Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des 3. ZVbg AllgAbk Belgien SozSich vom 1957-12-07 Art 6 S 1 und 2 der über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens vom 1957-12-07 (BGBl 11 1963, 438).
Orientierungssatz
Zu dem Begriff "Rechtsvermutung" und zu der Frage, welche Anforderungen an den Gegenbeweis einer Rechtsvermutung zu stellen sind.
Normenkette
RVO § 537 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09, § 543 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09; SozSichAbkZVbg BEL 3 Art. 6 Sätze 2, 1
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 1971 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß dem Kläger zu 1) Kosten nicht zu erstatten sind.
Die Beklagte hat dem Kläger zu 2) auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger zu 2) ist belgischer Staatsangehöriger und wohnt in Belgien. Er war während des zweiten Weltkrieges in der Zeit vom 1. Februar 1943 bis zum 9. März 1944 bei einer Firma in M beschäftigt.
Der Kläger zu 1) gewährt dem Kläger zu 2) wegen der in den Jahren 1943/1944 aufgetretenen Psychose (Schizophrenie) eine Rente nach den belgischen Rechtsvorschriften über Entschädigungsrenten für zivile Opfer des Krieges 1940 - 1945 und ihre Hinterbliebenen. Der Kläger zu 1) ging davon aus, daß den Kläger zu 2) Ende 1943/Anfang 1944 auf dem Weg zur Arbeit ein Motorradfahrer angefahren und der Kläger zu 2) sich dabei eine Kopfverletzung zugezogen habe. Anschließend sei bei dem Kläger zu 2) eine zunehmende geistige Verwirrung in Form einer Psychose (Schizophrenie) aufgetreten, die ab 11. August 1944 zur dauernden Erwerbsunfähigkeit geführt habe. Die an sich konstitutionelle Erkrankung sei durch den Unfall zum Ausbruch gekommen. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 50 %.
Im Juli 1961 beantragte der Kläger zu 1) aus Anlaß dieses Unfalls Entschädigungsleistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung.
Ermittlungen der Beklagten über den Unfall blieben ergebnislos. Im Melderegister der für die Firma H-Werke AG im M damals zuständig gewesenen Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft ist der Unfall nicht verzeichnet. Die Lohnunterlagen der Firma H-Werke AG sind durch Kriegseinwirkungen vernichtet. Die Polizeistation Meschede sowie die Staatsanwaltschaft Arnsberg konnten keine Unterlagen über den Unfall ermitteln. Nach einer Auskunft der AOK M war der Kläger zu 2) in der Zeit vom 1. Februar 1943 bis zum 9. März 1944 bei der AOK angemeldet und in der Zeit vom 27. Oktober 1943 bis zum 9. Januar 1944 arbeitsunfähig krank. Aus der von der Beklagten vom St. W-Krankenhaus in M beigezogenen Krankengeschichte des Klägers zu 2) ergibt sich, daß dieser in der Zeit vom 27. Oktober 1943 bis zum 5. Januar 1944 wegen einer Pleuritis exsudativa links stationär behandelt worden ist. Ein Hinweis auf den behaupteten Unfall oder auf Folgen des Unfalls ist in der Krankengeschichte nicht verzeichnet.
Die Beklagte lehnte eine Entschädigung aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung führte sie aus: Es könne bei der gegebenen Sachlage mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Kläger zu 2) während seiner Beschäftigung bei der Firma in Meschede einen Unfall erlitten habe, der nach seiner Art und Schwere geeignet gewesen wäre, die jetzt bestehende Geisteskrankheit zu verursachen oder wesentlich zu beeinflussen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 14. Oktober 1968 abgewiesen, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der festgestellten Schizophrenie allenfalls möglich, nicht aber wahrscheinlich sei.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger Berufung eingelegt und geltend gemacht: Aus den im Verwaltungsverfahren überreichten Unterlagen ergebe sich, daß der Kläger zu 2) einen Arbeitsunfall erlitten habe, der zum Ausbruch seiner Geisteskrankheit in rechtlich wesentlicher Weise beigetragen habe. Die deutschen Stellen seien nach Art. 6 der Dritten Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens (3. ZV) an den von den belgischen Stellen festgestellten Sachverhalt gebunden. Es bestehe außerdem eine Vermutung dafür, daß zwischen dem ermittelten Sachverhalt und der Körperbeschädigung ein ursächlicher Zusammenhang bestehe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Entscheidung des Sozialgerichts durch Urteil vom 26. Mai 1971 geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger zu 2) ab 1. Oktober 1944 Verletztenrente nach einer Erwerbsminderung von 50 % zu zahlen, soweit der Rentenanspruch nicht auf den Kläger zu 1) übergegangen ist, im übrigen an den Kläger zu 1) zu zahlen. Es hat sein Urteil im wesentlichen wie folgt begründet: Dem Kläger zu 2) stehe ab 1. Oktober 1944 ein Rentenanspruch aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu. Er habe Ende 1943/Anfang 1944 einen Wegeunfall erlitten. Aus den Unterlagen der AOK M sowie den vom Kläger zu 1) der Beklagten überreichten Unterlagen ergebe sich, daß der Kläger zu 2) als belgischer Staatsangehöriger vom 1. Februar 1943 bis zum 9. März 1944 bei einer Firma in Meschede als Arbeiter beschäftigt gewesen sei. Die von den zuständigen belgischen Stellen gehörten Zeugen hätten übereinstimmend ausgesagt, daß der Kläger zu 2) eines Morgens Ende 1943 oder Anfang 1944 während eines Marsches in einer Kolonne zur Arbeit von einem deutschen Motorradfahrer umgefahren und am Kopf verletzt worden sei. Dieser von den zuständigen belgischen Stellen ermittelte Sachverhalt sei von den deutschen Stellen gemäß Art. 6 Satz 1 der 3. ZV zu berücksichtigen. Es sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit widerlegt und somit der Beurteilung, ob ein Arbeitsunfall vorliege, zugrunde zu legen. Der Umstand, daß in der Krankengeschichte des St. W-Krankenhauses in M nichts über den Wegeunfall und seine Folgen verzeichnet sei, spreche nicht entscheidend gegen die getroffene Feststellung. Zwar könnten sich die Zeugen wegen des langen Zeitablaufs nicht mehr an das genaue Unfalldatum erinnern. Aufgrund ihrer Aussagen und des Briefes des Zeugen B vom 12. Oktober 1948 bestehe aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich der Unfall erst nach der stationären Krankenhausbehandlung des Klägers Anfang 1944 ereignet habe. Der Zeuge gebe an, daß der Kläger zu 2) nur einige Tage im Krankenhaus gewesen sei und bereits unzusammenhängende Reden gehalten habe, als er in die Wohnbaracke zurückgekehrt sei. Das Leiden habe sich dann nach der Aussage des Zeugen bis zum Beginn des Heimaturlaubs des Klägers zu 2) Ende Februar 1944 verschlimmert. Diese Darstellung werde dadurch bestätigt, daß auf dem Gutachten der vertrauensärztlichen Dienststelle Brüssel vom 6. März 1944 verzeichnet sei, der Kläger zu 2) befinde sich seit dem 27. Februar 1944 wegen eines Nervenleidens bei Dr. d K in B in Behandlung und werde von diesem für arbeitsunfähig gehalten. Der von den zuständigen belgischen Stellen ermittelte Sachverhalt werde auch nicht dadurch widerlegt, daß die von der Beklagten angestellten Ermittlungen ergebnislos verlaufen seien. Es sei nicht von der Hand zu weisen, daß die Firma in M eine Meldung des Unfalls nicht mehr für erforderlich gehalten habe, nachdem der Kläger zu 2) aus seinem Heimaturlaub nicht mehr zurückgekehrt sei und die äußerlich erkennbaren Folgen des Unfalls möglicherweise nur geringfügig gewesen seien. Nach Art. 6 Satz 2 der 3. ZV werde auch vermutet, daß zwischen dem Ereignis, das sich aus diesem ermittelten Sachverhalt ergebe, und der Körperbeschädigung ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Diese Vermutung sei widerlegt, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, daß die sogenannte haftungsausfüllende Kausalität nicht gegeben sei. Das sei jedoch nicht der Fall. Der vom Senat gehörte Sachverständige Dr. K habe unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft auf dem Gebiet der Verursachung der Schizophrenien überzeugend dargelegt, es sei unter Zugrundelegung des von den zuständigen belgischen Stellen ermittelten Sachverhalts wahrscheinlich, daß der Unfall die wesentliche Bedingung oder wenigstens eine wesentlich mitwirkende Bedingung dafür gewesen sei, daß die Schizophrenie beim Kläger zum Ausbruch gekommen sei. Die unfallbedingte MdE sei auf 50 v.H. einzuschätzen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG habe die Vermutung des Art. 6 der 3. ZV, die nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. e EWG-Verordnung Nr. 3 durch Aufnahme in deren Anhang D weiter anwendbar sei, zu Unrecht auf die sogenannte haftungsbegründende Kausalität erstreckt. Die Vermutung des Art. 6 Satz 2 der 3. ZV beziehe sich nur auf die sogenannte haftungsausfüllende Kausalität. Das Ereignis als solches müsse dagegen - auch als versichert - nachgewiesen werden. Die Versicherungsträger seien bei der Beurteilung der Frage, ob ein versicherter Arbeitsunfall oder Wegeunfall vorgelegen habe, völlig frei. Den belgischen Berechtigten habe nur der Nachweis der sogenannten haftungsausfüllenden Kausalität erleichtert werden sollen. Dies habe seinen Grund darin, daß die belgischen Stellen vielfach den gesundheitlichen Zustand ihrer Staatsangehörigen vor deren Dienstverpflichtung und nach ihrer Rückkehr aus Deutschland überprüft hätten. Die entsprechenden Unterlagen seien regelmäßig Bestandteil der belgischen Akten. Dagegen sei aus diesen Akten zur Frage der haftungsbegründenden Kausalität nichts zu entnehmen. Im übrigen gelte die in Art. 6 Satz 2 der 3. ZV niedergelegte Vermutung nur für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Allgemeinen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957. Für die Zeit danach bleibe es den deutschen Unfallversicherungsträgern unbenommen, die medizinischen Folgen des an sich versicherten und anerkannten Arbeitsunfalls neu zu bewerten. Selbst wenn man jedoch der unzutreffenden Rechtsauffassung des LSG folgt, komme eine Entschädigungspflicht der Beklagten nicht in Betracht. Der von den belgischen Stellen unterstellte und nach Auffassung des Berufungsgerichts und der Kläger ermittelte Sachverhalt sei ausreichend widerlegt.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 1971 die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Oktober 1968 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie halten das Urteil des Berufungsgerichts im Ergebnis für zutreffend und machen geltend, das LSG habe bei seiner Entscheidung zu Recht Art. 6 der 3. ZV berücksichtigt, der eine Fiktion begründe, daß der von den belgischen Stellen ermittelte Sachverhalt richtig sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entscheiden können; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind erfüllt.
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Die Frage, ob die Voraussetzungen für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Verletztenrente erfüllt sind, ist nach den deutschen Rechtsvorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung zu beurteilen. Sowohl nach der Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (BGBl 1959 II 473 - EWG-VO Nr. 3 - vgl. Art. 12) als auch nach dem Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 (Allgemeines Abkommen) und der 3. Zusatzvereinbarung - 3. ZV - zum Allgemeinen Abkommen über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens, ebenfalls vom 7. Dezember 1957, (BGBl 1963 II 404) unterliegen die Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften des Mitglieds- bzw. Vertragsstaates, in welchem sie beschäftigt sind oder waren. Es kann deshalb dahinstehen, ob die EWG-VO Nr. 3 (vgl. Art. 4) mit der in ihrem Anhang D aufgenommenen 3. ZV (vgl. Art. 6 Abs. 2 Buchst. e, Art. 5 Buchst. a der EWG-VO Nr. 3) oder das Allgemeine Abkommen in Verbindung mit der 3. ZV anzuwenden ist.
Der Kläger gehörte bei seiner Beschäftigung in Meschede während des 2. Weltkrieges zu dem Kreis der gegen Arbeitsunfall versicherten Personen. Er war aufgrund eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des - im Unfallzeitpunkt geltenden und deshalb hier maßgebenden - § 537 Nr. 1 RVO in der Fassung des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl I 107 - RVO aF) tätig.
Die Gewährung einer Verletztenrente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung setzt weiter voraus, daß die MdE des Versicherten durch einen Arbeitsunfall verursacht worden ist.
Bei der Prüfung dieser Anspruchsvoraussetzung "berücksichtigen" die deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung "bei Personen, denen auf Grund der belgischen Rechtsvorschriften ein Anspruch auf Wiedergutmachung zuerkannt worden ist, den Sachverhalt, der von den zuständigen belgischen Stellen ermittelt worden ist" (Art. 6 Satz 1 der 3. ZV).
Die zuständigen Stellen haben ermittelt, daß der Kläger zu 2) auf einem Weg nach der Arbeitsstätte von einem Motorradfahrer angefahren und am Kopf verletzt worden ist. Danach hat der Kläger einen Arbeitsunfall im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO aF erlitten. Die Berücksichtigung des von den zuständigen Stellen ermittelten Sachverhalts gemäß Art. 6 Satz 1 der 3. ZV entspricht einer Rechtsvermutung. Rechtsvermutungen sind Rechtssätze, nach denen unter bestimmten Voraussetzungen, d.h. beim Bestehen der Vermutungsgrundlage, eine Tatsache oder ein Rechtszustand als feststehend anzusehen ist, sei es unter Zulassung, sei es unter Ausschluß des Gegenbeweises (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 7. Aufl., S. 244 m IV). Sie bestehen nur in den gesetzlich geregelten Fällen und werden zuweilen in Tatsachenvermutungen und Rechtszustandsvermutungen unterteilt (Brackmann aaO; Rosenberg, Die Beweislast, 5. Aufl., S. 199, 203, 225 ff; Rosenberg/Schwab, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 10. Aufl., § 117 I. 4, S. 580, 581; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 5. Aufl., § 292 Anm. 1; Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen, in: Schriften zum Prozeßrecht (Berlin 1966), Band 4, S. 92; vgl. im übrigen Stein/Jonas/Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 292 Anm. I; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., § 292 Anm. 1 und 2).
Entgegen der Auffassung der Kläger ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß im Rahmen des Art. 6 Satz 1 der 3. ZV der Gegenbeweis zulässig ist. Eine Rechtsvermutung ist unwiderleglich nur, wenn dies aus dem Gesetz hervorgeht (Brackmann aaO). Der Wortlaut dieser Vorschrift schließt den Gegenbeweis nicht aus. Der von den zuständigen belgischen Stellen ermittelte Sachverhalt ist nicht "anzunehmen" oder "gilt" nicht als maßgebend, sondern ist - nur - "zu berücksichtigen". Die Entstehungsgeschichte bestätigt die Auslegung, daß Art. 6 Satz 1 der 3. ZV den Gegenbeweis zuläßt. Bei der Aufnahme der Verhandlungen zwischen dem Königreich Belgien und der BRD über die Sozialversicherungsabkommen im Februar 1956 in Brüssel lag ein belgischer Entwurf für eine Zusatzvereinbarung über die Ansprüche aus der Vergangenheit vor, deren Art. 5 wie folgt lautete:
"Hat die Verwaltung für Personenschäden einem Verletzten oder einem Anspruchsberechtigten im Sinne der belgischen Rechtsvorschriften über die zivilen Kriegsopfer den Anspruch auf Entschädigung zuerkannt, so nimmt der Versicherungsträger, was die sachlichen Umstände des Unfalls betrifft, die gegenüber dieser Verwaltung behaupteten Tatsachen als erwiesen an, soweit er nicht den Gegenbeweis erbringen kann."
Schon am Beginn der Vertragsverhandlungen war somit nicht in jedem Fall eine Bindung der deutschen Versicherungsträger an den sog. Wiedergutmachungssachverhalt beabsichtigt.
Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck des Art.6 Satz 1 der 3. ZV, der auf der Überlegung beruht, daß in den dort angeführten Fällen bei den belgischen Stellen sorgfältig geführte, wenn auch unter anderen Gesichtspunkten angelegte Akten über die Wiedergutmachung bestehen und daß man den belgischen Berechtigten vielfach überfordern würde, viele Jahre nach Kriegsende u.a. Beschäftigungsort, Arbeitgeber und sonstige für den Eintritt des Versicherungsfalls wesentliche Umstände darzulegen (vgl. Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - BMA - vom 28.11.1969 - Az.: IV b 6-4120.17-2411/69). Diese Erwägungen schließen jedoch die Zulässigkeit des Gegenbeweises auf Grund der eigenen Ermittlungen des deutschen Sozialversicherungsträgers nicht aus. Eine Fiktion, welche die gleichen Wirkungen wie eine unwiderlegliche Vermutung hat, kann hier entgegen der Auffassung der Kläger schon nach dem Begriff der Fiktion nicht vorliegen, da sie einen nicht zutreffenden Tatbestand unterstellt (vgl. Baumbach/Lauterbach aaO § 292 Anm. 1 c).
Welche Anforderungen an den Gegenbeweis einer Rechtsvermutung zu stellen sind, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beantwortet. Überwiegend wird angenommen, die Rechtsvermutung sei nur widerlegt, wenn die "volle Gewißheit der Unrichtigkeit" (vgl. BSG 12, 139, 144; BSG Der Versorgungsbeamte 1971, 137) bzw. die "volle Überzeugung" der Unrichtigkeit besteht (s. BGH RzW 1959, 143; 1960, 119; OLG München RzW 1966, 129), der "volle Beweis der vermuteten Tatsache" geführt ist (Stein/Jonas/Pohle aaO § 292 Anm. II 2) oder "jede Möglichkeit des gesetzlichen Schlusses wegfällt" (Baumbach/Lauterbach aaO, § 292 Anm. 2 B; Rosenberg/Schwab aaO, S. 581, § 117 I 4). Die "volle Überzeugung" der Unrichtigkeit wird als gegeben angesehen, wenn eine "sehr hohe Wahrscheinlichkeit", d.h. eine Wahrscheinlichkeit besteht, "die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewißheit gleichkommt", weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen läßt (BGH RzW 1959, 143; s. auch BGHZ 7, 116, 120; BGH LM Nr. 3 zu § 15 BEG 1956; OLG München aaO). Zum Teil wird eine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" für den Gegenbeweis vorausgesetzt (s. BGH RzW 1968, 68, 69; 1969, 192). Entgegen der Auffassung der Revision wird die Vermutung des Art. 6 Satz 1 der 3. ZV nicht durch Satz 3 dieser Vorschrift "gemildert". Danach sind die deutschen Träger der Sozialversicherung berechtigt festzustellen, daß nach deutschen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nicht erfüllt sind. Damit ist jedoch nur klargestellt, daß die deutschen Sozialversicherungsträger zu prüfen haben, ob auf Grund des zu berücksichtigenden, von den zuständigen belgischen Stellen ermittelten Sachverhalts die Voraussetzungen der deutschen Vorschriften für einen Leistungsanspruch erfüllt sind.
Der Senat braucht hier nicht abschließend zu entscheiden, welche Anforderungen letztlich an den Gegenbeweis einer Rechtsvermutung zu stellen sind. Sinn und Zweck des Art.6 Satz 1 der 3. ZV würde es jedenfalls widersprechen, wollte man den an sich zu berücksichtigenden Sachverhalt schon dann als widerlegt ansehen, wenn er nicht wahrscheinlich ist; denn dann hätte es dieser Vorschrift nicht bedurft. Vielmehr muß entsprechend den insoweit übereinstimmenden Auffassungen in Rechtsprechung und Schrifttum zumindest eine "sehr hohe, an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" gegen den von den zuständigen belgischen Stellen ermittelten Sachverhalt sprechen. Dies hat das LSG jedoch unter Abwägen aller Umstände des zu entscheidenden Einzelfalles hier verneint. Das LSG hat insbesondere beachtet, daß - worauf die Revision hinweist - Unterlagen über den Unfall des Klägers zu 2) nicht zu ermitteln sind und die Zeugenaussagen lückenhaft sind. Das LSG hat aber auf Grund der von ihm dargelegten Erwägungen nicht die Überzeugung gewonnen, daß der von den belgischen Stellen ermittelte Sachverhalt als unrichtig widerlegt sei. Die Revision hat nicht substantiiert gerügt und begründet, daß das LSG dabei die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen, überschritten hat. Die Revision kommt lediglich zu einem anderen Beweisergebnis als das LSG.
Bei Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften wird vermutet, daß zwischen dem Ereignis, das sich aus dem - von den zuständigen belgischen Stellen ermittelten und hier nicht widerlegten - Sachverhalt ergibt, und der Körperbeschädigung ein ursächlicher Zusammenhang besteht (s. Art. 6 S. 2 der 3. ZV). Weshalb diese Rechtsvermutung, wie die Revision meint, nur für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Allgemeinen Abkommens gelten soll, hat die Revision nicht aufgezeigt und ist weder aus dem Wortlaut der 3. ZV noch aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung ersichtlich. Die Rechtsvermutung des Art. 6 S. 2 der 3. ZV ist entsprechend den oben bereits zu Satz 1 dieser Vorschrift dargelegten Erwägungen ebenfalls zwar widerlegbar, aber jedenfalls nur widerlegt, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, daß mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Ereignis - hier dem Unfall auf dem Weg nach der Arbeitsstätte - und der Psychose (Schizophrenie) des Klägers zu 2) besteht. Dies hat das LSG wiederum unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles und insbesondere gestützt auf das fachärztliche Gutachten von Dr. K verneint. Die Revision hält auch insoweit nur ein anderes Beweisergebnis für zutreffend. Entgegen der Auffassung der Revision ist nicht wesentlich, ob die Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der Schizophrenie des Klägers zu 2) nachweisbar ist. Entscheidend ist, ob die Unrichtigkeit der Vermutung des Ursachenzusammenhangs erwiesen ist.
Hinsichtlich der Feststellung der MdE des Klägers zu 2) sind substantiierte Verfahrensrügen nicht erhoben.
Die Revision der Beklagten war daher im wesentlichen zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Entscheidung des LSG über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten war allerdings gem. § 193 Abs. 4 SGG zu ändern.
Fundstellen