Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Minderung der Erwerbsfähigkeit, wenn infolge des Arbeitsunfalls ein von dem Verletzten erstrebter beruflicher Aufstieg nicht mehr erreichbar ist.
Normenkette
RVO § 581 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht vom 6. Januar 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahre 1939 geborene Kläger nahm, da ihn die Berufsberatungsstelle für den von ihm erstrebten Beruf des Seemanns nicht für körperlich tauglich hielt, nach seiner Schulentlassung im Frühjahr 1955 die Lehre als Autoschlosser auf. Da ihm dieser Beruf nicht zusagte, wurde er Mitglied eines Jugendaufbauwerks. Im Oktober 1955 wurde er von der Seemannsschule angenommen. Der dortige Lehrgang war im Januar 1956 beendet. Einige Monate später begann der Kläger zur See zu fahren, zunächst in der Tankerschifffahrt, später auf Frachtern. Er durchlief die übliche Deckslaufbahn: Decksjunge, Jungmann, Leichtmatrose, Matrose. Sein Wunsch war, die Offizierslaufbahn einzuschlagen und zunächst das A 2-Patent (Steuermann auf kleiner Fahrt) zu erwerben. Aus diesem Grund schlug er die Beförderung zum Bootsmann aus. Den am 6. August 1964 beginnenden 4-monatigen A 2-Lehrgang in der Seefahrtsschule L konnte er jedoch nicht besuchen, weil die Folgen des Arbeitsunfalls, den der Kläger am 14. Februar 1964 als Matrose an Bord des MS "U" erlitt, den Erwerb von Patenten und eine Tätigkeit als Nautiker nicht zulassen.
Ein zurückschnellendes Jolltauende traf den Kläger damals an der linken Gesichtshälfte und verletzte das linke Auge. Dadurch kam es zu einer Aderhautruptur. In der Mitte der Netzhaut befinden sich pigmentierte Narben der Netzhaut und Aderhaut. Das Sehvermögen ist auf 5/20 herabgesetzt; es bestehen ferner ein Verzerrtsehen, eine geringe Pupillenerweiterung und kleine Gesichtsfeldausfälle, das beidäugige Tiefsehen fehlt.
Frühere Arbeitsunfälle führten dagegen zu keiner Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE): Am 1. April 1959 klemmte sich der Kläger den Ringfinger der rechten Hand; dieser weicht in einem Winkel von 30 Grad von der Normalstellung ab. Am 8. Februar 1961 zog sich der Kläger Hautabschürfungen am rechten Bein und linken Knie zu. Am 31. August 1963 klemmte er sich den Mittelfinger der rechten Hand; er erlitt eine Platzwunde und einen Knochenbruch.
Wegen der Augenverletzung musterte der Kläger am 18. März 1964 ab. Der Vertrauensarzt der Beklagten, Obermedizinalrat Dr. W beurteilte ihn am 6. April 1964 als seedienstuntauglich. Die Beklagte erteilte dem Kläger mit dessen Einverständnis nach § 82 Abs. 1 des Seemannsgesetzes durch Bescheid vom 5. April 1965 die Genehmigung für eine Weiterbeschäftigung im Decksdienst mit der Einschränkung, daß er als Rudergänger und Ausguckmann nicht beschäftigt werden dürfe. Am 1. August 1964 wurde der Kläger zum Bootsmann befördert und nahm seine Tätigkeit auf dem MS "U" wieder auf.
Durch formlosen Bescheid vom 18. Februar 1965 versagte die Beklagte die begehrte Unfallentschädigung, weil die MdE im Gutachten der Universitätsaugenklinik K vom 17. Oktober 1964 auf 10 bis 15 v.H. geschätzt werde.
Mit seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, daß er infolge seiner einseitigen Vorbildung für den Seemannsberuf durch die Verminderung der Sehleistung im Erwerbsleben in besonderem Maße betroffen sei und nur mit großem Risiko in diesem Beruf weiter arbeite. Bei Lade- und Löscharbeiten müsse er sich Zurückhaltung auferlegen, weil schweres Heben und tiefes Bücken eine Netzhautablösung an dem verletzten Auge zur Folge haben könnten. Die schwerwiegendste Folge des Unfalls vom 14. Februar 1964 sei jedoch, daß ihm die Möglichkeit verschlossen sei, Steuermann zu werden. Durch die Vernichtung seiner Berufspläne sei er besonders hart betroffen, so daß eine MdE um 20 bis 25 v.H. gerechtfertigt sei.
Daraufhin erteilte die Beklagte am 27. April 1965 einen förmlichen Bescheid, in dem sie an der Ablehnung des Rentenanspruchs festhielt.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 8. Juni 1966, Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts - LSG - vom 6. Januar 1967).
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die gehörten Fachärzte für Augenkrankheiten seien sich darin einig, daß die MdE durch die Augenverletzung auf höchstens 15 v.H. zu schätzen sei. Zwar sei diese Frage nicht ausschließlich medizinischer Natur. Jedoch enthalte die Tabelle der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, welche die Gutachter zugrunde gelegt hätten, Erfahrungswerte, wie sie sich aufgrund der Verhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt herausgebildet hätten. Da die Sachverständigen, welche aus ihrer täglichen Praxis über viel Erfahrung verfügten, wie sich ein bestimmtes Augenleiden im Erwerbsleben nachteilig auszuwirken pflege, in der Bewertung der MdE nicht von einander abwichen, könne der von ihnen angenommene Grad von 15 v.H. der Lebenserfahrung nicht widersprechen, zumal da der Kläger seit dem 1. August 1964 wieder in seinem Seemannsberuf arbeite, welcher nicht weniger Anforderungen an das Sehvermögen stelle als sehr viele andere Berufe. Die Gefahr einer Netzhautablösung sei nach dem Gutachten der Universitätsklinik allenfalls möglich. Sie verringere sich, wie Oberarzt Dr. H im Gutachten vom 6. Januar 1967 überzeugend ausgeführt habe, mit dem zeitlichen Abstand von dem Unfall. Dieser liege nun schon mehrere Jahre zurück. Nach der Ansicht dieses Sachverständigen könne die Sehminderung des Klägers einer einseitigen Lindenlosigkeit, wegen der in der Regel Unfallentschädigung von 20 v.H. der Vollrente gewährt werde, nicht gleichgesetzt werden. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei auch nicht deshalb stärker gemindert, weil er vor dem Unfall 8 Jahre lang ausschließlich in der Deckslaufbahn der Seeschiffahrt tätig gewesen sei und somit verhältnismäßig lange eine einseitige berufliche Tätigkeit ausgeübt habe, denn der Kläger könne trotz der Sehminderung noch den weit überwiegenden Teil der einem Matrosen obliegenden Aufgaben erfüllen. Er sei im wesentlichen nur vom Brücken- und Wachdienst ausgeschlossen, könne aber im übrigen die während seiner Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten in der Schiffskunde, im Ladungsdienst, im Bootsdienst, in der Handarbeit, in der Haltung und Sauberkeit des Schiffes, im Sicherheitsdienst, im Signaldienst und in der Rechtskunde nach wie vor verwerten. Der Kläger sei nach dem Unfall sogar zum Bootsmann befördert worden und stehe nun zwischen den Matrosen und den Schiffsoffizieren. Als Bootsmann habe er für Sauberkeit und Ordnung an Deck zu sorgen. Seine Tätigkeit sei also aufsichtsführender Art, für welche die während seiner Ausbildung zum Matrosen erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen uneingeschränkt von Nutzen seien. Zu seinen Aufgaben gehöre vor allem nicht mehr, Brücken- und Wachdienst selber wahrzunehmen. Selbst wenn man bei einem Matrosen in dem Unvermögen, Brücken- und Wachdienst zu leisten, eine Minderung der durch die Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten erblicken wollte, wäre diese Minderung beim Kläger durch dessen Fähigkeit, die Aufgaben eines Bootsmanns voll zu erfüllen, ausgeglichen, weil die soziale Stellung des Bootsmanns höher als die eines Matrosen sei. Die nach dem Unfall nachgeholte Beförderung sei nicht aus sozialen Erwägungen erfolgt; die Fürsorge der Arbeitgeber pflege nicht soweit zu gehen, einen unfallverletzten Arbeitnehmer ihres Betriebes mit einer höherwertigen, verantwortungsvolleren Aufgabe zu betrauen und ihm mehr Lohn als vor dem Unfall zu zahlen, wenn er dieser Aufgabe nicht voll gewachsen sei. Die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung der MdE nach § 581 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seien somit nicht gegeben. Diese Vorschrift komme dem Kläger auch nicht deshalb zugute, weil er infolge des Unfalls das erstrebte Berufsziel nicht mehr erreichen könne. Sie stelle nach ihrem Wortlaut allein auf die Erwerbsaussichten im Zeitpunkt des Unfalls ab. Dies gehe auch daraus hervor, daß nach § 581 Abs. 2 RVO die Einbuße von bis zum Unfall erworbenen beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen nicht mehr angemessen zu berücksichtigen sei, wenn sie durch sonstige bereits vorhandene Fähigkeiten des Verletzten ausgeglichen werde, deren Ausnutzung im Erwerbsleben ihm zugemutet werden könne. Ein vor dem Unfall beabsichtigter, durch Unfallfolgen unmöglich gewordener beruflicher Aufstieg habe deshalb bei der Bewertung der MdE außer Acht zu bleiben. Da die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die früheren Unfälle nicht dauernd gemindert sei, komme auch eine Klein-Rente nach § 581 Abs. 3 RVO nicht in Betracht.
Das LSG hat die Revision zugelassen, weil die Frage, "ob bei der Bemessung der MdE nach § 581 Abs. 2 RVO auch der Umstand zu berücksichtigen ist, daß der Verletzte infolge des Unfalls in der beruflichen Laufbahn nicht weiter aufsteigen kann", von grundsätzlicher Bedeutung sei.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet: Das LSG hätte prüfen müssen, ob der Kläger - sei es mit, sei es ohne Beförderung zum Bootsmann - auf jedem anderen Schiff hätte anmustern können, ohne eine Einbuße an seiner Heuer zu erleiden, obwohl er zum Dienst auf der Brücke nicht eingeteilt werden dürfe. Könnte hier eine Minderung des Verdienstes nicht in Abrede genommen werden, hätte das Berufungsgericht untersuchen müssen, ob der Kläger mit den nach dem Unfall verbliebenen Fähigkeiten seine Verdienstmöglichkeiten derart habe steigern können, daß ihm eine Schmälerung seines Einkommens erspart geblieben wäre. Eine Überprüfung des Gesamtgebiets des Seemannsberufs durch das LSG hätte ergeben, daß dieser stets den Besitz eines sicheren Blicks voraussetze, so daß der Zwang zur Berufsaufgabe infolge einer Augenverletzung für einen Seemann weit stärkere Nachteile zur Folge habe als für Angehörige sonstiger Berufe. Könne ein Seemann die typischen seemännischen Tätigkeiten, wie Ruder- und Ausguckgehen, nicht mehr ausüben, sei für ihn ein Unterkommen in einem anderen Erwerbszweig zu demselben Verdienst niemals gewährleistet. Um keinen Verdienstausfall zu erleiden, sei der Kläger mit dem Vorschlag der Beklagten einverstanden gewesen, seinen Beruf künftig mit Einschränkungen weiter auszuüben. Da ein Bootsmann üblicherweise nicht auf bloße Aufsichtstätigkeiten an Deck beschränkt sei, sondern auch als Nautiker tätig zu sein habe, hätte das Berufungsgericht klären müssen, wie es zu der Beförderung des Klägers durch die ihn beschäftigende Reederei gekommen sei. Die dem Kläger gezahlte Heuer könne lediglich ein Soziallohn und das Zutagetreten einer Einkommensminderung des Klägers durch finanzielle Opfer der Reederei verhindert worden sein. Habe die Beklagte sich etwa auf diese Weise der Notwendigkeit, dem Kläger Rente zu gewähren oder ihn umzuschulen, entziehen wollen, hätte das Berufungsgericht einem solchen Verfahren entgegentreten müssen. Hätte es die notwendige Aufklärung durchgeführt, hätte sich herausgestellt, daß die Beklagte dem Kläger die Weiterbeschäftigung im alten Beruf ausschließlich im eigenen Interesse ermöglicht habe. Eine solche Untersuchung werde jedoch entbehrlich sein, denn die Beklagte habe mit ihrem dem Kläger gemachten Vorschlag, weiterhin Dienst an Deck zu tun, wenn auch ohne Ausguck- und Rudergehen, vom Kläger ein Opfer verlangt, welches sie ihm nach den vom Grundgesetz (GG) getroffenen Wertentscheidungen nicht hätte ansinnen dürfen. Nach ihren Wünschen sollte der Kläger von der Stufe der bereits erlangten Seemannsschulreife herabsteigen und sich fortan ausschließlich einem Teilbereich des Seemannsberufs widmen, den der Kläger nicht mehr als sein zukünftiges Arbeitsfeld habe betrachten wollen. Durch ihre Einflußnahme habe die Beklagte das Grundrecht des Klägers auf Freiheit der Berufswahl verletzt und ihm einen sozialen Abstieg zugemutet. Eine höhere Bewertung der MdE sei schließlich deshalb gerechtfertigt, weil dem Kläger das erstrebte Berufsziel eines Schiffsoffiziers durch den Unfall unmöglich geworden sei. Im privaten Schadensersatzrecht werde auch der Schaden ersetzt, welcher dadurch entstehe, daß eine unmittelbar bevorstehende Beförderung infolge eines Unfalls nicht mehr möglich sei. Das Recht der Kriegsopferversorgung enthalte eine mehr schematische Regelung, welche die künftige berufliche Entwicklung des Beschädigten berücksichtige. Für § 581 Abs. 2 RVO müsse dasselbe gelten, so daß auch nach dieser Vorschrift nicht mehr erreichbare berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bei der Bemessung der Unfallentschädigung berücksichtigt werden müßten.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie habe nicht in ihrer Eigenschaft als Träger der See-Unfallversicherung, sondern aufgrund ihrer Zuständigkeit nach § 82 Abs. 1 des Seemannsgesetzes über die Seediensttauglichkeit des Klägers eine Entscheidung getroffen. Der Kläger habe diesen Verwaltungsakt nicht im Verwaltungsrechtsweg angefochten. Er sei deshalb im Sozialrechtsstreit als gültig zu behandeln. Im übrigen ziehe nach den Bestimmungen über die Seediensttauglichkeit vermindertes Sehvermögen bei befahrenen Seeleuten nicht ohne weiteres Untauglichkeit für den Decksdienst schlechthin nach sich. Der Kläger könne, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, seinen bisherigen Beruf weiter ausüben und habe darin sogar aufsteigen können. Die Berücksichtigung zukünftiger Berufsaussichten bei der Bewertung der MdE würde eine Abkehr von dem die gesetzliche Unfallversicherung (UV) beherrschenden Prinzip der abstrakten Schadensbemessung bedeuten. Auch der Wortlaut des § 581 Abs. 2 RVO, welcher auf die von dem Verletzten erworbenen besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen abstelle, stimme mit diesem Grundsatz überein. Die Ausführungen der Revision zur Frage des "sozialen Abstiegs" ließen außer Acht, daß § 1246 RVO und vergleichbare Vorschriften des Sozialversicherungsrechts dem Versicherten den erreichten sozialen Besitzstand erhalten wollen; dazu gehörten aber nicht die im Einzelfall meist ungewissen Aussichten beruflichen Fortkommens. Es gehe nicht an, wie die Revision meine, ein Beharren auf dem erreichten Stand einem sozialen Abstieg gleichzusetzen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und der Bescheide der Beklagten diese zu verurteilen, ihm eine angemessene Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Wie der Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) ständig entschieden hat, ist in der gesetzlichen UV der Grad der durch Unfallfolgen verursachten MdE nach dem Umfang der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens zu beurteilen, wobei zur Vermeidung unbilliger Härten Ausbildung und bisheriger Beruf des Verletzten angemessen zu berücksichtigen sind (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.8.69, Band II, S. 566 b ff mit umfangreichen Nachweisen). Dies hat das Berufungsgericht bei der Bewertung der dem Kläger nach dem Unfall vom 14. Februar 1964 verbliebenen Erwerbsfähigkeit, bei der es sich, da der Grad der durch einen Unfall verursachten MdE nicht völlig genau feststellbar ist, lediglich um eine Schätzung handeln kann (BSG 4, 147, 149; Brackmann, aaO, S. 568 a) nicht verkannt. Es hat die ärztlichen Gutachten, welche übereinstimmend die MdE auf höchstens 15 v.H. schätzen, sowie den Umstand gewürdigt, daß der Kläger verhältnismäßig lange vor dem Unfall eine einseitige berufliche Betätigung ausgeübt hat, er aber sogar nach dem Unfall in seiner beruflichen Laufbahn aufgestiegen ist und einen höheren Verdienst erzielt als vor dem Unfall. Mit Recht hat das Berufungsgericht diesem Umstand eine erhebliche Bedeutung beigemessen, wenngleich es nicht außer Acht gelassen hat, daß infolge der durch den Unfall eingetretenen Sehminderung auf dem einen Auge die Wettbewerbsfähigkeit des Klägers auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens eine Einschränkung erfahren hat.
Die tatsächlichen Grundlagen, von denen die Schätzung der MdE durch das Berufungsgericht ausgeht, hat die Revision nicht rechtswirksam mit Verfahrensrügen angegriffen. Für ihre Behauptung, die dem Kläger als Bootsmann gezahlte Heuer werde von der Reederei möglicherweise vergönnungsweise gewährt, hat sie nicht die nach § 164 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlichen Tatsachen und Beweismittel bezeichnet. Ihre aus dieser nicht schlüssigen Behauptung gezogene Folgerung, daß die Beklagte dem Kläger die weitere Ausübung des Seemannsberufs mit Einschränkungen gestattet habe, um sich ihrer Pflicht zur Rentengewährung zu entziehen, trifft nicht zu. Wie sich aus der Reihenfolge der in § 547 RVO aufgeführten Arten von Leistungen, welche nach Eintritt des Arbeitsunfalls vom Versicherungsträger zu gewähren sind, ergibt, hat die Wiedereingliederung eines Unfallverletzten in das Erwerbsleben den Vorrang vor der Gewährung von Verletztenrente. Die Beklagte hat aufgrund der ihr durch § 82 Abs. 1 Satz 1 des Seemannsgesetzes eingeräumten Entscheidungsbefugnis dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, mit gewissen Einschränkungen weiter in seinem Beruf tätig sein zu können. Sie hat, was diese Vorschrift voraussetzt, diese Entscheidung auf Antrag des Klägers getroffen. Inwiefern die Beklagte dadurch die Grundrechte in Art. 12 und 14 GG verletzt haben soll, wie die Revision meint, ist nicht ersichtlich. Der vom Kläger erstrebte Aufstieg innerhalb seines Berufs, welcher die erfolgreiche Ablegung mehrerer Prüfungen voraussetzte, ist dem Kläger versagt, weil er wegen der Unfallfolgen die bestimmungsgemäß erforderlichen körperlichen Anforderungen nicht mehr erfüllt. Die Beklagte hat es dem Kläger durch ihre Entscheidung indessen ermöglicht, in seinem Beruf, an dem er hängt, verbleiben zu können und in diesem in eine, wie das Berufungsgericht unangegriffen festgestellt hat, angesehenere besser bezahlte Stelle aufzusteigen. Von einem sozialen Abstieg infolge des Arbeitsunfalls kann somit - entgegen der Ansicht der Revision - keine Rede sein.
Bei der unter Zugrundelegung aller tatsächlichen Umstände vorgenommenen Schätzung des Grades der MdE hat das Berufungsgericht ferner mit Recht angenommen, daß es hier ohne rechtliche Bedeutung ist, daß der Kläger das von ihm erstrebte Berufsziel, in die Offizierslaufbahn aufzusteigen, infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr erreichen kann, ihm somit, vorausgesetzt, daß er die notwendigen Prüfungen bestanden hätte, etwaige künftig höhere Verdienstmöglichkeiten entgehen könnten. Ausgangspunkt für die Beurteilung der MdE in der gesetzlichen UV ist das Ausmaß der Erwerbsfähigkeit des Verletzten, welches vor dem Arbeitsunfall bestanden hat. Damit zu vergleichen ist die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch Unfallfolgen und der Umfang der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten (RVA EuM 21. 97; RVO-Mitgl.Komm. Band III, 2. Aufl. 1930, Anm. 5 a.E. zu § 559 a; Siefart, Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit auf dem Gebiete des Versicherungswesens, 3. Aufl., 1908, S. 171 ff; Brackmann, aaO, S. 567; Miesbach/Baumer, Komm. zur UV, Anm. 12 a zu § 581 RVO; Wander, SozVers. 1963, 340, 341; Dorin, BArbBl 1966, 257). Bei der Abschätzung des wirtschaftlichen Schadens, den der Verletzte durch den Arbeitsunfall erlitten hat, ist sonach auf die Kenntnisse und Fähigkeiten vor dem Arbeitsunfall abzustellen (Moesle/Rabeling, Komm. zur UV, 3. Aufl., 1914, Anm. 9 zu § 558 RVO, S. 128; Schulte-Holthausen, Komm. zur UV, 1929, Anm. 9 zu § 558 RVO, S. 106; Schraeder/Strich, Die Deutsche UV, Band II, Anm. 9 zu § 558 RVO, S. 586; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 5 a zu § 581 RVO). Dagegen ist es - anders als im Schadensersatzrecht des bürgerlichen Rechts (Lauterbach, aaO, Anm. 9 Nr. 3 zu § 537 RVO mit Nachweisen; BGH VersR 1963, 682) - versicherungsrechtlich grundsätzlich unerheblich, welchen Beruf der Verletzte nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten ohne die Beeinträchtigung durch Unfallfolgen hätte erreichen können (RVA, AN 1887 S. 356 Nr. 425; Kreil, Die Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit in der deutschen Sozialversicherung, 1935, S. 178 ff, 210; Klink, SozVers. 1965, 281, 282). Abweichend vom Schadensersatzrecht des bürgerlichen Rechts entfällt nach dem in der gesetzlichen UV maßgebenden Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung der Entschädigungsanspruch aber nicht allein deshalb, weil der Verletzte denselben Arbeitsverdienst wie vor dem Unfall bezieht oder unabhängig von den Unfallfolgen infolge Alters oder unfallunabhängiger Leiden ohnehin Erwerbsunfähigkeit eingetreten wäre (RVA, EuM 21, 95; Lauterbach, aaO, Anm. 9 Nr. 3 zu § 537 RVO). In Anwendung dieses Grundsatzes, der sich somit in einer Vielzahl von Fällen weitaus günstiger auswirkt als das im bürgerlichen Recht geltende Prinzip des Ersatzes des konkreten Schadens des Verletzten, hat die Rechtsprechung, auch wenn sie eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten als gerechtfertigt angesehen hat, daher stets nur die Ausbildung und die im Zeitpunkt des Unfalls vorhandenen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen des Verletzten angemessen berücksichtigt (vgl. die Zusammenstellung in EuM 21, 97 ff; AN 1913, S. 393 Nr. 2599; BSG 1, 174, 178; 4, 147, 150; 4, 294, 298; Breithaupt 1957, 1008, 1015; SozEntsch. III/2, BSG IV, RVO § 559 a Nr. 6, 7; Brackmann, aaO, S. 566 b; Wander, aaO; RVO-Gesamtkomm. III. Buch, Stand Januar 1970, Anm. 4 zu § 581, S. 104/32 oben).
An dieser Rechtslage hat, wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, § 581 Abs. 2 RVO keine Änderung herbeigeführt, obwohl vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Heuregelungsgesetzes eine ähnliche Vorschrift im 3. Buch der RVO nicht enthalten war (BSG 23, 253; 28, 227; Breithaupt 1966, 392). § 581 Abs. 2 RVO hat lediglich die frühere vom erkennenden Senat weiter entwickelte Rechtsprechung über die Grundsätze der Beurteilung der MdE in Fällen besonderer Härte im wesentlichen normiert (BSG 23, 253, 255). In Übereinstimmung damit schreibt § 581 Abs.2 RVO u.a. vor, daß bei der Bewertung der MdE Nachteile zu berücksichtigen sind, welche der Verletzte dadurch erleidet, daß er bestimmte, von ihm "erworbene" besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Unfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann. Auch aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, mit der der Gesetzgeber lediglich das kodifiziert hat, was schon bisher als rechtens angesehen worden war (BSG 28, 227, 229), ergibt sich somit, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, daß Verdienstmöglichkeiten, welche dem Verletzten nicht zufließen, weil er durch Unfallfolgen am erstrebten beruflichen Aufstieg gehindert worden ist, in der Regel auch nicht im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO angemessen berücksichtigt werden können (ebenso Klink, aaO).
Dem stehen die Ausführungen im Urteil des erkennenden Senats vom 27. September 1968 (BSG 28, 227, 229 ff), nach Lage des Einzelfalles könne gemäß § 581 Abs. 2 RVO auch bedeutsam sein, wenn einem Verletzten durch die Folgen eines Arbeitsunfalls die erfolgreiche Nutzung der in seinem Beruf gegebenen Aufstiegschancen verwehrt werde, nicht entgegen. Hiermit ist nämlich nur gemeint, daß im Einzelfall, wenn der berufliche Aufstieg aufgrund bereits erworbener besonderer beruflicher Kenntnisse sich zwangsläufig ergeben haben würde, seine Nichtberücksichtigung eine unbillige Härte im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats darstellen kann (s. auch Kreil, aaO, S. 179). Aus der o.a. Entscheidung ist nicht zu entnehmen, daß etwa über die Entschädigungsgrundsätze des gesetzlichen UV-Rechts hinaus allgemein eine Behinderung des beruflichen Aufstiegs im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO zu berücksichtigen ist. Der von der Revision als für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift geeignet angesehene Sachverhalt, daß von dem Verletzten bereits erworbene, durch das erfolgreiche Bestehen einer Abschlußprüfung nachgewiesene berufliche Kenntnisse für einen besser bezahlten Arbeitsplatz infolge eines zwischenzeitlich eingetretenen Arbeitsunfalls nicht verwertet werden könnten, liegt hier nicht vor. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger an dem seinen beruflichen Aufstieg fördernden Lehrgang nicht teilgenommen; es ist ungewiß, ob er ihn erfolgreich beendet hätte.
Wie der erkennende Senat in BSG 23, 253, 255 näher ausgeführt hat, würde eine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit - entsprechend den Grundsätzen des § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - der gegenüber dem Versorgungsrecht anders gearteten Systematik des UV-Rechts widersprechen. Der Gesetzgeber hat für das Gebiet der gesetzlichen UV, in der - anders als im Versorgungsrecht, dessen Rentensätze grundsätzlich Pauschalsätze sind, welche im allgemeinen ohne Rücksicht auf Alter oder Einkommen des Beschädigten abgestuft nach der MdE gewährt werden - das vom Verletzten während des letzten Jahres vor dem Unfall verdiente Arbeitsentgelt die Grundlage der Rentenberechnung bildet, künftigen höheren Verdienstmöglichkeiten in den - engen - Grenzen des § 573 RVO Rechnung getragen (s. auch Klink, aaO). Wie der erkennende Senat in dem - zur Veröffentlichung vorgesehenen - Urteil vom 27. Februar 1970 (2 RU 135/66) hierzu näher ausgeführt hat, ergibt sich dies daraus, daß für die Berechnung der Leistungen in der gesetzlichen UV grundsätzlich die Verhältnisse vor dem Unfall maßgebend sind, § 573 RVO somit nur in Ausnahmefällen eine Berücksichtigung der durch den Unfall herbeigeführten Beeinträchtigung der Aussichten auf zukünftige Entwicklungen des Einkommens zuläßt (ebenso RVA, AN 1908, 573 Nr. 2270; Kreil, aaO, S. 208). Dieser Wille des Gesetzgebers kann nicht dadurch umgangen werden, daß künftige Verdienstmöglichkeiten, welche infolge eines durch Unfallfolgen verhinderten beruflichen Aufstiegs nicht mehr erreichbar sind, bei der Bewertung der MdE entsprechend berücksichtigt werden. Würde diesem Gesichtspunkt allgemein auch im Rahmen des § 581 Abs. 2 RVO Rechnung getragen werden, würde er in den Fällen des § 573 RVO eine doppelte und somit nicht gerechtfertigte Berücksichtigung finden (s. auch BSG 23, 253, 255).
Das Berufungsgericht hat somit zu Recht die dem Kläger möglicherweise entgangenen Verdienstchancen bei der Beurteilung des Grades der MdE nicht berücksichtigt. Mit seiner Schätzung, welche das Revisionsgericht nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen kann, hat es sich innerhalb der Grenzen der insoweit gebotenen richterlichen Ermessensausübung gehalten (BSG 4, 147, 149).
Die Ausführungen des LSG zu § 581 Abs. 3 RVO begegnen ebenfalls keinen Bedenken. Es hat zutreffend die Voraussetzungen für die Gewährung einer Klein-Rente verneint.
Die Revision war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen