Leitsatz (amtlich)
Die Verrichtung der Tätigkeit eines Pförtners im öffentlichen Dienst, die grundsätzlich nach BAT X entlohnt wird, ist einem Facharbeiter selbst dann nicht zumutbar, wenn sie nach einer gewissen Zeit im Wege des Bewährungsaufstiegs nach BAT IXb entlohnt wird.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23; BAT
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 5. November 1976 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
Der im Jahre 1930 geborene Kläger, der den Beruf eines Klempners und Rohrlegers erlernt hat, war bis 1966 als gelernter Klempner tätig und anschließend bis 1968 arbeitslos. Seit dem 2. Februar 1968 ist er beim Bezirksamt R tätig. Er war zunächst als Wächter im Arbeiterverhältnis eingesetzt und ist seit dem 1. Februar 1972 Pförtner. Bis zum 1. Februar 1974 wurde er nach der Vergütungsgruppe X des Bundesangestellten-Tarifvertrages (BAT) entlohnt, seitdem nach der Vergütungsgruppe IX b.
Auf seinen Antrag vom 25. Juni 1971 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 12. Februar 1973 die Versichertenrente auf Zeit wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juni 1971 bis zum 30. April 1972; den weitergehenden Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit lehnte sie ab.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die vom Kläger erhobene Klage, mit der er Weitergewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit über den 30. April 1972 hinaus begehrte. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 13. November 1974 den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 1973 geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 30. April 1972 hinaus Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 5. November 1976 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei über den 30. April 1972 hinaus nicht mehr berufsunfähig. Zwar sei er nur noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen in voller üblicher Arbeitszeit zu verrichten, wobei er vorwiegend im Sitzen mit vorübergehendem Wechsel zum Stehen und Gehen arbeiten solle. Er könne daher nicht mehr im erlernten Beruf als Klempner und Rohrleger oder in artverwandten Tätigkeiten arbeiten. Eine Verweisung auf solche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die wegen der vom jeweiligen Arbeitnehmer verlangten hohen Persönlichkeitswerte aus dem Bereich der ungelernten Tätigkeiten herausragen, scheide jedoch mit Rücksicht darauf aus, daß er keine geeignete Vorbildung habe und aus eignungspsychologischen Gründen nicht in der Lage sei, z.B. automatisch ablaufende Produktions- oder Verarbeitungsprozesse zu steuern, zu regeln oder zu überwachen. Der Kläger übe jedoch als Pförtner im öffentlichen Dienst eine zumutbare Tätigkeit aus. Er habe einen gesicherten Arbeitsplatz, der sich finanziell und in der sozialen Bewertungsskala deutlich aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten hervorhebe. Er habe im Vergleich zum durchschnittlichen Bruttotariflohn eines Klempners und Rohrlegers finanziell keinen wesentlichen Nachteil. Er habe einen gesicherten und sauberen Arbeitsplatz, der auch Verantwortung erfordere. Er habe in gewissem Umfang den Wächtern Weisungen und Aufträge zu erteilen. Es werde von ihm erwartet, daß er die schwierigeren und verantwortungsvolleren Aufgaben selbst erledige und sie nicht den Wächtern überlasse. Er müsse - abgesehen von den üblichen Pförtnertätigkeiten wie Schlüsselkontrolle, Führung des Wachbuches und Einschalten der Beleuchtung je nach Tageshelligkeit - auch Auskünfte an Rathausbesucher erteilen und nach Dienstschluß der Telefonzentrale Telefongespräche weitervermitteln. Damit unterscheide sich die Tätigkeit des Klägers deutlich von der eines ungelernten Arbeiters im öffentlichen Dienst. Nicht unberücksichtigt bleiben könne auch die Tatsache, daß der Kläger als Angestellter des öffentlichen Dienstes zusätzliche Ansprüche oder Vergünstigungen erworben habe, z.B. Beihilfeansprüche nach den Beihilfevorschriften des Landes Berlin sowie nach Erfüllung der Wartezeit eine zusätzliche Rente nach der Vereinbarung über die Versorgung der Angestellten und der Arbeiter des Landes Berlin.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, die Tätigkeit eines Pförtners im öffentlichen Dienst sei einem früheren Facharbeiter nicht zumutbar. Sie hebe sich nicht besonders aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten hervor. Die Vergütungsgruppe, der er angehöre, rangiere am Ende der Bewertungsskala. Ihr soziales Ansehen sei äußerst gering. Es gebe zwar Pförtnertätigkeiten, die besonders verantwortungsvoll seien. Dazu gehöre seine Tätigkeit aber nicht. Sie stehe in der betrieblichen Bedeutung nicht einer angelernten Tätigkeit gleich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. November 1974 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.
Das LSG ist zutreffend von dem erlernten Beruf des Klägers als Klempner ausgegangen, den er bis 1966 ausgeübt hat. Von dieser Tätigkeit hat der Kläger sich durch die Aufnahme der späteren Tätigkeiten als Wächter beim Bezirksamt R im Rechtssinne nicht gelöst, denn er hat die Tätigkeit als Klempner aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. Die Klempnertätigkeit muß daher Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 2 RVO sein. Da es sich bei dieser Tätigkeit um einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren handelt, gehört sie versicherungsrechtlich im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO zur Gruppe der Berufe mit dem Leitberuf des Facharbeiters. Zu dieser Gruppe gehören nicht nur die Facharbeiter selbst, sondern auch die sonstigen Arbeiterberufe, die tariflich etwa wie diese eingestuft sind. Das gilt nur dann nicht, wenn eine - relativ hohe - tarifliche Einstufung im wesentlichen nicht auf die Qualität der Berufstätigkeit, sondern auf die mit ihr verbundenen Nachteile und Erschwernisse zurückzuführen ist (z.B. Akkord-, Nacht-, Schmutzarbeit u.ä.; vgl. BSGE 41, 129, 133 und Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1977 - 5 RJ 98/76 -). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind einem Versicherten dieser Gruppe nur solche Tätigkeiten zumutbar, die entweder selbst zu dieser Gruppe oder aber zur Gruppe der übrigen Ausbildungsberufe (angelernte Berufe) gehören, zu denen nicht nur die staatlich anerkannten Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit von weniger als zwei Jahren rechnen, sondern auch diejenigen Ausbildungsberufe, die zwar keine anerkannten Ausbildungsberufe sind, die jedoch eine echte betriebliche Ausbildung, die eindeutig über eine bloße Einweisung und Einarbeitung hinausgeht, voraussetzen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1977 - 5 RJ 98/76 -). Gleichbehandelt werden insoweit auch andere, ungelernte Tätigkeiten, die wegen ihrer Qualität tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe eingestuft sind (vgl. auch BSGE 38, 153, 163). Etwas anderes gilt auch hier, wenn die - relativ hohe - tarifliche Einstufung nicht im wesentlichen auf die Qualität dieser Berufstätigkeit, sondern auf die mit ihrer Verrichtung verbundenen Nachteile zurückzuführen ist (z.B. Akkord-, Nacht-, Schmutzarbeit u.ä.). Der qualitative Wert der Berufstätigkeiten findet seinen besten und zuverlässigsten Ausdruck in den Tarifverträgen, in denen die mit der Sache vertrauten Tarifpartner die einzelnen Berufstätigkeiten unter Berücksichtigung ihrer Qualitätsmerkmale verschiedenen Gruppen tariflich zuordnen. Dabei ist nicht die Lohnhöhe der einzelnen Tätigkeiten entscheidend, sondern der in der Eingruppierung und Gleichstellung mit anerkannten oder mit den übrigen Ausbildungsberufen zum Ausdruck kommende qualitative Wert. Die vom LSG hervorgehobenen Merkmale der vom Kläger ausgeübten Pförtnertätigkeit genügen allein noch nicht, um diese Tätigkeit als zumutbar erscheinen zu lassen. Es ist zwar davon auszugehen, daß die Tätigkeit des Klägers nach BAT IX b entlohnt wird. Gleichwohl ist aus den Feststellungen des LSG nicht erkennbar, ob es sich um eine gehobene Pförtnertätigkeit nach BAT IX b Nr. 26 oder um eine einfache Pförtnertätigkeit nach BAT X Nr. 16 handelt, die im Wege des Bewährungsaufstiegs gemäß § 1 Abs. 2 BAT nach zweijähriger Bewährung in Vergütungsgruppe X nach der Vergütungsgruppe IX b Nr. 2 BAT entlohnt wird. Sollte es sich um eine einfache Pförtnertätigkeit nach BAT X Nr. 16 handeln, so käme sie als zumutbare Verweisungstätigkeit nicht in Betracht. Die Vergütungsgruppe X BAT enthält ausschließlich einfache Tätigkeiten vorwiegend mechanischer Art, die allenfalls einer kurzfristigen Einweisung und Einarbeitung, nicht aber einer echten Ausbildung bedürfen. Es handelt sich also ausschließlich um ungelernte Tätigkeiten, auf die ein Versicherter, der zur Gruppe der Arbeiter und dem Leitbild des Facharbeiters gehört, nicht verwiesen werden kann. Daran ändert sich auch dadurch nichts, daß nach zweijähriger Bewährung in dieser Vergütungsgruppe ein Bewährungsaufstieg in die Vergütungsgruppe IX b möglich ist. Die Tätigkeitsmerkmale des einfachen Pförtners sind von der Vergütungsgruppe X Nr. 16 BAT erfaßt, so daß hier auch der qualitative Wert dieser Tätigkeit zum Ausdruck kommt. Die Möglichkeit des Bewährungsaufstiegs verändert den objektiven qualitativen Wert, auf den es hier alleine ankommt, nicht, sondern eröffnet lediglich aus sozialen Gründen die Möglichkeit einer höheren Entlohnung, die von subjektiven Merkmalen - der Bewährung des einzelnen Inhabers eines solchen Arbeitsplatzes - abhängt. Sollte das LSG bei der erneuten Prüfung unter Berücksichtigung der Gründe dieses Urteils zu dem Ergebnis kommen, daß der Kläger auf die von ihm verrichtete Tätigkeit eines Pförtners im öffentlichen Dienst nicht verwiesen werden kann, so wird es weiter zu prüfen haben, ob er nicht andere Ausbildungstätigkeiten oder tariflich gleichhochbewertete Tätigkeiten ausüben kann. Die bisherigen Feststellungen schließen diese Möglichkeit nicht ohne weiteres aus, denn es muß sich bei solchen Tätigkeiten nicht unbedingt um Arbeiten handeln, bei denen automatisch ablaufende Produktions- oder Verarbeitungsprozesse zu steuern, zu regeln oder zu überwachen sind.
Der Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen