Leitsatz (amtlich)
Der "bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" (Hauptberuf) des Versicherten ist eine von ihm ausgeübte Arbeit gleichwertig iS des RKG § 45 Abs 1 Nr 2 nF, wenn die Lohndifferenz nicht mehr als 10 % beträgt.
Zulagen und Prämien, die für überdurchschnittliche Leistungen gewährt werden, sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25. November 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.
Gründe
I
Der am 22. Juni 1918 geborene Kläger, der seit 1934 im Bergbau, zuletzt als Hauer, gearbeitet hatte, stellte im April 1968 den Antrag auf Gewährung der Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -). Nach einer von der Beklagten eingeholten Zechenauskunft vom 13. September 1968 war er seit dem 20. August 1968 als Förderaufseher tätig und erhielt zu seinem Schichtlohn von 29,73 DM noch eine Leistungszulage von 2,50 DM. Die Leistungszulage wurde nach einer weiteren Zechenauskunft in schwankender Höhe als besondere Zulage für Fleiß und ordentliche Ausführung der Arbeiten gezahlt.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 3. Dezember 1968 den Rentenantrag ab. Der Widerspruch des Klägers wurde mit der Begründung zurückgewiesen, er habe zwar das 50. Lebensjahr vollendet und die besondere Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG erfüllt, verrichte jedoch noch eine im Vergleich zu seiner bisherigen Arbeit als Hauer wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit.
In dem anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) erklärte sich die Beklagte bereit, die Rente vom 1. Januar 1969 an zu gewähren, weil sich seither die besondere Zulage unter 2,- DM hält. Das SG hat die Beklagte - dem Antrag des Klägers entsprechend - unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG ab 1. September 1968 zu gewähren. Da der Kläger das 50. Lebensjahr vollendet und die besondere Wartezeit für die Leistung erfüllt habe, komme es lediglich darauf an, ob er im Vergleich zu seinem Hauptberuf als Hauer keine wirtschaftlich gleichwertigen Arbeiten mehr verrichte. Diese Voraussetzung sei auch für die noch streitige Zeit vor Januar 1969 erfüllt. Entscheidend sei hierbei, ob die Differenz zwischen dem Lohn eines Hauers und dem Lohn, den er als Förderaufseher erhalte, mindestens 10 v. H. betrage. Dieser Maßstab ergebe sich eindeutig aus der Begründung des Finanzänderungsgesetzes (FinÄndG) 1967, das sich bei der Neufassung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG bewußt an das bis zum 31. März 1939 geltende Recht angelehnt habe. Nach der maßgeblichen Lohnordnung (LO) habe der Gedingerichtlohn eines Hauers 35,60 DM, der Schichtlohn eines Förderaufsehers dagegen nur 29,73 DM betragen; er könne also nicht als wirtschaftlich gleichwertig angesehen werden. Dabei müsse die "Leistungszulage" ebenso außer Betracht bleiben wie die Sozialzulage. Nach den von der Rechtsprechung zu § 45 Abs. 2 RKG entwickelten Grundsätzen, die auch auf diese Neuregelung zu § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG anzuwenden seien, dürfe bei der Gleichwertigkeitsprüfung nur der Tariflohn berücksichtigt werden. Durch die rein individuelle Leistungszulage werde im vorliegenden Fall die Tätigkeit des Klägers im Vergleich zur Tätigkeit anderer Arbeiter der gleichen Lohngruppe in anderen Betrieben nicht wirtschaftlich höher bewertet. Da die Höhe der Zulage beträchtlichen Schwankungen unterliege, sei diese auch für einen Lohnvergleich ungeeignet.
Das SG hat die Berufung zugelassen.
Mit der Sprungrevision wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Gewährung der Rente für die Zeit vor dem 1. Januar 1969. Das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger verrichte seit dem Übergang zur Tätigkeit als Förderaufseher im August 1968 deshalb keine im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit mehr, weil die Leistungszulage bei dem Lohnvergleich nicht berücksichtigt werden dürfe. Zwar sei es im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG sachgerecht, nur die Tariflöhne miteinander zu vergleichen, da es sich dort um die Verweisung auf eine gedachte, keinen bestimmten Arbeitsplatz betreffende Tätigkeit handele. Da Verweisungstätigkeit i. S. des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG aber eine bestimmte, individuell verrichtete Tätigkeit sei, müsse Vergleichsmaßstab hierbei das dadurch erzielte Effektiveinkommen sein, soweit es auf der Arbeitsbewertung beruhe. Werde für die ausgeübte Tätigkeit über den Tariflohn hinaus eine Zulage oder Prämie gezahlt, die ihren Grund in einer besseren Bewertung der geleisteten Arbeit habe, so sei sie zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber des Klägers gebe durch die Zahlung der für Fleiß und ordentliche Arbeit gewährten Zulage zu erkennen, daß der Kläger mit dem Tariflohn allein zu gering entschädigt würde, daß der objektive Wert seiner Tätigkeit also über dem Tariflohn liege.
Die Neuregelung durch das FinÄndG 1967 setze auch für die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres eine Minderung des bisherigen Einkommens - beim Hauer um mindestens 10 v. H. - voraus; auch diese Leistung habe nunmehr eine Art Lohnersatzfunktion. Würden aber nichttarifliche Leistungszulagen bei dem Wertigkeitsvergleich außer Betracht bleiben, so wären Rentenbewilligungen denkbar, ohne daß tatsächlich eine Einkommenseinbuße eingetreten wäre. Dem Willen des Gesetzgebers könne nur entsprochen werden, wenn der Effektivverdienst aus der noch ausgeübten Tätigkeit mit dem Tarifeinkommen aus der Hauptberufstätigkeit verglichen werde.
Bei Berücksichtigung der Leistungszulage habe der Einkommensunterschied gegenüber dem Gedingerichtlohn in den Monaten September, Oktober und Dezember 1968 weniger als 10 v. H. betragen. Für November 1968 habe er zwar 10,87 v. H. ausgemacht, doch sei auch damit kein Rentenanspruch entstanden; eine kurzzeitige, vorübergehende Änderung dieser Art könne noch nicht zu einer Änderung der Bewertung der Tätigkeit führen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
II
Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat dem Kläger die Bergmannsrente mit Recht bereits für die Zeit vom 1. September 1968 an zugesprochen.
Der Anspruch ist nach dem seit dem 1. Januar 1968 geltenden Recht zu beurteilen. Die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG - deren sonstige Voraussetzungen im vorliegenden Fall unzweifelhaft und unstreitig erfüllt sind - ist seither an die weitere - negative - Voraussetzung geknüpft, daß der Versicherte "im Vergleich zu der von ihm bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit keine wirtschaftlich gleichwertigen Arbeiten mehr ausübt". Da im vorliegenden Fall "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" (Hauptberuf) des Klägers die Tätigkeit des Hauers ist, kommt es darauf an, ob die seit August 1968 von ihm verrichtete Tätigkeit als Förderaufseher in der streitigen Zeit der Hauertätigkeit wirtschaftlich gleichwertig war. Die Verwendung des Begriffes "wirtschaftlich gleichwertig" könnte - insbesondere im Vergleich zu dem in Abs. 2 der gleichen Vorschrift gebrauchten Begriff "im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig" - die Annahme nahelegen, der Gesetzgeber wolle hier eine völlige wirtschaftliche Gleichwertigkeit der noch ausgeübten Tätigkeit zum Hauptberuf voraussetzen. Indessen ergibt sich aus der Gesetzesbegründung eindeutig, daß der Gesetzgeber die bis zum 31. März 1939 geltende Regelung (damals für die Alterspension) wieder einführen wollte (BR-Drucks. 481/67 S. 29). Damals aber war allgemein anerkannt, daß ein Lohnabfall bis zu 10 % der Annahme der Gleichwertigkeit in diesem Sinne nicht entgegenstand. Dieser gesetzgeberische Wille muß berücksichtigt werden, so daß die Beklagte und das SG zutreffend davon ausgegangen sind, daß im Rahmen der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit einer ausgeübten Tätigkeit i. S. des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG nF ein Lohnabfall bis zu 10 v. H. gegenüber dem Hauptberuf der Annahme der Gleichwertigkeit der ausgeübten Tätigkeit nicht entgegensteht.
Gegenstand des Wertvergleichs ist hier ebenso wie bei Anwendung des § 45 Abs. 2 RKG nicht die effektive Höhe des jeweiligen Erwerbseinkommens, sondern der objektive wirtschaftliche Wert der zu vergleichenden Tätigkeiten, wie er in ihrer tariflichen Einstufung zum Ausdruck kommt. Demgemäß ist beim Hauptberuf des Hauers weder von dem individuell erzielten Gedingelohn des Versicherten noch von dem effektiven Hauerdurchschnittslohn der Schachtanlage oder des Tarifgebietes, sondern von dem - regelmäßig wesentlich niedrigeren - tariflichen Gedingerichtsatz auszugehen. Bei dieser rein objektiven Betrachtungsweise müssen für die Bewertung des Hauptberufs zudem Zulagen und Prämien grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, die in der überdurchschnittlichen Arbeitsleistung des Versicherten begründet sind.
Dieselben Grundsätze müssen allerdings auch bei der Berechnung der von dem Versicherten tatsächlich ausgeübten Tätigkeit im Rahmen des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG gelten. Bei einem echten Wertvergleich können nur gleichartige Werte miteinander verglichen werden. Geht man daher bei der Bewertung des Hauptberufs nicht von dem daraus erzielten Effektiveinkommen des Versicherten, sondern von dem tariflichen Richtsatz aus, so muß diesem grundsätzlich auch der Tariflohn der noch verrichteten Tätigkeit gegenübergestellt werden. Ebenso wie bei der Bewertung des Hauptberufs müssen auch hierbei Zulagen und Prämien, die in der überdurchschnittlichen Arbeitsleistung des Versicherten begründet sind, außer Betracht bleiben.
Im vorliegenden Fall handelt es sich nun um eine Leistungszulage, die in wechselnder Höhe als besondere Zulage "für Fleiß und ordentliche Arbeitsausführung" gezahlt wird. Durch diese zusätzliche Vergütung wird nicht der objektive Wert der Förderaufsehertätigkeit als solche angehoben, sondern die überdurchschnittliche Leistung des Versicherten besonders bewertet. Die Zulage entspricht in dieser Hinsicht dem Entgelt, das der Gedingearbeiter über den tariflichen Gedingerichtsatz hinaus durch Fleiß und Geschicklichkeit erarbeitet. Die Frage, ob und in welchem Umfang solche Zulagen oder Prämien zu berücksichtigen sind, wenn sie - wie z. B. bei technischen Bergbauangestellten - ohne Rücksicht auf die tatsächliche Leistung allgemein gewährt werden, kann hier schon deshalb offen bleiben, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt.
Mit ihrem Einwand, bei Nichtberücksichtigung solcher Zulagen könne ein Versicherter Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG erhalten, obgleich er tatsächlich noch ein "gleichartiges" Einkommen erziele, verkennt die Beklagte, daß es hier - anders als etwa bei § 86 Abs. 2 RKG - nicht auf das "Entgelt", sondern auf die "Arbeit" und d. h. in diesem Zusammenhang auf den Wert dieser Arbeit ankommt; der Wert dieser Arbeit stellt sich aber in ihrer tariflichen Einstufung dar.
Vergleicht man dementsprechend den tariflichen Schichtlohn eines Förderaufsehers mit dem Gedingerichtsatz eines Hauers, so ergibt sich für die hier streitige Zeit nach der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau vom 1. Juli 1968 eine Lohndifferenz von erheblich mehr als 10 v. H.
Allerdings würde sich dieses Verhältnis für die Monate September, Oktober und Dezember 1968 auf einen unter 10 v. H. liegenden Wert verschieben, wenn man den dem Kläger für diese Monate gezahlten Leistungszuschlag von jeweils 2,80 bzw. 2,50 DM mitberücksichtigen wollte. Das SG hat aber zutreffend erkannt, daß dieser Zuschlag hier außer Betracht bleiben muß.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen