Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung von Honorarbescheiden

 

Orientierungssatz

Es handelt sich bei den Fristen, die für die weitere Durchführung des Prüfungsverfahrens nach Anfechtung des ersten Honorarbescheides gelten, nicht um Fristen, die die vom Verwaltungsverfahren Betroffenen - der Vertragsarzt und die Ersatzkassen - zur Vermeidung von Rechtsnachteilen einzuhalten haben, sondern um Fristen, die allein für die mit der Durchführung des Prüfungsverfahrens betreuten Stellen gelten (vergleiche BSG 1962-05-29 6 RKa 4/61 = BSGE 17, 95). Die Nichteinhaltung der in EKV § 15 Nr 4 für das weitere Prüfungsverfahren bestimmten Fristen durch die Prüfungseinrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigung hat daher nicht zur Folge, daß der von einem der Beteiligten rechtswirksam angefochtene Honorarbescheid nach SGG § 77 bindend geworden ist.

 

Normenkette

EKV-Ä § 15 Nr. 4; SGG § 77

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 09.12.1960)

 

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten und des beigeladenen Verbandes der Angestellten-Krankenkassen e. V. wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 9. Dezember 1960 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Streit betrifft die Rechtswirksamkeit von Honorarkürzungen nach dem Ersatzkassenvertrag für Ärzte vom 12. Mai 1950 (EKV).

Die Klägerin ist Fachärztin für Frauenkrankheiten. Sie ist Mitglied der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Für diese rechnete sie im 2. Quartal 1958 (II/1958) 90 Krankenscheine ab. Es wurden lt. Abrechnung vom 15. September 1958 1.821,85 DM + 114,70 DM anerkannt. Davon wurden nur die Verwaltungsunkosten abgezogen. Die beklagte KV übersandte der Klägerin mit einem Schreiben, dessen Absendetag bisher nicht festgestellt ist, diese Abrechnung nebst anderen Honorarabrechnungen mit dem Hinweis, daß sie gleichzeitig als Bescheid des Prüfungsausschusses über die Honorarfestsetzung gelte und daß Einsprüche gegen die Abrechnungsergebnisse mit entsprechender Begründung innerhalb eines Monats schriftlich beim Prüfungsausschuß einzulegen seien. Der Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V. (VdAK) beanstandete die Abrechnung, und zwar für vier Ersatzkassen in 86 Behandlungsfällen mit der Begründung, die kleinen Sonderleistungen seien überhöht, insbesondere durch laufenden Ansatz von eingehenden Untersuchungen nach Ziff. 334 bzw. 25 Ersatzkassen-Adgo. Mit Schreiben vom 17. August 1959 teilte der Prüfungsausschuß der Klägerin mit, in der Sitzung des Prüfungsausschusses mit dem VdAK am 9. Juli 1959 seien die Abrechnungsunterlagen gemeinsam eingesehen worden. Die Prüfung hätte ergeben, daß die Anforderungen für kleine Sonderleistungen den Fachgruppen-Durchschnitt um mehr als 100 v. H. überschritten. Unter Hinweis auf sechs namentlich angegebene Einzelfälle wurden die Honoraranforderungen für kleine Sonderleistungen um 20 v. H. = 258,80 DM gekürzt. In dem hiergegen erhobenen "Einspruch" erklärte sich die Klägerin bereit, vor dem Prüfungsausschuß die Notwendigkeit ihrer ärztlichen Maßnahmen und die Dringlichkeit im einzelnen aufzuklären. In der Sitzung des Beschwerdeausschusses vom 15. Dezember 1959 war die Klägerin persönlich anwesend. Es wurden mit ihr fünf Behandlungsfälle durchgesprochen. Der Beschwerdeausschuß bestätigte die Kürzung des Prüfungsausschusses um 20 v. H. der Honoraranforderung für kleine Sonderleistungen und führte in seinem Bescheid vom 18. Dezember 1958 im wesentlichen aus: Die Klägerin habe bei den kleinen Sonderleistungen 15,05 DM je Fall gefordert, während der Durchschnitt ihrer Fachgruppe 7,02 DM betrage. Damit liege sie um etwa 100 v. H. über dem Fachgruppendurchschnitt bei einem durchschnittlichen Krankengut. Das ihr nach der Kürzung verbleibende Honorar für kleine Sonderleistungen liege noch 70 v. H. über dem Fachgruppen-Durchschnitt.

Für III/1958 (131 Behandlungsfälle bei 7 Ersatzkassen) war ein Honorar von 2.690,50 DM abzüglich 35,25 DM Verwaltungskosten = 2.655,05 DM anerkannt worden und für IV/1958 (137 Behandlungsfälle für 6 Ersatzkassen) 2.980,50 DM, so daß nach Abzug der Verwaltungskosten = 2.920,20 DM verblieben. Auch diese Honorarabrechnungen enthielten den Vermerk, daß innerhalb eines Monats nach Empfang der Abrechnung Einspruch erhoben werden könne. Der VdAK erhob auch gegen diese Honorarabrechnungen Einwendungen wegen der erhöhten Sonderleistungen. Durch Bescheid des Prüfungsausschusses vom 9. Dezember 1959 wurde die Honorarabrechnung für III/1958 bei den kleinen Sonderleistungen wegen auffälliger Überhöhung dieser Leistungen (Ziff. 25 bzw. 334 Ersatzkassen-Adgo seien bei 82 Fällen 129 mal liquidiert) um 30 v. H. = 577,50 DM und durch Bescheid vom 19. Dezember 1959 die Honorarabrechnung für IV/1958 wegen des wesentlich überhöhten Ansatzes der Ziffern für eingehende Untersuchungen und der umfangreichen Tamponbehandlungen ebenfalls um 30 v. H. = 608,55 DM gekürzt. In den Bescheiden würde die Klägerin davon in Kenntnis gesetzt, daß nach den Bestimmungen des EKV eine gemeinsame Besprechung mit dem VdAK stattgefunden habe. Die Klägerin erhob gegen beide Bescheide "Einspruch" und machte geltend, sie könne ihn erst begründen, wenn ihr die Gründe für die Kürzung in spezifizierter Form mitgeteilt seien. Zugleich bat ihr jetziger Prozeßbevollmächtigter um Mitteilung, wann die Zwischenbesprechung mit dem VdAK stattgefunden habe.

Der Beschwerdeausschuß bestätigte in seiner Sitzung vom 29. März 1959 die Kürzungen des Prüfungsausschusses für III/1958 und IV/1958. Zur Begründung führte er u. a. aus: Die erhebliche Überhöhung der Anforderung für kleine Sonderleistungen sei durch den häufigen Ansatz der Positionen für eingehende Untersuchungen entstanden; Ziff. 334 Ersatzkassen-Adgo sei bei Diagnosen angesetzt worden, die dazu nicht berechtigten, außerdem zusätzlich noch Ziff. 25, und zwar beide Positionen im einzelnen Behandlungsfall manchmal bis zu 4-mal im Quartal. Außerdem seien die Ziffern 370 und 375 sowie 376 und 377 nicht den Diagnosen entsprechend angesetzt worden. Die Anforderung für kleine Sonderleistungen und Labor betrage bei der Klägerin in III/1958 je Fall 15,36 DM gegenüber dem Fachgruppen-Durchschnitt von 7,30 DM; im 4. Quartal habe die Klägerin für kleine Sonderleistungen 15,07 DM und für Laborleistungen 1,66 DM gegenüber dem Fachgruppen-Durchschnitt für beide Leistungen von 8,03 DM liquidiert.

Die Klägerin erhob gegen die Bescheide des Beschwerdeausschusses vom 15. (18.) Dezember 1959 und 29. März (5. April) 1960 Klage beim Sozialgericht (SG) Berlin, das beide Sachen zur gemeinsamen Verhandlung verbunden hat. Sie beantragte in der mündlichen Verhandlung, unter Aufhebung der Honorarabrechnungsbescheide für II/1958, III/1958 und IV/1958 idF der Beschlüsse des Beschwerdeausschusses vom 15. Dezember 1959 und 29. März 1960 die Beklagte zu verurteilen, das Ersatzkassenhonorar für die betreffenden Quartale ungekürzt zu zahlen. Zur Begründung machte sie geltend, sie habe erst Ende August 1959 durch den Bescheid über die Kürzung in II/1958 von der Zwischenbesprechung vom 9. Juli 1959 Kenntnis erhalten. Die 14-Tagefrist für die Bekanntgabe des Ergebnisses der Zwischenbesprechung nach § 15 Ziff. 4 EKV sei nicht gewahrt. Im übrigen sei eine pauschale Kürzung unzulässig. Es wäre ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, im Beschwerdeverfahren einzelne Fälle zu erörtern. Auch die weiteren Fristen des § 15 Abs. 4 EKV seien nicht gewahrt, so daß der Beschwerdeausschuß die Entscheidungen des Prüfungsausschusses schon aus formalen Gründen nicht hätte bestätigen dürfen.

Das SG hob durch Urteil vom 29. Juni 1960 die Honorarbescheide entsprechend dem Klagantrag auf und verurteilte die Beklagte, das Ersatzkassenhonorar für die genannten Quartale ungekürzt auszuzahlen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Prüfungsorgane hätten die bindenden Fristen des § 15 Abs. 4 EKV nicht beachtet. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung stehe nur fest, daß der Antrag des VdAK innerhalb der Dreimonatsfrist des § 15 Abs. 4 EKV bei der Beklagten eingegangen sei. Im weiteren Verlauf des Verfahrens habe der Prüfungsausschuß aber die Fristen erheblich überschritten. Weder das Datum der Zwischenbesprechung noch der Zeitpunkt des Antrags des VdAK seien festzustellen. Außerdem entspreche das Prüfungsverfahren nicht den Vorschriften der §§ 77 bis 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) über das Vorverfahren. Die Bescheide seien auch deswegen rechtsunwirksam, weil der Klägerin kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden sei. Ferner habe der Beschwerdeausschuß die statistischen Grundlagen nur summarisch verwertet.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte KV Berufung ein und brachte vor: Die ersten Prüfungsbescheide seien in jedem Falle fristgerecht ergangen, so daß sie nicht hätten aufgehoben werden dürfen. Fristüberschreitungen seien frühestens im Stadium der Zwischenbesprechung eingetreten. Im übrigen beruhe die Entscheidung des Beschwerdeausschusses auf keiner Fristversäumnis mehr, da er die gesamten Abrechnungsunterlagen neu geprüft habe, so daß ein etwaiger Mangel geheilt sei. Die KV habe aus einem Verwaltungsnotstand heraus gehandelt. Die Vertragskassen seien nach § 11 EKV verpflichtet, die Vergütung zehn Tage nach Vorlage der geprüften Abrechnungsunterlagen zu zahlen. Der Prüfungsausschuß habe die erste Prüfung im Interesse der Ärzte beschleunigt, um die Honoraransprüche schnell zu befriedigen. Die Klägerin handele arglistig, wenn sie unter diesen Umständen sich auf eine Fristversäumnis berufe, zumal sie mit ihren Leistungen weit über dem allgemeinen Durchschnitt liege. Die Bescheide seien auch keineswegs nur summarisch abgefaßt. Soweit es sich um die Aufklärung von Umständen handele, die der einzelnen Praxis eigentümlich seien, habe der Arzt eine Mitwirkungspflicht. Der Beschwerdeausschuß habe aber die Eigenheiten der Praxis der Klägerin auch ohne deren Angaben berücksichtigt. Aus einer Mehrzahl von Einzelfällen sei auf die unwirtschaftliche Behandlungsweise geschlossen worden.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der beklagten KV mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Urteil des SG folgende Fassung erhielt: "Die Bescheide des Prüfungsausschusses vom 17. August 1959, 9. Dezember 1959 und 19. Dezember 1959 sowie die Bescheide des Beschwerdeausschusses vom 15. Dezember 1959 und 29. März 1960 werden aufgehoben" (Urteil vom 9.12.1960). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im wesentlichen folgendes dargelegt: Die Kürzungsbescheide des Prüfungsausschusses seien in den hier streitigen Quartalen (II bis IV/1958) rechtswidrig, weil das Honorar schon auf Grund der Abrechnungsbescheide für alle Beteiligten bindend festgestanden habe. Für ein Prüfungsverfahren nach § 15 Ziff. 4 EKV sei kein Raum mehr, wenn der Verwaltungsakt über die Honorarfestsetzung nach § 77 SGG bindend geworden sei. Aus den Verwaltungsakten der Beklagten sei nicht ersichtlich, ob die Einwendungen des VdAK innerhalb der Dreimonatsfrist des § 15 Ziff. 4 EKV eingegangen seien. Auch die in der mündlichen Verhandlung überreichten Urkunden räumten die bestehenden Zweifel nicht aus. Es bedürfe jedoch dazu und zu der weiteren Frage, ob die Ersatzkasse vorsorglich die gesamte Honoraranforderung der KV für alle Ärzte ohne Begründung ablehnen dürfe, keiner Entscheidung, denn unstreitig seien die weiteren Fristen im Ablauf des Prüfungsverfahrens nach Eingang der Einwendungen des VdAK nicht gewahrt. Der Prüfungsausschuß habe die Zwischenbesprechung nicht innerhalb der Vierwochenfrist des § 15 Ziff. 4 EKV abgehalten, ferner sei weder der Klägerin das Ergebnis der Zwischenbesprechung innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 14 Tagen bekanntgegeben noch die erneute Prüfung binnen vier Wochen nach der Zwischenbesprechung durchgeführt worden. Die Klägerin habe von den Einwendungen gegen den im Ablehnungsbescheid festgesetzten Honoraranspruch jeweils erst etwas durch die Kürzungen erfahren. Die Akten enthielten schließlich keine Protokolle, aus denen ersichtlich sei, wann und zwischen welchen Personen die Zwischenbesprechungen stattgefunden hätten und was zwischen dem Prüfungsausschuß und dem VdAK erörtert worden sei. Wegen Überschreitung der vertraglich festgelegten Fristen des § 15 Ziff. 4 EKV seien die zunächst nur vorläufigen Abrechnungsbescheide unwiderruflich und nach § 77 SGG für die Beteiligten in der Sache bindend geworden. Deshalb seien die Kürzungsbescheide vom 17. August 1959 über den Honoraranspruch für II/1958, vom 9. Dezember (III/1958) und 19. Dezember (IV/1958) sowie die Beschlüsse des Beschwerdeausschusses vom 15. Dezember 1959 und 29. März 1960 rechtswidrig.

Die Revision wurde zugelassen.

Gegen dieses Urteil haben die beklagte KV und der beigeladene VdAK Revision eingelegt.

Die KV beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der VdAK beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Revisionskläger wenden sich gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, daß die der Klägerin erteilten "vorläufigen Abrechnungsbescheide" wegen Nichteinhaltung der Fristen des § 15 Ziff. 4 EKV bindend geworden seien. Nach ihrer Meinung handelt es sich bei den von den Prüfungsinstanzen nicht eingehaltenen Fristen nicht um Ausschlußfristen, sondern um Ordnungsfristen, deren Überschreitung nicht zur Bindung an den ursprünglichen "Honorarvorschlag" des Prüfungsausschusses führen könne. Die KV trägt weiter vor, daß, wenn im Gesamtergebnis eine unwirtschaftliche Behandlungsweise festgestellt werde, die Kürzung nur schematisch um einen geschätzten Prozentsatz vorgenommen werden könne.

Die beigeladene Barmer-Ersatzkasse, die selbst nicht innerhalb der Revisionsfrist Revision eingelegt hat, ist den Rechtsausführungen der Revisionskläger beigetreten.

Die Klägerin beantragt,

die Revisionen der KV und des VdAK zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wenn - so führt sie aus - die in § 15 EKV aufgeführten Fristen nur Ordnungsfristen seien, so wäre "die Aufzeichnung dieser Fristen völlig illusorisch". Eine Vorenthaltung des Ergebnisses der Zwischenbesprechung benachteilige den Arzt, weil er keine Möglichkeit zur Aufklärung habe und bringe die Gefahr einer unnötigen Beschwerdeinstanz und eines dann evtl. notwendigen Klageverfahrens.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegten Revisionen der beklagten KV und des beigeladenen VdAK sind begründet.

1.) Das LSG hat die Berufung der KV zu Recht als zulässig angesehen. Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Honorarkürzungen, die die Prüfungsinstanzen der beklagten KV an mehreren Vierteljahresabrechnungen der Klägerin (II/, III/ und IV/1958) vorgenommen haben. Die angefochtenen Bescheide betreffen "Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen" im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG (BSG 11, 102, 108). Der vorliegende Rechtsstreit beschränkt sich aber nicht auf Leistungen für einen Zeitraum bis zu drei Monaten, die Klägerin erstrebt vielmehr die Aufhebung des Bescheides des Beschwerdeausschusses vom 15. Dezember 1959, der sich auf die Honorarforderung für II/1958 und des Bescheides des Beschwerdeausschusses vom 29. März 1960, der sich auf die Honorarforderungen für III und IV/1958 bezieht. Die Berufung war daher nach § 143 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft (vgl. BSG 17, 89, 92 und SozR SGG § 144 Bl. Da 8 Nr. 21).

2.) In sachlicher Hinsicht kann der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, durch die Nichteinhaltung der in § 15 Ziff. 4 EKV vom 12. Mai 1950 festgelegten Fristen - Durchführung der Zwischenbesprechung, nochmalige Entscheidung des Prüfungsausschusses und Entscheidung des Beschwerdeausschusses - seien die "vorläufigen Bescheide" des Prüfungsausschusses bindend geworden, nicht gefolgt werden.

Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 29. Mai 1962 (BSG 17, 89) näher dargelegt hat, ist schon der Honorarbescheid, den die Abrechnungsstelle der KV dem Vertragsarzt und der Vertragskasse nach § 15 Ziff. 3 EKV gleichzeitig mitzuteilen hat, ein Verwaltungsakt, der sowohl gegenüber dem beteiligten Vertragsarzt als auch gegenüber der beteiligten Ersatzkasse bindend werden kann. Dieser Honorarbescheid darf nur insoweit als "vorläufig" angesehen werden, als er - wie auch andere belastende Verwaltungsakten - nicht endgültig ist, sondern von den durch ihn beschwerten Beteiligten angefochten werden kann. Nach § 15 Ziff. 4 EKV, der das verwaltungsmäßige Anfechtungsverfahren kraft autonomer Rechtsetzungsbefugnis regelt, kann der Bescheid des Prüfungsausschusses innerhalb einer Frist von drei Monaten angefochten - "abgelehnt" - werden. Wird der Honorarbescheid - "das Prüfungsergebnis des Prüfungsausschusses" - innerhalb dieser Frist von dem Vertragsarzt oder der Vertragskasse nicht angefochten, so ist er für die Beteiligten bindend - er "gilt als angenommen" -. Das an die "Ablehnung" sich anschließende Verfahren vor den Prüfungsinstanzen stellt ein Vorverfahren im Sinne der §§ 79, 80 SGG dar. Der in § 15 Ziff. 4 Satz 3 EKV als "Ablehnung des Prüfungsergebnisses" bezeichnete Rechtsbehelf ist - übertragen auf die für das Vorverfahren geltenden Begriffe des SGG (§§ 77 ff SGG) - ein Widerspruch, der - entsprechend der autonomen Sonderregelung durch die Vertragspartner des EKV - nicht innerhalb eines Monats, sondern innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Mitteilung des Honorarbescheids an die Abrechnungsstelle der KV oder an den Prüfungsausschuß zu richten ist.

Die Frist für den Widerspruch - "Ablehnung des Prüfungsergebnisses des Prüfungsausschusses" - beginnt nach § 66 Abs. 1 SGG nur zu laufen, wenn die Beteiligten über den Rechtsbehelf und die Verwaltungsstelle, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist, sowie über deren Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden sind. Bei unterlassener oder unrichtiger Belehrung kann der Rechtsbehelf grundsätzlich noch innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung eingelegt werden (§ 66 Abs. 2 SGG). Der in den Verwaltungsakten der beklagten KV befindliche Durchschlag des an die Klägerin gerichteten Anschreibens zur Honorarabrechnung für II/1958 enthält eine unrichtige Belehrung, denn er weist - entgegen der in § 15 Ziff. 4 EKV getroffenen Regelung - die Klägerin darauf hin, daß "Einsprüche gegen die Abrechnungsergebnisse ... innerhalb eines Monats" einzulegen seien. Die Vordrucke der Honorarabrechnung für III und IV/1958 enthalten dieselbe unrichtige Belehrung. Die Belehrung über den Rechtsbehelf ist aber nicht nur dem Vertragsarzt, sondern auch den an der Honorarabrechnung beteiligten Ersatzkassen zu erteilen, in deren Rechte der Honorarbescheid unmittelbar eingreift. Sie allein haben als Schuldner des Honorars neben dem Vertragsarzt das Recht, den sie belastenden Honorarbescheid anzufechten, während dieses Recht dem VdAK im eigenen Namen nicht zusteht. Das schließt allerdings nicht aus, daß der VdAK im Auftrag der von dem Honorarbescheid betroffenen Ersatzkasse in dem Verfahren tätig wird. Ob die beklagte KV den an der Honorarfestsetzung beteiligten Ersatzkassen bei Mitteilung der hier in Betracht kommenden Honorarbescheide eine schriftliche Belehrung über den Rechtsbehelf erteilt hat, ist aus den Verwaltungsakten der KV nicht zu ersehen, könnte aber durch Vorlage der den einzelnen Ersatzkassen zugegangenen Honorarbescheide festgestellt werden. Ist die Belehrung - wie es den Anschein hat - unterblieben oder war sie unrichtig, so konnte der Widerspruch noch innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG erhoben werden.

Das LSG hat darüber, wann die Honorarbescheide über die hier streitigen drei Kalendervierteljahre den Vertragskassen mitgeteilt worden sind, ob und welche Rechtsbelehrung sie enthielten, wann die Widersprüche - "Einwendungen gegen die Prüfungsergebnisse" - bei der beklagten KV eingegangen sind und ob der VdAK ermächtigt war, für die einzelnen Ersatzkassen tätig zu werden, keine Feststellungen getroffen. Es hat auch zu der Frage, ob die Ersatzkassen trotz der in § 15 Ziff. 4 Abs. 1 Satz 3 EKV vorgeschriebenen schriftlichen Begründung die gesamte Honorarforderung der KV für alle Ärzte vorsorglich ohne Begründung ablehnen dürfen, keine Stellung genommen, weil es davon ausgegangen ist, daß die Honorarbescheide auf jeden Fall wegen Nichteinhaltung der weiteren Fristen des § 15 Ziff. 4 EKV unwiderruflich und nach § 77 SGG für die Beteiligten in der Sache bindend geworden seien.

Das LSG hat jedoch den Charakter dieser Fristen verkannt und deshalb aus ihrer Nichteinhaltung unrichtige Folgerungen gezogen. Es handelt sich, wie der Senat in BSG 17, 95 ff näher ausgeführt hat, bei den Fristen, die für die weitere Durchführung des Prüfungsverfahrens nach Anfechtung des ersten Honorarbescheides gelten, nicht um Fristen, die die vom Verwaltungsverfahren Betroffenen - nämlich der Vertragsarzt und die Ersatzkassen zur Vermeidung von Rechtsnachteilen einzuhalten haben, sondern um Fristen, die allein für die mit der Durchführung des Prüfungsverfahrens betrauten Stellen gelten. Die Nichteinhaltung der in § 15 Ziff. 4 EKV für das weitere Prüfungsverfahren bestimmten Fristen durch die Prüfungseinrichtungen der beklagten KV hat daher nicht zur Folge, daß der von einem der Beteiligten rechtswirksam angefochtene Honorarbescheid nach § 77 SGG bindend geworden ist.

3.) Da das Berufungsgericht somit die Honorarbescheide aus den von ihm angeführten Gründen nicht als bindend ansehen durfte und seine bisherigen Feststellungen nicht ergeben, daß die Bescheide mangels rechtswirksamer Anfechtung durch die betroffenen Ersatzkassen bindend geworden sind, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die noch nicht entscheidungsreife Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Ergibt die nunmehr vom Berufungsgericht durchzuführende Prüfung, daß der VdAK die Prüfungsbescheide im Auftrag der betroffenen Ersatzkassen, die zum Verfahren beizuladen wären, rechtswirksam angefochten hat, so beständen gegen die Durchführung der in § 15 Ziff. 4 EKV vorgesehenen Zwischenbesprechung grundsätzlich keine Bedenken. Der Klägerin hätte jedoch nach dieser Vertragsbestimmung das Ergebnis dieser Zwischenbesprechung mitgeteilt werden müssen, bevor ein neuer Bescheid des Prüfungsausschusses erging. Dieser Mangel des Verwaltungsverfahrens könnte jedoch, wie der Senat in BSG 17, 96 näher dargelegt hat, geheilt sein. Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise wird das LSG auch das Urteil des Senats in BSG 17, 79 zu beachten haben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil des Berufungsgerichts vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2375033

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