Leitsatz (redaktionell)
Zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration bei Leichen ist das Blut grundsätzlich nur aus der Schenkelvene zu entnehmen (vgl "Richtlinien für die Blutalkoholbestimmung für forensische Zwecke", Anlage 6a des Gutachtens des Bundesgesundheitsamtes zur Frage Alkohol bei Verkehrsstraftaten).
Orientierungssatz
Bestimmung des Blutalkoholgehaltes aus Leichenblut: 1. Es hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, ob ein ermittelter Blutalkoholgehalt im gerichtlichen Verfahren verwertbar ist, wenn bei der Blutentnahme die Richtlinien und Anweisungen des Gutachtens des Bundesgesundheitsamts nicht eingehalten worden sind (Verwertung von Blut aus einer Kopfwunde).
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 550 Abs. 1 Fassung: 1974-04-01
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 27.09.1976; Aktenzeichen L 6 U 267/76) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 14.01.1976; Aktenzeichen S 13 U 88/75) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. September 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe des am 27. Februar 1975 tödlich verunglückten Bauingenieurs R B (B.). Sie begehrt eine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung, ihr Ehemann habe im Unfallzeitpunkt unter Versicherungsschutz gestanden und sei einem Arbeitsunfall erlegen. B. war als Bauingenieur beim Staatshochbauamt in ... beschäftigt. Er war Ratsherr und Bürgermeister der Samtgemeinde B G und erhielt eine monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 650,- DM zuzüglich 150,- DM für Fahrtkostenpauschale. Außerdem war er Ratsherr seines Wohnortes B. Am Unfalltage hielt er sich etwa von 11.00 Uhr bis 12.30 Uhr im Rathaus B G bei einer Verwaltungsangestellten auf, die Geburtstag hatte; er trank einige Gläser Sekt. Danach nahm er im Hotel S das Mittagessen ein. Etwa von 14.00 Uhr bis 16.15 Uhr nahm er als Bürgermeister im Rathaus B G an dienstlichen Besprechungen teil. Danach begab er sich mit seinem Pkw zum ..., das sich von B G aus gesehen an der Straße in Richtung B eine kurze Strecke hinter dem Friedhof befindet. Dort suchte er zunächst die Toilette auf und setzte sich sodann zu zwei ihm bekannten Frauen. Anschließend fuhr er mit den Frauen zurück in den Ortskern von B G zum Hotel W, wo er - wie auch im ... - Alkohol zu sich nahm. Gegen 18.00 Uhr verließ er das Hotel W. Auf der Fahrt in Richtung ... prallte er noch im Ortsbereich von B G mit seinem Pkw gegen einen am Eingang zum Friedhof auf der rechten Fahrbahnseite abgestellten Pkw. Er erlitt einen Schädelbruch und starb noch an der Unfallstelle. ... D, der Vertreter des Arztes ... W, entnahm um 19.15 Uhr eine Blutprobe aus der vena femoralis und - von einer sterilen Plastikdecke - aus einer Blutlache, die sich aus der Kopfwunde gebildet hatte; Dr. ... gab einen Blutverlust von 3000 ccm und Alkoholgeruch an und erklärte, B. scheine sehr stark unter Alkoholeinfluß zu stehen. Die Blutuntersuchungen ergaben einen Mittelwert von 2,32 {0/00} Alkoholgehalt.
Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 30. April 1975 eine Entschädigung ab, weil alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Unfallursache gewesen sei und B. den Heimweg erst gegen 18.00 Uhr angetreten habe, obwohl die versicherte Tätigkeit bereits um 16.15 Uhr beendet gewesen sei.
Die hiergegen von der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 14. Januar 1976 abgewiesen: B. habe seinen Heimweg am ... unterbrochen; bei der Fahrt zum in entgegengesetzter Richtung liegenden H W und wieder zurück zum L habe es sich um einen Abweg gehandelt, der an der Unfallstelle noch nicht beendet gewesen sei; er habe daher nicht unter Versicherungsschutz gestanden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung, mit der die Klägerin nur noch die Gewährung einer Witwenrente erstrebt, durch Urteil vom 27. September 1976 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Von 14.00 Uhr bis 16.15 Uhr habe B. eine nach § 539 Abs 1 Nr 13 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherte ehrenamtliche Tätigkeit ausgeübt. Es könne dahingestellt bleiben, ob er bereits gegen 16.15 Uhr den Heimweg angetreten und im L unterbrochen habe - dann habe er sich zur Unfallzeit auf einem Abweg befunden, auf dem kein Versicherungsschutz bestehe - oder ob er entweder den Heimweg oder den Weg zu einer für 19.00 Uhr angesetzten Fraktionssitzung im Gemeinderat von B erst gegen 18.00 Uhr vom H W aus angetreten habe. Denn jedenfalls sei der Versicherungsschutz dadurch entfallen, daß alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei. Zur Unfallzeit habe B. eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,32 {0/00} aufgewiesen. Wie sich aus dem Gutachten der Privatdozentin ... ... ergebe, könnte nach Lage des Falles das Ergebnis der Blutuntersuchung nach oben nur verfälscht sein, wenn dem Blut alkoholhaltige Substanzen beigemischt worden wären. Die Entnahme von Blut aus einer Blutlache sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schlechthin unzulässig. Die Vermengung der Blutlache mit Äthylalkohol sei im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Die Plastikdecke, von der D D das Blut teilweise entnommen habe, sei steril gewesen. Zudem seien bei der Blutentnahme noch zwei Ärzte (ein Medizinaldirektor und eine Oberärztin) anwesend gewesen. Die bei der festgestellten BAK bestehende absolute Fahruntüchtigkeit sei die allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen; B. sei auf übersichtlicher Strecke mit hoher Geschwindigkeit auf den ordnungsgemäß rechts abgestellten Pkw aufgeprallt; in nüchternem Zustand wäre B. nicht auf den Pkw aufgefahren.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt, das LSG habe die §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Leichenblut dürfe nur aus den Schenkelvenen entnommen werden, nicht jedoch aus Blutlachen. Der Blutuntersuchung im vorliegenden Fall sei daher kein Beweiswert beizumessen. Das LSG habe insoweit bei der Beweiswürdigung gegen allgemeine Erfahrungssätze der Wissenschaft verstoßen. Es habe auch seine Sachaufklärungspflicht verletzt, weil es die zur Frage der Fahruntüchtigkeit, der getrunkenen Alkoholmenge und anderer Unfallursachen benannten Zeugen nicht vernommen habe. Auch die Beweisfragen seien zu beanstanden. Woher nehme das LSG sein Wissen, daß B. nicht erbrochen hatte? Auch stehe nicht einmal fest, daß D D im Zeitpunkt der Blutentnahme approbierter Arzt gewesen sei. Dem Gutachten sei schon deshalb zu mißtrauen, weil Privatdozentin D D bei der Beantwortung der Beweisfragen ein Körpergewicht des B. von 75 kg zugrunde gelegt und damit die Angabe des LSG zum wirklichen Gewicht von 100 kg unberücksichtigt gelassen habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 27. September 1976 aufzuheben und unter Abänderung des Urteils des SG Hildesheim vom 14. Januar 1976 sowie des Bescheides der Beklagten vom 30. April 1975 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der von der Klägerin erhobene Anspruch auf eine Witwenrente setzt voraus, daß ihr Ehemann B. infolge eines Arbeitsunfalls gestorben ist (§§ 589 Abs 1 Nr 3, 590 Abs 1 RVO). Das LSG hat mit Recht angenommen, daß diese Voraussetzung nicht gegeben ist.
Gegen Arbeitsunfall versichert sind nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO ua Personen, die für eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband ehrenamtlich tätig sind, wenn ihnen nicht durch Gesetz eine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts gewährt wird. Aufgrund der vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist ua nicht geklärt, ob B. zur Unfallzeit auf dem Weg zu seiner Wohnung oder zur Teilnahme an einer Fraktionssitzung seiner Gemeinde war. Wollte er seine Wohnung aufsuchen und damit den nach Beendigung der dienstlichen Besprechung gegen 16.15 Uhr begonnenen Heimweg fortsetzen, bestand jedenfalls kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 13 iVm § 550 Abs 1 RVO. In diesem Fall ist die in den Heimweg eingeschobene zusätzliche Fahrt vom ... in entgegengesetzter Richtung nach B G und wieder zurück als Unterbrechung des Heimwegs aus privaten Gründen anzusehen, die erst mit dem Wiedererreichen der Straße in Höhe des Laubhüttenhotels beendet gewesen wäre. Diese Stelle hatte B. im Unfallzeitpunkt noch nicht wieder erreicht. Während der Unterbrechung auf einem Abweg - wie im vorliegenden Fall - besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und einem Unfall; infolgedessen entfällt auch der Versicherungsschutz (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl, S 486m mit Nachweisen). Das LSG konnte offen lassen, ob B. von vornherein beabsichtigt hatte, nicht schon gegen 16.15 Uhr nach Hause zu fahren, sondern die Zwischenzeit im Ortsbereich von B G zu überbrücken und entweder den Heimweg oder den Weg zu einer Fraktionssitzung erst gegen 18.00 Uhr mit dem Verlassen des H W anzutreten. Denn ein Arbeitsunfall ist dadurch ausgeschlossen, daß der Unfall rechtlich allein wesentlich durch alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des B. verursacht worden ist.
Nach der seit dem Urteil des erkennenden Senats vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 242) ständigen Rechtsprechung des BSG schließt die auf Alkoholgenuß zurückführende Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung - entsprechend der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre - aus, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß sie als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist (vgl Brackmann aaO S 487f, g mit Nachweisen).
Absolute Fahruntüchtigkeit besteht bei einem Kraftwagenfahrer bereits bei einer BAK von 1,3{0/00} (vgl BSGE 34, 261 mit Nachweisen). B. hatte im Zeitpunkt des Unfalls eine BAK von 2,32{0/00}, war somit absolut fahruntüchtig. An die tatsächliche Feststellung des LSG, daß die BAK 2,32{0/00} betragen hat, ist das BSG gebunden, da in bezug auf diese Feststellung keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG).
Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, daß zur Bestimmung des Alkoholgehaltes bei Leichen das Blut aus der Schenkelvene zu entnehmen ist (vgl ua "Richtlinien für die Blutalkoholbestimmung für forensische Zwecke", Anlage 6a des Gutachtens des Bundesgesundheitsamtes zur Frage Alkohol bei Verkehrsstraftaten, 1966, S 146f). Dies hat aber das LSG auch nicht verkannt. Es hat deshalb zur Höhe des Blutalkoholgehaltes ein Sachverständigengutachten eingeholt und in der Fragestellung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Venüle etwa zur Hälfte aus der Schenkelvene und im übrigen aus einer Blutlache von einer Kopfwunde gefüllt worden ist. Im Rahmen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung (§ 128 SGG) ist es zulässig aufgrund der gutachtlichen Ausführungen zu der Überzeugung gelangt, daß nach Lage des Falles die Zulässigkeit des Untersuchungsergebnisses durch die Verwertung von Blut aus einer Kopfwunde nicht beeinträchtigt worden ist. Es hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, ob ein ermittelter Blutalkoholgehalt im gerichtlichen Verfahren verwertbar ist, wenn - wie hier - bei der Blutentnahme die Richtlinien und Anweisungen des Gutachtens des Bundesgesundheitsamts nicht eingehalten worden sind. Diese nach der Meinung des erkennenden Senats zutreffende Auffassung wird auch zum Straßenverkehrs- und Strafrecht vertreten (vgl Müller, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 1973, Rdn 37 zu § 316 StGB; Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 9. Aufl 1977, Rdn 37 zu § 316).
Dem Vorbringen der Revision ist nicht zu entnehmen, das LSG habe bei der Würdigung der Beweise, insbesondere des Gutachtens der Privatdozentin Dr. D, die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten (§ 128 SGG). Der Hinweis darauf, es stehe nicht fest, daß B. nichts erbrochen habe und daß Dr. D, der die Blutprobe entnahm, im Unfallzeitpunkt bereits approbierter Arzt gewesen sei, ist keine formgerechte Rüge eines wesentlichen Mangels des Berufungsverfahrens. Hierzu hätte es vielmehr der Darlegung bedurft, zu welchem Ergebnis ein nach der Meinung der Revision ordnungsgemäßes Verfahren des LSG geführt hätte; die Revision hat aber nicht behauptet, B. habe erbrochen und Dr. ... sei nicht approbierter Arzt gewesen; dementsprechend sind auch keine Beweismittel hierfür bezeichnet worden. Das Körpergewicht des Verunglückten war nach dem Rechtsstandpunkt des LSG für die Entscheidung nicht erheblich; die Annahme der Sachverständigen, B. habe nur 75 kg gewogen, hat das LSG daher nicht verwertet. Die Rüge, das LSG hätte die zur Fahruntüchtigkeit, der getrunkenen Alkoholmenge und anderer Unfallursachen benannten Zeugen hören müssen, greift ebenfalls nicht durch. Auch insoweit fehlt es an den erforderlichen Angaben, zu welchem Ergebnis die nach Ansicht der Revision notwendigen Ermittlungen geführt hätten (vgl BSG SozR Nr 28 zu § 164 SGG).
Aufgrund der von ihm getroffenen und für das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen hat das LSG zu Recht entschieden, daß die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des B., da andere Unfallursachen nicht erkennbar sind, die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen ist und B. daher nicht gem §§ 539 Abs 1 Nr 13, 548, 550 RVO unter Versicherungsschutz gestanden hat.
Die Revision der Klägerin war danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen