Orientierungssatz
Der Gleichwertigkeitsbeschluß des Versicherungsamts nach RVO § 259 ist kein Verwaltungsakt.
Eine gegen diesen Beschluß gerichtete Anfechtungsklage ist unzulässig.
Normenkette
RVO § 259 Abs. 1, § 251 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 11.04.1961) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 11. April 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die nachstehend genannten 11 Innungen, nämlich
1. die Wäscher- und Plätter-Innung B,
2. die Wäscheschneider-Innung B,
3. die Kürschner-Innung B,
4. die Konditoren-Innung B,
5. die Müller-Innung B,
6. die Glaser-Innung B,
7. die Innung des Kraftfahrzeughandwerks B,
8. die Schornsteinfeger-Innung B,
9. die Feinmechaniker- und Feinoptiker-Innung B,
10. die Innung für Radio- und Fernsehtechnik B und
11. die Gebäudereiniger-Innung B
haben bei der Beklagten den Anschluß an die Vereinigte Innungskrankenkasse zu B ( VJKK ) beantragt. Der Präsident des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks B - Oberversicherungsamt - hat durch Bescheid vom 17. März 1960 den Anschluß mit Wirkung vom 1. März 1960 an genehmigt.
Im Rahmen des Anschlußverfahrens hat das Versicherungsamt B (VA) am 15. Dezember 1959 nach § 259 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entschieden, daß die Kassenleistungen der VJKK denen der klagenden Ortskrankenkasse (OKK) gleichwertig sind. Die Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheids erging dahin, daß gegen die Entscheidung des VA kein Rechtsmittel gegeben sei und daß Einwendungen gegen die Gleichwertigkeitsentscheidung des VA im Errichtungsverfahren beim Oberversicherungsamt B (OVA) geltend gemacht werden könnten.
Die klagende OKK ist der Auffassung, daß die Entscheidung des VA vom 15. Dezember 1959 ein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt sei und daß das VA beim Vergleich der Kassenleistungen zu Unrecht nur die Leistungen der klagenden OKK, nicht aber auch die anderen OKK'n , auf die sich der Bereich der VJKK erstrecke, zum Vergleich herangezogen habe. Sie hat mit der Klage beantragt,
die Entscheidung des VA vom 15. Dezember 1959 aufzuheben.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die angefochtene Entscheidung des OVA ein innerdienstlicher Akt sei, der nicht für sich allein angefochten werden könne (Urteil vom 15. Dezember 1959).
Die Berufung der klagenden OKK wurde vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 11. April 1961). Das LSG schloß sich der Auffassung des SG an, daß die Klage unzulässig sei. Die Entscheidung des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen stelle keine Regelung des Einzelfalls dar, die unmittelbare rechtliche Wirkung äußere, sondern sei ein unselbständiger Teilakt im Rahmen des Ermittlungsverfahrens. Es fehle somit an einem Verwaltungsakt, der für eine Anfechtungsklage aber unerläßlich sei.
Gegen dieses Urteil hat die klagende OKK Revision eingelegt mit dem Antrag,
unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG der Klage stattzugeben.
Nach Auffassung der klagenden OKK ist die Aufhebungsklage gegen die Entscheidung des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen zulässig. Das OVA sei bei seiner Entscheidung über die Errichtungsgenehmigung an die Entscheidung des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen nach § 259 Abs. 1 RVO gebunden. Habe das VA die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen verneint; so müsse das OVA schon aus diesem Grunde die Genehmigung zur Errichtung der OKK versagen. Deshalb müsse den Betroffenen die Möglichkeit verbleiben zu erwirken, daß die Genehmigungsbehörde ihre Entscheidung auf einen richtigen Beschluß nach § 259 RVO gründe. Sei das Beschwerderecht auch infolge des Inkrafttretens des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) weggefallen, so sei daraus nur zu folgern, daß dafür die Möglichkeit der Klage vor dem SG gegeben sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision der klagenden OKK ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen ihre Aufhebungsklage als unzulässig angesehen, wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 29. März 1962 (BSG 16, 296 - SozR RVO § 259 Bl. A a 1 Nr. 1) dargelegt hat.
Die Klage richtet sich gegen den Beschluß, in dem das beklagte VA die Gleichwertigkeit der satzungsmäßigen Leistungen der VJKK mit denen der klagenden OKK festgestellt hat (§ 259 Abs. 1 i. V. m. § 251 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß diese Feststellung kein Verwaltungsakt ist. Ein Verwaltungsakt, wie er in § 54 Abs. 1 SGG als Begriff vorausgesetzt ist und vom erkennenden Senat in Anlehnung an § 25 Abs. 1 Satz 1 der Militärregierungsverordnung (MRVO) Nr. 165 und die allgemeine Verwaltungslehre näher bestimmt wurde (BSG 3, 204, 206), ist eine Maßnahme, die von einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen wird. Hiernach ist ein Verwaltungsakt immer nur gegeben, wenn von dem Handeln einer Behörde unmittelbar rechtliche Wirkungen ausgehen (Haueisen in DOK 1954, 460, 462). Eine solche unmittelbare rechtliche Wirkung geht dem Gleichwertigkeitsbeschluß des VA nach § 259 RVO ab. Er stellt eine Voraussetzung für die Errichtung einer Innungskrankenkasse - von mehreren (vgl. § 251 Abs. 1 RVO) - dar und ist, wie es das Bayerische LSG in seinem Urteil vom 3. April 1957 (Breith. 1957, 793, 794) in einem ähnlichen Zusammenhang zutreffend ausgedrückt hat, nur ein Entscheidungselement für den noch ausstehenden Verwaltungsakt der Genehmigung der Errichtung der KK. Er berührt nicht unmittelbar die Rechtssphäre der beteiligten Krankenkassen und Innungen. Besonders deutlich wird dies, wenn das Errichtungsverfahren nach Erlaß des Gleichwertigkeitsbeschlusses des VA - etwa wegen Rücknahme des Antrags - abgebrochen wird. Der Beschluß des VA ist dann gegenstandslos geworden, weil es nicht mehr zu der Entscheidung des OVA gekommen ist, für die er eine Voraussetzung sein sollte. Die Feststellung des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen nach § 259 RVO ist somit kein Verwaltungsakt (so im Ergebnis auch die herrschende Meinung: außer dem LSG Niedersachsen im angefochtenen Urteil das Schlesw.-Holst. LSG - Breith. 1957, 400 -, SG Karlsruhe - Breith. 1955, 815, 817 -, LSG Baden-Württemberg Breith. 1957, 8, 11 -, LSG Nordrhein-Westf. v. 22. April 1958 - Sozialgerichtl . Entscheidungssammlung III/1 Nr. 2 zu § 259 RVO -; ferner Schröter, Krankenversicherung 1954, 176, 178; Haueisen, Ortskrankenkasse 1954, 460, 462; Friede, Betriebskrankenkasse 1954, 363; Frentrop, Betriebskrankenkasse 1955, 104, 106; Beuster, Ortskrankenkasse 1956, 431, 434; Reinhold, Krankenversicherung 1958, 198, 203). Peters (Handb. der KrV 16. Aufl. Stand: Okt. 1961, § 263 RVO Anm. 2) hält dieser Auffassung entgegen, daß § 259 Abs. 1 RVO den Beschluß des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen als eine "Entscheidung" - im Gegensatz zur "gutachtlichen Äußerung" des VA nach § 252 Abs. 2 RVO - kennzeichne. In der Tat war die Entscheidung des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen vor Inkrafttreten des SGG für die Beteiligten und das OVA bei seiner Entscheidung über die Genehmigung der Errichtung der KK bindend, sofern nicht eine der beteiligten Kassen von dem Recht der Beschwerde an das OVA (§ 263 Abs. 2 RVO) Gebrauch machte. Diese Möglichkeit zur Beschwerde ist, wie auch Peters (aaO) anerkennt, mit der Beseitigung des Beschlußverfahrens (vgl. § 213 Abs. 1 Satz 1 SGG) entfallen. Daß § 263 Abs. 2 RVO - wie die hiermit vergleichbare Vorschrift des § 254 RVO - unter den außer Kraft getretenen nicht ausdrücklich in § 224 Abs. 3 Nr. 1 SGG aufgeführt ist, fällt nicht ins Gewicht; denn die hier genannten Vorschriften stellen, wie das einleitende Wort "insbesondere" zeigt, keine erschöpfende Aufzählung dar.
Indessen kann aus dem Wegfall der Beschwerdemöglichkeit nicht geschlossen werden, daß die vom Gleichwertigkeitsbeschluß des VA Betroffenen nunmehr einen anderen Rechtsbehelf - nämlich die Aufhebungsklage vor dem SG - haben. Diese - von Peters vertretene - Auffassung berücksichtigt nicht, daß nach dem Klagensystem des SGG eine Aufhebungsklage nur gegenüber einem Verwaltungsakt zulässig ist (§ 54 Abs. 1 SGG) und die "Entscheidung" des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen, wie bereits dargelegt, keinen Verwaltungsakt darstellt. Andererseits wäre es mit dem Zweck des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, einen umfassenden Rechtsschutz gegen Entscheidungen der "öffentlichen Gewalt" zu gewährleisten, nicht in Einklang zu bringen, wenn die einmal getroffene "Entscheidung" des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen ohne die Möglichkeit einer Richtigstellung hingenommen werden müßte. Der Rechtsschutz der Beteiligten im Verfahren bei der Errichtung einer KK wäre unvollkommen, wenn die Entscheidung des OVA auf eine so wichtige Vorentscheidung wie die über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen gegründet werden müßte, ohne daß im Falle ihrer Unrichtigkeit die Möglichkeit zur Abhilfe bestände. Deshalb kann der "Entscheidung" des VA über die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen nach Inkrafttreten des SGG nur die gleiche eingeschränkte Bedeutung wie der "gutachtlichen Äußerung" nach § 252 Abs. 2 SGG zuerkannt werden. Sie bindet nicht das OVA bei seiner Entscheidung über die Errichtung der KK. Im übrigen ist dem Rechtsschutzbedürfnis der Beteiligten dadurch genügt, daß sie gegen den Bescheid des OVA über die Errichtung der KK Klage erheben können. Zwar eröffnete vor Inkrafttreten des SGG das - allerdings nur den Kassen eingeräumte - Recht der selbständigen Beschwerde gegen die Gleichwertigkeitsentscheidung des VA die Möglichkeit, diese Frage für sich endgültig zu entscheiden (§ 263 Abs. 2 Satz 2 RVO aF). Eine Kasse, die sich nur in diesem Punkt beschwert glaubte, war daher nicht genötigt, die Hauptentscheidung des OVA über die Errichtung der Krankenkasse anzufechten. Nach geltendem Recht muß auch die Kasse, die die Errichtungsentscheidung des OVA nur wegen der in ihr mitenthaltenen Gleichwertigkeitsentscheidung angreifen will, die Entscheidung des OVA anfechten. Indessen bedeutet diese Beschränkung nur eine - in der Regel kurze - Hinausschiebung der Anfechtungsmöglichkeit: Die durch die Gleichwertigkeitsentscheidung des VA beschwerte Kasse muß erst die Errichtungsentscheidung des OVA abwarten, bevor sie die Aufhebungsklage erheben kann. Hinzu kommt, daß die Erfahrung gelehrt hat, daß Errichtungsentscheidungen der OVÄ'er in der Regel aus mehreren Gründen zugleich angegriffen werden. Würde in einem solchen Fall zunächst die Gleichwertigkeitsentscheidung des VA für sich vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und danach vor den gleichen Gerichten die Errichtungsentscheidung des OVA angefochten werden können, so würde eine viele Interessen berührende Organisationsentscheidung u. U. eine Reihe von Jahren in der Schwebe bleiben. Ein solcher Zustand mit der damit verbundenen Unsicherheit wäre für alle Beteiligten höchst unerfreulich. Auch unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie wird somit die hier vertretene Auffassung der Sachlage am besten gerecht.
Demnach ist die Aufhebungsklage im vorliegenden Fall zu Recht von den Vorinstanzen als unzulässig angesehen worden. Die Revision der klagenden OKK ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen