufweise.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Sie ist der Auffassung, an den Versicherungsschutz von Kirchenchormitgliedern habe der Gesetzgeber im Bereich des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO nicht gedacht; ihm habe der Versicherungsschutz für Personen vorgeschwebt, die als Amtsträger unentgeltlich öffentlich-rechtliche Funktionen wahrzunehmen hätten. Es sei schon zweifelhaft, ob eine Kirchengemeinde überhaupt eine solche Körperschaft des öffentlichen Rechts sei, wie sie § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO neben den dort angeführten Körperschaften politischer Art in Gestalt der Bundesrepublik Deutschland, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände mit dem Begriff einer „anderen” Körperschaft des öffentlichen Rechts umfasse. Es dürfte sich nur um Körperschaften mit weltlichem, aber keinesfalls speziell religiösem Einschlag handeln. Dagegen spreche auch der Gleichheitssatz, da man sonst alle auch noch so kleinen Religionsgemeinschaften in den Versicherungsschutz miteinbeziehen müßte. Das Ehrenamt müßte außerdem eine konkrete Rechtsgrundlage im Einzelfall aufweisen. Ein kirchliches Amt, selbst ein kirchliches Ehrenamt, könne immer nur ein solches sein, ohne welches die Kirchenordnung, der Vollzug des Gottesdienstes, die Glaubensverkündung, die Religionsausübung nicht gewährleistet sei.
Die Beklagte beantragt,
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Der Verfassungsgeber habe den Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts besondere Rechte zuerkannt. Die Revision betone einseitig den staatlichen Amtsbegriff, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Kirche ihre Ämter und damit auch ihre Ehrenämter frei von Eingriffen der staatlichen Rechtsordnung begründen und verwalten könne. Wenn aber der Gesetzgeber im Rahmen des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO nur Ämter aus dem Bereich des Staates und der gemeindlichen Gebietskörperschaften als ehrenamtliche Tätigkeiten im Sinne dieser Vorschrift hätte anerkennen wollen, so hätte dies im Gesetzestext zum Ausdruck kommen müssen. Der Kirchenchor sei nach den Agenden der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern notwendiger Bestandteil der Gottesdienste. Der Gesang sei im ehrenamtlichen Chor ebenso eine Tätigkeit wie die in einem Berufschor.
II.
Die zulässige Revision ist begründet.
Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß durch die Mitwirkung im Kirchenchor ein Beschäftigungsverhältnis i. S. des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO zwischen der Klägerin und der evangelischen Kirchengemeinde nicht begründet wurde. Es bestand weder eine persönliche noch eine wirtschaftliche Abhängigkeit. Die Mitwirkung der Klägerin an den Chorproben und den Chorveranstaltungen beruhte vielmehr auf der Pflicht als Mitglied des Chores und somit nicht auf einem Arbeits- oder Dienstverhältnis (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-7. Aufl., S. 470 q). Aus diesen Gründen scheidet auch ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO aus (s. Brackmann aaO, S. 476 g). An den Veranstaltungen und Proben des Chores wirkte die Klägerin nicht wie ein beschäftigter Sänger, sondern nur als Chormitglied mit. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Probe, welche die Klägerin am Unfalltage besuchen wollte, überwiegend einem allgemein öffentlichen Konzert oder einer Kirchenveranstaltung dienen sollte. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist sie auch nicht deshalb wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig geworden, weil – wie sie meint – ohne Kirchenchor die Kirchengemeinde hätte ggf. bezahlte Kräfte einsetzen müssen. Entscheidend ist, daß die Klägerin im Chor auf Grund ihrer mitgliedschaftlichen Verpflichtungen mitgewirkt hat.
Ebenso hat das LSG mit Recht einen Versicherungsschutz der Klägerin nach § 539 Abs. 1 Nr. 3 RVO ausgeschlossen.
Entgegen der Auffassung des SG und LSG, der sich das Schrifttum z.T. angeschlossen hat (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 539 Rdn. 80; Schieckel, SGb 1967, 134, 137), ist der erkennende Senat jedoch der Ansicht, daß die Klägerin als Mitglied des Kirchenchores auch nicht gem. § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO gegen Arbeitsunfälle versichert gewesen ist. Nach dieser Vorschrift sind gegen Arbeitsunfälle ua versichert die für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder eine andere Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen, wenn ihnen nicht durch Gesetz eine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts gewährt wird.
Die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern und ihre Kirchengemeinden sind, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, Körperschaften des öffentlichen Rechts i. S. des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO (vgl. Lauterbach aaO; Haase/Koch, Die Unfallversicherung, 1963, § 539 Anm. 19 Buchst. b; Ilgenfritz BG 1963, 281, 284; Vollmar GUV 1964, 33, 36). Sie und ihre Kirchengemeinden sind gem. Art. 140 Grundgesetz (GG) iVm Art. 138 Abs. 5 Satz 1 der Weimarer Verfassung (WV) Körperschaften des öffentlichen Rechts (s. auch § 4 Abs. 2 des Kirchengesetzes über die Kirchengemeindeordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 2. März 1964 – Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 1964, 19). Im kirchenrechtlichen Schrifttum wird allerdings allgemein die Auffassung vertreten, daß der verwaltungsrechtliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts auf die Kirche nicht zutreffe und diese nicht eine generelle Begriffsbildung der öffentlichen Korporation einzubeziehen sei; die Bezeichnung müsse vielmehr in einem spezifischen Sinne verstanden und von dem allgemeinen Begriff geschieden werden (Weber, Hermann, Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, 1966, S. 58; ebenso u. a. Scheuner in: Recht/Staat/Wirtschaft, 4. Band, 1953, S. 88, 114; Hesse, Konrad, in: Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, herausgegeben von Quaritsch und Weber, Hermann, 1967, S. 121, 123; Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. IV/1, 1960, S. 111, 161, 164; Thieme in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., 1957-1962, Sp. 1716; Häberle Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 11 (1964/1965), S. 395 ff.; Hollerbach AÖR Bd. 92 (1967) S. 99, 109; – jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat u. a. in seinem Beschluß vom 17. Februar 1965 hervorgehoben daß die zusammenfassende Kennzeichnung der Rechtsstellung der Kirchen keine Gleichstellung mit anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sondern nur die Zuerkennung eines öffentlichen Status darstelle (BVerfG 18, 385, 386/387; ebenso BVerfG NJW 1971, 931, 932). Die Unterschiede zwischen Religionsgesellschaften mit öffentlichem Status und den „anderen” öffentlich-rechtlichen Körperschaften werden jedoch nicht betont, um diese Religionsgesellschaften von rechtlichen Sonderstellungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften auszuschließen, sondern um ihre Eigenständigkeit gegenüber der staatlichen Gewalt und der durch den öffentlichen Körperschaftsstatus oft bedingten Einschränkung der Selbstbestimmung hervorzuheben. Im Rahmen des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO ist unter diesem Gesichtspunkt eine Unterscheidung zwischen den Religionsgesellschaften im Sinne des Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WV und den „anderen” Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht geboten.
Die Entstehungsgeschichte des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO zeigt zwar, daß der Gesetzgeber in erster Linie die unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung erfassen wollte (Brackmann aaO, S. 474 1). Andererseits ist den Gesetzesmaterialien nicht ausreichend zu entnehmen, daß die Religionsgesellschaften, die nach Art. 140 GG iVm Art. 137 WV Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, nicht als solche des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO anzusehen sind. Die amtliche Begründung läßt vielmehr deutlich erkennen, daß der Gesetzgeber diese Vorschriften nicht auf die öffentlich-rechtlichen Körperschaften beschränken wollte, die mit unmittelbarer oder mittelbarer Staatsverwaltung betraut sind.
Der Senat vermag sich jedoch nicht der Auffassung des SG und LSG anzuschließen, die Klägerin habe als Mitglied des Kirchenchors in der evangelisch-lutherischen Kirche eine ehrenamtliche Tätigkeit i. S. des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO ausgeübt.
Die Klägerin hat zwar als Chormitglied unentgeltlich an den Chorveranstaltungen mitgewirkt. Das LSG hat aber mit Recht ausgeführt, daß dies allein nicht ausreiche, um eine ehrenamtliche Tätigkeit anzunehmen. Die Unentgeltlichkeit ist der ehrenamtlichen Tätigkeit eigentümlich (s. Brackmann aaO, S. 474 1); sie ist jedoch nur eine ihrer Voraussetzungen. Hätte der Gesetzgeber im Rahmen des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO den Versicherungsschutz nur nach dem Kriterium der Unentgeltlichkeit abgrenzen wollen, so hätte er diese und nicht die ehrenamtliche Tätigkeit als Tatbestandsmerkmal wählen müssen.
Der ehrenamtlichen Tätigkeit ist nicht nur die Ehre, sondern auch das „Amt” eigen. Ein ehrenamtlich Tätiger nimmt ein Amt ehrenhalber wahr (Brackmann aaO). Das LSG hat auch dies nicht übersehen, meint jedoch, daß das Mitwirken der Klägerin im Kirchenchor „durchaus die Charaktermerkmale eines echten Amtes” aufweise. Mit der Prüfung der Merkmale einer ehrenamtlichen Tätigkeit greift der Senat nicht, wie die Klägerin meint, in die Ämterhoheit der evangelisch-lutherischen Kirche ein. Ebenso wie die Kirche nur selbst verbindlich zum Ausdruck bringen kann, wie sie ihren geistlichen Auftrag versteht (s. BSG 16, 289, 291), kann auch die RVO sie nicht in der Ausgestaltung ihrer Ämter beschränken. Davon zu trennen ist jedoch die hier wesentliche weitere Frage, ob kirchliche Ämter nach ihrem Inhalt oder ihrer Ausgestaltung durch die Kirche bestimmten Tatbestandsmerkmalen der RVO entsprechen; dies beantwortet sich durch Auslegung der maßgebenden Vorschriften dieses Gesetzes. Die Bewertung einer Tätigkeit durch die Kirchenordnung als Ausübung eines „Amtes” könnte allerdings auch für die Auslegung des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO ein wesentlicher Anhaltspunkt sein.
An der Auslegung der entsprechenden kirchenrechtlichen Vorschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist der Senat nicht gehindert. Die Revision kann zwar nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (s. § 162 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Die Chorordnung aus dem Jahre 1966, auf die sich das LSG bezieht, ist jedoch keine kirchenrechtliche Vorschrift, sondern enthält, wie auch die Erläuterungen hierzu ausdrücklich hervorheben, nur Richtlinien, die der Chor selbst auf die besonderen örtlichen Verhältnisse ausrichten kann (Gottesdienst und Kirchenmusik 1966, 52, 53). Kirchenordnungen oder andere Kirchengesetze im Lande Bayern hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, so daß der Senat sie selbst auslegen kann (s. BSG 7, 122, 125; 31, 275, 278).
Die Kirchliche Lebensordnung vom 29. August 1922 (Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins, S. 224) idF des Kirchengesetzes vom 14. Juli 1924 (Amtsblatt aaO 1925, S. 1) enthielt keine Bestimmungen über Kirchenchormitglieder. Die Ordnung des kirchlichen Lebens der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands (Luther-Verlagshaus Berlin, 1960) weist zwar u. a. auf die notwendige Mitwirkung von Gemeindemitgliedern im Chorgesang hin, ergibt aber keinen Hinweis dafür, daß die Chormitglieder deshalb ein Ehrenamt ausüben. Das Kirchengesetz über die Kirchengemeindeordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 2. März 1964 (Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, S. 19) erwähnt auch in der Vorschrift über die ehrenamtlichen Mitarbeiter (§ 58) ebenso wie die gleichfalls – nach dem Unfall der Klägerin – am 1. Juli 1966 in Kraft getretene „Ordnung des kirchlichen Lebens in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern” (Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, S. 128, hier Abschnitt IX: „Von Amt und Gemeinde”, unter Nr. 2) weder die Kirchenchormitglieder, noch sind ihm Kriterien für die ehrenamtliche Tätigkeit in der Kirche als öffentlich-rechtliche Körperschaft zu entnehmen. Daß die Kirchengemeinde nach § 58 des Kirchengesetzes vom 2. März 1964 (aaO) gehalten ist, ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern im Dienst „Schutz und Hilfe” zuteil werden zu lassen, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Revision nicht den Schluß, daß schon aufgrund dieser Vorschrift gegen Unfälle ein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen müsse. Außerdem setzt auch diese Vorschrift eine „ehrenamtliche” Mitarbeit voraus.
Im kirchenrechtlichen Schrifttum behandelt Wolf, Erik, (Ordnung der Kirche, 1961, S. 602 ff.) für die evangelische Kirche als kirchliche Ämter das Pfarramt, Ältestenamt, Diakonenamt, Lehramt und die Hilfsämter. Zu den Inhabern von Hilfsämtern zählt er den Kantor, den Küster und die Personen, die „andere Dienste” ausüben (S. 644), wie „z. B.” die der Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen, Fürsorger und Fürsorgerinnen. Ihre Rechtsstellung entspreche derjenigen der Kirchenbeamten oder kirchlichen Angestellten je nach der Rechtsgrundlage (Wolf aaO, S. 644). Grundmann (in: Evangelisches Staatslexikon, 1966, Sp. 35, 37) führt als Träger eines Amts u. a. an: Vikarinnen, nichtakademisch vorgebildete Pfarrhelfer (Pfarrvikare, Pfarrdiakone), Lektoren, Kirchenmusiker, Katecheten, Gemeindehelferinnen. Einzelne Kriterien des kirchlichen Amtes behandeln Wolf und Grundmann nicht. Das Schrifttum zum allgemeinen Verwaltungsrecht nimmt zum Begriff des Amtes zum Teil etwas näher Stellung. Nach Wolff (Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., 1970, § 73 I a, S. 26) bedeutet „Amt” den verantwortlich wahrzunehmenden Pflichtenbereich eines Menschen, der ihm für andere obliegt, und zwar sowohl gegenüber dem eigentlichen Träger der betreffenden Rechte und Pflichten (Innenverhältnis) als auch gegenüber dem von der Pflichtausübung Betroffenen (Außenverhältnis) als auch gegenüber der Allgemeinheit. Merk (Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd. 1962, § 20, S. 423) sieht als Amt einen durch das öffentliche Recht bestimmten Kreis staatlicher Geschäfte an; es würden nur die Personen wechseln, denen das Amt zur Verwaltung übertragen werde, während der Kreis der Geschäfte derselbe bleibe oder bleiben könne. Nach Mang/Maunz/Mayer/Obermayer (Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 1962, S. 44) verstehe man in aller Regel unter dem Begriff „öffentliches Amt” nicht nur das hauptamtliche öffentliche Amt, sondern auch das öffentliche Ehrenamt; entscheidend für das öffentliche Amt sei die Abgrenzung eines Kreises von Geschäften, deren Besorgung durch den Amtsträger nicht ihm persönlich, sondern dem Rechtssubjekt zugerechnet werde, dessen Geschäfte er innerhalb jenes Kreises wahrnehme. Die Wahrnehmung eines öffentlichen Ehrenamtes gehe schon begrifflich von einem öffentlichen Amt, einem bestimmt umgrenzten, institutionell geordneten Wirkungskreis im Bereich öffentlicher Gewalt aus (Korte, Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 3, 1961, S. 27). Zwar zeigt sich auch hier, worauf das LSG ebenfalls allgemein hinweist, daß die Begriffsbestimmungen zum allgemeinen Verwaltungsrecht in erster Linie auf andere öffentlich-rechtliche Körperschaften als die Kirchen und hinsichtlich dieser allenfalls auf die ehrenamtliche Tätigkeit in der Kirchenverwaltung abgestellt sind. Sie lassen jedoch erkennen, daß dem Amt das Besorgen eines bestimmten „Kreises von Geschäften” (Mang/Maunz/Mayer/Obermayer aaO; Merk aaO), eines „geordneten Wirkungskreises” (Korte aaO) oder eines „verantwortlich wahrzunehmenden Pflichtenbereiches” für die Körperschaft eigen ist (Wolff aaO; s. auch Brackmann WzS 1965, 33, 35).
Der für die Kirche wahrzunehmende eigene Pflichtenkreis findet sich auch in den Ämtern und Hilfsämtern, die im kirchenrechtlichen Schrifttum Wolf (aaO) und Grundmann (aaO) als Beispiele aufführen. Er fehlt aber den Mitgliedern eines Kirchenchores, die lediglich die Pflichten als Mitglieder einzuhalten haben. In den „Richtlinien für die Ordnung des Kirchenmusikers und des kirchlichen Hilfsdienstes” des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenrates vom 4. September 1922 (Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche Bayern rechts des Rheins, S. 129, s. § 2 Abs. 1 S. 1) werden im Zusammenhang mit einem kirchlichen Haupt- oder Nebenamt lediglich der Kirchenmusiker und die kirchlichen Hilfsdienste erwähnt.
Die Richtlinien für die gottesdienstliche Chormusik aus dem Jahre 1937 (s. Amtsbl. aaO, S. 131) weisen zwar in Abs. 2 der Einleitung darauf hin, daß der Kirchenchor ein „gottesdienstliches Amt” trage. Unter Nr. 5 dieser Richtlinien heißt es in Satz 1, sei Kirchenchoraufgabe heute wieder ein Amt, so fordere dieses von Sängern und Chorleiter persönlich wie von der Chorgemeinschaft ein Leben der Zucht und der Eingliederung in das Leben der kirchlichen Gemeinschaft, in das sie ihr Amt tragen würden, im vollen Gefühl ihrer gottesdienstlichen Verantwortung. Daraus ist jedoch nur ersichtlich, daß das einzelne Chormitglied anders als bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit keinen eigenen Pflichtenkreis im Sinne eines Ehrenamtes wahrzunehmen, sondern sich in den Chor und allgemein in die kirchliche Gemeinschaft einzugliedern hat. Die „Allgemeine Dienstanweisung für Kirchenmusiker” vom 10. Juli 1968 (Kirchliches Amtsblatt S. 128) bezeichnet das Amt des Kirchenmusikers dagegen als „kirchliches” Amt. Ihm obliegt anders als dem einzelnen Chormitglied ein größerer selbständiger eigener und nicht auf eine Mitgliedschaft beschränkter Pflichtenkreis. Die Aufgaben und Pflichten eines einzelnen Chormitglieds ergeben sich dagegen ausschließlich aus der Mitgliedschaft im Chor. Deshalb brauchte der Senat nicht abschließend zu den einzelnen Begriffsmerkmalen der ehrenamtlichen Tätigkeit im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO Stellung zu nehmen.
Die Klägerin war somit als Chormitglied auch nicht gem. § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO versichert, weil sie insoweit keine ehrenamtliche Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift ausgeübt hat. Auf die Revision der Beklagten waren daher die Urteile des LSG und SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Küster, Dr. Krasney.
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 27.04.1972 durch Hanisch RegHauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen