Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragszuschuß für Rentner im Ausland
Leitsatz (redaktionell)
1. Die deutsche Sozialversicherung kennt keinen allgemeinen, für alle Versicherungszweige gleichermaßen gültigen Grundsatz, daß Leistungen nur an Berechtigte im Inland zu erbringen sind, bei Auslandsaufenthalt also ruhen.
2. RVO § 381 Abs 4 gilt auch für Rentner, die im Ausland wohnen, und zwar auch dann, wenn eine zwischenstaatliche Regelung über die Zahlung des Beitragszuschusses nicht besteht.
3. Voraussetzung für den Anspruch auf den Beitragszuschuß nach RVO § 381 Abs 4 S 2 ist für die im Ausland wohnenden Rentner, daß entweder eine "Vollversicherung" vorliegt oder die Prämie in etwa dem Betrag entspricht, den privatversicherte Rentner im Inland durchschnittlich für ihre Krankenversicherung aufwenden müssen.
Orientierungssatz
Wie der Senat schon früher entschieden hat, können den Beitragszuschuß auch im Ausland wohnende und dort privat gegen Krankheit versicherte Rentner erhalten, selbst wenn sich dies, wie im Verhältnis zu den USA, nicht aus einer zwischen- oder überstaatlichen Regelung ergibt; die Vorschriften über die Zahlung von Leistungen der Rentenversicherung bei Auslandsaufenthalt (RVO § 1315 ff) stehen dem nicht entgegen, sie regeln - entgegen der Ansicht des LSG - nicht die Gewährung von Beitragszuschüssen (vergleiche BSG 1970-08-28 3 RK 94/69 = SozR Nr 24 zu § 381 RVO).
Auch Auslandsrentnern steht indessen ein Anspruch auf den Beitragszuschuß grundsätzlich nur zu, wenn sie - wie die im Inland wohnenden Rentner - eine "Vollversicherung" gegen Krankheitskosten abgeschlossen haben. Ist dies der Fall, kommt es auf die Höhe der zu zahlenden Versicherungsprämie nicht an, was insbesondere für Rentner in den USA von Bedeutung sein kann, die, wie es scheint, unter dem dortigen Medicare-System gegen bestimmte Krankheitsrisiken beitragsfrei versichert sind und daher schon mit Hilfe einer oder mehrerer verhältnismäßig "billiger" Zusatzversicherungen vollen Krankenversicherungsschutz erwerben können. Im übrigen hat es der Senat bereits in der früheren Entscheidung mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, die sich den Abschluß einer "Vollversicherung" im Ausland häufig entgegenstellen, und auch aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung für ausreichend gehalten, daß die Versicherungsprämien der Auslandsrentner in etwa dem Betrag entsprechen, den privatversicherte Inlandsrentner durchschnittlich für ihre Krankenversicherung aufwenden.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 4 S. 2 Fassung: 1967-12-21, § 1315 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1970 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger, der seit 1940 in den USA lebt und seit Juli 1965 Altersruhegeld von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) bezieht, beansprucht einen Beitragszuschuß zu seiner privaten Krankenversicherung (§ 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Einen entsprechenden Antrag vom August 1968 lehnte die Beklagte wegen seines Auslandsaufenthalts ab (Bescheid vom 24. April 1969).
Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Urteile des Sozialgerichts - SG - Düsseldorf vom 12. Dezember 1969 und des Landessozialgerichts - LSG - Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1970). Nach Ansicht des LSG sind die Regelleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, mithin auch Beitragszuschüsse, nach den Zahlungsvorschriften der §§ 1315 ff RVO grundsätzlich nur im deutschen Rechtsanwendungsgebiet zu erbringen. Ausnahmen seien im Gesetz "enumerativ" aufgeführt, Beitragszuschüsse dabei aber nicht genannt; eine ungewollte Gesetzeslücke lasse sich insoweit nicht annehmen. Da es im Verhältnis zu den USA auch an einer besonderen zwischenstaatlichen Regelung über die Zahlung von Beitragszuschüssen fehle, könne sie der Kläger nicht erhalten.
Dieser wendet sich mit der zugelassenen Revision gegen die Rechtsauffassung des LSG: Die Regelung in den §§ 1315 ff RVO besage nichts für Beitragszuschüsse, auch das Territorialprinzip stehe einer Zahlung an Auslandsrentner nicht entgegen, wenn die Zahlung, wie hier, auf ein Ausländer-DM-Konto begehrt werde. Im übrigen beruft sich der Kläger auf ein inzwischen ergangenes Urteil des Senats vom 28. August 1970, in dem entschieden worden ist, daß einem in den USA lebenden Rentner der Beitragszuschuß nicht allein wegen seines Auslandsaufenthalts verweigert werden kann. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zahlung des beantragten Beitragszuschusses rückwirkend ab Rentenbeginn zu verurteilen.
Die Beklagte hält den Klageanspruch nach wie vor für unbegründet; ein Beitragszuschuß könne dem Kläger, auch wenn man der neueren Rechtsprechung des Senats folge, schon deswegen nicht gezahlt werden, weil er keine "Vollversicherung" gegen Krankheitskosten abgeschlossen habe; nach den von ihm beigebrachten Unterlagen wende er für seine freiwillige Krankenversicherung nicht soviel auf, wie dies durchschnittlich bei privatversicherten Inlandsrentnern der Fall sei. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
Auf die Revision des Klägers hat der Senat den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen. Entgegen der Ansicht des LSG ist der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Beitragszuschüssen (§ 381 Abs. 4 RVO) nicht schon deswegen unbegründet, weil der Kläger seinen ständigen Wohnsitz in den USA hat und das einschlägige zwischenstaatliche Recht, insbesondere der deutsch-amerikanische Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 29. Oktober 1954 (BGBl 1956 II, 487, 763), eine Zahlung von Beitragszuschüssen an Rentner, die in den USA wohnen, nicht vorsieht.
Wie der Senat im Urteil vom 28. August 1970 (SozR Nr. 24 zu § 381 RVO) - in Fortführung seiner früheren Rechtsprechung (BSG 27, 129) - entschieden hat, können Rentner, die sich gewöhnlich im Ausland aufhalten und dort privat gegen Krankheit versichert sind, auch dann einen Zuschuß zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag erhalten, wenn sich dies nicht aus einer zwischen- oder überstaatlichen Regelung ergibt; die Vorschriften über die Zahlung von Leistungen der Rentenversicherung bei Auslandsaufenthalt (§§ 1315 ff RVO) stehen dem nicht entgegen: Weder Wortlaut noch Zweck des § 381 Abs. 4 RVO sprechen dafür, die Zahlung von Beitragszuschüssen auf Rentner im Inland zu beschränken; mit der Zielsetzung der genannten Vorschrift, allen nicht pflichtversicherten Rentnern aus Gründen der Gleichbehandlung einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz zu ermöglichen, wäre es vielmehr unvereinbar, wenn der Beitragszuschuß nur den im Inland wohnenden und hier freiwillig versicherten Rentnern zugute käme, den im Ausland lebenden dagegen trotz Bestehens einer privaten Krankenversicherung versagt bliebe. Wie der Senat weiter ausgeführt hat, hindert auch das sog. Territorialprinzip die Zahlung von Beitragszuschüssen in das Ausland nicht. Die deutsche Sozialversicherung kennt ferner keinen allgemeinen, für alle Versicherungszweige gleichermaßen gültigen Grundsatz, daß Leistungen nur an Berechtigte im Inland zu erbringen sind, bei Auslandsaufenthalt also ruhen. Selbst wenn insoweit für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nach den §§ 1315 ff RVO eine Ausnahme gelten sollte (vgl. BSG 24, 227), wäre dies für die Zahlung von Beitragszuschüssen ohne Bedeutung, da deren Zahlung durch die §§ 1315 ff RVO nicht geregelt wird, wie insbesondere die Entstehungsgeschichte der Vorschriften zeigt. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch gegenüber dem angefochtenen Urteil und dem Vorbringen der Revision fest.
Das LSG hat für seine Ansicht keine Gründe angeführt, die nicht schon in der früheren Entscheidung des Senats vom 28. August 1970 berücksichtigt worden sind. Für die Revision der Beklagten gilt im wesentlichen das gleiche.
Auch der Hinweis auf eine Übergangsvorschrift im Finanzänderungsgesetz (FinÄndG) 1967 vom 21. Dezember 1967 (Art. 3 § 5 Abs. 2) überzeugt nicht. Danach war der - inzwischen wieder aufgehobene - Abzug von 2. v. H. des Rentenbetrages nicht vorzunehmen bei "Personen, die nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 der RVO versichert sind, weil sie sich gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufhalten, und keinen Betrag nach § 381 Abs. 4 der RVO erhalten". Diese Vorschrift sprach nicht für, sondern eher gegen die Beklagte. Sie bezweckte lediglich, diejenigen Auslandsrentner, die weder pflichtversichert waren noch einen Beitragszuschuß erhielten (was beispielsweise der Fall war, wenn sie sich nicht oder nicht ausreichend privat versichert hatten), auch von dem fraglichen Rentenabzug zu verschonen. Daß, wie die Beklagte weiter vorgetragen hat, im Entwurf eines Sozialversicherungsabkommens mit Kanada gewisse Einschränkungen für die Zahlung von Beitragszuschüssen an Rentner in Kanada vorgesehen sind, mag zutreffen (und sogar sachgemäß sein), ändert jedoch nichts daran, daß grundsätzlich auch Auslandsrentner Beitragszuschüsse erhalten können.
Andererseits dürfen sie, wie der Senat in dem genannten Urteil entschieden hat, nicht allein wegen ihres Auslandsaufenthalts besser gestellt werden als im Inland wohnende Rentner, für die bisher stets der Abschluß einer "Vollversicherung" in dem Sinne gefordert worden ist, daß ihnen bei ambulanter und stationärer Behandlung Leistungen zustehen, die in etwa denen der freiwillig Versicherten in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen (BSG 23, 42 und 27, 129, 131; vgl. auch § 173 a RVO idF des FinÄndG 1967). Besteht eine solche Vollversicherung, so kommt es auf die Höhe der gezahlten Versicherungsprämien nicht an. Das kann insbesondere für Rentner in den USA von Bedeutung sein, die, wie es scheint, unter dem dortigen Medicare-System gegen bestimmte Krankheitsrisiken beitragsfrei versichert sind und daher schon mit Hilfe einer oder mehrerer verhältnismäßig "billiger" Zusatzversicherungen vollen Krankenversicherungsschutz erwerben können (vgl. Teich in Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1971, 165, 167 f). Im übrigen hat es der Senat bereits in der früheren Entscheidung mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, die sich dem Abschluß einer "Vollversicherung" im Ausland häufig entgegenstellen, und auch aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung für ausreichend gehalten, daß die Versicherungsprämien der Auslandsrentner in etwa dem Betrag entsprechen, den privatversicherten Inlandsrentner durchschnittlich für ihre Krankenversicherung aufwenden. Ob die Krankenversicherung des Klägers den genannten Anforderungen genügt, ist unter den Beteiligten streitig. Da das LSG hierzu von seinem abweichenden rechtlichen Ausgangspunkt keine Feststellungen getroffen hat, ist der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen worden, das auch abschließend über die Prozeßkosten entscheiden wird.
Fundstellen