Entscheidungsstichwort (Thema)
Lücke in BVG§30Abs3u4DV §§ 3 und 6 vom 1961-07-30
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch von einer Lücke in BVG§30Abs3u4DV § 6 kann hinsichtlich der mutmaßlich erreichten Stellung im Beruf nicht gesprochen werden. Diese Möglichkeiten werden in BVG§30Abs3u4DV § 3 zur Genüge berücksichtigt. Zu Unrecht ist der Kläger der Ansicht, die BVG§30Abs3u4DV vom 1961-07-30 weise in § 3 deshalb eine Lücke auf, weil in der BVG§30Abs3u4DV vom 1964-07-30 Fälle der vorliegenden Art besonders geregelt worden seien.
2. Der generalisierende Maßstab schloß während der Geltungsdauer der BVG§30Abs3u4DV vom 1961-07-30 vor Vollendung des 47. Lebensjahres ganz allgemein mit der Leistungsgruppe 2 ab.
Normenkette
BVG§30Abs3u4DV § 3 Fassung: 1961-07-30, § 6 Fassung: 1961-07-30, § 3 Abs. 3 Fassung: 1964-07-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. November 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger ist im Januar 1925 geboren. Er bezieht wegen Lungentuberkulose die Rente eines Erwerbsunfähigen. Auf seinen Antrag vom November 1960 gewährte das Versorgungsamt durch Bescheid vom 7. März 1962 Berufsschadensausgleich und legte als - ohne die Schädigung voraussichtlich ausgeübte - Tätigkeit die eines Elektroingenieurs mit der Leistungsgruppe II und einem Einkommen von 952,- DM zugrunde. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 1962), weil auch bei Erreichung des vom Kläger angegebenen Berufsziels eines Diplomingenieurs nicht zu erkennen sei, daß dessen Tätigkeitsmerkmale von denen der Leistungsgruppe II abwichen.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 24. September 1964 den Beklagten unter Abänderung der Verwaltungsbescheide verurteilt, bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs von der Leistungsgruppe I b für technische Angestellte auszugehen und hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. In Anwendung der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vom 30. Juli 1961 (DVO) hat es die Leistungsgruppe II mit einem monatlichen Bruttoverdienst von 952,- DM nicht für ausreichend angesehen und § 6 DVO analog angewendet. Zwar habe der Kläger vor Eintritt der Schädigung eine Berufsstellung, wie sie § 6 DVO vorschreibe, noch nicht erreicht, würde sie aber nach seinen Schulzeugnissen und seinem Berufsweg voraussichtlich erhalten haben.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Eine analoge Anwendung des § 6 DVO sei nicht zulässig; für die Zeit vom 1. Januar 1964 an, dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung vom 30. Juli 1964, könne sich allenfalls Anlaß für eine Änderung der Verwaltungsbescheide ergeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beigeladen und durch Urteil vom 10. November 1966 unter Aufhebung der Entscheidung des SG die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Eine analoge Anwendung des § 6 DVO sei nicht zulässig, weil der Kläger vor Eintritt der Schädigung einen Beruf noch nicht ausgeübt habe. Sein Durchschnittseinkommen als unselbständig in der privaten Wirtschaft Tätigen sei nach § 3 DVO zu ermitteln, wobei seine Zuweisung zur Leistungsgruppe II zutreffend sei. Gegen die Berücksichtigung eines höheren Durchschnittseinkommens als der Leistungsgruppe II beständen Bedenken, weil bei der hypothetischen Beurteilung des voraussichtlichen Berufsweges nicht mit der nach dem Gesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, daß der Kläger trotz erwiesener Qualifikation bei Vollendung des 47. Lebensjahres ohne die Schädigung bereits eine berufliche Stellung erreicht haben würde, die den Tätigkeitsmerkmalen der Leistungsgruppe I b entspreche. Außerdem könne nach § 3 Abs. 3 DVO bei unselbständig Tätigen mit abgeschlossener Hochschulbildung erst vom vollendeten 47. Lebensjahr an das höhere Durchschnittseinkommen, nämlich das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 14, angesetzt werden. Auch hieraus ergebe sich, daß - jedenfalls vor Erreichung des 47. Lebensjahres - zu Recht die Leistungsgruppe II zugrunde gelegt worden sei.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10.11.1966 nach dem Klageantrag zu erkennen.
Er rügt mit näherer Begründung, § 3 DVO 1961 enthalte eine Lücke, wie sich aus einem Vergleich mit § 3 Abs. 3 DVO 1964 ergebe. Wegen des Wortlauts von § 3 Abs. 3 DVO 1961 könne für den Kläger nicht die Besoldungsgruppe A 14 eingesetzt werden, aber das LSG hätte hier das maßgebende Einkommen individuell ermitteln müssen, um einen Vergütungssatz unterhalb der Gruppe A 14 zu finden.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.11.1966 als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und ist der Ansicht, daß in der DVO 1961 keine Lücke enthalten sei. Der Beigeladene schließt sich dem Antrag und den Rechtsausführungen des Beklagten an.
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist zulässig, kann aber keinen Erfolg haben.
Streitig ist die Höhe des Berufsschadensausgleichs für die Zeit bis zum 31. Dezember 1963. Über die Ansprüche des Klägers von diesem Zeitpunkt an hat das Berufungsgericht - im Anschluß an das Vorbringen des Beklagten im zweiten Rechtszug - deshalb nicht entschieden, weil seiner Ansicht nach der Beklagte den Berufsschadensausgleich auf Grund der neuen, zum 2. Neuordnungsgesetz (NOG) ergangenen DVO 1964 noch bescheidmäßig zu prüfen haben werde. Hiergegen sind Revisionsrügen nicht erhoben, so daß das Revisionsgericht über den gleichen Streitgegenstand zu entscheiden hat.
Die Vorinstanzen haben ihren Entscheidungen das BVG idF des 1. NOG und die Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1961 zutreffend zugrunde gelegt. Nach § 30 Abs. 4 BVG ist bei der Ermittlung des Einkommensverlustes das vom Beschädigten aus seiner gegenwärtigen oder früheren Tätigkeit erzielte derzeitige Bruttoeinkommen zuzüglich der Ausgleichsrente dem Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe gegenüberzustellen, das der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen voraussichtlich erhalten würde. Da der Kläger unselbständig in der privaten Wirtschaft tätig war und voraussichtlich tätig wäre, ist das Durchschnittseinkommen gem. § 2 DVO nach § 3 DVO ermittelt worden. Nach dieser Vorschrift ist Durchschnittseinkommen der durchschnittliche Bruttoverdienst, der aufgrund des Gesetzes über die Lohnstatistik vom 18. Mai 1956 vom Statistischen Bundesamt für das Bundesgebiet laufend ermittelt wird. Maßgebend sind bei Angestellten in Industrie und Handel die in Betracht kommenden Wirtschaftsgruppen, Beschäftigungsarten und die Leistungsgruppen II bis V. Die Verwaltung hat für den Kläger die Leistungsgruppe II zugrunde gelegt. Sie umfaßt (vgl. BVBl 1960 S. 152 ):
Kaufmännische und technische Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben. Ferner Angestellte mit umfassenden kaufmännischen oder technischen Kenntnissen. Außerdem Angestellte, die als Obermeister, Oberrichtmeister oder Meister mit hohem beruflichem Können und besonderer Verantwortung großen Werkstätten oder Abteilungen vorstehen.
Hieraus hat sich für technische Angestellte in der metallverarbeitenden Industrie, und zwar der Elektrotechnik, ein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst von 952,- DM ( BVBl 1960 S. 165 ) ergeben. Der Kläger ist der Ansicht, für seine mutmaßliche Tätigkeit reiche die Eingruppierung in die Gruppe II nicht aus. Wegen erhöhter Dispositionsbefugnis hätte die Leistungsgruppe I b zugrunde gelegt werden müssen. Unter sie fallen (BVBl aaO):
kaufmännische und technische Angestellte in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis mit einem monatlichen Gehalt unter 2500,- DM.
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, werden die Leistungsgruppen Ia und Ib nicht in den Übersichten des Statistischen Bundesamts erfaßt und kommen schon deswegen nicht in Betracht. Dies ist offenbar auch der Wille des VO-Gebers gewesen; denn er hat in § 3 Abs. 3 DVO 1961 als höhere Stufe des Durchschnittseinkommens gegenüber der Leistungsgruppe II das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 14 ausgeworfen; diese aber kann erst nach vollendetem 47. Lebensjahr für die unselbständig Tätigen mit abgeschlossener Hochschulbildung zugrunde gelegt werden. Dies hat die Revision nicht verkannt. Zutreffend hat sie die Ansicht vertreten, § 6 DVO könne vorliegend nicht zum Zuge kommen und das SG habe dies zu Unrecht angenommen.
Eine direkte Anwendung dieser Vorschrift verbietet sich- wie das Berufungsgericht zu Recht entschieden hat - weil sie die Fälle berücksichtigt, in denen bereits vor der Schädigung eine berufliche Stellung erreicht war, welche nach den Durchschnittssätzen der DVO nicht gebührend berücksichtigt werden kann. Dieser Tatbestand liegt hier nicht vor. Es käme also nur in Betracht, daß die mutmaßliche berufliche Stellung berücksichtigt würde. Dies aber ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bei dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht möglich. § 6 DVO gleicht nur insoweit Härten aus, als bereits vor der Schädigung eine besondere Berufsstellung erreicht war, gilt aber nicht für hypothetische Erwägungen. Auch von einer Lücke in § 6 DVO kann hinsichtlich der mutmaßlich erreichten Stellung im Beruf nicht gesprochen werden. Diese Möglichkeiten werden in § 3 DVO 1961 zur Genüge berücksichtigt.
Zu Unrecht ist der Kläger der Ansicht, die DVO 1961 weise in § 3 deshalb eine Lücke auf, weil in der DVO 1964 Fälle der vorliegenden Art besonders geregelt seien. Eine Lücke im Gesetz (vgl. BSG 14, 238 ff, 241; Ennecerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 1. Halbband § 58 I; Staudinger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl., 1. Band. Einleitung Erläuterung 62 bis 64) könnte im vorliegenden Falle nur dann angenommen werden, wenn die DVO 1961 geschwiegen hätte, d. h. einen bestimmten Tatbestand nicht geregelt hätte. Hierbei könnte das Schweigen auf Absicht, auf einem Versehen oder darauf beruhen, daß sich der nichtgeregelte Tatbestand erst nach dem Erlaß der Verordnung durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hätte. Die zuerst und zuletzt angeführten Möglichkeiten scheiden von vornherein aus. Es ist kein Anhaltspunkt dafür gegeben, daß die Frage, wie Fälle der vorliegenden Art von einer größeren Dispositions- und Aufsichtsbefugnis bewußt unbeantwortet geblieben wären, zB deshalb, weil man es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden. Andererseits waren Fälle der vorliegenden Art bereits 1961 bei Erlaß der DVO nicht nur vorhanden, sondern auch regelungsfähig. Wie also als einzige Möglichkeit für die Annahme einer Lücke in Betracht käme, müßte sich aus der Verordnung selbst ergeben, daß übersehen worden wäre, Fälle von einer erhöhten Aufsichts- und Dispositionsbefugnis in ähnlicher Weise zu regeln wie in § 3 Abs. 3 DVO 1964. Dies ist nicht anzunehmen.
Nach § 3 Abs. 3 DVO 1964 gilt bei kaufmännischen und technischen Angestellten, die einen beruflichen Werdegang nachweisen, nach dem sie wahrscheinlich eine leitende Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis erreicht hätten und deren Tätigkeit mit einer Eingruppierung in die Leistungsgruppe II nicht ausreichend bewertet wird, als Durchschnittseinkommen das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 14 einschließlich des Ortszuschlags nach Stufe 2 und Ortsklasse A des Bundesbesoldungsgesetzes. Wenn auch eine derartige Vorschrift in der DVO 1961 fehlt, so ist sie insoweit trotzdem vollständig und weist keine Lücke auf. Nach der grundlegenden Vorschrift des § 30 Abs. 4 BVG in der hier maßgebenden Fassung des 1. NOG ist der Einkommensverlust in generalisierender Betrachtungsweise nach Durchschnittseinkommen zu ermitteln. Nach § 3 Abs. 1 Buchst. d DVO 1961 sind bei Angestellten die in Betracht kommenden Wirtschaftsgruppen, Beschäftigungsarten und die Leistungsgruppen II bis V maßgebend. Danach ist die Leistungsgruppe II die höchste, die überhaupt berücksichtigt werden kann. Demgegenüber gilt nach § 3 Abs. 3 DVO 1961 bei unselbständig Tätigen mit abgeschlossener Hochschulbildung erst vom vollendeten 47. Lebensjahr an als Durchschnittseinkommen das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 14 einschließlich des Ortszuschlages nach der Ortsklasse A und der Kinderzuschläge nach dem Bundesbesoldungsgesetz. Der generalisierende Maßstab schloß also während der Geltungsdauer der DVO 1961 vor Vollendung des 47. Lebensjahres ganz allgemein mit der Leistungsgruppe II ab; höhere Aufgaben mit dementsprechend anderen Tätigkeitsmerkmalen und größerer Dispositionsbefugnis führten zu keiner anderen Eingruppierung. Erst vom vollendeten 47. Lebensjahr galt bei unselbständig Tätigen mit abgeschlossener Hochschulbildung ein höheres Durchschnittseinkommen, und zwar keine Leistungsgruppe, sondern eine Besoldungsgruppe nach dem Bundesbesoldungsgesetz. Demnach sind - wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat - Fälle der vorliegenden Art durch den generalisierenden Maßstab miterfaßt worden, welcher nach § 30 Abs. 4 BVG (1. NOG) und nach der DVO 1961 anzuwenden war. Wenn die DVO 1964 für Fälle der vorliegenden Art eine besondere Regelung getroffen hat, so sollte dies - ebenso wie § 30 Abs. 3 und 4 BVG , 2. NOG - eine Verbesserung des Berufsschadensausgleichs bringen. Es handelt sich also um eine bewußte Besserstellung und nicht etwa die Ausfüllung einer in der Verordnung von 1961 klaffenden Lücke. Vielmehr ist diese, wie bereits dargelegt, vollständig und läß nicht erkennen, daß bei der ihr zugrunde liegenden Systematik Fälle der vorliegenden Art unberücksichtigt geblieben wären.
Es ist nicht angängig, wie die Revision versucht, individuell zu ermitteln, welches Einkommen für einen dem erstrebten Berufsziel des Klägers vergleichbaren Dipl. Ingenieur nach Alter und Berufsstellung in Betracht gekommen wäre. Etwas derartiges verbietet sich aus dem Grundgedanken des Berufsschadensausgleichs, der von Durchschnittssätzen ausgeht und nur in § 6 DVO eine individuelle Ermittlung in beschränktem Umfange zuläßt. Dieses Begehren der Revision ist mit § 30 Abs. 4 BVG und mit der DVO 1961 nicht vereinbar, und kann deshalb nicht zu einem Erfolg führen.
Demgemäß hat die angefochtene Entscheidung zu Recht die Verwaltungsakte für rechtmäßig gehalten, so daß die Revision des Klägers zurückzuweisen war.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes .
Fundstellen
Haufe-Index 2226440 |
RegNr, 13739 |
Sozialrechtliche Entscheidungssammlung, BSG 9/3 § 30 Nr 38 (red. Leitsatz 1-2 und Gründe) |