Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhaltung der Mitgliedschaft bei Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Scheidet ein Versicherter, der in zwei versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gestanden hat, aus der einen Beschäftigung aus, so fällt damit die auf RVO § 309 Abs 1 beruhende Zuständigkeit der Krankenkasse dieses Beschäftigungsverhältnisses weg; es wird nunmehr die für das verbleibende Beschäftigungsverhältnis maßgebende Krankenkasse zuständig, und zwar auch dann, wenn der Versicherte vor seinem Ausscheiden aus der ersten Beschäftigung arbeitsunfähig erkrankt war. Die nunmehr zuständige Krankenkasse hat nach RVO § 212 die Leistungen vom Tage nach dem Ausscheiden aus der ersten Beschäftigung zu übernehmen. RVO § 311 ist in derartigen Fällen nicht anwendbar.
Leitsatz (redaktionell)
Eine Mitgliedschaft nach RVO § 311 S 1 iVm RAMErl 1943-11-02 Abschn 1 Nr 6 Buchst a (AN 1943, 485) besteht nur in den Fällen, in denen ein die Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis nicht mehr vorliegt.
Normenkette
RVO § 309 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 311 S. 1 Fassung: 1924-12-15, § 212 Fassung: 1924-12-15; RAMErl 1943-11-02 Abschn. 1 Nr. 6 Buchst. a
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. März 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der ... 1902 geborene G S (Schw.) war ab 1. Mai 1958 als Leichenträger bei der Stadt N beschäftigt und Pflichtmitglied der klagenden Krankenkasse. Am 12. Juni 1961 nahm er eine weitere versicherungspflichtige Beschäftigung als Lagerarbeiter bei der Firma B & H oHG in N auf; aufgrund dieser Beschäftigung wäre Schw. nach § 250 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Pflichtmitglied der Beklagten gewesen, weil diese Firma der F, Installateur-, Heizungsbau- und Kupferschmiede-Innung angehört. Die Klägerin blieb indessen nach § 309 Abs. 1 RVO auch für dieses weitere Beschäftigungsverhältnis zuständig. Die Stadt N löste das Beschäftigungsverhältnis mit Schw. zum 15. Juli 1961 und meldete ihn bei der Klägerin ab. Am 13. Juli 1961 erkrankte Schw. an einer chronischen Nephritis arbeitsunfähig. Die Klägerin gewährte Schw. ab 13. Juli 1961 Kassenleistungen.
Da die beklagte Innungskrankenkasse sich weigerte, die Kassenleistungen vom 16. Juli 1961 an zu übernehmen, hat die Klägerin Klage auf Feststellung erhoben, daß die Beklagte vom 16. Juli 1961 an für die Weitergewährung der wiederkehrenden Kassenleistungen für Schw. zuständig sei und die Schw. in der Zeit vom 16. Juli 1961 bis 30. September 1962 hilfsweise gewährten Bar- und Sachleistungen in Höhe von 4823,85 DM zu ersetzen habe.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Mit der Beendigung der Hauptbeschäftigung des Schw. zum 15. Juli 1961 sei die Beklagte für die Krankenversicherung zuständig geworden, da die Voraussetzungen des § 309 RVO weggefallen seien. Dem Kassenwechsel gemäß § 212 RVO stehe nicht die Vorschrift des § 311 RVO entgegen, wonach Arbeitsunfähige solange Mitglieder ihrer Kasse blieben, solange die Kasse ihnen Leistungen zu gewähren habe; diese Vorschrift schränke den Übertritt von einer Kasse zu einer anderen gemäß § 212 RVO nicht ein. Für einen solchen Übertritt komme es nur darauf an, ob zur Zeit des Ausscheidens aus der bisherigen Kasse die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die andere Kasse gegeben seien. Das sei auch bei arbeitsunfähig Erkrankten der Fall, und zwar dann, wenn das der Versicherung zugrunde liegende Beschäftigungsverhältnis fortdauere. Dagegen beruhe die Fortdauer der Mitgliedschaft nach § 311 RVO gerade auf dem Fehlen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung. Die Tatsache, daß die Beklagte bisher keine Beiträge für Schw. erhalten habe, könne sie nicht von der Verpflichtung befreien, die Leistungen vom 16. Juli 1961 an zu übernehmen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Die Voraussetzungen des § 309 RVO seien mit Ablauf des 15. Juli 1961 nicht weggefallen. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Hauptbeschäftigung beendet und ohne gleichzeitige Arbeitsunfähigkeit des Versicherten die Beklagte für die Durchführung der Versicherung zuständig geworden wäre. Da aber im vorliegenden Falle im Zeitpunkt der Beendigung der Hauptbeschäftigung Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, sei über § 311 RVO versicherungsrechtlich dieses Hauptbeschäftigungsverhältnis nach wie vor existent geblieben.
Ein Übertritt nach § 212 RVO mit diesen Rechtsfolgen sei daher nicht eingetreten.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 16. März 1966 und des SG Nürnberg vom 27. Februar 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Die klagende Krankenkasse war nach § 309 Abs. 1 RVO nur bis zum 15. Juli 1961 für die Krankenversicherung von Schw. zuständig, weil die überwiegende Beschäftigung bei der Stadt N an diesem Tage aufgegeben worden und damit dieses versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis erloschen ist. Vom 16. Juli 1961 an blieb nur noch das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis bei der Firma B & H. Wie schon das Reichsversicherungsamt (RVA) in der GE Nr. 1933 vom 16. November 1914 (AN 1914, 813) zutreffend ausgeführt hat, besteht Versicherungspflicht nicht nur an den Tagen, an denen tatsächlich gearbeitet worden ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob das "durch Antritt der Arbeit wirksam gewordene" Beschäftigungsverhältnis gelöst worden ist. Das war aber trotz der Arbeitsunfähigkeit des Schw. nicht der Fall. Damit war nunmehr seit dem 16. Juli 1961 die beklagte Innungskrankenkasse nach § 250 Abs. 2 RVO für die Krankenversicherung des Schw. zuständig geworden und die bisherige Zuständigkeit der Klägerin entfallen.
Zu Unrecht meint die Beklagte, die Zuständigkeit der Klägerin sei nach § 311 RVO in Verbindung mit Abschnitt I Ziff. 6 a des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 (AN 1943, 485) erhalten geblieben. Hiernach bleiben arbeitsunfähige Mitglieder, solange ihnen die Kasse Krankengeld zu gewähren hat oder Krankengeld oder Krankenhauspflege gewährt. Diese Vorschrift soll nur die Arbeitsunfähigen schützen, die aus ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschieden sind und wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit kein neues versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingehen und damit nicht für einen - neuen - Versicherungsschutz sorgen können. Dieser Schutzgedanke entfällt aber, wenn wie hier ein die Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis vorliegt, indem - wie bereits ausgeführt - nach Wegfall des Versicherungsverhältnisses bei der Klägerin ein solches bei der Beklagten entstanden ist (ebenso Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 311 Anm. 2 S. 17/1100 und RVA GE Nr. 2822 vom 13. November 1924 in AN 1924, 217).
Hieraus folgt, daß die Beklagte für die Abwicklung des Versicherungsfalles zuständig ist, der bei Beginn des bei ihr begründeten Versicherungsverhältnisses noch nicht abgeschlossen war. Auch ein solcher Wechsel der Mitgliedschaft infolge Wegfalls der überwiegenden Beschäftigung (§ 309 RVO) stellt einen "Übertritt" eines Versicherten von einer Kasse zur anderen im Sinne des § 212 RVO dar (vgl. die oben zitierte Entscheidung des RVA Nr. 2822; vgl. zum Verhältnis des § 311 RVO gegenüber § 212 RVO auch GE Nr. 1991 - AN 1915, 431 - und Nr. 2641 - AN 1921, 313 -). Demnach hat die Beklagte nach § 212 Abs. 1 RVO die weiteren Leistungen nach ihrer Satzung unter Anrechnung der bereits genossenen Leistung zu übernehmen. Die Beklagte ist daher verpflichtet, der Klägerin die in der Zeit vom 16. Juli 1961 bis zum 30. September 1962 hilfsweise gewährten Bar- und Sachleistungen der Krankenhilfe in der nicht streitigen Höhe von 4823,85 DM zu ersetzen.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen