Beteiligte
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Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nieder sachsen vom 22. Juni 1999 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung der Parkinson-Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK).
Der im Jahre 1934 geborene Kläger war bei der Großdruckerei F. in H. von 1950 bis 1972 zunächst als Stereotypeur, dann als Formvorbereiter tätig. Dabei mußte er mit Reinigungsflüssigkeiten umgehen, die ua Trichlorethylen (Tri) enthielten. Anschließend arbeitete er als Verwaltungsangestellter; seit Dezember 1988 bezieht er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Aufgrund von Anzeigen des Klägers und des Gewerbearztes Dr. S. über das Vorliegen einer BK holte die Beklagte ein Gutachten von dem Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Mainz Prof. Dr. K. ein, der eine rechtsbetonte Parkinson-Symptomatik feststellte, die sich erstmals im Jahre 1982 manifestiert habe. Nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft finde man beim Parkinson-Syndrom eine Zelldegeneration in der substantia nigra, einer bestimmten Hirnregion, die Auswirkungen auf die Motorik sowie psychische Begleitveränderungen mit sich bringe. Eine Schädigung des Hirngewebes mit der Folge einer Parkinson-Erkrankung durch Einflüsse von Tri sei denkbar, gesichert sei ein solcher Zusammenhang jedoch nicht. Die Beklagte lehnte daraufhin die Anerkennung der Parkinson-Erkrankung des Klägers als BK ab (Bescheid vom 8. Mai 1987). Den Widerspruch des Klägers, den dieser ua mit Stellungnahmen des Gewerbearztes Dr. S. und des Prof. Dr. A. begründete, leitete die Beklagte mit Zustimmung des Klägers nach Einholung eines den fraglichen Zusammenhang ablehnenden arbeitsmedizinischen Gutachtens von Prof. Dr. T. und Prof. Dr. V. an das Sozialgericht Hannover (SG) als Klage weiter.
Nach Beiziehung von Sachverständigengutachten des Neurochemikers Prof. Dr. R. und des Neurologen Dr. H. aus dem dort anhängigen Verfahren eines ebenfalls an Morbus Parkinson erkrankten ehemaligen Arbeitskollegen des Klägers, aus denen ebenfalls hervorging, daß der Zusammenhang zwischen der Einwirkung von Tri und einer Parkinson-Erkrankung noch nicht erforscht sei, hat das SG ein Sachverständigengutachten von dem Neurologen Prof. Dr. Ko. eingeholt, der zu dem Ergebnis kam, die Einwirkung von Tri habe als chronisch-toxische Attacke auf das Zellschutzsystem Glutathion den für die Entstehung der eindeutig idiopathischen Parkinson-Erkrankung des Klägers ursächlichen Untergang von dopaminhaltigen Zellen der substantia nigra entscheidend mitverursacht, so daß diese Erkrankung viele Jahre früher aufgetreten sei und als BK nach Nr 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH anzuerkennen sei. Hiergegen hat sich die Beklagte mit einer Stellungnahme des Dr. med. Dipl.-Chem. M. gewandt. Das SG hat durch Urteil vom 14. Dezember 1993 entsprechend dem Klageantrag festgestellt, die bei dem Kläger bestehende Parkinsonsche Erkrankung sei Folge einer BK nach Nr 1302 der Anlage 1 zur BKVO. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der Tri-Exposition des Klägers an seinem Arbeitsplatz bei der Großdruckerei sei überwiegend wahrscheinlich, da sich aus den gutachtlichen Äußerungen von Dr. Ko. Prof. Dr. R. und des Gewerbearztes Dr. S. ergebe, daß Tri gesundheitsschädigende Wirkung auf Hirnzellen habe, die Aufnahme der Halogenkohlenwasserstoffe in die BK-Liste prinzipiell den Schluß zulasse, daß Tri krankheitserregend wirke, und im Raum Hannover eine empirisch nicht abgesicherte Häufigkeit von Parkinson-Erkrankungen nach jahrelanger Tri-Exposition bekannt geworden sei. Hiergegen hat die Beklagte Berufung bei dem Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) eingelegt. Der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt und seinen Klageantrag auf Gewährung von Verletztenrente erweitert.
Das LSG hat weitere Ermittlungen angestellt. Es hat ua ein Sachverständigengutachten von dem Direktor der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Prof. Dr. Pr. eingeholt. Dieser hat ausgeführt, das bei dem Kläger bestehenden Parkinson-Syndrom sei wahrscheinlich toxisch induziert. Die Tri-Exposition könne allerdings nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als einzige Ursache hierfür angenommen werden. Eine BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKVO durch die Einwirkung insbesondere von Tri und n-Hexan sei hingegen zu bejahen; die Bleiexposition sei ebenfalls als kausaler Faktor zu werten. Hiergegen hat sich die Beklagte ua mit einem Aufsatz von Bittersohl und einem arbeitsmedizinischen Gutachten des Dr. Ha. gewandt, nach dem ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich sei, weil eine Parkinson-Erkrankung als Folge der Arbeitsstoffe, mit denen der Kläger Umgang gehabt habe, in der Literatur nicht diskutiert worden sei und sowohl die Latenzzeit von mehr als 10 Jahren zwischen Aufgabe der gefährdenden Beschäftigung und Beginn der Erkrankung als auch die Halbseitensymptomatik gegen eine toxische Entstehung der Parkinson-Erkrankung sprächen.
Das LSG hat nach Einholung eines neurologischen Ergänzungsgutachtens von Prof. Dr. Pr., den es auch persönlich gehört hat, das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Juni 1999). Es sei davon auszugehen, daß der Kläger insbesondere in der Zeit von 1968 bis 1972 den Einwirkungen von Tri, Wasch- und Leichtbenzin, Spiritus, Blei und n-Hexan ausgesetzt gewesen sei, wobei der exakte Umfang der Einwirkung nicht mehr zu ermitteln sei. Über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Tri-Exposition und dem Auftreten einer Parkinson-Erkrankung sei in der medizinisch-wissenschaftlichen Literatur bisher nur vereinzelt berichtet worden, wobei keine gesicherten Schlußfolgerungen mitgeteilt worden seien; epidemiologische Studien fehlten. Der gegenwärtige Stand der Wissenschaft sei in Bezug auf die hier relevanten Zusammenhangsfragen mithin dadurch gekennzeichnet, daß noch von Arbeitshypothesen ausgegangen werde, deren Stichhaltigkeit durch epidemiologische Studien noch nicht habe gesichert werden können. Da der Kausalzusammenhang zwischen Erkrankung und versicherter Tätigkeit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen festgestellt werden müsse, weil nur durch eine Fülle gleichgelagerter Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige Überwachung derartiger Krankheitsbilder mit der notwendigen Sicherheit darauf geschlossen werden könne, daß die Ursache der Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liege, seien im Hinblick auf den Stand der Wissenschaft die Voraussetzungen für die Annahme eines entsprechenden Zusammenhangs im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die ausschließlich auf epidemiologische Evidenz gestützte Methode zur Ermittlung der gruppentypischen Gefährdung sei zwar auf Kritik gestoßen, da epidemiologische Evidenz aus wissenschaftsmethodischen Gründen oft nicht erzielbar sei und so eine zu hohe Aufnahmeschwelle für neue BKen errichtet werde. Es könne aber offenbleiben, ob dieser Kritik zu folgen sei. Denn die von Prof. Dr. Pr. für Zusammenhangsfragen der vorliegenden Art für angezeigt gehaltene clusterorientierte Sichtweise, bei der aus dem erkennbaren Auftreten von Krankheitsbildern unter der genauen Definition bestimmter Gegebenheiten der Schluß auf mögliche ursächliche Zusammenhänge gezogen werde, wobei die Größe des Clusters für eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs nicht unbedingt von Bedeutung sei, habe sich bisher in der neurologischen Wissenschaft noch nicht als herrschende Erkenntnismethode durchsetzen können. Außerdem könne die Voraussetzung, eine genaue Definition der bestimmten Gegebenheiten aufzustellen, um den Schluß auf mögliche ursächliche Zusammenhänge ziehen zu können, hier nicht erfüllt werden. Es sei nicht mehr genau ermittelbar, in welchem Umfang Tri auf den Kläger eingewirkt habe. Prof. Dr. Pr. habe seine Schlußfolgerungen ausschließlich auf die Raumgröße sowie die Angaben des Klägers gestützt. Da Tri von Menschen höchst unterschiedlich „verstoffwechselt” werde, seien diese Grundlagen keine „genaue Definition” der Gegebenheiten, wie sie Prof. Dr. Pr. für die Zugrundelegung der clusterorientierten Erkenntnismethode für notwendig halte. Jedenfalls wichen sie weit von den Voraussetzungen ab, die vom BSG für die Annahme einer BK angenommen würden. Auch das SG habe letztlich nur die Möglichkeit eines Zusammenhanges angenommen.
Die mögliche Entstehung des Stoffes Phosgen bei der Erhitzung mit Tri gereinigter Druckformen lasse keinen Rückschluß auf das Entstehen der Parkinson-Erkrankung des Klägers zu. Ebensowenig könne diese Erkrankung als BK iS der Nr 1101 der Anlage 1 zur BKVO (Erkrankungen durch Blei und seine Verbindungen) anerkannt werden. Da die Einwirkung von Blei auf den Kläger nicht quantifizierbar sei und Ermittlungen nicht mehr durchführbar seien, ließen sich keine Schlußfolgerungen hinsichtlich der Verursachung der Erkrankung durch Blei ziehen.
Auch als BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKVO (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) könne die Parkinson-Erkrankung des Klägers nicht anerkannt werden. Prof. Dr. Pr. habe insbesondere nicht dargelegt, inwieweit das Krankheitsbild des Klägers als Polyneuropathie oder Enzephalopathie zu qualifizieren sei; darauf hindeutende Befunde fehlten.
Mit seiner – vom LSG zugelassenen – Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe die Anwendung von § 551 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verletzt. Indem es sinngemäß fordere, es müsse sich feststellen lassen, welche Auswirkungen die konkrete Dosis von Tri generell auf den Menschen habe, verlasse es die Beweisgrundsätze, die das BSG aufgestellt habe. Danach sei im Rahmen der Zusammenhangsfrage, ob der schädigende Stoff die geltend gemachte Erkrankung ausgelöst haben könne, die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Indem das LSG sich darauf zurückziehe, daß noch von Arbeitshypothesen auszugehen und die Zusammenhangsfrage durch epidemiologische Studien nicht gesichert sei, verlange es zugleich den – nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht erforderlichen – Vollbeweis.
Das LSG verkenne die Anwendung der haftungsausfüllenden Kausalität, da es bei der Beantwortung der Zusammenhangsfrage dort anknüpfe, wo der Stoff bereits im menschlichen Körper aufgenommen worden sei; dies sei indes keine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. Die Kausalitätsprüfung sei vielmehr dort anzusetzen, wo sich die Frage stelle, ob die angeschuldigten Stoffe generell in der Lage seien, die aufgetretene Erkrankung zu erzeugen. Dies sei die hier zu beantwortende rechtliche Frage, während die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein mit schädigenden Stoffen konfrontierter Organismus erkranke, eine tatsächliche medizinische Frage sei. Auf dieser Verkennung der Beweisgrundsätze und der Vermengung von rechtlicher und tatsächlicher Frage baue sich die Folgebegründung des LSG auf. In diesem Zusammenhang sei auch klärungsbedürftig, ob die vom LSG zitierte Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 551 Nr 10) so zu verstehen sei, daß der Zusammenhang von schädigender Einwirkung und vorhandener Erkrankung nur dann als hinreichend wahrscheinlich anzusehen sei, wenn dies anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen bestätigt werden könne. Dies wäre nicht zu rechtfertigen, wie die in der Literatur vorgebrachte Kritik an der Methode der epidemiologischen Evidenz zeige. Denn hierdurch würde die Anerkennungsschwelle zu hoch gesetzt, die Anwendung der BKVO bis zum Abschluß langwieriger epidemiologischer Erkenntnisprozesse gleichsam ausgesetzt. Da demgegenüber auch andere Erkenntnismethoden zulässig sein müßten, wäre das LSG rechtlich nicht gehindert gewesen, sich der von Prof. Dr. Pr. insoweit als besser geeignet erachteten clusterorientierten Sichtweise anzuschließen.
Der Kläger beantragt,
- das Urteil des LSG Niedersachsen vom 22. Juni 1999 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hannover vom 14. Dezember 1993 zurückzuweisen,
- die Beklagte unter Abänderung des Urteils des SG Hannover zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 50 vH zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente unter Anerkennung der bei ihm bestehenden Parkinson-Erkrankung als BK, wie das LSG rechtlich zutreffend entschieden hat.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der RVO; denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben.
Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs 1 Nr 2 iVm § 548 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. Nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Durch § 551 Abs 1 Satz 3 RVO wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der BKVO, der in der Anlage 1 eine Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist.
Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehören nach der Nr 1302 der Anlage 1 zur BKVO „Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe”. Der Kläger macht geltend, er habe sich die bei ihm bestehende Parkinson-Erkrankung durch die berufsbedingten Einwirkungen eines solchen Schadstoffs zugezogen. Der von ihm angeschuldigte Stoff Tri gehört auch zu den Halogenkohlenwasserstoffen, ist also ein „Listenstoff” (vgl das vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu Nr 1302 der Anlage 1 zur BKVO herausgebrachte „Merkblatt für die ärztliche Untersuchung” unter Punkt I 1.1 = BABl 6/1985) und auch die Parkinson-Erkrankung kommt nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift als einschlägiges Krankheitsbild in Betracht. Denn durch die unbestimmte Bezeichnung von BKen als „Erkrankungen durch …” will der Verordnungsgeber alle denkbaren Krankheiten zu BKen erklären, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die genannten Einwirkungen zurückzuführen sind (vgl BSGE 7, 89, 97; Elster, Berufskrankheitenrecht, 2. Aufl, S 120/1), ohne daß insoweit weitere Einschränkungen gemacht werden.
Voraussetzung für die Anerkennung und ggf Entschädigung einer Erkrankung als BK ist in diesen Fällen zum einen, daß der schädigende Stoff („Listenstoff”) generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muß die vorliegende Erkrankung konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht bzw verschlimmert worden und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein (vgl Hauck/Nehls, SGB VII, K § 9 RdNr 19 mwN). Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß iS des „Vollbeweises”, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (vgl Brackmann/Krasney, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, SGB VII, 12. Aufl, § 9 RdNrn 22, 23 mwN). Nach wohl einhelliger Ansicht (stellvertretend Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 490 m II mwN) gilt der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit jedenfalls für den konkret-individuellen Kausalzusammenhang zwischen der mit der versicherten Tätigkeit in innerem Zusammenhang stehenden Verrichtung und der schädigenden Einwirkung („haftungsbegründende Kausalität”) und zwischen dieser und dem Eintritt der Erkrankung („haftungsausfüllende Kausalität”). Ob dies ebenso für das Vorliegen der generellen Geeignetheit der bestimmten Einwirkung für das Entstehen oder die Verschlimmerung der Erkrankung – etwa bei Berufskrankheitentatbeständen mit unbestimmter Krankheitsbezeichnung wie der hier einschlägigen Nr 1302 der Anlage 1 zur BKVO – gilt oder ob hier der strengere Maßstab des vollen Nachweises zu fordern ist (vgl zum Meinungsstand etwa Lauterbach/Koch, Unfallversicherung, § 9 SGB VII RdNr 105; Koch in Schulin, HS-UV, § 35 RdNr 8; Kater/Leube, SGB VII, § 9 RdNr 66), ist hier nicht zu entscheiden. Denn nach den bindenden Feststellungen des LSG ist das Vorliegen einer generellen Geeignetheit der Einwirkungen des Listenstoffs Tri für das Entstehen oder die Verschlimmerung eines Morbus Parkinson auch unter Zugrundelegung des geringeren Maßstabs der Wahrscheinlichkeit nicht gegeben und besteht auch kein konkret-individueller Kausalzusammenhang zwischen der Erkrankung des Klägers und den konkreten Einwirkungen dieses Stoffs auf ihn.
Das LSG ist nach eingehender Auseinandersetzung mit den ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnissen in Form von medizinischen Gutachten, Stellungnahmen und Fachliteratur zu dem Ergebnis gekommen, die medizinische Wissenschaft gehe derzeit hinsichtlich der hier zu beantwortenden Zusammenhangsfragen lediglich von nicht durch epidemiologische Studien gesicherten Arbeitshypothesen aus, was für die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung nicht ausreiche. Das vom LSG so gefundene Ergebnis ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die von der Revision hiergegen vorgebrachten Einwände sind im wesentlichen unzutreffend bzw nicht entscheidungserheblich.
Entgegen der Ansicht der Revision hat das LSG hinsichtlich des Vorliegens der generellen Geeignetheit nicht den Beweismaßstab des Vollbeweises angelegt, sondern sich mit dem der Wahrscheinlichkeit begnügt, allerdings auch eine solche nicht als feststellbar erachtet. Zwar hat das Berufungsgericht nicht ausdrücklich formuliert, daß dieser Beweismaßstab hier gelte. Aus seiner Auseinandersetzung mit dem Gesamtergebnis des Verfahrens in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist indes eindeutig zu entnehmen, daß es hinsichtlich der Zusammenhangsfragen von der Beweisanforderung der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit ausgegangen ist und dessen Bedeutung nicht verkannt hat. Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn bei Abwägung aller Umstände den für den Kausalzusammenhang sprechenden ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl BSGE 45, 285, 286 = SozR 2200 § 548 Nr 38). Die dem LSG bei seiner Würdigung vorliegenden Äußerungen von medizinischen Sachverständigen, die hier einen kausalen Zusammenhang – mit unterschiedlicher Begründung – bejahen, gehen nach der Darstellung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, die das LSG zugrunde gelegt hat, im Ergebnis von einer – teilweise noch weiter relativierten – Wahrscheinlichkeit aus; keine von ihnen sieht einen solchen Zusammenhang als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also iS des Vollbeweises (vgl BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr 15 zu § 1263a RVO aF) nachgewiesen an. So ist es nach der von Gutachtern eingereichten Studie des Dr. Gl. „denkbar”, daß im zentralen Nervensystem abgelagerte Mengen von Lösungsmitteln bzw Blei zum Untergang der dopaminergen Ganglienzellen führen und daß zu „vermuten” ist, daß neben den für die Verursachung einer Parkinson-Erkrankung bekannten Schadstoffen ua den Lösungsmitteln besondere Bedeutung zukomme. Der Sachverständige Dr. Ko. nimmt die „Wahrscheinlichkeit” eines Zusammenhangs zwischen Tri-Exposition und Morbus Parkinson an. Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. Pr. kann nach der clusterorientierten Erkenntnismethode hier die „Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs” begründet werden. Wäre das LSG bei der Prüfung der generellen Geeignetheit vom Beweismaßstab des Vollbeweises ausgegangen, wäre die von ihm vorgenommene inhaltliche Auseinandersetzung zumindest mit diesen medizinischen Erkenntnissen nicht erforderlich gewesen, da eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ohnehin keinem von ihnen zu entnehmen war. Schließlich wäre bei Zugrundelegung des Vollbeweises als Beweismaßstab durch das LSG auch die Feststellung entbehrlich gewesen, das SG habe lediglich die Möglichkeit – und nicht die Wahrscheinlichkeit – eines ursächlichen Zusammenhangs angenommen.
Auch die Auffassung der Revision, wenn das LSG die Zusammenhangsfrage durch epidemilogische Studien als „nicht gesichert” ansehe, fordere es damit den Vollbeweis, trifft nicht zu. Wenn im Rahmen der hier in Frage stehenden Kausalitätsprüfung von „gesicherten Erkenntnissen” der medizinischen Wissenschaft die Rede ist, bedeutet dies nicht, daß diese Erkenntnisse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – also iS des Vollbeweises – nachgewiesen sind, sondern daß sie über bloße Vermutungen bzw Möglichkeiten in der Weise hinausgehen, daß ein Wahrscheinlichkeitsurteil auf sie gestützt werden kann. Daß das LSG dies so verstanden hat, ist auch daraus zu entnehmen, daß es in den Entscheidungsgründen den Sachverständigen Prof. Dr. Pr. mit der Erörterung eines „wissenschaftlich gesicherten Wahrscheinlichkeitsurteils” zitiert, die genannten Begriffe mithin im genannten Sinne versteht.
Es kann offenbleiben, wie die vom Kläger aufgeworfene Frage, „ob die Rechtsprechung – wie vom LSG benannt (SozR 2200 § 551 Nr 10) – des BSG so zu verstehen ist, daß bei der Zusammenhangsfrage von schädigender Einwirkung und vorhandener Erkrankung nur dann im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit gesprochen werden kann, wenn – wie das LSG meint – anhand ‚statistisch relevanter Zahlen’ für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen dies bestätigt werden kann”, zu beantworten ist. Denn das LSG hat seine Entscheidung nicht auf diese von ihm angegebene Rechtsprechung gestützt, sondern die Frage, ob der Kritik an der vom BSG in der zitierten Entscheidung für die Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen Erkrankungen und der versicherten Tätigkeit für (allein) sachgerecht gehaltenen epidemiologischen Erkenntnismethode zu folgen ist, ausdrücklich offengelassen. Es hat nicht allein das Fehlen gesicherter epidemiologischer Erkenntnisse berücksichtigt, sondern alle nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens für die positive Beantwortung der sich hier stellenden Zusammenhangsfragen in Betracht kommenden sonstigen Beweismittel – allerdings mit negativem Ergebnis – gewürdigt und nicht bereits wegen prinzipieller Ungeeignetheit von vornherein ausgeschlossen. So hat das Berufungsgericht etwa die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Ko. zur konkret-individuellen Kausalitätsbeurteilung mit Hilfe der sachkundigen Stellungnahme des Dr. M. im Hinblick auf die von diesem bemängelte fehlende Darlegung der quantitativen Größenordnungen – nicht wegen Fehlens der vom BSG gemachten Vorgaben – sinngemäß als nicht hinreichend plausibel dargetan abgelehnt. Weiter hat es die von Prof. Dr. Pr. erläuterte clusterorientierte Erkenntnismethode untersucht und ist wegen fehlender Grundlagen für die geforderte „genaue Definition” (Fehlen der genauen Bestimmbarkeit des Umfangs der Einwirkung des Listenstoffs Tri und unterschiedliche „Verstoffwechselung” dieses Stoffs im Menschen) zu dem Schluß gekommen, daß diese Methode für die hier zu beurteilenden Zusammenhangsfragen nicht geeignet sei. Soweit das LSG dabei zum Schluß anführt, diese Grundlagen wichen so weit von den vom BSG für die Annahme einer BK angelegten Voraussetzungen ab, daß sie ein Abweichen von dieser Rechtsprechung nicht rechtfertigen könnten, kann dies angesichts der bereits aus anderen Gründen angenommenen Ungeeignetheit lediglich als nicht entscheidungserhebliche Anmerkung verstanden werden. Weiterhin hat das LSG bei seiner Erörterung des erstinstanzlichen Urteils die vom SG zur Begründung seiner zusprechenden Entscheidung herangezogenen Beweismittel und Erwägungen unabhängig von den Vorgaben der zitierten Rechtsprechung des BSG – gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sich auch daraus der in Frage stehende Kausalzusammenhang nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit ergibt, sondern lediglich als Möglichkeit erscheint.
Erst aufgrund dieser umfassenden Würdigung ist das LSG der Sache nach zu dem Ergebnis gelangt, daß sich weder die generelle Eignung des Listenstoffes Tri für die Entstehung einer Parkinson-Erkrankung noch der konkret-individuelle Kausalzusammenhang zwischen der Tri-Exposition des Klägers und der bei ihm vorliegenden Parkinson-Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen. Bei Unaufklärbarkeit eines Umstands fallen die Folgen der objektiven Beweislosigkeit dem, der eine ihm günstige Rechtsfolge geltend macht, zur Last, wobei es keinen Unterschied begründet, ob die Unmöglichkeit des Nachweises in den besonderen Umständen des Einzelfalls oder in der generellen Eigenart des Leidens wurzelt; in beiden Fällen muß der Beweisfällige eine Ablehnung seines Begehrens hinnehmen, obwohl nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, daß der geltend gemachte Anspruch in Wahrheit begründet ist (BSG SozR 2200 § 551 Nr 1 mwN). Da der Kläger sich auf das Vorliegen des für den von ihm geltend gemachten Anspruch erforderlichen Kausalzusammenhangs zwischen versicherter Tätigkeit und Erkrankung beruft, muß er die Folgen der objektiven Beweislosigkeit tragen.
Als BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKVO (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) kann die Erkrankung des Klägers bereits deshalb nicht anerkannt und entschädigt werden, weil nach den auch insoweit nicht mit zulässigen und begründeten und daher für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG nicht – wie erforderlich – bewiesen ist, daß bei dem Kläger eines der bezeichneten Krankheitsbilder vorliegt. Bereits am nach den bindenden berufungsgerichtlichen Feststellungen mangelnden Nachweis des Umfangs der arbeitsplatzbedingten Einwirkung des Listenstoffs Blei auf den Kläger scheitert eine Anerkennung und Entschädigung als BK nach Nr 1101 der Anlage 1 zur BKVO (Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen). Das LSG ist sowohl bei der Frage des Beweises des Vorliegens einer Listenkrankheit als auch der des Nachweises von Art und Ausmaß der durch die versicherte Tätigkeit bedingten schädigenden Einwirkung rechtlich zutreffend vom Beweismaßstab des Vollbeweises ausgegangen (vgl Brackmann/Krasney, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, SGB VII, 12. Aufl, § 9 RdNr 22; Elster, Berufskrankheitenrecht, 2. Aufl, S 67) und hat die Ansprüche – entsprechend dem Grundsatz der objektiven Beweislast – abgelehnt.
Nach alledem war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 743292 |
AuS 2000, 69 |
SozSi 2001, 324 |