Leitsatz (amtlich)
1. Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens ist in kassen- (zahn)ärztlichen Auswahlstreitigkeiten allein der Beschluß des Berufungsausschusses, wenn der Kläger nur durch diesen beschwert wird.
2. Tritt zwischen der Entscheidung des Zulassungsausschusses und des Berufungsausschusses eine Änderung der Rechts (oder Sach-)lage ein, so hat der Berufungsausschuß auch in Auswahlstreitigkeiten seiner Entscheidung die rechtlichen ( und tatsächlichen) Verhältnisse im Zeitpunkt seines Beschlusses zugrunde zu legen. Von dem gleichen Beurteilungszeitpunkt haben auch die Gerichte bei der Nachprüfung solcher Entscheidungen der Berufungsausschüsse auszugehen.
3. ZO-Zahnärzte § 22 Abs 2 vom 1957-05-28 wird durch die gesetzliche Ermächtigung in RVO § 368 Abs 2 Nr 11 idF des GKAR insoweit nicht gedeckt, als in ZO-Zahnärzte § 22 Abs 2 bestimmt wird, daß die Eigenschaft als Schwerbeschädigter erst nach der beruflichen Eignung, dem Approbationsalter und der Dauer der zahnärztlichen Tätigkeit ("sodann") zu berücksichtigen ist.
4. SchwBG § 36 ist neben ZO-Zahnärzte § 22 weiter anzuwenden; er schließt jedoch als Sollvorschrift die Berücksichtigung sonstiger gewichtiger Auswahlmerkmale nicht aus, so daß der schwerbeschädigte Bewerber unter Umständen hinter einem anderen zurücktreten muß.
Normenkette
SGG § 95 Fassung: 1953-09-03; RVO § 368b Fassung: 1955-08-17, § 368c Abs. 2 Nr. 11 Fassung: 1932-01-14; SchwbG § 36 Fassung: 1953-06-16; ZO-Zahnärzte § 22 Abs. 2 Fassung: 1957-05-28; KARG Art. 4 § 11 Abs. 2 Fassung: 1955-08-17
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. Juni 1958 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat dem beigeladenen Zahnarzt G. die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Zulassungsausschuß für Zahnärzte in Wiesbaden ließ durch Beschluß vom 13. März 1957 den Kläger nach der Hessischen Zulassungsordnung für Zahnärzte und Dentisten vom 8. Juni 1955 (HZO) in W. zur Kassenpraxis zu; er sei Schwerbeschädigter und es bestehe keine Gewißheit darüber, ob der Mitbewerber, der beigeladene Zahnarzt G, trotz der für ihn sprechenden Auswahlmerkmale die Kassenpraxis W. tatsächlich aufnehmen werde. Auf die Beschwerde des Beigeladenen hob der beklagte Berufungsausschuß durch Beschluß vom 18. September 1957 den Beschluß des Zulassungsausschusses wieder auf und ließ den beigeladenen Zahnarzt G zur Kassenpraxis zu. In diesem Beschluß wurde ausgeführt, der Zulassungsausschuß habe zwar zu Recht nach der HZO entschieden. Der beklagte Berufungsausschuß müsse aber nach der inzwischen am 1. Juni 1957 in Kraft getretenen Bundeszulassungsordnung für Kassenzahnärzte vom 28. Mai 1957 (ZO-Zahnärzte) entscheiden, diese regele die Auswahlmerkmale abweichend von der früheren HZO. Nach Art. 4 § 11 Abs. 2 des Gesetzes über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 (GKAR) sei die alte Regelung nur anzuwenden, wenn sie für alle beteiligten Ärzte günstiger sei. Die im Schrifttum vertretene Ansicht, der vom Zulassungsausschuß zugelassene Bewerber sei mit einer "Rechtserwartung" ausgestattet, sei abzulehnen. Der beigeladene G sei dem Kläger nach Lebensalter, Approbationsalter und Dauer der zahnärztlichen Tätigkeit um ein Jahrzehnt und mehr-also erheblich - überlegen (11 Jahre älter, 12 Jahre früher approbiert und 10 Jahre länger beruflich tätig). Da die Schwerbeschädigteneigenschaft im § 368 c Abs. 2 Nr. 11 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht genannt sei, so könne ihre Aufnahme in § 22 Abs. 2 ZO-Zahnärzte nur bedeuten, daß sie zwar den Merkmalen nach § 22 Abs. 3 und § 49 ZO-Zahnärzte vorgehe, aber in der Wertung hinter den anderen in § 22 Abs. 2 ZO-Zahnärzte genannten und in § 368 c RVO als erstrangig vorgeschriebenen Merkmalen zurückzustehen habe.
Das Sozialgericht (SG.) Frankfurt hat durch Urteil vom 21. März 1958 die Klage als unbegründet abgewiesen. Es führt aus, § 36 des Schwerbeschädigtengesetzes vom 16. Juni 1953 (SchwBG) gewähre kein absolutes Vorzugsrecht des Schwerbeschädigten. Die Auswahlentscheidung des Berufungsausschusses sei wegen der erheblichen fachlichen Überlegenheit des Beigeladenen nicht ermessensmißbräuchlich. Das Landessozialgericht (LSG.) hat durch Urteil vom 23. Juni 1958 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG. als unbegründet zurückgewiesen. Es führt in den Urteilsgründen aus: Auszugehen sei von der Rechtslage und von den tatsächlichen Verhältnissen zur Zeit des Erlasses der Entscheidung des Berufungsausschusses, wie der 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSG.) schon grundsätzlich entschieden habe. Es müsse berücksichtigt werden, daß nach dem Erlaß des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 13. März 1957, jedoch vor dem Erlaß des Beschlusses des Berufungsausschusses vom 18. September 1957 die neue Bundeszulassungsordnung am 1. Juni 1957 in Kraft getreten sei. Sie habe ausdrücklich die bisherigen Zulassungsordnungen außer Kraft gesetzt. Auf anhängige Verfahren seien jedoch die früheren Zulassungsordnungen nach Art. IV § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 GKAR noch anzuwenden, "soweit sie für die beteiligten Ärzte günstiger sind". Der Zulassungsausschuß habe zu Recht die damals gültige HZO angewandt, während der Berufungsausschuß zutreffend die neue ZO-Zahnärzte angewandt habe, weil die frühere Zulassungsordnung nur für den Kläger, nicht aber für alle am Verfahren Beteiligten günstiger sei. Streitbefangen sei allein der Beschluß des Berufungsausschusses vom 18. September 1957. Der Kläger behalte daher im anhängigen Verfahren auch nicht, wie er vorgetragen hat, den Vorrang des Schwerbeschädigten, wie sie die HZO gewährt habe. Die Ermessensentscheidung des Berufungsausschusses über die Auswahl sei nicht zu beanstanden. Wohl sei der Schwerbeschädigte nach § 36 SchwBG bei der Auswahl der Bewerber bei fachlicher Eignung und Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bei der Zulassung zu bevorzugen. Dieses Vorzugsrecht gewähre aber für den Bewerber um eine Zulassung kein absolutes Vorzugsrecht, wenn auch, wie das BSG. im Urteil vom 6. November 1957 ( 6 RKa 3/56 = BSG. 6/59 ) entschieden habe, nur sehr gewichtige andere Gründe die Schwerbeschädigteneigenschaft ausgleichen könnten. Der Berufungsausschuß habe die Bedeutung der Schwerbeschädigteneigenschaft für seine Auswahlentscheidung nicht verkannt und die Umstände, die eine bevorzugte Zulassung rechtfertigen könnten, abgewogen, so daß die angefochtene Entscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden sei, ein Ermessensmißbrauch könne nicht festgestellt werden. Für die Ermessensentscheidung seien nach der zwingenden Vorschrift des § 22 ZO-Zahnärzte alle dort genannten Umstände der Bewerber gegeneinander nach pflichtmäßigem Ermessen abzuwägen; bei der Auswahl seien die besonderen Anforderungen des ausgeschriebenen Kassenarztsitzes, ferner in erster Linie die berufliche Eignung der Bewerber, dann die Dauer der ärztlichen Tätigkeit und "sodann" die Schwerbeschädigteneigenschaft zu berücksichtigen. Der Beigeladene übertreffe den Kläger nahezu 11 Jahre an Lebensalter, 12 Jahre an Approbationsalter und wenigstens 10 Jahre in der beruflichen Tätigkeit. Dadurch sei er dem Kläger so eindeutig überlegen, daß die Berücksichtigung der Schwerbeschädigteneigenschaft des Klägers zu keinem anderen Ergebnis führen könne; die Zulassungsordnung sehe sie als Vorzug erst dann vor, wenn die Bewerber in den vorangestellten drei Auswahlmerkmalen annähernd gleichwertig seien.
Das LSG. hat die Revision zugelassen, weil es der Auffassung ist, die Regelung des § 22 Abs. 2 ZO-Zahnärzte stehe in einem gewissen Widerspruch zu § 36 SchwBG. Während § 36 SchwBG den Vorrang des Schwerbeschädigten nur von der fachlichen Eignung abhängig mache, setze § 22 Abs. 2 ZO-Zahnärzte die fachlich gleiche Eignung mit den Mitbewerbern voraus.
Das angefochtene Urteil ist dem Kläger am 4. Juli 1958 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 1. August 1958 hat er am 2. August 1958 Revision eingelegt und die Revision mit Schriftsatz vom 23. August 1958 - eingegangen am 25. August 1958 - begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. Juni 1958 und den Beschluß des Berufungsausschusses vom 18. September 1957 aufzuheben,
hilfsweise den Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der beklagte Berufungsausschuß beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Der beigeladene Zahnarzt G beantragt,
die Revision zurückzuweisen und die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.
Der Kläger rügt, das angefochtene Urteil gehe zwar mit Recht davon aus, daß die Entscheidung des Berufungsausschusses als letzter im Verwaltungsverfahren ergangener Verwaltungsakt anzufechten war, dieser Beschluß sei aber nicht allein streitbefangen. Die Zulassungsausschüsse seien Träger der Entscheidungen, die verfahrensrechtlich als maßgeblich zu gelten hätten. Auch im Widerspruchsverfahren sei die vom Zulassungsausschuß ergangene Entscheidung der maßgebliche Verwaltungsakt, der Verfahrensgrundlage bleibe. Daher sei die Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Beschlusses des Zulassungsausschusses, also die HZO maßgebend. Das ergebe sich aus der Übergangsbestimmung des GKAR Art. 4 § 11 Abs. 2 Satz 2 . Da der Verwaltungsakt des Zulassungsausschusses noch vor dem 31. Mai 1957 ergangen sei, so gelte die HZO. Mit seiner Zulassung durch den Zulassungsausschuß habe der Kläger im übrigen ein Anwartschaftsrecht erworben, das ihm die ZO-Zahnärzte nicht mehr rückwirkend habe nehmen können. Das angefochtene Urteil habe dem letzten Halbsatz des Art. 4 § 11 Abs. 2 GKAR zu Unrecht entnommen, der Gesetzgeber habe ausschließlich solche Regelungen beibehalten wollen, die für alle beteiligten Ärzte günstiger seien. Dafür biete jedoch das Gesetz keinen Anhalt. Auch solche "Regeln", die einem einzelnen Bewerber einen günstigeren Rechtszustand gesichert hatten, seien in anhängigen Sachen weiterhin anwendbar. Schließlich habe das LSG. die Bedeutung des Vorzugsrechts des § 36 SchwBG verkannt. Bei fachlicher Eignung und Erfüllung der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen müsse dem Schwerbeschädigten der Vorzug gegeben werden. Daran habe § 368 c Abs. 2 Nr. 11 RVO i. d. F. des GKAR nichts ändern wollen. Bei Erlaß der ZO-Zahnärzte sollte offenbar die Nichterwähnung des § 36 SchwBG in § 368 c Abs. 2 Nr. 11 RVO nachgeholt werden. Mit dem Wort "sodann" in § 22 ZO-Zahnärzte sei keine Rangfolge festgelegt worden.
II
Der Kläger hat die Revision in rechter Form und Frist eingelegt und begründet. Da das LSG. die Revision zugelassen hat, ist sie nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch statthaft. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das LSG. hat als Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens mit Recht allein den Beschluß des Berufungsausschusses angesehen und seine Rechtmäßigkeit zutreffend nach der Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses geprüft. Der Auffassung der Revision, die Entscheidung des Zulassungsausschusses - als ursprünglicher Verwaltungsakt im Sinne des § 95 SGG - bestimme nicht nur das Widerspruchsverfahren vor dem Berufungsausschuß, sondern bleibe auch Grundlage des anschließenden sozialgerichtlichen Verfahrens kann der Senat nicht folgen. Nach § 95 SGG ist, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Zwar gilt das Verfahren vor dem Berufungsausschuß als Vorverfahren im Sinne des SGG ( § 368 b Abs. 7 RVO ). Gleichwohl ist in Zulassungssachen - jedenfalls bei Streitigkeiten der vorliegenden Art, in denen der Berufungsausschuß die Entscheidung des Zulassungsausschusses abgeändert und anstelle des vom Zulassungsausschuß ausgewählten Bewerbers einen anderen Arzt zugelassen hat - der ursprüngliche Verwaltungsakt des Zulassungsausschusses weder allein noch in Verbindung mit dem Beschluß des Berufungsausschusses Gegenstand der Anfechtungsklage; denn in diesen Fällen hat der Zulassungsausschuß durch die Zulassung des Klägers gerade seinem Antrage entsprochen, so daß die Entscheidung des Zulassungsausschusses den Kläger nicht beschwert. Der Kläger ist vielmehr erst durch die Entscheidung des Berufungsausschusses beschwert worden, nur dessen Entscheidung kann daher auch Gegenstand der Anfechtungsklage sein (vgl. § 78 Abs. 1 Nr. 2 des Entwurfes einer Verwaltungsgerichtsordnung, Drucksache 361/59 des Bundesrates, und die Begründung dazu in Drucksache 55 des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, S. 56 unter Nr. 55; Bettermann, NJW. 1958 S. 81 ff. unter I 1 und II 2). Der Gesetzgeber hat daher auch in § 70 Nr. 4 SGG dem Berufungsausschuß - nicht dem Zulassungsausschuß - ausdrücklich die Fähigkeit zuerkannt, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein.
Ist Gegenstand der Anfechtungsklage aber der Beschluß des Berufungsausschusses, so hängt die Beantwortung der weiteren Frage, nach welchem Recht die Gerichte den angefochtenen Beschluß (des Berufungsausschusses) zu beurteilen haben - dem Recht zur Zeit seines Erlasses oder, wie die Revision meint, dem Recht im Zeitpunkt der Entscheidung des Zulassungsausschusses - davon ab, welches Recht der Berufungsausschuß selbst seiner Entscheidung zugrunde zu legen hatte. Hatte der Berufungsausschuß nämlich das im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltende Recht anzuwenden, so würde es zu offenbar sinnwidrigen Ergebnissen führen, wenn die Gerichte die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung anhand des früheren, im Zeitpunkt der Entscheidung des Zulassungsausschusses gültig gewesenen Rechtes prüfen würden.
Der Senat hat zu der Frage, ob der Berufungsausschuß das zur Zeit seiner eigenen Entscheidung geltende Recht anzuwenden hat oder das Recht, das im Zeitpunkt der Entscheidung des Zulassungsausschusses galt, bisher nicht ausdrücklich Stellung genommen. Er hat jedoch schon wiederholt ausgesprochen, daß die Gerichte in Auswahlstreitigkeiten , d. h. in Streitigkeiten mehrerer Ärzte um die Besetzung eines Kassenarztsitzes, Änderungen der Rechtslage, die nach Erlaß der letzten Verwaltungsentscheidung eingetreten sind, grundsätzlich nicht mehr berücksichtigen dürfen (vgl. BSG. 5 S. 238 (241); 7 S. 129 (133 f.); 8 S. 252 (253)). Für diese Auffassung ist auch die Erwägung maßgebend gewesen, daß eine nachträgliche Veränderung der "Bewerbungslage" infolge einer erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens eingetretenen Änderung der Rechts- oder Sachlage, wenn sie von den Gerichten zu beachten wäre, häufig zu einer erheblichen, mit der ordnungsmäßigen Versorgung der Versicherten nicht zu vereinbarenden Verzögerung in der Besetzung des streitigen Kassenarztsitzes führen müßte (BSG. 7 S. 134). Denn die Gerichte wären einerseits in aller Regel genötigt, den veränderten Umständen durch Aufhebung der angefochtenen Zulassungsentscheidung Rechnung zu tragen, andererseits aber gehindert, über den Streitfall selbst abschließend zu entscheiden, da sie gegenüber der Ermessensentscheidung der Zulassungsinstanzen auf eine Rechts kontrolle beschränkt sind ( § 54 Abs. 2 SGG ). Diese Erwägungen treffen für das Verfahren vor dem Berufungsausschuß nicht zu. Obwohl der Gesetzgeber das Verfahren vor dem Berufungsausschuß im hohen Maße rechtsförmlich gestaltet hat (vgl. § 368 b Abs. 4 bis 6 RVO , §§ 44 f. i. Verb. m. §§ 36 - 43 der Bundeszulassungsordnungen für Kassenärzte und Kassenzahnärzte), bleibt es doch ein reines Verwaltungsverfahren und die Entscheidung des Berufungsausschusses eine zweitinstanzliche Verwaltungs entscheidung. Das zeigt sich vor allem darin, daß der Berufungsausschuß im Gegensatz zu den Gerichten die (Ermessens-) Entscheidung des Zulassungsausschusses sowohl nach der rechtlichen und tatsächlichen Seite als auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Zweckmäßigkeit nachprüft und, wenn sie seinen eigenen Vorstellungen nicht entspricht, durch eine andere - eigene - Ermessensentscheidung ersetzt. Der Berufungsausschuß wird als Verwaltungsbehörde tätig, nachdem - als formelle Voraussetzung für sein Verfahren - der Zulassungsausschuß entschieden hatte. Er prüft aber nicht nur die Entscheidung des Zulassungsausschusses auf zutreffende Rechts- und Ermessensanwendung nach, sondern entscheidet - unter Beachtung und Verwertung der Gründe des Zulassungsausschusses - nach eigenem, nunmehr der Sach- und Rechtslage entsprechendem Ermessen. Der Berufungsausschuß ist daher auch im Falle der Änderung der Rechts- oder Sachlage nach Erlaß der Entscheidung des Zulassungsausschusses nicht auf eine Kassation dieser Entscheidung beschränkt, sondern befugt und ggf. verpflichtet, den veränderten Umständen durch eine neue, auf der Ausübung eigenen Ermessens beruhende Auswahlentscheidung Rechnung zu tragen. Angesichts dieser weitgehenden "reformatorischen" Befugnisse des Berufungsausschusses hat der Senat keine Bedenken, ihn auch in Auswahlstreitigkeiten als berechtigt und verpflichtet anzusehen, das im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltende Recht zur Anwendung zu bringen (vgl. BVerwG. 2 S. 55 (62 f.); 8 S. 59 (63); Bettermann in Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955 S. 361 (387 ff.)). Ist der Berufungsausschuß aber gehalten, bei der Entscheidung über den Widerspruch von der neuen Rechtslage auszugehen, so müssen auch die Gerichte, die seine Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin prüfen, dieses neue Recht zugrunde legen (vgl. Bettermann, NJW. 1958 S. 84 unter III 3 a: maßgebend sei bei Anfechtungsklagen die Sach- und Rechtslage "zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung"; ebenso BSG. 7 S. 8 (Leitsatz 5 und S. 13) und Haueisen, NJW. 1958 S. 1065 (1067), für die gerichtliche Überprüfung eines Verwaltungsaktes ohne Dauerwirkung).
Die Revision kann demgegenüber nicht mit Erfolg geltend machen, daß der Kläger dadurch, daß er vom Zulassungsausschuß zugelassen worden sei, ein "Anwartschaftsrecht" erlangt habe, das ihm die während des Widerspruchsverfahrens in Kraft getretene Bundeszulassungsordnung für Zahnärzte vom 28. Mai 1957 nicht mehr habe nehmen können. Die Revision übersieht insoweit, daß, solange die Entscheidung des Zulassungsausschusses nicht unanfechtbar geworden ist, dem durch sie Begünstigten daraus noch kein Recht erwächst (vgl. BVerwG. 1 S. 247 (250)). Hier ist die Entscheidung des Zulassungsausschusses aber von einem der Mitbewerber des Klägers rechtzeitig mit dem Widerspruch angefochten worden. Der Berufungsausschuß war mithin selbst dann, wenn der Beschluß des Zulassungsausschusses dem zur Zeit seiner Entscheidung geltenden Recht entsprochen haben sollte, nicht gehindert, diesen Beschluß aufzuheben und - in Anwendung des neuen Rechts - anstelle des Klägers den Beigeladenen zuzulassen.
Die Auffassung der Revision, daß nicht die Rechtslage zur Zeit der Entscheidung des Berufungsausschusses, sondern des Zulassungsausschusses maßgebend sei, findet schließlich auch in der Übergangsvorschrift des Art. 4 § 11 Abs. 2 letzter Halbsatz GKAR keine Stütze. Nach dieser Vorschrift ist das alte Zulassungsrecht der Länder auf Verfahren, die - wie hier - im Zeitpunkt des am 1. Juni 1957 erfolgten Inkrafttretens der neuen Bundeszulassungsordnungen für Kassenärzte und Kassenzahnärzte vom 28. Mai 1957 bereits anhängig waren, weiter anzuwenden, "soweit sie für die beteiligten Ärzte günstiger sind". Das Berufungsgericht hat dieser, eine Reihe von Zweifeln auslösenden Vorschrift mit Recht entnommen, daß der darin vorgeschriebene "Günstigkeitsvergleich" zwischen dem alten und dem neuen Recht sich auf alle am Verfahren beteiligten Ärzte erstrecken muß. Bei Auswahlstreitigkeiten wird die genannte Übergangsvorschrift daher in der Regel keine Anwendung finden können, da der Besserstellung eines Beteiligten nach altem Recht im allgemeinen die Schlechterstellung eines anderen Bewerbers entsprechen wird, so daß - wie auch im vorliegenden Fall - die Vorschriften des alten Rechts nicht für alle am Verfahren beteiligten Ärzte günstiger sind (vgl. Hess-Venter, Handbuch des Kassenarztrechts, Bd. 1, S. 367 f.; Urteil des erkennenden Senats vom 30.10.1959, 6 RKa 14/59 ).
Hat das LSG. seinem Urteil hiernach zutreffend das Recht im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsausschusses zugrunde gelegt, so kann der Auffassung des Berufungsgerichts über den Inhalt jenes Rechts nicht in allen Punkten gefolgt werden. Das gilt vor allem für die Frage, nach welchen Auswahlgrundsätzen der Berufungsausschuß seine Entscheidung zu treffen hatte. Das LSG. hat insoweit allein § 22 Abs. 2 der (während des Widerspruchsverfahrens in Kraft getretenen) ZO-Zahnärzte als maßgebend angesehen; danach sind bei der Auswahl in erster Linie die berufliche Eignung, das Approbationsalter und die Dauer der zahnärztlichen Tätigkeit zu berücksichtigen, "sodann bei der Erstzulassung" des Bewerbers seine Eigenschaft als Schwerbeschädigter im Sinne des § 1 SchwBG. Es hat § 22 Abs. 2 ZO-Zahnärzte dahin ausgelegt, daß das Wort "sodann" eine Rangfolge der Auswahlmerkmale ausdrücke, so daß die Eigenschaft als Schwerbeschädigter erst in zweiter Linie zu berücksichtigen sei. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden.
§ 22 Abs. 2 ZO-Zahnärzte stützt sich auf eine Ermächtigung in § 368 c Abs. 2 Nr. 11 RVO i. d. F. des GKAR. Darin ist vorgeschrieben, daß die Zulassungsordnungen Vorschriften enthalten müssen über "... die Grundsätze für die Auswahl unter den Bewerbern, wobei in erster Linie die berufliche Eignung, das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit zu berücksichtigen sind". Diese Ermächtigungsnorm deckt den ersten Halbsatz des § 22 Abs. 2 ZO-Zahnärzte , dessen Wortlaut sich eng an das Gesetz anlehnt. Nicht getragen wird durch sie jedoch der folgende, von der Berücksichtigung der Schwerbeschädigteneigenschaft handelnde zweite Halbsatz des § 22 Abs. 2, soweit darin bestimmt ist, daß jene Eigenschaft erst nach den im ersten Halbsatz angeführten Auswahlmerkmalen und nur "bei Erstzulassungen" zu berücksichtigen ist.
Der Gesetzgeber hat in der ermächtigenden Vorschrift des § 368 c Abs. 2 Nr. 11 RVO die Frage, ob und in welcher Weise die Eigenschaft als Schwerbeschädigter bei der kassenärztlichen Zulassung zu berücksichtigen ist, nicht geregelt. Er hat die Schwerbeschädigteneigenschaft in § 368 c RVO nicht einmal erwähnt, obwohl die bei Erlaß des GKAR bestehenden kassenärztlichen Zulassungsordnungen der Länder eine bevorzugte Zulassung von Schwerbeschädigten, z. T. unter ausdrücklicher Verweisung auf § 36 SchwBG vom 16. Juni 1953, kannten (vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 1 b der Bad.-Württ. Zulassungsordnung vom 26. November 1953, GesBl. für Bad.-Württ., S. 197). Nach § 36 SchwBG soll nämlich, soweit für die Ausübung eines Berufes eine Zulassung erforderlich ist, Schwerbeschädigten sowie Witwen und Ehefrauen im Sinne des § 8 SchwBG, die eine Zulassung beantragen, bei fachlicher Eignung und Erfüllung der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen die Zulassung bevorzugt erteilt werden. Hätte der Gesetzgeber in § 368 c Abs. 2 Nr. 11 RVO eine Ermächtigung schaffen wollen, das Vorzugsrecht des § 36 SchwBG in den künftigen Bundeszulassungsordnungen zu beseitigen, so hätte dies einer ausdrücklichen Vorschrift bedurft. In der Bestimmung allein, daß die berufliche Eignung, das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit "in erster Linie" zu berücksichtigen seien ( § 368 c Abs. 2 Nr. 11 RVO ), vermag der Senat eine solche Ermächtigung nicht zu sehen, zumal auch andere sondergesetzliche Vorschriften, die den Begünstigten bei sonst gleichen fachlichen Voraussetzungen bzw. gleichen Bedingungen einen unbedingten Vorrang im Auswahlverfahren gewähren (vgl. § 7 b Abs. 3 HkG , § 70 Abs. 5 BVFG , § 11 Abs. 6 BEvakG ), nach zutreffender herrschender Meinung durch die Auswahlregelung in § 368 c Abs. 2 Nr. 11 RVO nicht berührt worden sind (vgl. Sievers, Zulassungsrecht, 1957, ZO-Zahnärzte § 22 , A 4; Venter, Zulassungsrecht für Kassenzahnärzte, 1958, ZO-Zahnärzte § 22, Anm. 1 a. E.). Findet hiernach die Bestimmung in § 22 Abs. 2 ZO-Zahnärzte , daß die Eigenschaft als Schwerbeschädigter nur "bei der Erstzulassung" und erst nach der beruflichen Eignung, des Approbationsalters und der Dauer der ärztlichen Tätigkeit ("sodann") zu berücksichtigen ist, in § 368 c Abs. 2 Nr. 11 RVO keine Stütze, so entbehrt sie, weil im Widerspruch zu § 36 SchwBG stehend, der rechtlichen Wirksamkeit. Obwohl das LSG. - ebenso wie schon der Berufungsausschuß - diese Rechtslage verkannt hat, seine Entscheidung mithin auf unrichtigen rechtlichen Voraussetzungen beruht, ist sie im Ergebnis doch richtig. Denn auch wenn § 36 SchwBG zugunsten des Klägers angewendet wird, kann seine Anfechtungsklage gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses, durch die der beigeladene Arzt zugelassen worden ist, keinen Erfolg haben, weil § 36 SchwBG als Sollvorschrift dem Schwerbeschädigten keinen absoluten Vorrang gegenüber anderen Bewerbern einräumt und die für den Beigeladenen sprechenden Auswahlmerkmale so schwer wiegen, daß jede andere als die vom Berufungsausschuß getroffene Auswahlentscheidung - auch unter Berücksichtigung der Schwerbeschädigteneigenschaft des Klägers - rechtswidrig wäre.
Nach § 36 SchwBG "soll" Schwerbeschädigten bei fachlicher Eignung und Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen die beantragte Zulassung "bevorzugt" erteilt werden. Daß diese Vorschrift weit auszulegen ist und grundsätzlich auch die Zulassung von Kassenärzten - Entsprechendes gilt für die Zulassung von Kassenzahnärzten - betrifft, hat der Senat bereits ausgesprochen (BSG. 6 S. 95). Während aber Spätheimkehrer, Verfolgte, Vertriebene, Sowjetzonenflüchtlinge und Evakuierte bei der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen von anderen Bewerbern zu "bevorzugen sind" ( § 7 b Abs. 3 HkG ), "zur Kassenpraxis zuzulassen sind" (§§ 67 Abs. 2; 115 BEG), "bevorzugt zuzulassen sind" ( § 70 Abs. 5 BVFG , § 11 Abs. 6 BEvakG ) und ihnen somit ein vom Ermessen der Zulassungsstellen unabhängiges Recht, zugelassen zu werden, zusteht, ist das Recht des Schwerbeschädigten nicht in gleicher Weise vom Ermessen der Zulassungsbehörden gelöst. Aus dem Wort "soll" in § 36 SchwBG ist zu schließen, daß die Eigenschaft als Schwerbeschädigter gegenüber anderen Auswahlmerkmalen, die für die Zulassung von Bedeutung sind, abzuwägen ist. Allerdings können nur sehr gewichtige Gründe, wie etwa eine erheblich überwiegende Dauer der zahnärztlichen Tätigkeit oder ein erheblich höheres Approbationsalter, gegenüber dem gesetzlichen Vorrang des Schwerbeschädigten den Ausschlag geben. Das ist vorliegend jedoch der Fall; denn der Beigeladene ist nicht nur 10 Jahre älter als der Kläger, sondern übertrifft ihn vor allem im Approbationsalter um 12 und in der Dauer der zahnärztlichen Tätigkeit um wenigstens 10 Jahre. Damit ist er dem Kläger hinsichtlich der für die Zulassung maßgebenden Umstände so eindeutig überlegen, daß auch die für den Kläger sprechende Eigenschaft als Schwerbeschädigter diese Überlegenheit nicht auszugleichen vermag. Hätte somit der Berufungsausschuß den Kläger auch unter Beachtung der Soll-Vorschrift des § 36 SchwBG nicht zulassen dürfen, ohne die Grenzen sachgemäßen Ermessens zu überschreiten, so stellt sich die Entscheidung des LSG. - wenn auch aus anderen als den von ihm angeführten Gründen - als richtig dar ( § 170 Abs. 1 Satz 2 SGG ).
Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen
Haufe-Index 926557 |
BSGE, 11, 119 (Leitsatz 1-4 und Gründe) |
BSGE, 119 |
RegNr, 999 |
Deutsches Ärzteblatt, 407 (Leitsatz 4 und Gründe) |
SozR, (Leitsatz) |
SozR, (Leitsatz 1 und Gründe) |
SozR, (Leitsatz und Gründe) |
SozR, (Leitsatz) |
SozR, (Leitsatz und Gründe) |
SozR, (Leitsatz) |