Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsschadensausgleich. Selbständiger. Handelsvertreter. schädigungsbedingtes vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
Leitsatz (amtlich)
Zur Ermittlung des Schadens in der Altersversorgung, den ein selbständiger Beschädigter dadurch erleidet, daß er schädigungsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidet.
Orientierungssatz
1. Für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs Selbständiger ist das derzeitige Einkommen nicht nach Steuerrecht oder sonstigen konkreten Verhältnissen zu ermitteln, sondern nach Versorgungsrecht festzusetzen (vgl BSG vom 29.12.1980 - 9 RV 19/80 = SozR 3641 § 9 Nr 3 und vom 15.2.1989 - 9/4b RV 47/87). Der Berufsschadensausgleich Selbständiger bemißt sich nicht nach der Differenz zwischen dem, was der gesunde Selbständige wahrscheinlich verdienen würde und dem, was er als beschädigter Selbständiger tatsächlich verdient. Maßgebend ist vielmehr, wie er seine berufliche Arbeitskraft als Unselbständiger auf dem Arbeitsmarkt verwerten könnte - einerseits als Gesunder, andererseits als Geschädigter. Das gilt nicht nur für den Fall, daß ein Selbständiger noch erwerbstätig ist, sondern auch für den Fall, daß er aus dem Berufsleben ausscheidet und Rente bezieht.
2. Es ist nicht zu beanstanden, daß die Bundesregierung den Auftrag des § 30 Abs 5 iVm Abs 9 BVG dahin verstanden hat, den Wert der beruflichen Arbeit des Selbständigen auf dem Arbeitsmarkt nach dem Leitbild der Unselbständigen, anknüpfend an die schulische und berufliche Ausbildung durch Eingruppierung in die Beamtenbesoldung zu ermitteln (vgl BSG vom 15.2.1989 - 9/4b RV 5/87). Wenn aber entgegen der wirklichen Einkommenssituation von gesunden Selbständigen zur Berechnung des Berufsschadensausgleichs für das Vergleichseinkommen eine relativ feste Größe in Form der Beamtenbesoldung herangezogen wird, ist es geboten, auch für das derzeitige Einkommen beschädigter Selbständiger eine relativ feste Größe zugrunde zu legen.
3. Scheidet ein Selbständiger vorzeitig und schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus und ist der erstmals festzustellende Berufsschadensausgleich daher nicht nach § 30 Abs 3 BVG als Schaden in der Rente zu ermitteln, ist dem Vergleichseinkommen der fiktive Rentenbetrag gegenüberzustellen, den der Beschädigte bei Ausnutzung seiner Arbeitskraft als Unselbständiger erreicht haben würde.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3, 5 S. 1; BSchAV §§ 5, 9 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.06.1987; Aktenzeichen L 12 V 312/87) |
SG Ulm (Entscheidung vom 26.11.1986; Aktenzeichen S 3 V 390/82) |
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um die Höhe des Berufsschadensausgleichs für einen selbständigen Handelsvertreter geführt.
Der 1919 geborene Kläger, bei dem eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 vH anerkannt ist, war bis Januar 1961 als Bankkaufmann beschäftigt und anschließend als freier Handelsvertreter tätig. Ende Februar 1982 ist er schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Seitdem bezieht er eine Erwerbsunfähigkeitsrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) auf der Grundlage der bis Ende 1960 entrichteten Pflichtbeiträge sowie erstmals Berufsschadensausgleich, der nach einem Vergleichseinkommen aus der Besoldungsgruppe A 11 - abgesenkt mit Vollendung des 65. Lebensjahres - sowie dem jeweiligen derzeitigen Bruttoeinkommen in Höhe der BfA-Rente vorläufig festgestellt war (Bescheide vom 1. September 1982, 20. Juni 1983, 20. Juni und 4. Oktober 1984). Der Einkommensverlust betrug danach zunächst 3.027,30 DM monatlich.
Nachdem der Kläger von seinem Auftraggeber einen Ausgleich nach § 89b des Handelsgesetzbuches (HGB) in Höhe von 88.573,18 DM erhalten und hierfür Wertpapiere erworben hatte, setzte der Beklagte den Berufsschadensausgleich endgültig fest, wobei er den Ausgleich nach HGB gemäß § 9 Abs 1 Ziffer 2 und Abs 5 der Berufsschadensausgleichs-Verordnung idF der Bekanntmachung vom 29. Juni 1984 (BGBl I S 861) - BSchAV - mit monatlichen Rentenbeträgen in Höhe von 677,-- DM anrechnete. Der Berufsschadensausgleich ermäßigte sich hierdurch für die gesamte Bezugsdauer mit der Folge einer Überzahlung von mehr als 9.000,-- DM (Bescheid vom 29. Oktober 1984). Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Vor dem Landessozialgericht (LSG) hatte der Kläger insoweit Erfolg, als statt der Verrentung der Kapitalentschädigung lediglich Zinsen nach § 9 Abs 2 Nr 3 BSchAV, die monatlich nicht den Betrag von 677,-- DM erreichen, anzurechnen seien (Urteil vom 25. Juni 1987).
Der Beklagte hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, daß Ausgleichszahlungen nach § 89b HGB, die anstelle von laufend zu erwartenden Einkünften gewährt würden, immer zu verrenten seien. Es müsse ausgeschlossen werden, daß der Berechtigte durch die Art der Geldanlage die Höhe seines derzeitigen Bruttoeinkommens beeinflussen könne.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26. November 1986 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Obwohl die Berechnung des Berufsschadensausgleichs durch den Beklagten nicht zu bestätigen ist, kann der Kläger mit seiner Klage keinen Erfolg haben, weil ihm mit den angefochtenen Bescheiden ein höherer Berufsschadensausgleich belassen wird, als er ihm tatsächlich zusteht.
Zu Recht hat das LSG in der Sache entschieden. Die Berufung war nicht nach § 148 Nr 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen. Denn der Bescheid vom 29. Oktober 1984 ist zwar auf § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) gestützt, enthält aber die nach § 32 Abs 2 Nr 3 SGB 10 zulässigerweise vorbehaltene nachträgliche Berichtigung eines Bescheides von Anfang an.
Obwohl der angefochtene Bescheid und die ihn ganz oder teilweise bestätigenden Entscheidungen der Vorinstanzen den Berufsschadensausgleich des selbständig gewesenen Klägers zu Unrecht auf der Grundlage seines tatsächlichen Einkommens berechnet haben, wird der Kläger hierdurch nicht beschwert, weil sein Berufsschadensausgleich bei zutreffender Rechtsanwendung geringer wäre.
Voraussetzung für den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 3 BVG ist stets, daß die Schädigung ursächlich für den Einkommensverlust ist. Solange der Kläger aktiv im Berufsleben stand, war sein Einkommen schädigungsbedingt nicht gemindert; entsprechende Bescheide sind bindend geworden. Zwar ist sein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben schädigungsbedingt, die Höhe seiner Einkünfte seit dieser Zeit wird jedoch nicht durch die Schädigung und ihre wirtschaftlichen Folgen bestimmt. Das Renteneinkommen ist nicht schädigungsbedingt, sondern deshalb relativ niedrig, weil der Kläger sich als Selbständiger in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht weiterversichert hat. Auch die Höhe der Ausgleichszahlung ist weder verrentet, wie sie der Beklagte angesetzt hat, noch als Zinseinkommen in irgendeiner Form durch die Schädigung beeinflußt. Die Höhe der Ausgleichszahlung richtete sich lediglich nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Kläger und seinem Auftraggeber sowie dem Umfang seiner früheren Tätigkeit. Diese Fallgestaltung macht in besonderem Maße deutlich, daß für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs Selbständiger das derzeitige Einkommen nicht nach Steuerrecht oder sonstigen konkreten Verhältnissen ermittelt, sondern nach Versorgungsrecht festzusetzen ist. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in Fortsetzung der früheren Rechtsprechung zunächst 1980 (SozR 3641 § 9 Nr 3) und mit Urteil vom 15. Februar 1989 - 9/4b RV 47/87 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) bekräftigt. Der Berufsschadensausgleich Selbständiger bemißt sich nicht nach der Differenz zwischen dem, was der gesunde Selbständige wahrscheinlich verdienen würde und dem, was er als beschädigter Selbständiger tatsächlich verdient. Maßgebend ist vielmehr, wie er seine berufliche Arbeitskraft als Unselbständiger auf dem Arbeitsmarkt verwerten könnte - einerseits als Gesunder, andererseits als Geschädigter. Das folgt aus § 5 und § 9 Abs 1 Nr 2 BSchAV iVm § 30 BVG. Das gilt nicht nur für den Fall, daß ein Selbständiger noch erwerbstätig ist, sondern auch für den Fall, daß er aus dem Berufsleben ausscheidet und Rente bezieht.
Für die Ermittlung des Vergleichseinkommens, über das hier kein Streit besteht, ist gesetzlich vorgeschrieben, daß festgestellt wird, welcher Berufs- oder Wirtschaftsgruppe der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte (§ 30 Abs 5 Satz 1 BVG). Wie der Senat mit seinem (ebenfalls zur Veröffentlichung vorgesehenen) Urteil vom 15. Februar 1989 - 9/9a RV 5/87 - im einzelnen ausgeführt hat, ist nicht zu beanstanden, daß die Bundesregierung den Auftrag des § 30 Abs 5 iVm Abs 9 BVG dahin verstanden hat, den Wert der beruflichen Arbeit des Selbständigen auf dem Arbeitsmarkt nach dem Leitbild der Unselbständigen, anknüpfend an die schulische und berufliche Ausbildung durch Eingruppierung in die Beamtenbesoldung, zu ermitteln. Dies ist im vorliegenden Fall auch geschehen. Wenn aber entgegen der wirklichen Einkommenssituation von gesunden Selbständigen zur Berechnung des Berufsschadensausgleichs für das Vergleichseinkommen eine relativ feste Größe in Form der Beamtenbesoldung herangezogen wird, ist es geboten, auch für das derzeitige Einkommen beschädigter Selbständiger eine relativ feste Größe zugrunde zu legen. Denn das tatsächliche Einkommen eines Beschädigten ist nicht Spiegel dessen, was er mit den ihm verbliebenen Kräften verdienen könnte. Das gilt für das tatsächliche Einkommen Selbständiger während ihres Erwerbslebens schon deshalb, weil die Höhe der Einkünfte von zahlreichen Faktoren abhängig ist, wie Risikobereitschaft, Arbeits- und Kapitaleinsatz, Konjunktur, strukturellen und regionalen Wirtschaftsbedingungen. Das gilt in gleicher Weise für die nach Ausscheiden erzielbaren Renteneinkünfte, Abfindungen uä. Sie beruhen auf individueller Disposition, Bereitschaft zur Alters- oder Invaliditätsvorsorge, auf individueller Vertragsgestaltung, auf früheren Umsätzen uä. Aussagekräftig ist daher bei einem Selbständigen nur der jeweilige Wert seiner Arbeitskraft. Die Verordnung, die vom Wert der eigenen Arbeitsleistung des Selbständigen spricht, meint daher den Wert des Leistungsvermögens. Es ist damit keine grundsätzlich andere Bewertung gemeint, als diejenige, die § 5 BSchAV für die Festlegung des Vergleichseinkommens verlangt. Auch das derzeitige Einkommen eines Selbständigen ist eine Vergleichsgröße. Es ist das Einkommen, das der individuell Beschädigte als Bewerber um eine unselbständige Berufsstellung wahrscheinlich erzielen würde. Scheidet ein Selbständiger vorzeitig und schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus und ist der erstmals festzustellende Berufsschadensausgleich daher nicht nach § 30 Abs 3 BVG als Schaden in der Rente zu ermitteln, ist dem Vergleichseinkommen der fiktive Rentenbetrag gegenüberzustellen, den der Beschädigte bei Ausnutzung seiner Arbeitskraft als Unselbständiger erreicht haben würde. Das kann die Erwerbsunfähigkeitsrente eines durchgängig abhängig Beschäftigten mit den vom Kläger erzielten Einkünften gewesen sein. Dem vollen Vergleichseinkommen nach A 11 könnte auch das Alterseinkommen eines entsprechenden Beamten gegenübergestellt werden. Diese Differenz zwischen dem Einkommen des Aktiven und dem Ruhestandseinkommen des vorzeitig Ausgeschiedenen ist schädigungsbedingt. Da Vergleichs- und Durchschnittseinkommen bei Erreichen des 65. Lebensjahres nach § 8 BSchAV um 25 vH zu vermindern sind, verbleibt es nach diesem Zeitpunkt nur dann bei einer schädigungsbedingten Einkommensdifferenz, wenn sich das vorzeitige Ausscheiden bei hypothetischer Betrachtung auch auf das erzielbare Renteneinkommen ausgewirkt hat, weil fehlende Versicherungs- oder Berufsjahre das Erwerbsersatzeinkommen um mehr als 25 vH absenken.
Bei dieser Schadensberechnung scheidet jede Anrechnung tatsächlicher Einkünfte aus. Die Ausgleichszahlung nach § 89b HGB ist ebensowenig wie das konkrete Renteneinkommen zu berücksichtigen. Denn es ist nicht Sinn des Berufsschadensausgleichs bei Selbständigen, eine trotz der Schädigung mögliche, aber unterlassene Altersvorsorge durch entsprechend höhere Versorgungsleistungen auszugleichen oder Überschüsse aus Zeiten ohne Berufsschadensausgleich schadensmindernd heranzuziehen. Wäre der Kläger in seinem ganzen Berufsleben als Unselbständiger mit Einkünften entsprechend der Besoldungsgruppe A 11 beschäftigt gewesen, hätte er eine höhere Altersversorgung erreicht, als sie der Beklagte errechnet hat. Die Klage war daher abzuweisen, ohne daß der Zahlbetrag bereits im vorliegenden Verfahren festzusetzen wäre. Dies wird der Beklagte zum Zwecke der Aussparung nach § 48 Abs 3 SGB 10 nachzuholen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen