Leitsatz (amtlich)
Berechtigte iS des KOV-VfG § 40 sind die Erben eines Beschädigten dann, wenn dieser noch vor seinem Tode die Erteilung eines neuen Bescheides beantragt hat Fortführung von BSG 1965-01-22 10 RV 1035/62 = BSGE 22, 210 und SozR Nr 2 zu § 40 KOV-VfG). 2. Der Antrag nach § 40 Abs 1 KOVVfG ist höchstpersönlicher Natur und kann allein vom Beschädigten bzw seinem Bevollmächtigten gestellt werden. Stirbt der Antragsteller, bevor über seinen Antrag entschieden ist, so treten die Erben in die Rechte des Verstorbenen ein.
Leitsatz (redaktionell)
Die Erben eines Beschädigten, der noch vor seinem Tod einen Antrag aug Erteilung eines Zugunstenbescheides (§ 40 Abs 1 KOVVfG) gestellt hat, können als Rechtsnachfolger diesen bereits erhobenen Anspruch weiter verfolgen. 2.Hat ein Beschädigter vor seinem Tode noch selbst einen Antrag nach KOVVfG § 40 Ab 1 gestellt, muß über diesen sachlich entschieden und den Rechtsnachfolgern, die in dessen Rechte eingetreten sind, als "Berechtigte" hierüber ein rechtsmittelfähiger Bescheid erteilt werden.
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 3. November 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der 1908 geborene Ehemann bzw. Vater der Kläger begehrte ohne Erfolg Beschädigtenrente aus der Kriegsopferversorgung (KOV). Die ablehnenden Bescheide, zuletzt der Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts (LVersorgA) vom 23. Juli 1953 wurden von den Gerichtsinstanzen rechtskräftig bestätigt. Am 14. Juli 1960 beantragte der Beschädigte einen Bescheid nach § 40 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG); die Verwaltung lehnte auch diesen Antrag ab (Bescheid vom 28. Juli 1960, Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1961). Vor dem Sozialgericht (SG) schlossen die Beteiligten am 22. Februar 1963 folgenden Prozeßvergleich:
"Der Beklagte verpflichtet sich, den Antrag des Klägers auf Neuentscheidung über seine Versorgungsansprüche wegen der Lungentuberkulose unter Berücksichtigung der neuen Beweisergebnisse, insbesondere der Zeugenerklärungen P und G unter Anwendung der Verwaltungsvorschrift Nr. 8 zu § 40 VerwVG ohne Rücksicht auf die gerichtlichen Urteile erneut sachlich zu überprüfen und dem Kläger auf Grund der Ergebnisse dieser Überprüfungen einen neuen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen."
Der Beschädigte zog mit Rücksicht auf die Verpflichtung des Beklagten in diesem Vergleich die Klage zurück. Am 14. April 1963 ist er gestorben.
Die Verwaltung erteilte den jetzigen Klägern als Erben die ablehnenden Bescheide vom 16. Mai 1963 und vom 6. März 1964, weil der Verstorbene sich die Tuberkulose weder während des Wehrdienstes noch während einer Kriegsgefangenschaft oder einer Internierung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zugezogen habe. Im Klageverfahren haben die Kläger zunächst beantragt, die Lungentuberkulose als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung anzuerkennen und Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. vom 1. Juli 1960 an zu gewähren. Im Verhandlungstermin haben sie jedoch nur beantragt, die Bescheide vom 16. Mai 1963 und vom 6. März 1964 aufzuheben. Das SG hat entsprechend diesem Antrag mit Urteil vom 24. März 1965 die Verwaltungsbescheide aufgehoben. Es hat die Lungentuberkulose für eine Folge unmittelbarer Kriegseinwirkung gehalten. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 3. November 1966 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Das LSG hat sich bei seiner Entscheidung auf das in BSG 22, 210 abgedruckte Urteil des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. Januar 1965 gestützt, wonach Berechtigter im Sinne des § 40 VerwVG nur der sei, dessen Versorgungsanspruch in den früheren bindend gewordenen Bescheiden abgelehnt worden sei, nicht aber seine Erben. In der Entscheidung des 10. Senats habe zwar der Beschädigte nicht mehr zu seinen Lebzeiten einen Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG gestellt; die vom 10. Senat ausgesprochene Rechtsfolge müsse aber auch dann gelten, wenn der Verstorbene noch den Antrag nach § 40 VerwVG selbst gestellt habe, weil sich die Bescheiderteilung zugunsten der Rechtsnachfolger auswirken könnte. Den Klägern und Erben des Beschädigten fehle daher die Aktivlegitimation; die angefochtenen Bescheide seien daher nicht ermessenswidrig.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger, daß das LSG entgegen den prozeßleitenden Pflichten den Klägern nicht mitgeteilt habe, daß es seine Entscheidung auf BSG 22, 210 stützen wolle. Im übrigen habe das LSG § 40 Abs. 1 VerwVG verletzt; das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, daß ein Bescheid nach § 40 Abs. 1 aaO dem Beschädigten nur zu seinen Lebzeiten erteilt werden könne, so daß die Rechtsnachfolger den Anspruch des Verstorbenen nicht weiterverfolgen könnten. Die Kläger und Erben hätten den begünstigenden Bescheid nicht erst nach dem Tode des Beschädigten beantragt; vielmehr habe dieser selbst einen Bescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG begehrt. Außerdem habe sich der Beklagte im Vergleich vom 22. Februar 1963 verpflichtet, einen neuen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen. Im übrigen stehe den Klägern ein Rechtsanspruch auf Leistung zu, nicht nur ein "Kann-Anspruch" gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG. Es verstoße gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie gegen das Grundgesetz, wenn den Erben die Weiterverfolgung eines vom Beschädigten noch zu seinen Lebzeiten gestellten Antrages versagt werde.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des LSG Berlin vom 3. November 1966 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur anderweitigen und neuen Entscheidung an das LSG Berlin zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.
Das Gericht sei nicht verpflichtet, den Klägern die Rechtsgrundlagen mitzuteilen, auf die es seine Entscheidung zu stützen gedenke (SozR SGG § 106 Nr. 16). Auch sei das rechtliche Gehör nicht verletzt. Der Antrag des Beschädigten sei zu Recht als Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG angesehen worden. Das LSG sei daher zutreffend von dieser Vorschrift ausgegangen. Es habe auch den Begriff des "Berechtigten" im Sinne der Entscheidung des BSG 22, 210 zu Recht angewandt. Berechtigter sei nur, wer schon früher nach materiellem Recht Anspruch auf Versorgung erhoben habe.
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG) und daher zulässig. Sie ist auch begründet.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß Gegenstand des Rechtsstreits die Erteilung eines Bescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG ist, bei dem nur nachzuprüfen ist, ob die Verwaltung das ihr gebotene pflichtgemäße Ermessen beachtet hat. Nachdem der Beschädigte rechtskräftig in den früheren Verfahren unterlegen ist, konnte er oder seine Erben mit dem erneuten Antrag auf Beschädigtenrente nur dann Erfolg haben, wenn die Verwaltung einen positiven Bescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG erteilt. Bei einer Ablehnung eines begünstigenden Bescheides haben die Gerichte lediglich nachzuprüfen, ob die Verwaltung das ihr durch das Gesetz eingeräumte pflichtgemäße Ermessen verkannt oder mißbräuchlich angewandt hat. Im pflichtmäßigen Ermessen der Verwaltungsbehörde steht auch, den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an eine etwaige neue Regelung zugunsten des Beschädigten gelten soll. Die neue sachliche Prüfung der Verwaltung kann auch ergeben, daß der Antrag auf Versorgung auf Grund bisher nicht erörterter Gesichtspunkte oder auf Grund neuer Ermittlungsergebnisse wiederum abgelehnt wird (BSG 10, 248; 19, 12; 19, 286; SozR VerwVG § 40 Nr. 6 und 8). Nur dann, wenn auf Grund der geprüften tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte feststeht, daß die früheren bindend gewordenen Entscheidungen unrichtig sind, ist die Verwaltung verpflichtet, einen der materiellen Rechtslage entsprechenden neuen Bescheid zu erteilen (SozR VerwVG § 40 Nr. 10).
Streitig ist im vorliegenden Falle, ob den Klägern als Rechtsnachfolgern des Beschädigten Ansprüche aus dem von diesem vor seinem Tode gestellten Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG zustehen. Der 10. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 22. Januar 1965 (BSG 22, 210) die Erben nicht für berechtigt angesehen, einen Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG zu stellen, weil ein Anspruch auf höhere Rente, der nicht zu Lebzeiten des Beschädigten erhoben worden ist, nicht vererblich ist. Es fragt sich also, ob hier der Sachverhalt deshalb anders zu beurteilen ist, weil der Beschädigte schon vor seinem Tode den Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG gestellt und weil der Beklagte sich außerdem in einem Prozeßvergleich verpflichtet hat, einen neuen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen.
Aus der Entscheidung in BSG 22, 210 ergibt sich, daß der Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG höchstpersönlicher Natur ist und daher allein vom Beschädigten bzw. seinem Bevollmächtigten gestellt werden kann. Stirbt der Antragsteller, bevor über seinen Antrag entschieden ist, so treten die Erben in die Rechte des Verstorbenen ein (§§ 1942 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB). Gemäß § 1922 BGB geht im Erbfall das Vermögen des Erblassers als Ganzes auf die Erben über. Vererblich sind Vermögensrechte, wie - unter gewissen Voraussetzungen - auch Befugnisse und Ansprüche. Zu den vererblichen Rechten gehören auch Ansprüche aus öffentlich rechtlichen Rechtsverhältnissen. Sie sind aber nur insoweit vererblich, als sie von dem unmittelbar Berechtigten noch zu seinen Lebzeiten erhoben worden sind. Denn ein dem Vermögen zurechenbarer Anspruch entsteht erst dann, wenn der Berechtigte die ihm persönlich gebotene Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen eine Rente fordern zu können, geltend gemacht und dies in rechtserheblicher Weise zum Ausdruck gebracht hat. Liegt diese Voraussetzung vor, so können die Rechtsnachfolger einen bereits erhobenen Anspruch weiterverfolgen. Denn dann hat bereits in der Form einer Anwartschaft ein Vermögenswert, also ein Anspruch, bestanden, der bei Eintritt des Erbfalls auf sie hätte übergehen können. Diese Grundsätze (s. dazu BSG vom 25. Juni 1964 in BVBl 1964 S. 168 Nr. 29; BSG 15, 157) gelten auch für den Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG). Etwas anderes hat auch der 10. Senat in BSG 22, 210 nicht entschieden. Dort fehlte die - hier gegebene - Voraussetzung, daß der Beschädigte zu seinen Lebzeiten einen Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG gestellt hatte. Das LSG hat daher, wie die Revision zu Recht rügt, die Tragweite der Entscheidung in BSG 22, 210 verkannt. Dies muß um so mehr gelten, als sich der Beklagte in einem Prozeßvergleich außerdem dem Beschädigten gegenüber verpflichtet hat, einen neuen Bescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG zu erteilen. Das LSG ist also von einer tatsächlich nicht bestehenden Rechtsprechung für seine Entscheidung ausgegangen und hat seiner Entscheidung eine Auslegung des Begriffs "Berechtigter" in § 40 VerwVG zugrunde gelegt, die auf den vorliegenden Fall nicht zutrifft. Das Berufungsgericht hat daher von seiner - nicht zu billigenden - Rechtsauffassung aus die Aktivlegitimation der Kläger verneint und von einer weiteren Sachentscheidung abgesehen. Die Rüge der Kläger greift daher durch.
Auf die Revision der Kläger war demgemäß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Auf die weiteren Rügen der Kläger brauchte bei dieser Sachlage nicht mehr eingegangen zu werden, insbesondere können die im Schriftsatz vom 23. März 1967 neu vorgebrachten Rügen nicht beachtet werden, weil sie erst am 28. März 1967, also nach dem Ende der am 6. Februar 1966 abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist, erhoben worden sind.
Der Senat konnte in der Sache selbst nicht entscheiden, weil ihm verwehrt ist, tatsächliche Feststellungen zu treffen, und das LSG es von seiner Rechtsauffassung aus unterlassen hat, tatsächliche Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen. Bei seiner neuen Entscheidung wird es Aufgabe des Berufungsgerichts sein zu prüfen, ob sich nunmehr gegenüber dem Inhalt der vor dem Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG bindend gewordenen Bescheide ein wesentlich anderer Sachverhalt ergibt, welcher die Verwaltung nötigt, sich davon zu überzeugen, daß ein Versorgungsanspruch auf begründete Tatsachen gestützt wird und dem Anspruch des Beschädigten sachlich-rechtliche Gesichtspunkte nicht entgegenstehen. Unter diesem Gesichtspunkt wird dann zu prüfen sein, ob die angefochtenen Bescheide ermessensfehlerfrei sind.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen