Entscheidungsstichwort (Thema)
Abhängiges Beschäftigungsverhältnis oder selbständige Tätigkeit von Zeitungsfahrern (Charterfahrern)
Orientierungssatz
1. Allein aus der Tatsache, daß die Zeitungsfahrer aufgrund vertraglicher Vereinbarungen verpflichtet sind, bei der Übernahme, Beförderung und Auslieferung der Zeitungen und Zeitschriften sich an im voraus festgelegte Zeiten und Fahrtrouten zu halten, kann nicht auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis geschlossen werden.
2. Für das Unternehmerrisiko spricht, daß den Charterfahrern keine Garantie eines Mindesteinkommens gegeben worden war (vgl BSG 1976-12-16 12/3 RK 4/75 = USK 1976, 196), daß sie grundsätzlich selbst für Ersatz von Fahrer und Fahrzeug zu sorgen hatten und daß sie schon durch die Art des gewählten und benutzten Transportfahrzeuges den Ertrag der Fahrten beeinflussen konnten.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 09.05.1979; Aktenzeichen L 4 U 16/77) |
SG Itzehoe (Entscheidung vom 11.01.1977; Aktenzeichen S 1 U 110/75) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Beigeladenen zu 2) bis 7) in ihre Beitragsberechnung einbeziehen durfte.
Die Klägerin ist mit ihrem Unternehmen Mitglied der beklagten Berufsgenossenschaft (BG). Sie läßt ihre Kunden (Wiederverkäufer) durch Kleinspediteure oder Charterfahrer mit in ihrem Betrieb gebündelten und verpackten Zeitungen und Zeitschriften beliefern. Mit ihnen hat sie folgendes vereinbart: Die Fahrer sind verpflichtet, die Kunden grundsätzlich mit eigenen Fahrzeugen in einem genau begrenzten Bezirk sechsmal wöchentlich spätestens ab 4.00 Uhr morgens zu beliefern, Remissionssendungen zurückzunehmen und bei der Klägerin abzuliefern; die monatliche Vergütung wird auf der Grundlage einer festen Kilometerzahl zuzüglich 11 % Mehrwertsteuer gewährt; während für den ersten Monat eine beiderseitige tägliche Kündigungsfrist ohne Angabe von Gründen gilt, beträgt sie nach dessen Ablauf 1/4 Jahr zum Quartalsende, es sei denn, grobfahrlässige Verstöße berechtigten die Klägerin zur fristlosen Lösung des Vertragsverhältnisses.
Anläßlich eines Unfalles des Beigeladenen zu 7) forderte die Beklagte die Klägerin auf, ihr die den Zeitungsfahrern gezahlten Vergütungen mitzuteilen; die Klägerin hatte diese bis dahin nicht gemeldet, da sie annahm, sie hätten den Status eines selbständigen Unternehmers. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam, ergänzte die Beklagte die Lohnnachweise für 1971, 1972 und 1973, indem sie die Beigeladenen zu 2) bis 7) in die Beitragsberechnung einbezog und erteilte entsprechende Ergänzungsbescheide (Bescheide vom 25. September 1974). Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 21. August 1975, Urteil des Sozialgerichts -SG- Itzehoe vom 11. Januar 1977).
Auf die Berufung der Klägerin hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil und die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 9. Mai 1979).
Mit der zugelassenen Revision rügen die Beklagte und die Beigeladene zu 1) sinngemäß eine Verletzung des § 539 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
hilfsweise die Zurückverweisung an das Landessozialgericht.
Die übrigen Beigeladenen sind nicht vertreten.
Die Klägerin beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) sind nicht begründet. Sie sind zurückzuweisen.
Das LSG hat zu Recht die Beigeladenen zu 2) bis 7) (Charterfahrer) in den hier maßgeblichen Zeiträumen nicht als für die Klägerin beschäftigt angesehen, so daß die Beklagte nicht berechtigt war, den Beitrag zuungunsten der Klägerin anders festzustellen (§ 749 RVO).
Nach § 723 RVO werden die Mittel für die Ausgaben der Berufsgenossenschaften durch Beiträge der Unternehmer, die versichert sind oder Versicherte beschäftigen, aufgebracht. Die Höhe der Beiträge richtet sich hier nach dem Entgelt der Versicherten in dem Unternehmen (§ 725 Abs 1 RVO).
Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis setzt als charakteristisches Merkmal eine persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber voraus, während eine selbständige Tätigkeit insbesondere durch das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügbarkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Arbeit und Arbeitszeit gekennzeichnet wird (vgl BSG SozR 2200 § 1227 Nrn 4, 8, 17, 19).
Entscheidend ist dabei das Gesamtbild der Arbeit, für die persönliche Abhängigkeit, Eingliederung in den Betrieb und Unterstellung unter das regelmäßige Weisungsrecht des Unternehmers wesentliche Merkmale sein können (vgl auch AP-Nr 11 zu § 611 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-). Das Gesamtbild und die rechtliche Einordnung bestimmen sich letztlich danach, welche Merkmale überwiegen. Regelmäßig sind die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend, wenn auch vertragliche oder sonstige Vereinbarungen bedeutsam sein können, die freilich dann nicht ausschlaggebend sind, wenn die tatsächlichen Verhältnisse von den Vereinbarungen abweichen (BSGE 35, 20, 21; 38, 53, 57; SozR 2200 § 1227 Nrn 4, 8, 17, 19; Ersatzkasse 1979, 257 = BB 1980, 280).
Das LSG hat diese von der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Beschäftigungsverhältnis und zur Tätigkeit eines Selbständigen entwickelten Grundsätze beachtet und auf den hier zu entscheidenden Fall angewendet. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen zu 1) ist dem Berufungsgericht dabei kein Rechtsfehler unterlaufen. Insbesondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß es aufgrund seiner von beiden Revisionen unangefochten gelassenen Tatsachenfeststellung zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Merkmale eines selbständig Tätigen bei den beigeladenen Charterfahrern überwiegen. Das LSG hat seine Feststellung, daß die Charterfahrer nicht abhängig beschäftigt waren, auf die vertraglichen Vereinbarungen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) bis 7) gestützt. Dazu war es berechtigt, weil zum Inhalt dieser vertraglichen Vereinbarungen nichts Gegenteiliges festzustellen war, dies auch von der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) unangefochten geblieben ist. Gewiß waren die Beigeladenen zu 2) bis 7) aufgrund vertraglicher Vereinbarungen verpflichtet, bei der Übernahme, Beförderung und Auslieferung der Zeitungen und Zeitschriften sich an im voraus festgelegte Zeiten und Fahrtrouten zu halten. Dies ist bei Werkverträgen, nicht zuletzt im Transportgewerbe und insbesondere bei der Auslieferung von schnell veraltenden Waren wie Zeitungen und Zeitschriften, nicht außergewöhnlich und erklärt sich aus der Natur der Sache. Soweit das LSG bei den Beigeladenen zu 2) bis 7) ein Unternehmerrisiko bejaht hat, ist ihm ebenfalls zu folgen. Für das Unternehmerrisiko spricht, daß den Charterfahrern keine Garantie eines Mindesteinkommens gegeben worden war (vgl BSG, Urteil vom 16. Dezember 1976 - 12/3 RK 4/75 - USK 76, 196). Zudem hatten sie grundsätzlich selbst für Ersatz von Fahrer und Fahrzeug zu sorgen, wofür die Klägerin keine "Ausfallbürgschaften" übernahm (§ 4 des Vertrages vom 2. Dezember 1972). Schließlich spricht der Umstand - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat -, daß die Beigeladenen zu 2) bis 7) schon durch die Art des gewählten und benutzten Transportfahrzeuges den Ertrag der Fahrten beeinflussen konnten, für die selbständige Tätigkeit dieser Beigeladenen.
Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 8. November 1979 von neun Charterfahrern ausgeht, ist dies als neues tatsächliches Vorbringen unbeachtlich. Es könnte die Entscheidung ohnedies nicht beeinflussen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen