Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 27.10.1987) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Oktober 1987 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Kurzarbeitergeld (Kug) für die Restbelegschaft zu zahlen hat (für die Betriebsabteilung „Verwaltung” in der Zeit vom 1. Februar bis 30. April 1984 und für die Betriebsabteilung „Werkstatt” für die Zeit vom 1. Februar bis 30. März 1984), obwohl zuvor der größte Teil der Belegschaft wegen Arbeitsmangels entlassen worden war.
Der Kläger betreibt ein Unternehmen für Straßenbau, Pflasterarbeiten, Erdarbeiten, Erdkabelbau, Sportplatzbau und Kanalbau. Sein Betrieb gliedert sich in eine Bauabteilung, eine Werkstatt für Maschinenreparaturen und eine Verwaltungsabteilung. Am 1. Februar 1984 zeigte der Kläger dem Arbeitsamt an, daß die regelmäßige betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit einvernehmlich für die Verwaltungsabteilung vom 1. Februar 1984 bis voraussichtlich 30. April 1984 und für die Werkstatt vom 1. Februar 1984 bis voraussichtlich 30. März 1984 auf jeweils 20 Stunden wöchentlich herabgesetzt werde, weil wegen fehlender Aufträge trotz erheblicher Verminderung der zuvor aus etwa 50 Arbeitnehmern bestehenden Belegschaft auf sechs Angestellte in der Verwaltungsabteilung und drei Arbeitnehmer in der Werkstatt auch diese Restbelegschaft bis zur Besserung der Auftragslage im Frühjahr nicht voll beschäftigt werden könne. Für die drei Arbeitnehmer in der Werkstatt und vier der Angestellten in der Verwaltung stellte der Kläger am 13. März und 27. April 1984 den Antrag auf Kug.
Die Beklagte verneinte die Voraussetzungen für die Gewährung von Kug nach § 63 Abs 1 Satz 1 letzer Halbsatz Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für die beiden Betriebsabteilungen (Bescheide vom 22. Februar 1984; Widerspruchsbescheid vom 20. August 1984), weil danach Kug nur gezahlt werden könne, wenn für die Mehrzahl der in den letzten sechs Monaten durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer der Arbeitsplatz erhalten bleibe.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, für die Betriebsabteilungen „Verwaltung” und „Werkstatt” ab 1. Februar 1984 Kurzarbeitergeld zu gewähren (Urteile vom 17. Juli 1986).
Die Berufungen der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 27. Oktober 1987 zurückgewiesen.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, der Hauptzweck des Kug liege darin, für eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern des Betriebes die Arbeitsplätze zu erhalten, nicht nur für diejenigen, die am Tage der Anzeigenerstattung im Betrieb tätig gewesen seien.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Die Voraussetzungen der §§ 63 und 64 AFG für die Gewährung von Kug sind erfüllt, insbesondere die gesetzlichen Anforderungen an den Erhalt von Arbeitsplätzen. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt es, wie das LSG zutreffend entschieden hat, wenn der Arbeitsplatz für diejenigen Arbeitnehmer erhalten bleibt, für die Kug beansprucht wird.
Nach § 63 Abs 1 Satz 1 AFG wird Kug Arbeitnehmern bei vorübergehendem Arbeitsausfall in Betrieben gewährt, in denen regelmäßig mindestens ein Arbeitnehmer beschäftigt ist, wenn zu erwarten ist, daß durch die Gewährung von Kug den Arbeitnehmern die Arbeitsplätze und dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten werden. Ob es sich dabei nur um die Kennzeichnung der Zielvorstellungen des Gesetzgebers handelt, die mit dem Kug verbunden sind, mithin um einen Auslegungsmaßstab für die übrigen Vorschriften, oder um eine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung, kann offenbleiben. Die Revision der Beklagten erweist sich auch dann als unbegründet, wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, daß § 63 Abs 1 Satz 1 AFG iS einer Anspruchsvoraussetzung zu verstehen ist.
Die Auffassung der Beklagten, die Aussicht auf Erhalt der Arbeitsplätze müsse für die Mehrzahl der in den letzten sechs Monaten vor Einführung der Kurzarbeit durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer gewährleistet sein, findet im Gesetz keine hinreichende Stütze.
Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, genügt es nach allgemeinen Grundsätzen, daß die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen vom Beginn des Zeitraumes an vorliegen, für den der Anspruch erhoben wird. In § 63 Abs 1 Satz 1 AFG ist für die Erwartung, „daß durch die Gewährung von Kug den Arbeitnehmern die Arbeitsplätze und dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten werden”, kein anderer Zeitpunkt bestimmt. Daraus, daß die §§ 63 und 64 AFG für die Gewährung von Kug auch auf Verhältnisse in der zurückliegenden Zeit abstellen, etwa hinsichtlich der Ursachen des Arbeitsausfalls, folgt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht, daß auch hinsichtlich der Anzahl der Beschäftigten von einem zurückliegenden Zeitraum auszugehen ist. Hätte der Gesetzgeber insoweit auf einen dem Kug-Bezug vorangehenden Zeitraum abstellen wollen, so wäre es notwendig gewesen, diesen im Gesetz genau zu bezeichnen oder seinen dahin gehenden Willen in der Formulierung zum Ausdruck zu bringen, etwa durch den Bezug auf die „regelmäßig” beschäftigten Arbeitnehmer. Das ist jedoch nicht geschehen.
Auch dem auf Stabilisierung der Arbeitsverhältnisse und des Betriebes gerichteten Sinn der Regelung sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, auf die in den letzten sechs Monaten durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen. Die Stabilisierung der Arbeitsverhältnisse einer Restbelegschaft kann, wie gerade im vorliegenden Fall deutlich wird, zur Stabilisierung des Betriebes durch die Erhaltung der vorhandenen Restarbeitsplätze sowie darüber hinaus zur Sicherung beschleunigter Neueinstellungen bei zunehmendem Arbeitsanfall dienen. Hier ist durch die Erhaltung der zeitlich reduzierten Arbeitsverhältnisse des Werkstattpersonals und der Angestellten in der Verwaltungsabteilung die Arbeitslosigkeit dieser Personen vermieden und zugleich ermöglicht worden, die Bautätigkeit bei Besserung der Auftragslage sofort wieder aufzunehmen und durch Einstellung von Bauarbeitern zur Entlastung des Arbeitsmarktes beizutragen.
Auch die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks V/2291 S 70 zu § 58) geben keine die Auffassung der Beklagten tragenden Argumente her. Der Ausdruck „Belegschaft”, der in den Materialien zu finden ist, besagt nicht, daß die ganze Belegschaft erhalten bleiben muß, zumal kein Hinweis darauf ersichtlich ist, daß der Gesetzgeber auf die Belegschaft in ihrem regelmäßig bestehenden Umfang abheben wollte.
Die Materialien zum 8. AFG-ÄndG (BT-Drucks 11/800 S 18 zu Nr 14 -§ 64-) lassen zwar erkennen, daß es offenbar das Bestreben des Gesetzgebers war, in den neu in das Gesetz aufgenommenen Fällen möglichst für die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer die Arbeitsplätze zu erhalten. Die hierfür gegebene Begründung kann aber nicht auf alle Fälle der Kurzarbeit übertragen werden. Es wird dort erläutert, Arbeitsausfälle, die durch die Eigenart der Produktion oder des Betriebes bedingt seien, würden vielfach durch globale oder sektorale wirtschaftliche Ursachen überlagert. Ein ausnahmsloser Ausschluß vom Kug widerstreite dem Ziel des Kug, Arbeitsplätze zu erhalten. Es heißt dann weiter: „Dies ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn dadurch mindestens für die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer die Arbeitsplätze erhalten bleiben”. Diese Begründung läßt erkennen, daß bisher bei Kurzarbeit der Erhalt der Arbeitsplätze eines nicht überwiegenden Teils der Arbeitnehmer ausreichte (so Bieback in Gagel AFG § 63 RdNr 16).
Auch die Beklagte selbst hat in ihrem Runderlaß 307/76.4 hinsichtlich der Beschäftigungserwartung auf die „bei Beginn der Kurzarbeit” tätigen Arbeitnehmer abgestellt (aaO RdNr 5.2), und im Schrifttum wird diese Auffassung einhellig vertreten, soweit zu dieser Frage Stellung genommen wird (Jülicher in Festschrift für Wannagat 1981, S 201, 218; Bieback in Gagel, AFG § 63 Anm 17, 19, Gebhardt, Kurzarbeitergeld § 63 RdNr 3, referierend Schmidt GK-AFG § 63 RdNr 27/28).
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Überlegung stützen, der Kläger wälze hier in unzulässiger Weise sein Arbeitgeberrisiko auf die Versichertengemeinschaft ab, indem er die Arbeitnehmer entlasse, für die er ohne weiteres kurzfristig Ersatz erhalten könne, und diejenigen auf Kosten der Versichertengemeinschaft weiter beschäftige, die zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig seien. Diese Argumentation verkennt nämlich, daß dem Arbeitgeber durch das Kug ein Teil seines Betriebsrisikos abgenommen wird (vgl besonders Bartels, Soziale Sicherheit bei Kurzarbeit in der Marktwirtschaft S 130 ff und 162 ff; Bieback in Gagel AFG vor § 63 Anm 131 ff).
Ein Grund, Kurzarbeitergeld zu versagen, ergibt sich allenfalls, wenn der Arbeitgeber den zuletzt noch im Betrieb verbliebenen Arbeitnehmern aus betrieblichen Gründen ohnehin in der Zwischenzeit nicht hätte kündigen können, so daß die Gewährung von Kug weder die Arbeitsplätze der in Betracht kommenden Anspruchsberechtigten noch Arbeitsplätze Dritter stabilisiert. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG bedarf es dazu aber keiner weiteren Ermittlungen, wenn tatsächlich Kurzarbeit eingeführt wurde (BSGE 46, 218, 225). Abgesehen davon hat das LSG festgestellt, daß die Gewährung von Kug hier dazu diente, die Arbeitsplätze der 7 verbliebenen Arbeitnehmer zu erhalten. Da die Beklagte insoweit Verfahrensrügen nicht erhoben hat, ist der Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an diese Feststellungen gebunden.
Es ist auch nicht richtig, daß der vorliegende Tatbestand einer Betriebsschließung gleichkommt; denn es wird lediglich für einen begrenzten Zeitraum die Produktion eingestellt, der Betrieb aber im übrigen als jederzeit funktionsfähige Produktionsstätte aufrecht erhalten. Wenn § 63 Abs 1 Satz 1 allgemein Betriebe als schutzwürdig ansieht, in denen „regelmäßig mindestens ein Arbeitnehmer beschäftigt ist”, dann gilt das auch für die Frage, ob ein Restbetrieb noch als Betrieb iS des Gesetzes anzusehen ist.
Daher war die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen