Entscheidungsstichwort (Thema)
Inhalt der Revisionsbegründung. Darlegungspflicht bei materiell-rechtlichen Rügen. unzulässige Verweisung in Revisionsschrift
Orientierungssatz
1. Wird die Verletzung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes gerügt, muß die Revisionsbegründung nähere Angaben darüber enthalten, in welcher konkreten Ausprägung die Gesetzesverletzung gesehen wird (vergleiche BFH 1976-03-23 VII R 64/73 = BB 1976, 773).
2. Für die Revisionsbegründung gilt die in § 164 Abs 2 S 3 SGG für Verfahrensrügen gesetzlich vorgeschriebene Darlegungspflicht grundsätzlich auch bei materiell-rechtlichen Rügen (vergleiche BSG 1976-12-13 12 RK 46/76 = SozR 1500 § 164 Nr 5).
3. Eine Verweisung in der Revisionsbegründung auf das bereits Vorgebrachte und auf die Entscheidungsgründe des in der Berufungsinstanz aufgehobenen erstinstanzlichen Urteils genügt nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Revisionsrüge.
Normenkette
SGG § 164 Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin begehrt, den ihr ab 1. Oktober 1976 im Wege des Härteausgleiches gem § 89 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuerkannten erhöhten Schadensausgleich nach § 40a Abs 3 BVG rückwirkend ab dem Monat der Antragstellung (Februar 1974) zu gewähren.
Entsprechende Versorgungsleistungen hatten zunächst die Versorgungsbehörde wie auch das Sozialgericht (SG) versagt. Demgegenüber hatte das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten unter Aufhebung der Vorentscheidungen verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts - nämlich daß dem Beschädigten in dem vom Gesetz geforderten Zeitraum von mehr als 6 Monaten vor dem Tode Pflegezulage nach Stufe III zugestanden habe - einen neuen Bescheid über den Härteausgleich zu erteilen. Die Versorgungsbehörde bewilligte daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 26. Oktober 1976 Schadensausgleich im Wege des Härteausgleiches unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe A 14 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) ab 1. Oktober 1976. Jedoch lehnte es höhere Leistungen im Härteausgleich vor diesem Zeitpunkt unter Bezugnahme auf den ab 1. Januar 1976 in Kraft getretenen § 89 Abs 3 BVG ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. August 1977).
Das SG hat die Verwaltungsbescheide insoweit aufgehoben, als der Beklagte die Gewährung des erhöhten Schadensausgleiches für die Zeit vor dem 1. Oktober 1976 abgelehnt hatte. Es hat in der Anwendung des § 89 Abs 3 BVG einen Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen. Demgegenüber hat das LSG auf die zugelassene Berufung das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeführt: § 89 Abs 3 BVG erfasse auch die Übergangsfälle, in denen ein vor dem 1. Januar 1976 beantragter Härteausgleich erst nach diesem Zeitpunkt bewilligt werde; bei Härteausgleichsleistungen erstrecke sich der Vertrauensschutz nicht auf den von der Antragstellung abhängigen Leistungsbeginn; die Einzelfallgestaltung rechtfertige nicht die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben; der Gesichtspunkt der Folgenbeseitigungslast gebiete ebenfalls keine rückwirkende Zuerkennung.
Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung ausgeführt: "Trotz der ausgeführten Entscheidungsgründe der Vorinstanz sind wir nach wie vor der Meinung, daß aus dem Grundsatz von Treue und Glauben eine Gewährung der beantragten Leistung zuständig erscheint. Um Wiederholungen zu vermeiden, dürfen wir uns auf das bereits Vorgebrachte und auf die Entscheidungsgründe des SG Dortmund berufen. Wir schließen uns diesen Auslegungen voll an".
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und den Beklagten
zu verurteilen, der Klägerin den im Wege des
Härteausgleichs bewilligten erhöhten Schadensausgleich
für die Zeit vor dem 1. Oktober 1976 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- ).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Mit der beim BSG eingelegten Revisionsschrift hat die Klägerin form- und fristgerecht Revision eingelegt. Jedoch genügt die Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 SGG.
Nach dieser Bestimmung muß die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensrügen geltend gemacht werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Mit dem Bemerken der Klägerin, das Berufungsgericht habe den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt, mag die Rechtsnorm zwar noch hinreichend benannt sein. Dabei muß es nicht schädlich sein, daß die Klägerin nicht eine einzelne Gesetzesvorschrift, sondern lediglich den Rechtsgrundsatz von "Treu und Glauben" als verletzt anführt. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff findet sowohl im allgemeinen Verwaltungsrecht wie ua auch im Rechtsbereich der Kriegsopferversorgung Anwendung (BVerwG NJW 74, 2247, 2248; Becker in DÖV 1973, 379; BSG SozR 3900 § 41 Nr 4 S 17). Es handelt sich dabei um eine revisible Rechtsnorm (Möhring NjW 1968, 832, Schleifenbaum DVBl 1969, 350-353), auf die die Revision zumindest dann gestützt werden kann, wenn sie - wie hier - Bundesrecht ergänzt oder mit ihm verknüpft ist. Dann ist dieser unbestimmte Rechtsbegriff dem Bundesrecht zuzurechnen (§ 162 SGG). Gleichwohl ist die Revision nicht ordnungsgemäß begründet.
Der in § 164 Abs 2 Satz 3 vorgeschriebene Begründungszwang soll sicherstellen, daß der Prozeßbevollmächtigte vor Einlegung der Revision das angefochtene Urteil seiner Kritik unterwirft, die Rechtslage überdenkt und uU von einer aussichtslosen Revision absieht (RGZ 123, 38). Dies erfordert auch bei materiell-rechtlichen Rügen ein sorgfältiges Eingehen darauf, inwieweit nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten die Streitpunkte im Urteil unrichtig dargestellt und gewertet erscheinen. Hierzu ist eine - zumindest kurze - Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung notwendig (BSG SozR 1500 § 164 Nr 5 und 12 mwN). Die in § 164 Abs 2 Satz 3 SGG für Verfahrensrügen gesetzlich vorgeschriebene Darlegungspflicht (damit inhaltlich übereinstimmend § 554 Abs 3 Nr 3b Zivilprozeßordnung -ZPO- und § 139 Abs 2 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung) gilt sonach grundsätzlich auch hier (BSG aaO). Der Revisionskläger muß erkennen lassen, weshalb eine revisible Rechtsvorschrift bei dem festgestellten Sachverhalt nicht oder unrichtig angewandt worden ist. Mithin sind rechtliche Erwägungen zu dieser Vorschrift unerläßlich (RGZ 117, 168, 171; BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr 34).
Wird, wie im zugrundeliegenden Falle, die Verletzung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes gerügt, muß außerdem die Revisionsbegründung nähere Angaben darüber enthalten, in welcher konkreten Ausprägung die Gesetzesverletzung gesehen wird (BFH BB 76, 773). Ein solches Vorgehen der Klägerin hätte auch deshalb erwartet werden müssen, weil das Berufungsgericht sich mit den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils näher auseinandergesetzt hat. Es hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG (ua BSG SozR 3100 § 89 Nr 6 = BSGE 46, 127) die Rechtsansicht vertreten, daß der durch Art 2 § 1 Nr 6 des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes -HStruktG-AFG- vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S 3113) dem § 89 BVG eingefügte Abs 3, der am 1. Januar 1976 in Kraft getreten ist (Art 5 § 1 aaO), auch die Übergangsfälle erfasse, in denen eine vor dem 1. Januar 1976 beantragte Härteausgleichsleistung erst nach diesem Zeitpunkt bewilligt werde. Demnach wäre die Klägerin gehalten gewesen, die im Revisionsverfahren dennoch aufrecht erhaltene gegenteilige Meinung näher zu erläutern. Hierzu war sie um so mehr genötigt, da sie vom Berufungsgericht mit der entsprechenden Auffassung des Revisionsgerichts bekannt gemacht worden war. Dieser Rechtsprechung hätte sie mit Argumenten begegnen müssen. So ist ihr Bevollmächtigter aber nicht verfahren. Er hat lediglich "um Wiederholungen zu vermeiden auf das bereits Vorgebrachte und auf die Entscheidungsgründe des SG Dortmund verwiesen".
Durch diese Bezugnahme wird den Erfordernissen, die an eine Ordnungsgemäße Revisionsrüge zu stellen sind, nicht Rechnung getragen. Sie muß aus sich heraus erkennen lassen, daß der Revisionskläger sich mit den Gründen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, auseinandersetzt. Es kann nicht Aufgabe des Revisionsgerichts sein, das bisherige Vorbringen der Klägerin dahin zu untersuchen, ob und inwieweit darin Revisionsgründe enthalten sind. Vielmehr müssen sich die Erwägungen, die zur Revision Anlaß gegeben haben, aus der Revisionsschrift selbst ergeben. Nur dann ist der Zweck der Revisionsbegründung erfüllt, nämlich darzutun, daß die Gründe des angefochtenen Urteils sowie das eigene bisherige Vorbringen nachge- bzw überprüft worden sind (BFH 102, 217, 219 mwN). Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das BSG ua eine Verweisung in der Revisionsbegründung auf die Berufungsbegründung nicht als zulässig erachtet, weil sie dem Urteil des LSG vorausgehe (BSGE 6, 269; BSG SozR Nr 53 zu § 164 SGG). Das BSG hat sich dabei von dem Gedanken leiten lassen, daß der Begründung nicht entnommen werden könne, welche der vom Berufungsgericht angewandten Rechtsnormen die Revision als verletzt ansehe. Außerdem lasse der Hinweis auf das bisherige Vorbringen die Beanstandung des von der Revision angefochtenen Urteils vermissen.
Nach alledem war die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen