Leitsatz (amtlich)
Gegen einen Angestellten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, der auf deren Anregung im Interesse einer notwendigen allgemeinen Personaleinsparung seinen unkündbaren Arbeitsplatz aufgegeben hat und später Arbeitslosengeld beantragt, darf keine Sperrfrist (AVAVG § 80) verhängt werden.
Normenkette
AVAVG § 80 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. März 1963 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen
Gründe
I.
Der 1900 geborene Kläger gehörte von Mai 1945 bis zum 31. März 1960 als Verwaltungsangestellter bei der Nebenstelle Delmenhorst des Arbeitsamts (ArbA) Oldenburg zu den Bediensteten der Beklagten. Im Zuge des von dieser in ihrem gesamten Personalbereich betriebenen Abbaues hatte er sich nach Bekanntgabe und Besprechung der Runderlasse 167/57.9 (Dienstblatt A der Beklagten von 1957 S. 318) und 178/58.9.4 (Dienstblatt A 1958 S. 264) auf Anregung seines Dienstvorgesetzten am 5. Januar 1960 schriftlich bereit erklärt, zum 31. März 1960 aus den Diensten der Beklagten auszuscheiden, falls ihm eine Abfindung gemäß den genannten Runderlassen gewährt werden würde. Der Direktor des ArbA billigte mit Bericht an den Präsidenten des Landesarbeitsamtes (LAA) das Ausscheiden des Klägers und erklärte sich zur Zahlung der gewünschten Abfindung bereit, wenn Einwendungen nicht geltend gemacht werden sollten. Entsprechend erhielt der Kläger eine Abfindung in Höhe von acht Monatsgehältern (5.840 DM).
Am 31. Mai 1960 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Mit Bescheid vom 13. Juni 1960 wurde ihm dieses zuerkannt, jedoch das Ruhen bis zum 30. September 1960 gemäß § 96 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) angeordnet. Mit einem weiteren Bescheid vom gleichen Tage wurde gegen den Kläger eine Sperrfrist von zwölf Tagen verhängt, weil er freiwillig und ohne wichtigen oder berechtigten Grund aus den Diensten der Beklagten ausgeschieden sei.
Der Widerspruch gegen diese Bescheide blieb erfolglos. In dem folgenden Klageverfahren verband das Sozialgericht (SG) beide Klagen zur einheitlichen Verhandlung und Entscheidung und hob mit Urteil vom 8. September 1960 beide Bescheide und Widerspruchsbescheide auf. Es verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Alg an den Kläger nach dessen Antrag vom 31. Mai 1960.
Mit Urteil vom 20. März 1963 änderte das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung der Beklagten aus Gründen der Klarstellung und Eindeutigkeit den Tenor des angefochtenen Urteils dahingehend ab, daß die Beklagte zur Zahlung von Alg an den Kläger nach Ablauf der - dreitätigen - Wartezeit verurteilt wurde. Zur Begründung führte es aus, die von der Beklagten gewährte Abfindung in Höhe von acht Monatsgehältern sei kein Arbeitsentgelt im Sinne des § 96 Abs. 1 Satz 1 AVAVG. Ebensowenig sei sie eine Abfindung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gemäß Satz 2 aaO. Denn die an den Kläger gezahlten Abfindungsbeträge seien von der Beklagten nur deshalb geleistet worden, weil sie ihn aus wichtigen personalwirtschaftlichen Gründen sowie aus solchen der Umorganisation, Geschäftsverteilung und Einsparung von Haushaltsmitteln vorzeitig und ausschließlich in ihrem eigenen Interesse aus ihren Diensten entlassen habe.
Aus den gleichen Überlegungen heraus, die eine Ruhensanordnung nach § 96 Abs. 1 AVAVG rechtlich unmöglich machen würden, sah das LSG auch die Verhängung der Sperrfrist als ungerechtfertigt an. Unter den gegebenen Verhältnissen habe von einer echten freiwilligen Aufgabe des Arbeitsplatzes keine Rede sein können; der Kläger habe lediglich aus Gründen der Zweckmäßigkeit und der Vereinfachung des Verfahrens beim Personalabbau die Rolle des freiwillig Ausscheidenden übernommen. Er habe nur formal und nur auf Initiative des Dienstvorgesetzten hin gehandelt. Revision wurde zugelassen.
II.
Gegen das Urteil legte die Beklagte Revision ein. Sie beschränkte später ihr Rechtsmittel auf die Entscheidung über die Sperrfrist und trägt vor: Dem Kläger habe kein wichtiger und berechtigter Grund für seine - nach ihrer Ansicht völlig freiwillige - Arbeitsaufgabe zur Seite gestanden. Auch die Gewährung einer nicht unerheblichen Abfindungssumme für die freiwillige Aufgabe eines gesicherten Arbeitsplatzes stelle keinen berechtigten oder wichtigen Grund im Sinne des Gesetzes dar. Ferner könne § 80 Abs. 2 Satz 2 AVAVG im Falle des Klägers ebenfalls keine Anwendung finden, weil dieser in einem unkündbaren Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, vom Arbeitgeber also hätte nicht gekündigt werden können. Mit ihrer Entscheidung gemäß § 81 AVAVG, die Sperrfrist auf nur zwölf Tage zu verkürzen, habe sie, die Beklagte, alle für den Kläger sprechenden Gesamtumstände berücksichtigt, soweit ihr dies im Rahmen ihres gesetzlich zustehenden Ermessens möglich gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des SG Oldenburg vom 8. September 1960 sowie des LSG Niedersachsen vom 20. März 1964 aufzuheben, soweit durch sie der Sperrfristbescheid der Beklagten vom 13. Juni 1960 und der Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1960 aufgehoben werden und die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger Arbeitslosengeld nach Ablauf der Wartezeit auch für die Dauer der Sperrfrist zu zahlen und die Klage insoweit abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
III.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben.
In dem Schriftsatz der Beklagten vom 5. Dezember 1963, mit dem sie ihren ursprünglichen gemäß § 164 SGG fristgerecht eingelegten und begründeten Revisionsantrag dahingehend eingeschränkt, daß sie nunmehr statt der Rüge der Verletzung der §§ 96, 80 AVAVG nur noch die der Verletzung des § 80 AVAVG aufrechterhält, ist eine gemäß den §§ 165, 156 Abs. 1 SGG zulässige Teilrevisionsrücknahme zu erblicken. Denn nach der vollen Urteilsanfechtung wird jetzt nur noch ein auf einen Teil der Entscheidung beschränkter Revisionsantrag gestellt. Die Revisionsrücknahme kann gemäß § 156 Abs. 1 SGG bis zum Ende der mündlichen Verhandlung erfolgen. Eine nur teilweise Rücknahme des Rechtsmittels ist nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG) - vgl. RGZ 134, 130 - immer dann in dem Umfange möglich, wenn über den zurückgenommenen Teil bzw. den ihm zugrunde liegenden (Teil-) Anspruch durch Teilurteil hätte entschieden werden können. Das ist im vorliegenden Streitfall zu bejahen. Der ihrer zurückgenommenen Rüge der Verletzung des § 96 AVAVG zugrunde liegende Anspruch der Beklagten richtete sich auf Aufrechterhaltung des Ruhensbescheides vom 13. Juni 1960, der mit der verbleibenden Teilrevision aufrechterhaltene weitere Anspruch bezweckt Aufrechterhaltung des Sperrfristbescheides vom 13. Juni 1960. Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits ist folglich nur noch die Klage gegen die Verhängung der Sperrfrist von zwölf Tagen gemäß § 80 (§ 81) AVAVG.
Entgegen der Ansicht der Beklagten hat das LSG jedoch zu Recht den Sperrfristbescheid der Beklagten aufgehoben.
Nach § 80 Abs. 1 AVAVG ist das Alg zu versagen, wenn der Arbeitslose ua seine Arbeitsstelle ohne wichtigen oder ohne berechtigten Grund aufgegeben hat. Hat er sie aber nur deshalb freiwillig aufgegeben, weil ihm anderenfalls sein Arbeitgeber aus einem von dem Verhalten des Arbeitnehmers unabhängigen Grunde gekündigt hätte, so ist nach Abs. 2 Satz 2 auch dann keine Sperrfrist zu verhängen, wenn sich der Arbeitnehmer auf keinen wichtigen oder berechtigten Grund berufen kann. Die Frage, was ein "berechtigter Grund" im Sinne des Gesetzes ist, beantwortet § 78 Abs. 2 AVAVG erschöpfend. Keiner der dort aufgezählten Gründe kann auf den Fall des Klägers angewendet werden. Es bleibt somit die Frage zu klären, ob er für seine Arbeitsaufgabe einen "wichtigen" Grund im Sinne des § 80 Abs. 1 AVAVG zur Seite hatte oder ob ihm seine Arbeitgeberin aus einem von seinem eigenen Verhalten unabhängigen Grunde gekündigt haben würde.
Das LSG hat eine im wörtlichen Sinne freiwillige Aufgabe seiner Arbeitsstelle im Verhalten des Klägers verneint, weil er lediglich aus verwaltungsmäßigen Zweckmäßigkeits- und Vereinfachungsgründen die Rolle des freiwillig Kündigenden übernommen habe. Darauf, ob der Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis tatsächlich "freiwillig" aufgegeben hat, kommt es bei Auslegung und Anwendung des § 80 AVAVG jedoch so lange nicht an, als die Nichtfreiwilligkeit nicht auch durch die in Abs. 1 und 2 der Bestimmung aufgezählten Ausnahmegründe gedeckt ist (wichtiger oder berechtigter Grund, drohende Kündigung durch Arbeitgeber usw.). Ebenso ist es belanglos, ob die Aufgabe des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung von Seiten des Arbeitnehmers oder durch Vereinbarung mit dem Arbeitgeber erfolgt. Trotzdem ist dem LSG im Ergebnis zuzustimmen, daß die Sperrfrist unrechtmäßig sei. Zutreffend hat es bei seiner Erörterung des § 96 AVAVG angenommen, daß zwischen den Beteiligten im Januar bzw. März 1960, veranlaßt durch das Schreiben des Klägers vom 5. Januar 1960, im fast ausschließlichen und alleinigen Interesse der Beklagten ein Auflösungsvertrag über die Beendigung des an sich unkündbaren Arbeitsverhältnisses abgeschlossen wurde (vgl. Urteil des Senats vom 29. August 1963 in der nahezu gleichgelagerten Sache K gegen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - BfArb - BSG 20, 20). Durch ihn wurde der bis dahin wirksame Arbeitsvertrag mit allen gegenseitigen Rechten und Pflichten beendet. Rein formal gesehen hatte somit der Kläger sein Arbeitsverhältnis aufgegeben. Jedoch erfolgte sein Handeln mit wichtigem Grunde: Nach der Grundsatzentscheidung des Reichsversicherungsamtes (RVA) - 3178 in AN 1928 S. 188 und nach dem Urteil des Senats vom 9. Mai 1963 - SozR AVAVG § 80 Abs. 1 - braucht ein wichtiger Grund nur objektiv vorzuliegen, er muß aber nicht der Beweggrund für die Arbeitsaufgabe gewesen sein. Objektiv bestand der wichtige Grund zur Arbeitsaufgabe des Klägers in dem bereits einige Jahre andauernden Zwang für die Beklagte, ihren Personalbestand in kurzer Zeit erheblich zu verringern, dabei jedoch nach Möglichkeit die jüngeren Kräfte zu halten und trotzdem nicht allzu große soziale Härten für die von den Einsparungsmaßnahmen Betroffenen zu verursachen. Die wirtschaftlichen, organisatorischen und haushaltsmäßigen Gründe der Beklagten hierfür sind vom LSG überzeugend erörtert. Da der Kläger eine arbeitsrechtlich starke Position durch die Unkündbarkeit seines Arbeitsverhältnisses besaß, kann davon ausgegangen werden, daß dieser objektiv bestehende wichtige Grund in Verbindung mit der Möglichkeit, eine beträchtliche Geldsumme als Ausgleich für den Verzicht auf seinen sozialen Besitzstand zu erhalten, bei ihm auch subjektiv ausschlaggebend für den Abschluß des Auflösungsvertrages war.
Für den Kläger tritt noch ein weiterer wichtiger Grund zur Rechtfertigung seiner Arbeitsaufgabe hinzu: In seinem Lebensalter und in seiner Lage mußte er befürchten, wie viele andere Bedienstete der Bundesanstalt im Organisations- und Stellenplan 1960 in den Personalüberhang gesetzt zu werden und seiner Planstelle verlustig zu gehen. Dies hätte aller Voraussicht nach die Umsetzung auf einen sozial geringer bewerteten Arbeitsplatz zur Folge gehabt und nach einem bestimmten Zeitablauf sogar eine Änderungskündigung, zumindest den Versuch hierzu, seitens der Beklagten nach sich ziehen können. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob letzteres von der Beklagten hätte rechtlich vertreten werden können. Gerichtsbekannt ist jedoch, daß Umsetzungen von Kräften des Personalüberhanges auf arbeits- und beschäftigungsmäßig geringer bewertete Dienstposten häufiger erfolgten. Schon diese Aussicht, verbunden mit der darin enthaltenen ständigen Unsicherheit über Arbeitsplatz, soziale Stellung und Bewertung, muß für den Kläger als langjährigen Angehörigen der Bundesanstalt als so einschneidend und psychologisch nicht zumutbar gewertet werden, daß auch er einen wichtigen Grund zur Arbeitsaufgabe im Sinne des § 80 Abs. 1 AVAVG darstellt. Dieser wird nicht etwa dadurch aufgehoben, daß der Kläger nur unter der Bedingung der angebotenen Abfindungssumme zum "freiwilligen" Ausscheiden bereit war. Anderenfalls wäre es für ihn aus wirtschaftlichen Gründen schlechthin unzumutbar gewesen, seine rechtlich und finanziell gesicherte Lebensgrundlage im alleinigen Interesse der Beklagten aufzugeben.
Die im vorliegenden Falle getroffene Auslegung des Begriffs "wichtiger Grund" in § 80 Abs. 1 AVAVG deckt sich mit der Absicht des Gesetzgebers bei der Neufassung der Vorschrift. Es sollte lediglich die Manipulierbarkeit des Wagnisses in der Arbeitslosenversicherung sowie der Unterstützungsmißbrauch möglichst eingeschränkt werden, nicht jedoch das Recht des Arbeitslosen, beim Vorliegen wichtiger Gründe eine Arbeitsstelle aufzugeben, ohne sogleich mit der Verhängung wirtschaftlich einschneidender Sperrfristen rechnen zu müssen. Es soll also nur dann das Alg versagt werden, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers zur Lösung des Arbeitsverhältnisses führt; dies ist aber hier zu verneinen.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß dem Kläger zur Rechtfertigung seiner Arbeitsaufgabe bei der Beklagten ein wichtiger Grund im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 AVAVG zur Seite stand und daß die Verhängung der Sperrfrist dem Gesetz nicht entspricht.
Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen