Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsfreiheit von Übergangsgeldbeziehern in der Krankenversicherung
Orientierungssatz
Während einer von einem anderen Rehabilitationsträger gewährten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme besteht nur dann zu Lasten der Krankenkasse Beitragsfreiheit, wenn sich diese Maßnahme zeitlich mit einem noch bestehenden Krankengeldanspruch überschneidet. Die für den Rehabilitanden zu erbringenden Sozialversicherungsbeiträge sind ergänzende Leistungen (§ 12 Nr 2 RehaAnglG), die begrifflich in einer Akzessorietät zur Rehabilitationsmaßnahme selbst stehen und deshalb grundsätzlich dem die Hauptleistung gewährenden Rehabilitationsträger obliegen (vgl § 5 Abs 2 S 1 RehaAnglG).
Normenkette
RVO § 311 S 1 Nr 3 Fassung: 1974-08-07, § 381 Abs 3a Fassung: 1969-07-27; RehaAnglG § 5 Abs 2 S 1 Fassung: 1974-08-07, § 12 Nr 2 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für einen Zeitraum, in dem er wegen medizinischer Rehabilitation Übergangsgeld (ÜbG) bezog, als Rentenantragsteller Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu entrichten hatte.
Der am 27. Februar 1940 geborene Kläger leidet seit Jahren an einer Wirbelsäulenerkrankung. Nachdem er eine von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen gewährte berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahme am 18. Oktober 1978 hatte unterbrechen müssen, blieb er als Krankengeldbezieher gemäß § 311 Satz 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) weiterhin Mitglied der beklagten Krankenkasse bis zur Erschöpfung des Krankengeldanspruchs gemäß § 183 Abs 2 RVO am 3. Dezember 1979. Am gleichen Tage stellte er Antrag auf Rente, die ihm wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit für die Dauer vom 3. Juli 1981 bis 31. Oktober 1982 bewilligt wurde. Vom 4. Dezember 1979 bis 15. Januar 1980 gewährte ihm die beigeladene LVA Rheinprovinz eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme mit ÜbG. Mit Bescheid vom 22. Februar 1980 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers als Rentenantragsteller gemäß § 165 Abs 1 Nr 3 iVm § 315a Abs 1 RVO ab 4. Dezember 1979 fest und forderte von diesem Zeitpunkt ab von ihm Beiträge gemäß § 381 Abs 3 Satz 2 RVO, wobei sie darauf hinwies, daß der sich aus der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ergebende ÜbG-Bezug die Pflichtversicherung als Rentenantragsteller nicht verdränge. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 1. April 1980; Urteil des Sozialgerichts (SG) Köln vom 17. November 1980; Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 1982). Das LSG hat die Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers aufgrund der Rentenantragstellung angenommen und in dem Bezug von ÜbG durch einen Rehabilitationsträger keinen die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten nach § 311 Satz 1 Nr 3 RVO damaliger Fassung (aF) erhaltenden Tatbestand gesehen. Es hat dies aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift und aus der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamtes (RVA) und des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Vorläufern der Vorschrift geschlossen, wonach die Mitgliedschaft für ÜbG-Bezieher nur dann wie bei den Krankengeldbeziehern erhalten geblieben war, wenn das ÜbG an Stelle des Krankengeldes gezahlt wurde. Die Vorschrift des § 311 RVO sei durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (RehaAnglG) "zur besseren Übersicht" neugefaßt und dabei die Nr 3 hinzugefügt worden. Sei aber vor Schaffung des RehaAnglG anerkannt gewesen, daß sich Krankengeldanspruch und ÜbG-Bezug zwecks Erhaltung der Mitgliedschaft überschneiden mußten, und lasse sich anhand der Gesetzesmaterialien nachweisen, daß in diesem Punkt das geltende Recht lediglich übernommen werden sollte, so sei kein Anlaß ersichtlich, für die Zeit nach Inkrafttreten des RehaAnglG von der Notwendigkeit einer Überschneidung abzurücken.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger, das LSG habe Sinn und Zweck des § 311 Satz 1 Nr 3 RVO verkannt. Die Neuregelung dieser Vorschrift in § 21 Nr 21 RehaAnglG sei damit begründet worden, daß ..."die Mitgliedschaft während medizinischer Maßnahmen zur Rehabilitation für die Dauer des Bezuges von ÜbG bestehen bleibt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob und wie lange dem Grunde nach ein Anspruch auf Krankengeld besteht". Zwar möge den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sein, der Krankengeldanspruch habe lediglich nicht entfallen, sondern ruhen sollen, damit für diese Zeit die Mitgliedschaft nach § 311 RVO erhalten bleibe. Daraus sei jedoch nicht zwingend zu schließen, daß die Verknüpfung von Krankengeld- und ÜbG-Anspruch für eine Fortsetzungsmitgliedschaft erforderlich sei. Wäre das der Fall, dann führe das im Ergebnis zur Fortsetzung der Mitgliedschaft nach § 311 Satz 1 Nr 2 RVO. Sei dann der ruhende Krankengeldanspruch erschöpft, der Beginn der siebten Woche (§ 381 Abs 3a Nr 2 RVO) aber noch nicht erreicht, hätte der Rehabilitand seine weitere Krankenversicherung selbst sicherzustellen. Das könne nicht hingenommen werden, weil es den Behinderten den Zugang zu medizinischen Rehabilitationsleistungen erheblich erschweren würde. Dieses Ergebnis stimme auch nicht mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 14. September 1978 - 12 RK 28/77 -) überein, wonach bei den durch das RehaAnglG eingeführten Vorschriften über die Krankenversicherung der medizinischen Rehabilitanden keine originäre Versicherungspflicht vorzusehen, sondern eine Erweiterung des Instituts der fortgesetzten Mitgliedschaft ausreichend gewesen sei. Die Fortsetzungsmitgliedschaft nach § 311 Satz 1 Nr 3 RVO sei ausdrücklich an den Bezug von ÜbG, nicht aber an die Zeit des Ruhens eines Krankengeldanspruchs geknüpft. Wesentlich sei dabei der nahtlose Anschluß der Fortsetzungstatbestände. Deren "Überlappen" sei dagegen nicht erforderlich.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. April 1980 insoweit aufzuheben, als er die Beitragsforderung für die Zeit vom 4. Dezember 1979 bis 15. Januar 1980 betrifft.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das LSG hat im Ergebnis zu Recht das Urteil des SG und den Verwaltungsakt der Beklagten bestätigt. Der Kläger war in dem streitigen Zeitraum beitragspflichtiges Mitglied der Beklagten.
Der Wortlaut des § 311 Satz 1 Nr 3 RVO und auch die Begründung der Bundesregierung zu dieser Vorschrift im Gesetzentwurf zum RehaAnglG (BT-Drucks 7/1237, S 65) sprechen dafür, daß für den Fall des Bezuges von ÜbG durch einen Rehabilitationsträger anläßlich einer nicht berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahme ohne Rücksicht auf die Dauer des Krankengeldanspruchs ein selbständiger Fortsetzungstatbestand geschaffen werden sollte, der lediglich die Tatsache des ÜbG-Bezuges voraussetzt. Ob dies tatsächlich in der gesetzgeberischen Absicht gelegen hat, ist indes nicht frei von Zweifeln. So ist einerseits aus der Gesetzesbegründung zu erkennen, daß § 311 RVO "zur besseren Übersicht" neu gefaßt wurde, was dafür sprechen könnte, daß eine eigentliche Gesetzesänderung nicht gewollt war. Da aber der Bezug von ÜbG auch schon vor der Neufassung des § 311 RVO mitgliedschaftserhaltende Wirkung hatte, sofern das ÜbG an die Stelle des an sich zu beanspruchenden Krankengeldes trat, kann seine ausdrückliche Aufnahme in den Gesetzeswortlaut auch so verstanden werden, daß der bisherige gesetzliche Tatbestand erweitert werden sollte. Keinesfalls läßt sich aber der neugefaßten Vorschrift entnehmen, daß die Fortsetzung der Mitgliedschaft mit einer Beitragsfreiheit zu Lasten des bei Beginn der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme nicht mehr leistungspflichtigen und damit auch für die wirtschaftliche Sicherstellung des Rehabilitanden durch eine Lohnersatzleistung nicht mehr zuständigen Krankenversicherungsträgers beabsichtigt war, denn dann hätte das in der Beitragsbefreiungsvorschrift des § 383 RVO seinen Niederschlag finden müssen. Das ist aber nicht geschehen. Diese Vorschrift ist nämlich durch das RehaAnglG nur "zur besseren Übersicht" neugefaßt worden (BT-Drucks 7/1237, S 66), ohne daß dies eine materiell-rechtliche Änderung gegenüber der bis dahin geltenden Fassung bedeutet hätte (Urteil des Senats in SozR 2200 § 383 Nr 2). Beiträge sind auch nach der neugefaßten Vorschrift, wie schon vorher, nicht zu entrichten, solange Anspruch auf Krankengeld oder Mutterschaftsgeld besteht. Daraus ist zu folgern, daß der Gesetzgeber die Fortsetzung der Kassenmitgliedschaft während einer von einem anderen Rehabilitationsträger gewährten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme jedenfalls nur dann zu Lasten der Krankenkasse gewollt hat, wenn sich diese Maßnahme zeitlich mit einem noch bestehenden Krankengeldanspruch überschneidet.
Das stimmt auch mit der Systematik des Rehabilitationsrechts überein, wonach die für den Rehabilitanden zu erbringenden Sozialversicherungsbeiträge ergänzende Leistungen sind (§ 12 Nr 2 RehaAnglG), die begrifflich in einer Akzessorietät zur Rehabilitationsmaßnahme selbst stehen und deshalb grundsätzlich dem die Hauptleistung gewährenden Rehabilitationsträger obliegen (vgl § 5 Abs 2 Satz 1 RehaAnglG). Dieser Grundsatz von der Einheitlichkeit der Trägerschaft (BT-Drucks 7/1237, S 55) ist in der Vorschrift des § 381 Abs 3a RVO gewahrt worden, wonach der das ÜbG gewährende Rehabilitationsträger die Beiträge zu tragen hat. Daß hierbei lediglich für die in § 165 Abs 1 Nr 4 RVO bezeichneten Versicherten (berufliche Rehabilitanden) die Beitragspflicht des Rehabilitationsträgers bereits vom Beginn der ÜbG-Zahlung vorgesehen ist, liegt daran, daß für diesen Personenkreis von diesem Zeitpunkt ab eine originäre Mitgliedschaft begründet wird, in den Fällen der medizinischen Rehabilitation dagegen nicht. Hier ging der Gesetzgeber davon aus, daß Arbeitnehmern in aller Regel in den ersten sechs Wochen einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme der Lohn fortgezahlt wird oder sie dem Grunde nach Anspruch auf Krankengeld haben, so daß ohne Begründung einer eigenständigen Versicherungspflicht an das Institut der fortgesetzten Mitgliedschaft nach § 311 RVO angeschlossen werden konnte (Urteil des Senats vom 14. September 1978 in SozR 2200 § 381 Nr 29), wobei allerdings zur Verwaltungsvereinfachung die Beitragspflicht des Rehabilitationsträgers erst vom Beginn der siebten Woche des Bezuges von ÜbG an vorgeschrieben wurde (vgl hierzu BT-Drucks 7/1237, S 66; Jung/Preuß, Kommentar zum RehaAnglG, 2. Aufl 1975, S 240).
Läßt sich sonach zwar begründen, daß der Kläger aufgrund des sich zeitlich unmittelbar an den Krankengeldbezug anschließenden Bezuges von ÜbG Mitglied der Beklagten geblieben war, so fehlt es doch an der rechtlichen Grundlage, ihn von der Beitragspflicht freizustellen. In der gesetzlichen Krankenversicherung ist das versicherte Mitglied grundsätzlich beitragspflichtig und nur ausnahmsweise bei Bestehen einer entsprechenden ausdrücklichen Vorschrift beitragsfrei. Da der Kläger weder unter die Befreiungsvorschrift des § 383 RVO fällt noch für ihn als medizinischen Rehabilitanden die Beitragspflicht des Rehabilitationsträgers in dem streitigen Zeitraum in Betracht kam, wäre er an sich aufgrund der fortgesetzten Mitgliedschaft beitragspflichtig gewesen. Ob das auch hier gilt oder ob sich im vorliegenden Fall der Beitrag nach den Vorschriften für die KVdR richtet, weil etwa die Pflichtversicherung des Rentenantragstellers nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO vorgeht, kann dahinstehen. Da die Beklagte vom Kläger Beiträge zur KVdR fordert und diese nach der bis zum 31. Dezember 1982 geltenden Regelung des § 385 Abs 2 RVO aF niedriger sind als der nach den entsprechend heranzuziehenden §§ 385 Abs 3a, 381 Abs 3a RVO zu entrichtende Beitrag aufgrund des Bezuges von ÜbG (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 385 RVO - 17/1998-3-), muß es in jedem Fall bei der den Kläger begünstigenden Beitragsfestsetzung der Beklagten verbleiben; die dagegen gerichtete Revision ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen