Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiswürdigung. MdE
Orientierungssatz
1. Das Gericht überschreitet nicht die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung, wenn es von den Gutachten abweicht und den Bekundungen seines Zeugen größeres Gewicht beimißt.
2. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, in welchem Maße sich gesundheitliche Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, sind zwar für das Gericht eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage, entheben es aber nicht der Verpflichtung zur richterlichen Schätzung auf Grund eigener Überzeugungsbildung (vgl BSG 1956-11-29 2 RU 121/56 = BSGE 4, 147).
Normenkette
SGG § 128
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 21.03.1967) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 24.02.1966; Aktenzeichen S 13 U (G) 100/63) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. März 1967 wird dahin abgeändert, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 24. Februar 1966 als unzulässig verworfen wird.
Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger, der von Beruf Klempner und Installateur ist, stürzte am 14. Dezember 1955 auf der Fahrt zur Arbeitsstätte mit seinem Motorrad. In dem Bericht des als Durchgangsarzt tätigen Facharztes für Chirurgie Dr. H vom 16. Dezember 1955 sind als Unfallfolgen aufgeführt: Komplizierter Oberschenkelbruch und Kniescheibenbruch rechts, Schädelbasisbruch. Die Beklagte gewährte dem Kläger bis zum 23. November 1956 die Vollrente, von da an eine vorläufige Rente in Höhe von 50 v.H. der Vollrente. Durch Bescheid vom 25. Februar 1958 stellte sie mit Wirkung vom 1. April 1958 an die Dauerrente auf 40 v.H. der Vollrente fest. In diesem Bescheid sind als Unfallfolgen aufgeführt: Verkürzung des re. Beines um 1 cm, Bewegungseinschränkung im re. Hüftgelenk und im re. Kniegelenk, Muskelschwäche des re. Oberschenkels (Zustand nach knöchern fest verheiltem Oberschenkelbruch re. sowie nach Bruch der re. Kniescheibe), leichte Streckhemmung im Endgelenk des 4. Fingers re., leichte restliche Durchblutungsstörungen der Hirngefäße nach Kopfverletzung. Als unfallunabhängige Gesundheitsstörungen sind aufgeführt: Plattfüße, Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule, angeborene Spaltbildung im oberen Kreuzbeinsegment, angeborene Kurzsichtigkeit, die durch Brillengläser voll auskorrigiert wird.
Dieser Bescheid ist bindend geworden.
Mit Bescheid vom 28. März 1960 setzte die Beklagte die Dauerrente mit Wirkung vom 1. Mai 1960 an auf 30 v.H. der Vollrente herab. Zur Begründung führte sie aus, die Beweglichkeit im rechten Hüftgelenk habe zugenommen.
Durch Urteil vom 19. Juni 1962 hat das Sozialgericht (SG) Hildesheim (S 13 U(G) 165/60) unter Änderung des vom Kläger mit der Klage angefochtenen Bescheides die Beklagte verurteilt, weiterhin Teilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. zu gewähren. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 19. Februar 1963 (L 6 U 370/62) das Urteil des SG aufgehoben und die Sache an das SG zurückverwiesen. Das LSG war der Auffassung, das SG hätte aufklären müssen, ob beim Kläger zentrale Gleichgewichtsstörungen vorliegen, und zu diesem Zweck ein Gutachten eines Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten (HNO) beiziehen müssen.
In dem neuen Verfahren (S 13 U (G) 100/63) hat das SG u.a. Gutachten der HNO-Klinik der Universität G (Gutachten vom 5. März 1965) und der Neurologischen Klinik der Universität Göttingen (Gutachten vom 8. September 1965) beigezogen. Außerdem hat es den Klempner- und Installateurmeister K bei dem der Kläger seit dem Jahre 1948 gearbeitet hatte, am 19. November 1964 durch das Amtsgericht Duderstadt als Zeugen vernehmen lassen und in der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 1966 den Installateurmeister F, in dessen Betrieb der Kläger seit 17. Mai 1965 beschäftigt ist, als Zeugen gehört. Das Gutachten der HNO-Klinik der Universität G kommt u.a. zu dem Ergebnis, daß eine zentrale Vestibularisstörung festgestellt und dadurch die Klagen über Schwindelbeschwerden objektiviert worden seien. Es habe ein schweres Schädelhirntrauma im Sinne der Stammhirnkontusion vorgelegen. Zentrale Gleichgewichtsstörungen nach Schädelhirntraumen würden zwar in der Mehrzahl der Fälle nach etwa ein bis zwei Jahren ausgeglichen, blieben jedoch in einzelnen Fällen viele Jahre erhalten. Es sei mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die unfallbedingte zentrale Vestibularisstörung sich nicht zurückgebildet habe und noch bestehe. Die MdE durch die Vestibularisstörung schätzten die Gutachter mit 10 v.H. ein.
Im Gutachten der Neurologischen Klinik ist u.a. ausgeführt, gegenüber den Verhältnissen zur Zeit der Feststellung der Dauerrente durch den Bescheid vom 25. Februar 1958 sei insofern eine Änderung eingetreten, als damals nur eine schwere Gehirnerschütterung und keine contusionelle Hirnstammschädigung angenommen worden sei. Deshalb sei eine höhere Einstufung der MdE gerechtfertigt, so daß die auf chirurgischem Gebiet festgestellte Besserung für die Bewertung der Gesamt-MdE-wieder aufgewogen werde. Durch den HNO-Befund sei eine zentrale Vestibularisstörung aufgedeckt und die Schwindelerscheinungen objektiviert worden. Ebenso wie bei früheren neurologischen Untersuchungen seien regelrechte Verhältnisse gefunden worden, auch durch die hirnelektrische Registrierung seien greifbare Folgeerscheinungen der Schädelhirnverletzung nicht nachgewiesen. Am auffälligsten sei der psycho-pathologische Befund gewesen. Der Kläger sei wenig kontaktbereit und zeige sich mürrisch und latent aggressiv. Eine Merkschwäche habe nicht eindeutig festgestellt werden können. Das Vorbringen des Klägers wirke insoweit nicht überzeugend. Die MdE wird in diesem Gutachten vom 1. Mai 1960 an auf neurologischem Gebiet einschließlich der Vestibularisstörung mit 30 v.H. geschätzt unter Einbeziehung der Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet mit insgesamt 40 v.H.
Der vom SG gehörte Facharzt für Chirurgie, Medizinalrat Dr. L, ist zu dem Ergebnis gekommen, auf chirurgischem Fachgebiet sei eine ganz geringe Besserung zu verzeichnen, die MdE sei weiterhin auf 20 v.H. zu schätzen.
Durch Urteil vom 24. Februar 1966 hat das SG den Bescheid vom 28. März 1960 geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalles vom 14. Dezember 1955 über den 30. April 1960 hinaus bis zum 31. Mai 1965 eine Dauerrente nach einer MdE von 40 v.H. zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG u.a. ausgeführt:
Streit bestehe lediglich über die Frage, wie hoch die unfallbedingte Gesamt-MdE vom 1. Mai 1960 an unter Berücksichtigung der Unfallfolgen auf neurologischem und HNO-Gebiet zu bewerten sei. Die Kammer sei nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht zu der Feststellung gekommen, daß die MdE auf neurologischem und HNO-Gebiet bis jetzt fortbestanden habe. Hiergegen sprächen die Bekundungen des Zeugen F Der Zeuge K habe noch hervorgehoben, daß die Leistungen des Klägers nicht immer dem Entgelt entsprächen und daß gelegentlich Zeiten von 8 bis 14 Tagen aufgetreten seien, in denen wenig mit ihm anzufangen gewesen sei; er habe den Kläger nur deshalb weiterbeschäftigt, weil andere Fachkräfte schwer zu bekommen seien. Aus den Bekundungen des Zeugen F, des jetzigen Arbeitgebers, habe das Gericht jedoch zu der Feststellung kommen müssen, daß in den Unfallfolgen auf neurologischem Gebiet in der Zeit bis zur zweiten Hälfte des Monats Mai 1965 eine wesentliche Besserung eingetreten sei. Der Kläger habe den Wechsel des Arbeitsplatzes auf eigene Initiative vorgenommen und werde in einer Vertrauensstellung als Vertreter des Meisters beschäftigt. Er werde von F als besonders tüchtige und erfahrene Arbeitskraft wegen seiner Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit und auch wegen seines Fleißes hoch geschätzt und erhalte übertarifliche Bezahlung, insbesondere Leistungszuschläge für schwierige Arbeit. Der Zeuge habe den Kläger als eine in jeder Beziehung vollwertige und zuverlässige Arbeitskraft bezeichnet. Wesensänderungen und Merkschwäche seien nicht in Erscheinung getreten. Er habe allerdings auch bei F noch mehrfach über Kopfschmerzen geklagt, sei jedoch in keinem Falle der Arbeit ferngeblieben. Die Kammer sei auf Grund dieser Zeugenaussage zu der Beurteilung gekommen, daß für die Zeit seit 1. Juli 1965 die Unfallfolgen außerhalb des chirurgischen Fachgebiets den Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit nicht mehr um 30 v.H. beeinträchtigen, sondern höchstens noch um 20 v.H., so daß die Gesamt-MdE vom 1. Juni 1965 ab nur noch mit 30 v.H. zu bewerten sei. Anschließend hat das SG mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß die nervenfachärztlichen sowie das HNO-Gutachten dieser Feststellung nicht entgegenstehen. Insgesamt sei eine Besserung auf chirurgischem Gebiet bis Ende April 1965 noch nicht eingetreten gewesen. Erst nach dem Arbeitsplatzwechsel habe sich gezeigt, daß in den abgelaufenen fünf Jahren auch die Folgen der Gehirnverletzung sich eindeutig zunehmend zurückgebildet hätten, so daß mit Wirkung vom 1. Juni 1965 auch insoweit eine wesentliche Besserung eingetreten gewesen sei, die eine Herabsetzung der Dauerrente auf eine Teilrente nach einer MdE von 30 v.H. rechtfertige.
Die Rechtsmittelbelehrung des Urteils lautet: Gegen dieses Urteil ist gemäß § 148 Ziff. 3 SGG eine Berufung nicht zulässig, es sei denn, daß ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 150 Ziff. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Gegen dieses Urteil haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers Berufung eingelegt.
Als wesentlichen Mangel im Verfahren des SG (§ 150 Nr. 2 SGG) haben sie gerügt, daß sich das SG vom Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung entfernt und der Aussage des Zeugen F eine größere Beweiskraft als den Gutachten beigemessen habe.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten erklärt, die Beklagte ergänze den Bescheid vom 28. März 1960 dahin, daß als Unfallfolge zusätzlich eine basale Hirnkontusion anerkannt wird. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat erklärt: "Ich nehme dieses Teilanerkenntnis an".
Das LSG hat durch Urteil vom 21. März 1967 das Urteil des SG vom 24. Februar 1966 und den Bescheid vom 28. März 1960 aufgehoben. Es hat die Revision zugelassen.
Es ist der Auffassung, die nach § 145 Nr. 4 SGG ausgeschlossene Berufung sei zulässig, weil der Kläger schlüssig gerügt habe, daß das Verfahren des SG an einem wesentlichen Mangel leide (§ 150 Nr. 2 SGG). Die medizinischen Sachverständigen seien auf Grund der im September 1965 erfolgten Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, daß insgesamt gesehen eine Besserung nicht eingetreten sei. Es handele sich nicht um die Einschätzung der MdE, also nicht um einen "Gradstreit". Im Vordergrund stehe die Frage, ob die angegebenen Gesundheitsstörungen vorhanden und inwieweit sie auf den Unfall zurückzuführen seien und ob bei einem Vergleich zwischen den Verhältnissen Mitte 1965 mit denen von Anfang 1958 tatsächlich eine Besserung festzustellen sei. Auf Grund des Widerspruchs zwischen den Aussagen der Zeugen einerseits und den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen hätte das SG sich veranlaßt sehen müssen, noch eine Stellungnahme der neurologischen Sachverständigen der Universität Göttingen herbeizuführen. Auf diesem Verfahrensmangel beruhe das angefochtene Urteil. Im übrigen hat das LSG mit ausführlicher Begründung die Rechtsauffassung vertreten, daß es für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 28. März 1960 nur auf die Verhältnisse ankomme, die im Zeitpunkt der Herabsetzung vorgelegen hätten. Damals sei aber eine Besserung noch nicht eingetreten gewesen. Es handele sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Seinem Vorbringen nach habe der Kläger von Anfang an nur die Aufhebung des Änderungsbescheides begehrt. Der Antrag auf Verurteilung zur Weiterzahlung habe nur die Bedeutung eines Eventualantrages für den Fall, daß das Gericht dem Aufhebungsantrag nicht entsprechen sollte.
Das Urteil des LSG ist den Beteiligten am 20. April 1967 zugegangen. Die Beklagte hat am 11. Mai 1967 Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und in erster Linie: die Berufung als unzulässig zu verwerfen, in zweiter Linie sie zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten ist durch Zulassung statthaft. Sie ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und innerhalb der verlängerten Begründungsfrist begründet worden; sie ist somit zulässig.
Die Revision rügt in erster Linie, das LSG habe die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 24. Februar 1966 zu Unrecht als zulässig angesehen; es hätte sie durch Prozeßurteil als unzulässig verwerfen müssen. Diese Rüge ist nach der Auffassung des erkennenden Senats, der die Zulässigkeit der Berufung auch von Amts wegen prüfen muß (BSG 1, 227; 2, 225 und 245; 3, 234; 15, 65), berechtigt.
Die Berufung betrifft die Neufeststellung der Dauerrente wegen Änderung der für die bisherige Feststellung auf 40 v.H. der Vollrente maßgebend gewesenen Verhältnisse (§ 608 der Reichsversicherungsordnung alter Fassung - RVO aF -, § 622 RVO), und von der Entscheidung über den Streit darüber, ob die Herabsetzung auf 30 v.H. der Vollrente gerechtfertigt ist, hängt weder die Schwerbeschädigteneigenschaft des Klägers noch die Gewährung der Rente ab. Die vom SG angenommene Änderung der Verhältnisse ist auch nicht durch ein neu hinzugetretenes Leiden verursacht. Die Berufung ist deshalb nach § 145 Nr. 4 SGG ausgeschlossen. Das hat auch weder das SG noch das LSG verkannt. Daß das SG in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils die für die Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung geltende Vorschrift des § 148 Nr. 3 SGG in den - vorgedruckten - Text eingefügt hat, ist ein offensichtliches Versehen (vgl. § 138 SGG), das insbesondere auch dafür ohne Bedeutung ist, daß das SG die Berufung nicht nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen hat, wie sich daraus ergibt, daß weder der entscheidende Teil (Tenor) noch die Begründung des Urteils einen Zulassungsausspruch enthält, während andererseits in der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich ausgeführt ist, daß eine Berufung nicht zulässig sei, es sei denn, daß ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt werde.
Die Berufung ist auch nicht nach § 150 Nr. 3 SGG zulässig, denn es besteht kein Streit über den Zusammenhang zwischen einer beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörung und dem Unfall vom 14. Dezember 1955. Streitig ist vielmehr nur, ob die durch Auswirkungen des Unfalls verursachten Gesundheitsstörungen sich soweit gebessert haben, daß es gerechtfertigt ist, die durch sie bewirkte MdE des Klägers vom 1. Juni 1965 an nur noch mit 30 v.H. einzuschätzen.
Die Statthaftigkeit der Berufung hängt infolgedessen davon ab, ob der Kläger im Berufungsverfahren mit Recht als wesentlichen Mangel im Verfahren des SG (§ 150 Nr. 2 SGG) gerügt hat, das SG habe die gesetzlichen Grenzen des Rechts der freien richterlichen Überzeugungsbildung überschritten, indem es von den Gutachten abgewichen sei und der Aussage des Zeugen F eine zu große Bedeutung zugemessen habe.
Diese Rüge trifft insofern nicht zu, als das SG von den Auffassungen der ärztlichen Sachverständigen hinsichtlich der Frage, welche durch den Unfall verursachten Gesundheitsstörungen beim Kläger noch bestehen, nicht auf Grund eigener Würdigung der Beweise abgewichen ist. Das SG hat vielmehr nur die Bedeutung dieser Gesundheitsstörungen für die Erwerbsfähigkeit des Klägers abweichend beurteilt (vgl. SozR Nr. 2 und Nr. 25 zu § 128 SGG). Insbesondere ist das SG davon ausgegangen, daß durch die Untersuchung in der HNO-Klinik der Universität Göttingen (Gutachten vom 5. März 1965) eine durch Hirnkontusion verursachte Vestibularisstörung festgestellt und dadurch die Klagen über Schwindelanfälle objektiviert worden sind. Es hat u.a. auch die Kopfschmerzen, über die der Kläger klagt, übereinstimmend mit den Sachverständigen als Unfallfolgen angesehen und berücksichtigt, daß bei der Untersuchung in der Neurologischen Klinik der Universität G (Gutachten vom 8. September 1965) eine herabgesetzte Kontaktbereitschaft und ein mürrisches aggressives Wesen festgestellt worden sind. Die von den Schätzungen in den Gutachten abweichende Auffassung des SG bezieht sich lediglich auf die Frage, welche Bedeutung die unfallbedingten Gesundheitsstörungen für die Erwerbsfähigkeit des Klägers haben (vgl. hierzu auch SozR Nr. 3 zu § 608 RVO aF). Insoweit hat das SG seine Feststellung auch auf einen Vergleich zwischen den Aussagen des durch das Amtsgericht Duderstadt am 19. November 1964 als Zeugen vernommenen Klempner- und Installateurmeisters K und des in der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 1966 als Zeugen vernommenen Installateurmeisters F gestützt. Diese Zeugen haben aus eigener Wahrnehmung Angaben über das Verhalten des Klägers am Arbeitsplatz gemacht. Bei K war der Kläger seit 1948 beschäftigt. F hat zunächst im Betrieb des K mit dem Kläger zusammen gearbeitet und, nachdem sich F selbständig gemacht hatte, ist der Kläger am 17. Mai 1965 aus eigener Initiative in den Betrieb F übergetreten.
Das LSG ist der Auffassung, das SG hätte seine Feststellungen hinsichtlich der Auswirkungen der Unfallfolgen auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht allein auf die Aussage des Zeugen F stützen dürfen, sondern hätte hierzu nochmals einen ärztlichen Sachverständigen hören müssen. Ein Mangel im Verfahren (§ 150 Nr. 2 SGG) liegt jedoch nicht schon dann vor, wenn das Ergebnis einer Beweiswürdigung unrichtig erscheint, denn eine unrichtige Beweiswürdigung betrifft die Entscheidung selbst und nicht das Verfahren des Gerichts (vgl. z.B. BSG 2, 236; 7, 103, 106). Außerdem hat das LSG nicht ausreichend berücksichtigt, daß die Einschätzung der MdE nicht zu den eigentlichen Aufgaben der ärztlichen Sachverständigen gehört, deren Sachkunde sich in erster Linie darauf bezieht, welche unfallbedingten Gesundheitsstörungen vorliegen und in welchem Umfange sie die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten beeinträchtigen. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, in welchem Maße sich derartige Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, sind zwar für das Gericht eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage, entheben es aber nicht der Verpflichtung zur richterlichen Schätzung auf Grund eigener Überzeugungsbildung (vgl. BSG 4, 147, 149).
Nach der Auffassung des erkennenden Senats ist es verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, daß das SG sich aus den Aussagen der Zeugen eine von den Schätzungen in den Gutachten abweichende Überzeugung davon gebildet hat, in welchem Umfange und mit welcher Häufigkeit die von den Sachverständigen festgestellten unfallbedingten Gesundheitsstörungen tatsächlich bei der Arbeitstätigkeit hindernd in Erscheinung getreten sind.
Da hiernach entgegen der Auffassung des LSG im Berufungsverfahren ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG nicht schlüssig gerügt ist, war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 24. Februar 1966 nicht statthaft. Der Senat hat deshalb das Urteil des LSG geändert und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 24. Februar 1966 als unzulässig verworfen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens ergeht auf Grund § 193 SGG.
Fundstellen