Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld. Berufsausbildung. Ausbildung. Promotion. Studium der Rechtswissenschaft. juristische Staatsprüfung. juristisches Staatsexamen. Hochschulstudium. Doktorand. Hochschullehrer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Vorbereitung auf die Promotion nach Ablegung der ersten juristischen Staatsprüfung stellt keine Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG dar, selbst wenn die Promotion für den angestrebten Beruf eines Hochschullehrers Einstellungsvoraussetzung ist.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; HRG § 44 Abs. 1 Nrn. 3-4, Abs. 2

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 24.11.1992; Aktenzeichen L 3 Kg 23/92)

SG Oldenburg (Urteil vom 21.02.1992; Aktenzeichen S 2 Kg 12/91)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. November 1992 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist die rückwirkende Entziehung des der Klägerin für ihren Sohn B.… bewilligten Kindergeldes ab 1. September 1990 sowie die Ablehnung von dessen Weitergewährung ab 1. Oktober 1990 streitig.

B.… (geboren: 6. April 1965) studierte Rechtswissenschaft und legte im August 1990 die erste juristische Staatsprüfung ab. Mit Bescheid vom 31. August 1988 war der Klägerin Kindergeld – befristet bis 30. September 1990 – bewilligt worden.

Mit Schreiben vom 28. Dezember 1990 beantragte die Klägerin die Weitergewährung des Kindergeldes für B.… E… promoviere im Fachbereich Rechtswissenschaft, habe statt der Referendarausbildung die Promotion gewählt und wolle entweder die Hochschullehrerlaufbahn ergreifen oder in die freie Wirtschaft gehen. Für beide Fälle sei die Promotion entweder vorgeschrieben oder gefordert, somit Einstellungsvoraussetzung.

Mit Bescheid vom 11. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1991 entzog das beklagte Land der Klägerin das Kindergeld rückwirkend ab 1. September 1990 und lehnte zugleich die Weitergewährung des Kindergeldes ab dem 1. Oktober 1990 ab: Sie habe ihre Anzeigepflicht verletzt. Mit dem Bestehen des Staatsexamens könne die nachfolgende Promotion nicht mehr als Ausbildung iS des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) berücksichtigt werden. Die Promotion sei nur dann als Ausbildung anzusehen, wenn sie das Studium anstelle des Examens abschließe.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Sie sei, soweit die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 31. August 1988 für den Monat September 1990 Streitgegenstand sei, gem § 27 Abs 2 BKGG unzulässig, weil sie einen abgelaufenen Zeitraum betreffe. Im übrigen sei die Berufung, soweit sie die Bewilligung von Kindergeld ab dem 1. Oktober 1990 zum Gegenstand habe, zwar zulässig aber nicht begründet, weil sich B.… nicht in Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG befinde. Eine Aus-, Weiter- oder Fortbildung sei nur dann eine Berufsausbildung iS der zu § 2 Abs 2 Satz 1 BKGG, §§ 1262 Abs 3 und 1267 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) entwickelten Rechtsprechung, wenn sie dazu diene, die Fähigkeiten zu erlangen, die die Ausübung des zukünftigen Berufes ermöglichen. Außerdem müsse ein echtes Ausbildungsverhältnis vorliegen, welches planmäßig ausgestaltet sei und sich an einem bestimmten Berufsziel orientiere. Dazu gehöre in der Regel, daß ein sachkundiger verantwortlicher Ausbilder bestellt sei. Für den angestrebten Beruf eines Hochschullehrers reiche ein Hochschulabschluß nicht aus. Vielmehr seien Promotion und Habilitation als Nachweis der Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit erforderlich. Beide seien notwendige, wenn auch nicht hinreichende zusätzliche Qualifikationen für die Ausübung des Berufes eines Hochschullehrers. Als Ausbildung sei dies jedoch nicht zu werten, weil es sich nur um Elemente einer zusätzlichen Qualifikation, nicht aber um Ausbildungsabschnitte auf dem Ausbildungsweg zum Beruf eines Hochschullehrers handele. Eine planmäßige Ausgestaltung des Ausbildungsweges zum Beruf eines Hochschullehrers bestehe ebensowenig, wie ein Ausbildungsverhältnis zwischen Bewerber und einem verantwortlichen Ausbilder. Der Anspruch der Klägerin auf Kindergeld scheitere somit bereits daran, daß es sich bei der Hochschullehrerlaufbahn nicht um eine Ausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG handele. Darüber hinaus sei ein Anspruch der Klägerin bereits deshalb ausgeschlossen, weil als Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG nach dem Zweck des Gesetzes nur eine Ausbildung bis zu einem (ersten) berufsqualifizierenden Abschluß angesehen werden könne. Zwar gebe es Berufsbilder, bei denen ein Hochschulabschluß allein noch keine Qualifikation für einen Beruf vermittele; im Einzelfall könne die Promotion eine notwendige Anstellungsvoraussetzung sein. Dies gelte jedoch nicht für Berufe mit einer juristischen Ausbildung. Eine berufliche Tätigkeit als Jurist sei sowohl im staatlichen wie privaten Bereich ohne Promotion möglich, wenn diese auch im Einzelfall die Berufschancen verbessern könne. Auf die Frage, ob die Klägerin bereits deshalb keinen Anspruch auf Kindergeld gelten machen könne, weil zwischen dem Abschluß des juristischen Studiums von B.… und dem Beginn seiner Promotion eine Frist von mehr als vier Monaten verstrichen ist (§ 2 Abs 2 Satz 4 BKGG), komme es für die Entscheidung nicht an.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG. Ihr Sohn B.… habe sich – entgegen der Auffassung der Vorinstanzen – noch in Berufsausbildung befunden. Eine Aus-, Weiter- oder Fortbildung, um die Fähigkeiten für die Ausübung des zukünftigen Berufes zu erlangen, als Voraussetzung einer Berufsausbildung habe ebenso vorgelegen sowie ein echtes, planmäßig ausgestaltetes Ausbildungsverhältnis mit einem bestimmten Ausbildungsziel. B.… habe auch einen Doktorvater als verantwortlichen Ausbilder gehabt, mit ihm die Thematik der Doktorarbeit erörtert und sonstige Unterweisungen erhalten. Zu Unrecht habe das Berufungsgericht die Promotion nicht als Ausbildungsabschnitt auf dem Weg zum Beruf eines Hochschullehrers angesehen. In einem parallel entschiedenen Fall – L 3 Kg 21/92 – habe das LSG – dort Ausbildungsweg zum Beruf als Kustodin oder Dozentin an einer Hochschule – auch die Promotion als Ausbildungsabschnitt behandelt. Insofern liege eine Ungleichbehandlung als Verletzung gegen Art 3 Grundgesetz (GG) vor. Zugleich stelle es eine Verletzung von Art 12 GG dar.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsenvom 24. November 1992 und das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 21. Februar 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1991 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ihr Kindergeld für ihren Sohn B.… ab dem 1. Oktober 1990 zu gewähren.

Das beklagte Land beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Es hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Die Revision ist zum Teil unzulässig, zum anderen Teil unbegründet.

Unzulässig ist sie, soweit sie die Aufhebung des Kindergeldbewilligungsbescheides vom 31. August 1988 für den Monat September 1990 betrifft. Das LSG hat insoweit nicht in der Sache entschieden, sondern die Berufung gem § 27 Abs 2 BKGG – diese Vorschrift ist durch Art 12 Nr 3 des Rechtspflegeentlastungsgesetzes vom 11. Januar 1993 (BGBl I S 50) mit Wirkung zum 1. März 1993 aufgehoben worden – als unzulässig verworfen. In einem solchen Falle ist gem § 164 Abs 2 Satz 3 SGG von der Revisionsbegründung zu fordern, daß sie im einzelnen darlegt, warum das Berufungsgericht in der Sache hätte entscheiden müssen, daß sie also einen Rechtsverstoß rügt und sich mit der prozeßrechtlichen Auffassung des LSG auseinandersetzt. Fehlt es hieran, dann ist die Revision nicht ausreichend begründet, selbst wenn – außerdem erhobene – materiell-rechtliche Rügen als formgerecht erhoben anzusehen wären (BSG SozR 1500 § 164 Nr 25). Die Klägerin hat jedoch, was die Aufhebung der Kindergeldbewilligung für den Monat September 1990 betrifft, nur die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Begründung der Revision genügte damit für diesen Streitgegenstand nicht den Anforderungen des Gesetzes. Die Revision war daher insoweit ohne Prüfung in der Sache gem § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die übrige zulässige Revision ist nicht begründet. Das beklagte Land hat die Bewilligung von Kindergeld für die Zeit ab Oktober 1990 zu Recht abgelehnt. Nachdem der Sohn B.… der Klägerin das 16. Lebensjahr bereits vor Beginn des streitigen Zeitraums vollendet hatte, wird er für das der Klägerin zu zahlende Kindergeld nur berücksichtigt, wenn er sich in Schul- oder Berufsausbildung befunden hat (§ 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG) oder wenn die streitige Zeit eine Übergangszeit iS des § 2 Abs 2 Satz 5 BKGG ist. Beide Voraussetzungen fehlen.

Die Vorbereitung auf die Promotion ab 1. Oktober 1990 nach der Ablegung der ersten juristischen Staatsprüfung war keine Berufungsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG. Der im Gesetz nicht definierte Begriff der Berufsausbildung hat in mehreren Rechtsbereichen des Sozialrechts Eingang gefunden; er wird im Sachzusammenhang des Kindergeldrechts nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats dahin verstanden, daß Berufsausbildung nur dann vorliegt, wenn es sich dem Wesen nach um eine Ausbildung handelt und diese dazu dient, Fähigkeiten zu erlangen, die die Ausübung des zukünftigen Berufes ermöglichen (zusammenfassende Darstellung BSG – Urteil vom 23. August 1989 – SozR 5870 § 2 Nr 66 = BSGE 65, 250, 251). Von dieser Abgrenzung ist auch das LSG ausgegangen. Es hat zutreffend entschieden, daß der Sohn der Klägerin sich in der streitigen Zeit nicht – mehr – in Berufsausbildung befunden hat.

Mit dem Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung war für B.… das rechtswissenschaftliche Studium abgeschlossen und die erste (wissenschaftliche) Stufe der (zweistufigen) Juristenausbildung erreicht. Die folgende Zeit der Vorbereitung auf eine Promotion gehört nicht zu diesem Ausbildungsgang. Die Ausbildung bis zur ersten juristischen Staatsprüfung ist in den Justizausbildungsgesetzen der Länder jeweils abschließend geregelt (zB §§ 1, 2 Juristenausbildungsgesetz ≪JAG≫ des Landes Nordrhein-Westfalen idF der Bekanntmachung vom 16. Juli 1985 ≪GV NW S 522/SGV NW 315≫). Es kann offenbleiben, ob es sich dabei grundsätzlich um irrevisibles Recht handelt, denn das LSG hat die einschlägigen Vorschriften hier – aus seiner Rechtsansicht folgerichtig – nicht angewendet (vgl BSG vom 17. April 1958, BSGE 7, 122, 125 = SozR Nr 99 zu § 162 SGG; ebenso in neuerer Zeit auch BSG vom 8. April 1992 – 10 RKg 31/90 = ZfJ 1993, 555; BSG vom 13. Oktober 1992, BSGE 71, 163, 166 = SozR 3-5050 § 15 Nr 4 sowie BSG vom 13. Januar 1993, SozR 3-2500 § 88 Nr 2, S 18 f jeweils mwN). Eine Promotion ist danach weder vorgeschrieben noch erforderlich, um die Fähigkeit zu erlangen, später den Beruf eines (Voll-) Juristen ausüben zu können. Das gleiche gilt für die zweite Ausbildungsstufe bis zum zweiten juristischen Staatsexamen. Sind Betätigungen, die die Ausübung des angestrebten Berufes ermöglichen, in einer Ausbildungsordnung abschließend festgelegt, besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, weitere Betätigungen als Kindergeldleistungszeiten wegen Berufsausbildung anzuerkennen (BSG SozR 5870 § 2 Nrn 41, 51, 66).

Es mag zwar sein, daß eine Promotion für die Ausübung des angestrebten Berufs nützlich, förderlich oder gar erwünscht sein kann. Wenn sie jedoch in der maßgeblichen Ausbildungsordnung nicht verlangt ist, kann die Vorbereitung auf die Promotion nicht als Berufsausbildung berücksichtigt werden (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 41).

B.… befand sich in der Zeit ab 1. Oktober 1990 auch nicht deshalb in Berufsausbildung iS von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG, weil er mit der Promotion den Beruf des Hochschullehrers anstrebte. Für diesen Beruf sind zwar außer einem abschlossenen Hochschulstudium ua die Promotion und nachfolgend die Habilitation regelmäßig Einstellungsvoraussetzungen (§§ 44 Abs 1 Nrn 3, 4, Abs 2 Hochschulrahmengesetz ≪HRG≫; Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 2. Aufl 1986, RdNrn 443, 444). Der Umstand, daß für die Erreichung des Berufszieles eines Hochschullehrers die Promotion erforderlich ist, rechtfertigt aber nicht diese Promotionszeit als Zeit der Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG zu qualifizieren. Denn nach den von der Rechtsprechung zur Auslegung dieses Begriffs entwickelten Grundsätzen ist für eine Berufsausbildung erforderlich, daß Kenntnisse und Fähigkeiten/Fertigkeiten vermittelt werden, die zum Erreichen des Ausbildungszieles und für die darauffolgende Erwerbstätigkeit benötigt werden (BSG SozR 5870 § 2 Nrn 51, 53, 66). Bei einer Promotion nach dem Abschluß der regelmäßigen Ausbildung fehlt dieser Ausbildungscharakter. Denn sie dient allein dem Nachweis der Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit (vgl § 44 Abs 1 Nr 3 HRG). Vor allem aus dieser Zielsetzung ergibt sich, daß der Promotionsvorbereitung – auch für den Beruf eines Hochschullehrers – kein Ausbildungsverhältnis – etwa zwischen dem Doktoranden und der Fakultät – zugrunde liegt. Dazu gehört nämlich nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen in der Regel, daß ein sachkundiger verantwortlicher Ausbilder bestellt ist, der den Auszubildenden anleitet, belehrt und ihn mit dem Ziel unterweist, ihm die für den erstrebten Beruf notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Eine Ausbildung muß nach Inhalt und zeitlicher Gestaltung sowie Leistungskontrolle einem vom vornherein festgelegten Plan entsprechen. Dabei darf die Ausbildungsdauer nicht allein im Belieben der Beteiligten stehen (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 66). An diesen Voraussetzungen fehlt es auch dann, wenn die Promotion im Einzelfall erforderlich ist. Das gilt jedenfalls, wenn sie nicht in die Ausbildung eingeschlossen ist und diese abschließt. Nichts anderes ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 14. Februar 1991 – 10 RKg 2/90 –).

Damit scheitert die kindergeldrechtliche Berücksichtigung der Zeit der Vorbereitung auf die Promotion für die akademische Laufbahn eines Hochschullehrers. Auf die Frage, ob ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld für die Monate zwischen dem ersten juristischen Staatsexamen und dem Beginn des Promotionsstudiums bereits deshalb scheitert, weil dieser Zeitraum vier Monate überschreitet (§ 2 Abs 2 Satz 4 BKGG) kommt es daher nicht an.

Die Revision der Klägerin konnte demnach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 911827

NJW 1995, 2655

Breith. 1995, 449

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge