Leitsatz (amtlich)
Eine Berufung, die nur Übergangsgeld iS des RVO § 1241 für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft, ist nicht statthaft ("zulässig").
Normenkette
SGG § 146; RVO § 1241 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 1960 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin, die Witwenrente aus der Invalidenversicherung ihres verstorbenen Ehemannes bezieht, beantragte am 9. Mai 1957 die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit aus ihrer eigenen Versicherung. Nach vertrauensärztlicher Untersuchung sah die Beklagte die Klägerin als berufsunfähig seit Antragstellung an. Da sie der Ansicht war, daß die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch geeignete Heilmaßnahmen wesentlich gebessert werden könnte, bewilligte sie der Klägerin ein Heilverfahren, das vom 9. Juli bis 20. August 1958 in Bad Salzuflen durchgeführt wurde.
Mit Bescheid vom 30. Juli 1958 lehnte die Beklagte die Gewährung von Übergangsgeld ab, da hierauf nach § 1241 Abs.3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) kein Anspruch bestehe. Durch Bescheid vom 24. November 1958 lehnte die Beklagte auch den Rentenantrag ab, da die Klägerin weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig sei.
Gegen den Rentenablehnungsbescheid - nicht auch gegen den Bescheid betreffend die Ablehnung des Übergangsgeldes - hat die Klägerin am 11. Dezember 1958 Klage erhoben. Sie hat behauptet, daß sich ihr Gesundheitszustand durch die Kur in Bad Salzuflen nicht gebessert habe, und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. November 1958 zu verurteilen, ihr die Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Mai 1957 mit Ausnahme der Zeit vom 9. Juli bis 20. August 1958 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht (SG) in Dortmund hat nach Einholung eines Gutachtens am 22. Oktober 1959 für Recht erkannt:
"Der Bescheid der Beklagten vom 24. November 1958 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Übergangsgeld vom 1. Mai 1957 bis zum 8. Juli 1958 und Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 21. August 1958 zu gewähren".
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, soweit sie zur Zahlung von Übergangsgeld verurteilt worden war. Da die Klägerin während des Heilverfahrens Witwenrente, die höher gewesen sei als das Übergangsgeld, bezogen habe, bestehe kein Anspruch auf Gewährung des Übergangsgeldes.
Sie hat beantragt,
das Urteil des SG in Dortmund abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen, als Übergangsgeld für die Zeit vom 1. Mai 1957 bis zum 8. Juli 1958 begehrt werde.
Das Berufungsgericht hat durch Urteil vom 6. Dezember 1960 die Berufung als unzulässig verworfen; es hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Februar 1961, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 18. Februar 1961, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15. März 1961, eingegangen beim BSG am 18. März 1961, begründet.
Sie führt aus: Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei die Berufung zulässig. Da der Anspruch auf Übergangsgeld neben einer Witwenrente für die Zeit vom 1. Mai 1957 bis 8. Juli 1958 streitig sei, müsse die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als statthaft angesehen werden. Beim Übergangsgeld handle es sich um eine wiederkehrende Leistung. Streitbefangen sei der Anspruch vom 1. Mai 1957 bis zum 8. Juli 1958, so daß es sich hier um einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen handle. Der Wortlaut des § 146 SGG lasse die Auslegung, daß auch das Übergangsgeld hierunter falle, nicht zu. Der Gesetzgeber habe die Möglichkeit gehabt, durch das Zweite Änderungsgesetz zum SGG vom 25. Juni 1958 § 146 SGG eine andere Fassung zu geben. Dies sei jedoch nicht geschehen. Es bestehe auch keine Lücke im Gesetz, die durch die Rechtsprechung auszufüllen wäre. Das Übergangsgeld sei kein Ersatz für eine Rente.
In materiell-rechtlicher Hinsicht halte sie die Auffassung des SG, daß in der dem Beginn der Maßnahmen vorhergehenden Zeit das Übergangsgeld ohne Kürzungsmöglichkeit gezahlt werden müsse, für unzutreffend.
Sie beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 1960 das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22. Oktober 1959 insoweit abzuändern, als die Beklagte verurteilt ist, der Klägerin Übergangsgeld vom 1. Mai 1957 bis 8. Juli 1958 zu gewähren und insoweit die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen und der Beklagten die ihr - der Klägerin - entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Der zulässigen Revision mußte der Erfolg versagt bleiben.
Zu Recht hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG in Dortmund vom 22. Oktober 1959 als unzulässig verworfen.
Die Berufung ist am 23. Dezember 1959, also bereits unter der Herrschaft des am 1. Juli 1958 in Kraft getretenen Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG vom 25. Juni 1958 (BGBl I S. 409), eingelegt worden, so daß die Neufassung der §§ 144 ff SGG maßgebend ist.
Es war zu prüfen, ob einer der Berufungsausschließungsgründe der §§ 144 ff SGG vorliegt.
Die Voraussetzungen des § 144 SGG liegen nicht vor. Da es sich bei dem Übergangsgeld nicht um eine einmalige Leistung handelt, könnte allenfalls die Vorschrift der Nr. 2 des Abs. 1 in Betracht kommen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind aber ebenfalls nicht erfüllt, weil es sich hier um Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (3 Monaten) handelt.
Zu Recht hat jedoch das Berufungsgericht angenommen, daß die Berufung nach § 146 SGG nicht statthaft ist; auch seiner Begründung ist weitgehend zuzustimmen. Zwar handelt es sich nicht um Rente, sondern um Übergangsgeld, und § 146 SGG regelt ausdrücklich nur die Zulässigkeit von Berufungen, die Renten betreffen. Diese Vorschrift muß jedoch auch auf das Übergangsgeld des § 1241 RVO angewandt werden. Es ist zwar richtig, daß es sich bei den Berufungsausschließungsgründen der §§ 144 bis 149 SGG um Ausnahmen von § 143 SGG, der die Berufung grundsätzlich zuläßt, handelt, jedoch steht dieser Umstand einer ausdehnenden Auslegung jener Vorschriften keineswegs unbedingt entgegen (zu vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 104 und Zit.). Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß das Übergangsgeld einen rentenähnlichen Charakter hat. In weitem Umfang, wenn auch nicht ausschließlich, tritt das Übergangsgeld sogar an die Stelle der Rente (vgl. §§ 1241, 1242 RVO). Vor allem aber spricht, wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt ist, der gleiche Grund, der den Gesetzgeber zur Ausschließung der Berufung bei Rente für bereits abgelaufene Zeiträume veranlaßt hat, nämlich der Wille zur Beschränkung des Rechtszuges bei verhältnismäßig weniger bedeutenden Streitgegenständen, auch für die Ausschließung der Berufung bei Übergangsgeld für bereits abgelaufene Zeiträume. Bei Erlaß des Sozialgerichtsgesetzes war das Rechtsinstitut des Übergangsgeldes noch nicht bekannt. Aus dem Umstand, daß § 146 SGG in seiner am 1. Januar 1954 in Kraft getretenen Fassung das Übergangsgeld nicht berücksichtigt, kann daher nicht der Schluß gezogen werden, daß der Gesetzgeber das Übergangsgeld bewußt nicht in die Regelung des § 146 SGG einbezogen habe. Richtig ist allerdings, daß bei Erlaß des Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG vom 25. Juni 1958 (BGBl I S. 409) das Übergangsgeld inzwischen in § 1241 RVO mit Wirkung vom 1. Januar 1957 seine Regelung gefunden hatte. Es kann aber dennoch nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber des Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG bei Neufassung des § 146 das Übergangsgeld bewußt nicht erfassen wollte. Denn es ist zu bedenken, daß der Zweck des Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG nur war, diese Vorschrift der Regelung der Zivilprozeßordnung, nach der es bei der Frage der Statthaftigkeit der Berufung auf den Beschwerdegegenstand ankommt, anzupassen. Andere Probleme, die bei dieser Gelegenheit vielleicht auch noch hätten geregelt werden können, standen nicht im Blickfeld des Gesetzgebers.
Im übrigen ist § 146 SGG nicht in dem Sinne aufzufassen, daß alle späteren Entwicklungen des materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben müßten, sondern in dem Sinne, daß bei Änderung und Ergänzung des materiellen Rechts stets zu prüfen ist, ob nicht spätere Vorschriften zu berücksichtigen sind (vgl. dazu auch Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Kommentar Anm.2 und 8 zu § 146 SGG; Bedenken anmeldend Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit Anm. 2 zu § 146 SGG).
Hier könnte allerdings noch der spezielle Einwand erhoben werden, das Übergangsgeld werde als wiederkehrende Leistung ja bereits durch den Berufungsausschließungsgrund des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG erfaßt; auch ohne eine entsprechende Anwendung des § 146 SGG würde also für das Übergangsgeld die Frage der Berufungsausschließung geregelt sein. Dieser Einwand greift jedoch nicht durch. Denn die Rente fällt als wiederkehrende Leistung ebenfalls unter § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG, und hat dennoch darüber hinaus in § 146 SGG eine Sonderregelung erfahren. Das Übergangsgeld ist aber seiner Art nach der Rente nahestehend.
Zwar wird die Berufung in Fällen dieser Art meist ausgeschlossen sein, da der Zeitraum, für den Übergangsgeld begehrt wird, bei Berufungseinlegung in der Regel bereits abgelaufen sein wird. Das SG kann aber die Berufung zulassen, um grundsätzliche Rechtsfragen einer Entscheidung durch das LSG zu ermöglichen und damit gegebenenfalls auch einer höchstrichterlichen Entscheidung Raum zu geben.
Zu Recht hat das Berufungsgericht daher die Berufung verworfen, so daß die Revision zurückgewiesen werden mußte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen